TE Vwgh Erkenntnis 1996/1/16 95/20/0036

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Veröffentlicht am 16.01.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. September 1994, Zl. 4.290.478/4-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. September 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, der am 12. Jänner 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 16. Jänner 1990 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. April 1990, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen und ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.

Der Beschwerdeführer gab anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 5. Februar 1990 an, daß er in der Türkei "geächtet" sei. Die Soldaten hätten ihm vorgeworfen, daß er die "PKK-Kämpfer" bei ihm beherberge oder ihnen Unterschlupf gewähre. Als sein Vater im Jahre 1987 zur Folter abgeholt worden sei und außer Haus gewesen sei, seien Soldaten auf den Hof gekommen, wo er der einzige Mann gewesen sei. Die Soldaten hätten seine Mutter, seine Geschwister und ihn "gefoltert". Unter Folter verstehe er, daß man ihn mit einem Gummiknüppel und seine Mutter mit einem Gewehrkolben geschlagen habe. Die Folterungen seien deshalb erfolgt, weil man ihn verdächtigt habe, die PKK zu unterstützen. Der letzte derartige Vorfall habe sich 1988 ereignet. Seinen vorgelegten Reisepaß habe er nach einer Wartezeit von zwei Monaten unter Einschaltung eines Rechtsanwaltes erhalten.

Über Vorhalt eines Erlasses des Bundesministers für Inneres, beinhaltend eine Zusammenfassung von Berichten des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten über die Lage der Kurden in der Türkei, machte der Beschwerdeführer allgemein gehaltene Angaben, die Lage des kurdischen Volkes und das Verhältnis zwischen Türken und Kurden betreffend. In einem handschriftlichen Zusatz ergänzte der Beschwerdeführer, man habe seinen Vater im Jahr 1987 inhaftiert und ca. einen Monat lang mißhandelt und gefoltert. Sein Vater sei im Jahr 1980 (später auf 1988 berichtigt) ein zweites Mal gefoltert worden und in der Folge erblindet. Es sei nach dem Bruder des Beschwerdeführers gefahndet worden, die Staatsanwaltschaft habe ein für diesen bestimmtes Schreiben geschickt. Sein Vater habe dieses Schreiben seinem Bruder nach Wien geschickt. Sein Vater sei gefoltert und sein Bruder gesucht worden, weil die Familie des Beschwerdeführers die PKK unterstützt habe und dies die türkischen Behörden gewußt hätten.

In der gegen den abweisenden Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gerichteten Berufung gab der Beschwerdeführer an, er sei Kurde, habe aus politischen Gründen seine Heimat verlassen müssen, weshalb er nach Österreich gekommen sei. In der Türkei gebe es kein Recht für die Kurden.

Die belangte Behörde begründete den angefochtenen Bescheid im wesentlichen damit, daß die allgemeinen Ausführungen betreffend das kurdische Volk keine konkreten, gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete Verfolgungshandlungen seien, die Vorfälle aus den Jahren 1987 und 1988 in keinem zeitlichen Naheverhältnis zur Ausreise aus dem Heimatland (Jänner 1990) lägen und die den Vater des Beschwerdeführers und seinen Bruder betreffenden Vorbringen ebenfalls keine konkreten, gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete Verfolgungshandlungen seien. Deshalb sei der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinn des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde, der mit Beschluß vom 5. Dezember 1994, Zl. B 2162/4-6, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat, nach deren Ergänzung erwogen:

Woraus der Beschwerdeführer entnimmt, daß im vorliegenden Fall "die von der belangten Behörde angenommene Anwendbarkeit des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 in der noch verfassungswidrigen Version präjudiziell" sei, ist mangels näherer Ausführung nicht nachvollziehbar.

Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie wäre der ihr aufgegebenen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist festzuhalten, daß der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 wohl bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, darstellt, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800-0803, und vom 25. April 1995, Zl. 95/20/0112).

Die Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren zu der von ihm behaupteten "Gruppenverfolgung von Angehörigen des kurdischen Volkes in der Türkei" sind derart unbestimmt gehalten, daß angesichts der vorgehaltenen Berichte des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten zur Lage der Kurden in der Türkei keine Ermittlungspflicht der Behörde entstand. In der Beschwerde wird die "Gruppenverfolgung" mit einem - vom Beschwerdeführer selbst als Vorbringen zu einem neuen Asylantrag vom 9. Dezember 1994 bezeichneten - neuen Sachverhalt gestützt, der dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG unterliegt.

Auch die vom Beschwerdeführer behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit liegt aus folgenden Gründen nicht vor:

Zentraler Aspekt des von § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 aus Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die WOHLBEGRÜNDETE FURCHT VOR VERFOLGUNG. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Zu fragen ist daher nicht danach, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob SICH EINE MIT VERNUNFT BEGABTE

PERSON IN DIESER SITUATION AUS KONVENTIONSGRÜNDEN FÜRCHTEN

WÜRDE. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit EINER MAßGEBLICHEN WAHRSCHEINLICHKEIT droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Zurechnungssubjekt der Verfolgungsgefahr ist der Heimatstaat bzw. bei Staatenlosen der Staat des vorherigen gewöhnlichen Aufenthaltes (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0858, uva.).

Die allgemeinen Ausführungen des Beschwerdeführers waren weder geeignet, eine "Gruppenverfolgung" der Kurden in der Türkei, noch eine gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete, unmittelbare asylrechtlich relevante Verfolgung im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in der notwendigen Wahrscheinlichkeit darzutun.

Hinsichtlich der den Beschwerdeführer selbst betreffenden Vorgänge ist der belangten Behörde zuzustimmen, daß die Verfolgungsgefahr bis zur Ausreise andauern muß und Vorgänge, die bereits längere Zeit zurückliegen, in der Regel keine ausreichende Asylrelevanz mehr aufweisen; solche Umstände können allerdings zur Abrundung des Gesamtbildes bei Prüfung der Frage einer nach wie vor gegebenen begründeten Furcht vor Verfolgung herangezogen werden. Der Beschwerdeführer gab als letzte Verfolgungshandlung der türkischen Soldaten einen Vorfall im Jahre 1988 an. Weder anläßlich seiner Vernehmung, in seinen Berufungsausführungen noch in der Beschwerde gibt der Beschwerdeführer eine schlüssige Erklärung dafür, aus welchen Gründen er sich bis zu seiner Ausreise (Jänner 1990) weiterhin in seinem Heimatland aufgehalten hat. Im Ergebnis kann daher der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie davon ausging, daß unter Zugrundelegung der Darstellung des Beschwerdeführers die Glaubhaftmachung begründeter Furcht vor konkret ihn betreffender aktueller Verfolgung nicht gelungen sei (vgl. für viele andere das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/1081).

Der fehlende zeitliche Konnex trifft auch auf die gegen seinen Vater und gegen seinen Bruder behaupteten Verfolgungshandlungen zu, weshalb der Behörde auch hier nicht mit Erfolg entgegengetreten werden kann, wenn sie daraus im Hinblick auf den Zeitablauf die aktuelle Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers verneint.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200036.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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