TE Vwgh Erkenntnis 1996/1/24 94/12/0179

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Veröffentlicht am 24.01.1996
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
72/13 Studienförderung;

Norm

AVG §39 Abs2;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
StudFG 1992 §16 Z2;
StudFG 1992 §18 Abs1;
StudFG 1992 §19 Abs1;
StudFG 1992 §19 Abs2 Z2;
StudFG 1992 §19 Abs2 Z3;
StudFG 1992 §19 Abs3;
StudFG 1992 §19 Abs4;
StudFG 1992 §19 Abs6 Z1;
StudFG 1992 §19 Abs6 Z2;
VwGG §46 Abs1 impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Leitner, über die Beschwerde der H in G, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung vom 27. Mai 1994, Zl. 56.040/31-I/7/94, betreffend Nachsicht einer Studienzeitüberschreitung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebühren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin begann ihr Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Graz im Wintersemester 1990/91. Nach zweimaligen erfolglosen Versuchen am 6. November 1992 und am 24. März 1993 absolvierte die Beschwerdeführerin am 18. Oktober 1993 die letzte Teilprüfung für die erste Diplomprüfung in Volkswirtschaft.

Der Antrag der Beschwerdeführerin vom 3. November 1993 auf Gewährung von Studienbeihilfe wurde mit Bescheid der Studienbeihilfenbehörde vom 15. November 1993 wegen Überschreitung der Studienzeit gemäß § 20 Abs. 2 StudFG abgewiesen.

Am 21. Dezember 1993 brachte die Beschwerdeführerin bei der Studienbeihilfenbehörde einen Antrag auf Nachsicht von der Überschreitung der Studienzeit ein, welcher vom Senat der Studienbeihilfenbehörde stimmenmehrheitlich befürwortet wurde. Dieser Antrag war damit begründet, daß die Beschwerdeführerin vom Juni 1992 bis zu den Sommerferien 1993 durch die notwendige Pflege ihrer Eltern in ihrem Studium soweit beeinträchtigt gewesen sei, daß dies als wichtiger Grund die Überschreitung der Anspruchsdauer rechtfertige.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Ansuchen um Nachsicht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 StudFG gemäß § 19 Abs. 6 Z. 2 StudFG nicht statt.

Nach Wiedergabe der Rechtslage wird zur Begründung weiter ausgeführt, die Beschwerdeführerin hätte nach der Studienordnung für die Studienrichtung Rechtswissenschaften die erste Diplomprüfung im Sinne des § 20 Abs. 2 StudFG spätestens im 5. Semester des 1. Studienabschnittes abzulegen gehabt. Tatsächlich habe sie die erste Diplomprüfung aber im

7. Semester ihres Studiums (Wintersemester 1993/94) abgelegt. Sie habe die Studienverzögerung mit der Tatsache begründet, daß sie auf Grund des schlechten Gesundheitszustandes ihrer Eltern und im besonderen des ihres Vaters in der Landwirtschaft ihrer getrennt lebenden Eltern hätte mitarbeiten müssen. Zudem sei die väterliche Landwirtschaft in einem verwahrlosten Zustand und beide, der Vater wie auch die Mutter, seien pflegebedürftig. Die Beschwerdeführerin sei dadurch besonders ab Juni 1992 bis zu den Sommerferien 1993 am Studium gehindert gewesen, weil sie einmal wöchentlich nach ihrem Vater, der an einer Magen- und Nierenerkrankung leide, hätte sehen bzw. ihn betreuen müssen. Auch die an Hüft- und Bandscheibenschaden leidende Mutter hätte sie immer wieder bei landwirtschaftlichen Arbeiten unterstützen müssen. Die noch fehlende Teildiplomprüfung aus "Grundzüge der Volkswirtschaftslehre und -politik" (im folgenden kurz Volkswirtschaft) hätte die Beschwerdeführerin sehr wohl am 30. November 1992 als auch am 24. März 1993 nicht positiv ablegen können. Erst am 18. Oktober 1993 habe sie diese Prüfung positiv absolviert. Das erfolglose Antreten zu den Prüfungen habe die Beschwerdeführerin mit den mangelnden Vorlesungsbesuchen auf Grund der angeführten Umstände gerechtfertigt.

Nach § 19 Abs. 6 Z. 2 StudFG könne das Vorliegen wichtiger Gründe nur dann die Überschreitung der Studienzeit rechtfertigen, wenn das überwiegende Ausmaß der Studienverzögerung auf die genannten Gründe zurückzuführen sei. Von der Überschreitung der gesetzlichen Studienzeit des 1. Studienabschnittes um fünf Semester müßte demnach mehr als die Hälfte durch einen wichtigen Grund im Sinne des StudFG gerechtfertigt sein. In rechtlicher Hinsicht sei daher zu prüfen, ob die von der Beschwerdeführerin genannten Gründe das überwiegende Ausmaß ihrer Studienzeitüberschreitung von insgesamt fünf Semestern, also zumindest eine etwa drei Semester dauernde Studienverzögerung, bewirkt hätten und ob es sich dabei um wichtige Gründe im Sinne des StudFG gehandelt habe. Weiters sei zu prüfen, ob nicht nur ein zeitlicher, sondern auch ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem geltend gemachten Ereignis und der Beeinträchtigung des Studienfortganges vorliege.

Dazu lasse sich auf Grund der vorliegenden Unterlagen folgendes feststellen: Der schlechte gesundheitliche Zustand der Eltern der Beschwerdeführerin sei schon mehrere Jahre vorgelegen, wenn auch immer wechselnd. Eine akute Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Vaters in dem von der Beschwerdeführerin angeführten Zeitraum von Juni 1992 bis Sommer 1993 sei nicht unmittelbar ersichtlich. Zudem habe die Beschwerdeführerin zum angeführten Zeitpunkt der Behinderung am Studium die Teildiplomprüfung aus "Römisches Privatrecht" am 3. Juli 1992 abgelegt, wodurch der kausale Zusammenhang zwischen der Studienbeeinträchtigung und dem Studienverlauf nicht erkennbar sei. Die mehrfache Wiederholung der Teilprüfungen aus Volkswirtschaft sei zumindest im selben Ausmaß für die Studienverzögerung ursächlich. Das Nichtbestehen von Prüfungen stelle jedoch keinen wichtigen Grund im Sinne des StudFG dar und könne somit auch nicht zur Rechtfertigung der Studienzeitüberschreitung herangezogen werden.

Daraus ergebe sich, daß das überwiegende Ausmaß der Studienzeitüberschreitung der Beschwerdeführerin von fünf Semestern nicht durch wichtige Gründe im Sinne des StudFG gerechtfertigt sei.

Eine weitere Voraussetzung für die Erteilung der Nachsicht sei, daß auf Grund der bisherigen Studienleistungen zu erwarten sei, daß der Studierende die Diplomprüfung (das Rigorosum) innerhalb der Anspruchsdauer ablegen werde. Das bedeute, daß auf Grund des bisherigen Studienverlaufes eine günstige Studienprognose gestellt werden könne, was im Fall der Beschwerdeführerin nicht möglich sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 16 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305 (StudFG), liegt ein günstiger Studienerfolg als Voraussetzung für den Anspruch auf Studienbeihilfe vor, wenn der Studierende

1.

sein Studium zielstrebig betreibt (§ 17),

2.

die vorgesehene Studienzeit nicht wesentlich überschreitet (§§ 18 und 19) und

3.

Nachweise über die erfolgreiche Absolvierung von Lehrveranstaltungen und Prüfungen vorlegt.

Die Verlängerung der Anspruchsdauer aus wichtigen Gründen ist im § 19 StudFG geregelt. Die Anspruchsdauer ist nach Abs. 1 zu verlängern, wenn der Studierende nachweist, daß die Studienzeitüberschreitung durch einen wichtigen Grund verursacht wurde.

Wichtige Gründe im Sinne des Abs. 1 sind gemäß Abs. 2:

1.

Krankheit des Studierenden, wenn sie durch fachärztliche Bestätigung nachgewiesen wird,

2.

Schwangerschaft der Studierenden und

3.

jedes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis, wenn den Studierenden daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Nach Abs. 3 bewirkt eine Schwangerschaft die Verlängerung der Anspruchsdauer um ein Semester.

Die Pflege und Erziehung eines Kindes vor Vollendung des 3. Lebensjahres, zu der der Studierende während seines Studiums gesetzlich verpflichtet ist, bewirken nach Abs. 4 die Verlängerung der Anspruchsdauer um insgesamt höchstens zwei Semester je Kind, ohne daß es eines weiteren Nachweises über die Verursachung der Studienverzögerung bedarf.

Der zuständige Bundesminister hat gemäß Abs. 6 auf Antrag des Studierenden und nach Anhörung des zuständigen Senates der Studienbeihilfenbehörde

1.

bei Studien im Ausland, überdurchschnittlich umfangreichen und zeitaufwendigen wissenschaftlichen Arbeiten oder ähnlichen außergewöhnlichen Studienbelastungen die Anspruchsdauer um ein weiteres Semester zu verlängern oder

2.

bei Vorliegen wichtiger Gründe im Sinne der Z. 1 oder des Abs. 2 die Überschreitung der zweifachen Studienzeit des ersten Studienabschnittes zuzüglich eines Semesters (§ 20 Abs. 2 und § 21 Abs. 2) oder die Überschreitung der Studienzeit des zweiten und dritten Studienabschnittes um mehr als vier Semester (§ 15 Abs. 2) nachzusehen,

wenn das überwiegende Ausmaß der Studienzeitüberschreitung auf die genannten Gründe zurückzuführen und auf Grund der bisherigen Studienleistungen zu erwarten ist, daß der Studierende die Diplomprüfung (das Rigorosum) innerhalb der Anspruchsdauer ablegen wird.

Zu § 19 StudFG (Stammfassung) ist in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, 473 der Beilagen, XVIII. GP, ausgeführt:

"Diese Bestimmung faßt die individuelle Erweiterung der Anspruchsdauer unter Berücksichtigung spezifischer Studienbehinderungen zusammen und entspricht mit einigen inhaltlichen Modifikationen dem § 2 Abs. 3 letzter Satz und Abs. 4 StudFG 1983.

Die wichtigen Gründe, die zur Verlängerung der Anspruchsdauer führen, wurden gegenüber § 2 Abs. 3 letzter Satz StudFG 1983 erweitert, das Nachweisverfahren vereinfacht. Dies betrifft die Pflege und Erziehung eines Kindes bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres, die zur Verlängerung der Anspruchsdauer um maximal zwei Semester führt, ohne daß es eines gesonderten Nachweises für die konkrete Studienbehinderung bedarf.

....

Im Unterschied zur Kindererziehung gilt für alle anderen wichtigen Gründe wie bisher, daß nicht nur ein zeitlicher, sondern auch ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem geltend gemachten Ereignis und der Beeinträchtigung des Studienfortganges vorliegen muß. Dies bedeutet, daß die Einhaltung der Anspruchsdauer erst durch den Eintritt des Ereignisses unmöglich gemacht wurde; ohne dieses Ereignis wäre demnach die Einhaltung der Anspruchsdauer mit größter Wahrscheinlichkeit möglich gewesen. Die Grundlage für diese Prognose des hypothetischen Studienerfolges kann nur aus dem bisherigen Studienverlauf gewonnen werden. In diesen Fällen wird ein Ermittlungsverfahren unumgänglich sein, das - auf einer Darstellung des Studien- und Prüfungsverlaufes aufbauend - die Auswirkung des wichtigen Grundes auf den Studienfortgang aufzeigt.

Die Aufzählung der wichtigen Gründe, die zu einer Rechtfertigung der Überschreitung der Anspruchsdauer führen, ist wie bisher taxativ. Die unter Abs. 2 Z. 3 angeführte Generalklausel stellt in ihrer Formulierung weiterhin auf ein "Verschulden" des Studierenden ab. ...

Die Frage der Unvorhersehbarkeit oder Unabwendbarkeit des geltend gemachten Ereignisses ist besonders bei der Ableistung von Zivil- und Präsenzdienst zu beachten. Dieser ist seiner Natur nach grundsätzlich nicht unvorhergesehen. Hinsichtlich der Abwendbarkeit ist entscheidend, ob im konkreten Fall die Ableistung aufgeschoben werden kann. Im übrigen ist hinsichtlich der Begriffe auf § 71 AVG zu verweisen."

Die Betrachtung der Abs. 2, 3, 4 und 6 des § 19 StudFG in ihrem systematischen Zusammenhang und unter Beachtung der Erläuternden Bemerkungen zeigt, daß die Tatbestände im Abs. 2, der in Z. 3 eine Generalklausel enthält, und der Tatbestand nach Abs. 6 Z. 1 eine Taxative Aufzählung darstellen. Abs. 3 sieht anknüpfend an Abs. 2 Z. 2 eine gesetzliche Verlängerung der Anspruchsdauer für diesen Fall um ein Semester vor. Abs. 4 regelt einen Sonderfall, der aber an sich unter die Generalklausel fällt, in der Weise, daß für diesen Fall ohne weiteren Nachweis über die Ursache ebenfalls eine Verlängerung der Anspruchsdauer bewirkt wird. Dies erfolgte einerseits im Hinblick auf die Erfahrung, daß mit der Obsorge für ein Kleinkind eine erhebliche Beeinträchtigung für die Betreuungsperson verbunden ist, andererseits im Hinblick auf die Vereinfachung des Ermittlungsverfahrens.

Diese Überlegungen zeigen, daß der Regelung des Abs. 4 nicht eine Bedeutung dergestalt beigemessen werden darf, daß Pflegeleistungen nur unter den im Abs. 4 genannten Voraussetzungen als wichtige Gründe im Sinne des § 19 Abs. 2 StudFG berücksichtigt werden können. Abs. 4 des § 19 StudFG ist vielmehr als Zurechnungs- und Nachweisregelung für ein spezifisches Ereignis zu sehen.

Die Beschwerdeführerin sieht sich in ihrem aus § 19 Abs. 6 Z. 2 StudFG ergebenden subjektiv-öffentlichen Recht auf Nachsicht von der Überschreitung der zweifachen Studienzeit des ersten Studienabschnittes zuzüglich eines Semesters (§ 20 Abs. 2 StudFG) verletzt, weil die belangte Behörde aktenwidrig von einer Studienzeitüberschreitung in der Höhe von fünf Semestern (anstatt vier Semestern und 18 Tagen) ausgegangen sei und auf Grund dessen ein überwiegendes, auf die geltend gemachten Gründe zurückzuführendes Ausmaß der Studienzeitüberschreitung verneint habe sowie überdies in rechtlich unrichtiger Beurteilung die (durch den schlechten Gesundheitszustand der Eltern der Beschwerdeführerin) verursachte mehrfache Wiederholung der Teilprüfungen als im Sinne des § 19 Abs. 6 Z. 2 in Verbindung mit Abs. 2 Z. 3 StudFG als untauglichen Grund angesehen habe, anstatt darin die Folge des von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Grundes des unabwendbaren Ereignisses der Krankheit ihrer Eltern zu erblicken; überdies sieht sich die Beschwerdeführerin dadurch in ihren Rechten verletzt, daß die belangte Behörde die zur Erstellung der Studienprognose notwendigen Tatsachenfeststellungen nicht getroffen habe.

Die belangte Behörde verneint den inhaltlichen Zusammenhang zwischen dem von der Beschwerdeführerin "geltend gemachten Ereignis" und der Beeinträchtigung des Studienfortganges, wobei sie die mehrfache Wiederholung der Teilprüfung aus Volkswirtschaft zumindest im selben Ausmaß als für die Studienverzögerung ursächlich bezeichnet, wie die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Behinderung durch die notwendige Betreuung ihrer Eltern, und meint, daß das Nichtbestehen von Prüfungen keinen wichtigen Grund zur Rechtfertigung einer Studienzeitüberschreitung im Sinne des StudFG darstelle.

Damit hat die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin mißverstanden, weil danach das Nichtbestehen der Teilprüfung Volkswirtschaft die Folge der Behinderung der Beschwerdeführerin gewesen sein soll. Es wäre daher primär von der belangten Behörde nur zu prüfen gewesen, ob die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Pflege- bzw. Betreuungsverpflichtung rechtlich und tatsächlich einen wichtigen Grund für die Verlängerung der Anspruchsdauer darstellt. Einen solchen wichtigen Grund stellt nach der allein in Betracht kommenden Regelung des § 19 Abs. 2 Z. 3 StudFG jedes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis dar, wenn den Studierenden daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Daß eine mit der Erkrankung ihrer Eltern für die Beschwerdeführerin gegebene Betreuungsverpflichtung ein Ereignis darstellt, an dem sie kein Verschulden trifft, ist offenkundig. Ein solches Ereignis muß aber zusätzlich entweder unvorhergesehen oder unabwendbar sein. Nach der dem Gesetzeswortlaut nach vergleichbaren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 71 AVG ist ein Ereignis dann unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte (vgl. Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes zu § 71 AVG vom 25. März 1976, Slg. Nr. 9024/A). Unabwendbar ist ein Ereignis jedenfalls dann, wenn sein Eintritt vom Willen des Betroffenen nicht verhindert werden kann. Dem gleichzustellen sind alle jene Fälle, in denen der physisch möglichen Ausübung eines auf den Nichteintritt des Ereignisses gerichteten Willens ein Rechtsgebot entgegensteht. Diese Unabwendbarkeit ist nach der Lage des Einzelfalles und nach dem Zweck des Gesetzes, das an das Vorliegen des unabwendbaren Ereignisses eine Rechtsfolge knüpft, zu entscheiden (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zu § 71 AVG vom 28. Februar 1974, Zl. 1700/73).

Im Beschwerdefall meint die belangte Behörde - ohne dies klar und zweifelsfrei zum Ausdruck zu bringen -, daß Unvorhergesehenheit nicht gegeben sei, weil der schlechte Gesundheitszustand der Eltern der Beschwerdeführerin schon länger bestehe und eine akute Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Vaters nicht ersichtlich gewesen sei. Dem ist entgegenzuhalten, daß der an sich schlechte Gesundheitszustand noch nichts über die Betreuungsnotwendigkeit aussagt und daß der Vater der Beschwerdeführerin nach ihrem Vorbringen vom 31. Mai bis 9. Juni 1992 in stationärer ärztlicher Behandlung war; dabei handelt es sich aber ohne Zweifel um einen Umstand, der von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang entsprechend gewürdigt hätte werden müssen.

Ob dieses Ereignis aber tatsächlich unvorhergesehen gewesen ist, kann jedenfalls dann dahingestellt bleiben, wenn die Betreuungsverpflichtung für die Beschwerdeführerin unabwendbar gewesen ist. Diesbezüglich hat die belangte Behörde aber ausgehend von einer unrichtigen Rechtsauffassung, nämlich daß die Wertung dieses Ereignisses als wichtiger Grund für die Verlängerung der Anspruchsdauer nicht in Frage kommt, jegliche Erhebungen und Feststellungen unterlassen.

Eine Verneinung des kausalen Zusammenhanges der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Studienbehinderung mit ihrer Studienverzögerung kann entgegen der Auffassung der belangten Behörde aber auch nicht deshalb verneint werden, weil die Beschwerdeführerin am Beginn dieses behaupteten Behinderungszeitraumes noch die Prüfung für "Römisches Privatrecht" erfolgreich abgelegt hat. Bei der im Beschwerdefall gegebenen Sachlage erscheint es vielmehr plausibel, daß sich die Beschwerdeführerin vor der geltend gemachten Studienbehinderung auf diese erfolgreich abgelegte Prüfung noch hinreichend vorbereiten konnte, was für die späteren Prüfungstermine in Volkswirtschaft (noch dazu wo deren erster jedenfalls aber noch innerhalb der Zeit der Anspruchsberechtigung gelegen war) nicht gilt.

Eine andere Betrachtung zur Wertung der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Studienbehinderung ist - wie bereits einleitend dargelegt wurde - auch im Hinblick auf das von der belangten Behörde in der Gegenschrift genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. April 1993, Zl. 92/12/0100, schon deshalb nicht geboten, weil dieses zu einer sowohl formal als auch inhaltlich anderen Rechtslage (§ 2 Abs. 3 lit. b StudFG 1983 idF BGBl. Nr. 379/1988) ergangen ist. Dem Abs. 4 des § 19 StudFG kann - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - nicht die Bedeutung beigemessen werden, bei der "Pflege" handle es sich wegen der Sonderregelung des Abs. 4 nicht um einen vom Regelungsinhalt des Abs. 2 Z. 3 des § 19 StudFG erfaßten Tatbestand bzw. es sei dadurch jede Berücksichtigung auch von anderen Pflegeverrichtungen nach § 19 Abs. 2 Z. 3 StudFG ausgeschlossen.

In der Frage der Berechnung des Zeitraumes der Studienzeitüberschreitung sieht der Verwaltungsgerichtshof im StudFG keinen Ansatz dafür, daß - wovon die belangte Behörde ausgegangen ist - diesbezüglich nicht der konkrete Zeitpunkt ihrer Beendigung (im Beschwerdefall der 18. Oktober 1993), sondern das Semester, in dem dieses Ereignis stattgefunden hat, als "kleinste Berechnungsgröße" maßgebend sein soll.

Was die weitere Voraussetzung nach § 19 Abs. 6 StudFG, nämlich die günstige Studienprognose, betrifft, hat die belangte Behörde jegliche Erhebungen und Feststellungen unterlassen.

Der angefochtene Bescheid war aus den bereits vorher genannten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren am Stempelgebühren war im Hinblick auf den Befreiungstatbestand nach § 72 StudFG abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1994120179.X00

Im RIS seit

03.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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