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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde des O in L, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. September 1994, Zl. 4.344.789/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, der am 2. Juli 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist, stellte am 7. Juli 1994 einen Asylantrag, den er am selben Tag bei seiner Einvernahme beim Bundesasylamt damit begründete, er gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an, sei nicht vorbestraft, werde aber zur Zeit von den "heimatlichen Behörden" gesucht, weil er Mitglied der (offenbar gemeint: kommunistischen) Partei und bis 1992 Kriminalbeamter bei der Polizei gewesen sei. Er werde somit aus politischen Gründen verfolgt. Er habe als Kriminalbeamter viele Kriminelle, die hauptsächlich Mudjahedin gewesen seien, hinter Gitter gebracht; nunmehr werde er von eben diesen verfolgt. Er habe sich auch als Parteisekretär für vierzig Polizisten politisch betätigt. So habe er in dieser Funktion Befehle von der Parteizentrale weitergeleitet, Berichte geschrieben, Sitzungen einberufen und das Parteiprogramm für seine Provinz bearbeitet. Beispielsweise habe er 1991, als bekannt geworden sei, daß die Mudjahedin die Stadt überfallen wollten, die Mitglieder versammelt und bewaffnet. Die für alle ehemaligen Staatsbediensteten verkündete Amnestie werde, weil unter den verschiedenen Mudjahedin-Gruppen keine Einheit herrsche, nicht von allen eingehalten. Zunächst sei die Zentralregierung gestürzt und dann seien die Leute entwaffnet worden. Der Beschwerdeführer selbst habe noch seinen Dienst versehen, als er von den Mudjahedin aufgesucht, entwaffnet und nach Hause geschickt worden sei. Erst sieben Monate später sei mit den Verfolgungen begonnen worden. Der Beschwerdeführer sei im Jahre 1992 zweimal zu Hause gesucht worden; man habe seiner Gattin keinen Grund genannt und die Männer hätten auch keine besonderen Uniformen getragen, sodaß man nicht sagen könne, von welcher Gruppe er gesucht worden sei. Im Fall seiner Ergreifung in Kabul durch eine der von ihm näher bezeichneten Mudjahedin-Gruppen wäre er sicher an Ort und Stelle umgebracht worden. Der Beschwerdeführer habe auf die Freilassung seines Bruders, der ein Jahr lang von der "Etehad-Islami" gefangen gehalten worden sei, warten wollen und habe auch nicht genug Geld beisammen gehabt, um die Flucht sofort antreten zu können. Sein Vater habe schließlich Grundstücke auf dem Land (offenbar, um das erforderliche Geld aufzubringen) verkauft. Sein Vater sei ein alter weißhaariger Mann im Dorf, sodaß der Beschwerdeführer, wäre er zu ihm gegangen, sofort erkannt und gemeldet worden wäre, weshalb er dort keine Überlebenschance gehabt hätte. Auch in anderen Städten seien diese Gruppierungen vertreten, wobei Neuankömmlinge auffielen, weshalb über diese Nachforschungen angestellt würden. Der Beschwerdeführer habe nicht mehr ständig in Angst wegen seiner Parteimitgliedschaft und politischen Tätigkeit leben können.
Den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Juli 1994, mit dem sein Asylantrag abgewiesen wurde, bekämpfte der Beschwerdeführer mit Berufung, in der er seine bisherigen Angaben bekräftigte und darüber hinaus anführte, er sei, nachdem sein Haus zweimal nach ihm durchsucht worden sei, "untergetaucht" und habe nach Möglichkeiten gesucht, Afghanistan zu verlassen. Erst Anfang Juni 1994 habe er über genügend Geld verfügt, um sich einen Fluchthelfer suchen zu können. Die neue afghanische Führung beabsichtige, die ehemaligen kommunistischen Funktionäre wegen Hochverrats vor Gericht zu stellen, weshalb in Kabul ein Volksgerichtshof eingerichtet worden sei. Unter Hinweis auf eine Entscheidung eines ausländischen Verwaltungsgerichtes machte der Beschwerdeführer geltend, ihm drohe im Fall seiner Rückkehr auf Grund seiner hochrangigen Position in der Watan-Partei seitens aller in Afghanistan Macht ausübenden Mudjahedin-Gruppen Verhaftung und möglicherweise Folter oder Ermordung. Die Wiedergabe weiterer Ausführungen zu der vom Bundesasylamt angenommenen Verfolgungssicherheit kann unterbleiben, weil die belangte Behörde diese dem angefochtenen Bescheid nicht mehr zugrunde gelegt hat.
Mit ihrem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27. September 1994 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ab. In der Begründung dieses Bescheides ging die belangte Behörde nach Darstellung der Rechtslage davon aus, daß es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, Umstände glaubhaft zu machen, die die Annahme rechtfertigen würden, er befinde sich aus objektiv wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) außerhalb seines Heimatlandes und sei daher nicht gewillt, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer entgegengehalten, aus seiner Angabe, im Jahre 1992 zweimal von Männern zu Hause gesucht worden zu sein, könne noch nicht geschlossen werden, er habe Verfolgung im Sinne des Asylgesetz 1991 zu befürchten gehabt, weil er nicht einmal habe angeben können, welcher Gruppierung diese Männer zuzuordnen gewesen seien. Derart allgemein gehaltene Behauptungen könnten aber die Flüchtlingseigenschaft nicht begründen.
Demgegenüber ist der Niederschrift über die Erstbefragung des Beschwerdeführers zu entnehmen, daß er angegeben hat, die nach ihm suchenden Männer hätten weder einen Grund für die Nachforschung genannt noch hätten sie besondere Uniformen getragen, sodaß sie keiner speziellen Gruppe hätten zugeordnet werden können. Diese Angaben des Beschwerdeführers können angesichts der bekanntermaßen in Afghanistan herrschenden Zustände und des Umstandes, daß es sich bei den einzelnen Mudjahedin-Gruppierungen nicht um reguläre Truppenverbände im klassischen Sinn handelt, die auf Grund ihrer Uniformen ohne Schwierigkeiten bestimmbar wären, nicht von vornherein als unschlüssig angesehen werden. Daraus folgt, daß - unter Bedachtnahme auf die in Afghanistan herrschende politische Situation - aus dem mangelnden Wissen des Beschwerdeführers über die Zugehörigkeit der ihn suchenden Männer zu bestimmten politisch-militärischen Gruppierungen noch nicht abgeleitet werden kann, seine Angaben stellten sich als zu allgemein gehaltene Behauptungen dar, aus denen keinesfalls konkrete Verfolgung abgeleitet werden könnte.
Allerdings ist der belangten Behörde insoweit zu folgen, als sie die vom Beschwerdeführer für das Jahr 1992 angegebenen zweimaligen Nachforschungen nach seinem Aufenthaltsort als im Verhältnis zum Zeitpunkt seiner Flucht zeitlich bereits zu weit zurückliegend und daher zur Bescheinigung aktueller Verfolgungsgefahr nicht geeignet erachtet hat. Der Beschwerdeführer hat nämlich bei seiner gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 auch der Entscheidung der belangten Behörde zugrunde zu legenden Ersteinvernahme vor dem Bundesasylamt weder zu erkennen gegeben, daß er etwa im Anschluß an diese offenbar vereinzelt gebliebenen Nachforschungen sich versteckt gehalten hätte, sodaß weitere Verfolgungsschritte der staatlichen Machthaber ihn nicht hätten erreichen können, noch hat er überhaupt weitere Verfolgungsmaßnahmen behauptet oder Umstände geltend gemacht, die auf eine ihm unmittelbar bevorstehende, konkrete Verfolgung hingedeutet hätten. Der in der Beschwerde geltend gemachte Hinweis auf die von ihm behauptete hochrangige Position allein reicht zur Glaubhaftmachung einer solchen aktuellen Gefahr nicht aus. Somit konnte die belangte Behörde aber, ohne den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit zu belasten, davon ausgehen, daß nach dem Jahr 1992 keinerlei Verfolgungsmaßnahmen mehr gegen den Beschwerdeführer gerichtet wurden - die erstmals in der Berufung erhobene Behauptung, der Beschwerdeführer sei nach den Nachforschungen untergetaucht, konnte die belangte Behörde im Hinblick auf § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 unbeachtet lassen -, und daß somit angesichts des Zeitpunktes der Flucht des Beschwerdeführers im Juni 1994 unter Zugrundelegung seines erstinstanzlichen Vorbringens von einem Andauern der Verfolgung im Fluchtzeitpunkt nicht mehr gesprochen werden könne.
Soweit der Beschwerdeführer erstmals in der Beschwerde geltend macht, es sei ihm nicht zumutbar gewesen, sich in seinem Heimatland einem Verfahren vor dem Volksgerichtshof zu stellen, ist ihm entgegenzuhalten, daß er im Verwaltungsverfahren nicht einmal angedeutet hat, daß ihm konkret ein solches Verfahren drohe. Mit diesem Vorbringen unterliegt der Beschwerdeführer ebenso wie mit seinen in einem ergänzenden Schriftsatz zur Beschwerde enthaltenen, erstmals erbrachten Beweisanboten (Schreiben der Kommandantur der Exekutive Kabul, Dienstausweis, Belege über Krankenhausaufenthalte) dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot, weshalb darauf nicht weiter eingegangen werden mußte.
Zum Vorwurf des Beschwerdeführers, die belangte Behörde wäre der ihr aufgegebenen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist festzuhalten, daß der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 wohl bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, darstellt, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800-0803). Da im Beschwerdefall über die bereits oben behandelten Angaben hinausgehende, hinreichend deutliche Hinweise auf das Vorliegen weiterer Gründe im Sinne der Flüchtlingskonvention im Vorbringen des Beschwerdeführer vor der Behörde erster Instanz nicht enthalten waren, war die belangte Behörde, da auch sonst ein für die Entscheidung wesentlicher Mangel des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz nicht hervorgekommen und vom Beschwerdeführer insoweit in seiner Berufung auch nicht geltend gemacht wurde, nicht verpflichtet, gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 die Ergänzung oder Wiederholung dieses Verfahrens anzuordnen.
Die sich sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des erhobenen Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200016.X00Im RIS seit
20.11.2000