TE Vwgh Erkenntnis 1996/1/25 95/19/0020

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Veröffentlicht am 25.01.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des W in L, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Oktober 1994, Zl. 4.345.046/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Oktober 1994 wurde die Berufung des Beschwerdefühers, eines Staatsangehörigen von Liberia, der am 3. September 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 12. September 1994 den Asylantrag gestellt hat, gegen den den Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. September 1994 abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hatte in seinem schriftlichen Asylantrag vom 12. September 1994 lediglich angegeben, "I came from "Liberia" because there is War in my country so I want to macke Refuge here in Austria". In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt vom 16. September 1994 gab der Beschwerdeführer als Fluchtgründe an, es sei seine Familie im Jahr 1989 im Zuge des in Liberia herrschenden Bürgerkrieges in Monrovia, wo er gewohnt habe, getötet worden. Da er in Liberia keinerlei Personen mehr gekannt habe, die ihn unterstützen könnten, habe er beschlossen, das Land so schnell als möglich zu verlassen. Er habe keine Möglichkeit gehabt, Essen zu erhalten, und es wäre sein Überleben gefährdet gewesen. Er habe auch Angst, von einer der bürgerkriegsführenden Gruppen des Samuel Doe oder der Truppen von Charles Taylor im Zuge des Bürgerkrieges getötet zu werden.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag ua. deshalb ab, weil die Bürgerkriegssituation für sich alleine nicht die Flüchtlingseigenschaft indiziere.

In der dagegen erhobenen Berufung bezog sich der Beschwerdeführer "im wesentlichen auf die anläßlich der Aufnahme" seines "Erstinterviews geltend gemachten Fluchtgründe". Zusätzlich brachte der Beschwerdeführer vor, daß sein Vater Mitglied der Partei von Charles Taylor gewesen sei. Die Leute des Samuel Doe hätten seinen Vater, einen Staatsbeamten, und seine Mutter erschossen. Er sei in der Nähe spielen gewesen und habe zur Mittagszeit die Toten gefunden. Er sei davongelaufen, da er gewußt habe, daß man auch hinter ihm her sei, denn es werde erwartet, daß er die Morde an seinen Eltern rächen werde. Da es der politische Feind offensichtlich auf die Auslöschung seiner ganzen Familie abgesehen habe, habe er sich einige Monate bei Freunden versteckt. Diese hätten Geld gesammelt, ein Flugticket beschafft, einen gefälschten Paß mit gefälschtem Visum für Ungarn besorgt und ihm Geld für seine Flucht mitgegeben. In der Berufung zitierte und belegte der Beschwerdeführer aus Dokumenten unter anderem auch, daß der Bürgerkrieg in Liberia 1990 ("ai-Bericht 1992, Seite 206 ff") bzw. Ende 1989 ("Verwaltungsgericht Magdeburg, Beschluß vom 29.7.1993, AZ 6 B 513/92") ausgebrochen sei.

Er habe das zusätzliche Vorbringen deshalb nicht in der Niederschrift erstattet, weil ihm durch gezielte Fragestellung die Möglichkeit genommen worden sei, "frei und zusammenhängend Angaben" über seinen Fall zu machen. Er sei davon ausgegangen, daß er "nur die Fragen beantworten mußte bzw. durfte". Daher habe die Behörde erster Instanz die fehlenden Angaben in ihrer Entscheidung zu seinem Nachteil ausgelegt, insbesondere dahingehend, daß er bloß wegen des Bürgerkrieges im allgemeinen geflohen sei. In Fettdruck gab er zudem an: "Über meine persönliche Situation wurde ich überhaupt nicht befragt".

Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid ab und begründete in der Frage der Flüchtlingseigenschaft im wesentlichen, daß sie gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen habe. Denn der Berufungsrüge, daß dem Beschwerdeführer durch gezielte Fragestellungen im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme die Möglichkeit genommen worden sei, frei und zusammenhängend Angaben zu machen und er über seine PERSÖNLICHE SITUATION überhaupt nicht befragt worden sei, sei entgegenzuhalten, daß ihm bei Abschluß der Befragung der Inhalt der Niederschrift vom Dolmetsch zur Kenntnis gebracht worden sei, er ausdrücklich ausgesagt habe, daß er dem nichts mehr hinzuzufügen habe und dies mit seiner Unterschrift bestätigt habe. Er habe demgemäß die Möglichkeit gehabt, weiteres Vorbringen zu erstatten. Zudem könne dem Vorbringen, daß er überhaupt nicht über seine PERSÖNLICHE SITUATION befragt worden sei, schon aufgrund des Inhalts der Niederschrift, in der er seine tragischen Erlebnisse in seinem Heimatland und die Motivation für das Verlassen desselben dargetan habe, nicht gefolgt werden. Er habe sich in der Berufung weiters im wesentlichen auf die anläßlich der Aufnahme des Erstinterviews "geltend gemachten Fluchtgründe" bezogen, was aber nicht besonders sinnvoll wäre, wenn er dabei zu seiner persönlichen Situation gar nicht gefragt worden wäre bzw. keine Möglichkeit gehabt hätte, von sich aus Angaben zu machen. Es könne deshalb nicht angenommen werden, daß im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme relevante Verfahrensmängel unterlaufen wären.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers in erster Instanz zeige zwar eine Bürgerkriegssituation auf, jedoch keine konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungshandlungen.

In der Beschwerde wiederholt der Beschwerdeführer den in der Berufung vorgebrachten Sachverhalt. Er rügt die "Unzulänglichkeit" der Niederschrift vom 16. September 1994 mit gleicher Begründung wie in der Berufung und die dadurch bedingte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens. Der Begründung der belangten Behörde, warum die niederschriftliche Einvernahme nicht mangelhaft gewesen sei, hält der Beschwerdeführer entgegen, seine Unterschrift unter die "floskelartige Beifügung "Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen" am Ende des Protokolls" könne lediglich dahin verstanden werden, daß der Beschwerdeführer in verfahrenswidriger Weise nicht dahin angeleitet worden sei, daß er die Möglichkeit habe, von sich aus Angaben zu seinen Fluchtmotiven zu machen. Dies habe die belangte Behörde ignoriert. Der Beschwerdeführer habe im Verfahren niemals behauptet, daß er von der Erstbehörde gar nicht befragt worden wäre, "so wie es von der belangten Behörde offenbar vorausgesetzt" werde. Die "diesbezüglichen Überlegungen der belangten Behörde auf Seite 5 unten des bekämpften Bescheides" wiesen die Begründung des angefochtenen Bescheides als "oberflächlich" aus, woraus eine Verletzung von Verfahrensvorschriften resultiere.

Des weiteren führte der Beschwerdeführer aus, bereits in der erstinstanzlichen Niederschrift sei der Konnex zwischen der Angst vor Übergriffen bzw. vor Tötung und der in der Vergangenheit tatsächlich erfolgten Tötung seiner Familie, zurückzuführen auf die Zugehörigkeit des Vaters des Beschwerdeführers zu einer politischen Partei, "nicht zu übersehen", weshalb der Beschwerdeführer aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe als verfolgt anzusehen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 hat der Bundesminister für Inneres in jedem Fall in der Sache selbst zu entscheiden und seiner Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen.

Gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 1991 hat der Bundesminister für Inneres eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen, wenn es mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im Verfahren erster Instanz nicht zugänglich waren, oder wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrundelag, in der Zwischenzeit geändert hat.

Der Beschwerdeführer setzt der Begründung der belangten Behörde, warum die niederschriftliche Einvernahme vom 16. September 1994 nicht mangelhaft gewesen sei, zunächst die Behauptung entgegen, daß der Zusatz "Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen" nur so verstanden werden könne, daß der Beschwerdeführer nicht angeleitet worden sei, daß er die Möglichkeit gehabt habe, von sich aus Angaben zu seinen Fluchtmotiven zu machen. Diese Behauptung ist angesichts der Umstände, daß sich in der angeführten Niederschrift nach den Angaben betreffend seines Aufenthaltes in Ungarn der Satz findet "Mehr kann ich nicht angeben", sodann der Inhalt der Niederschrift vom Dolmetsch zur Kenntnis gebracht wurde (dem ist der Beschwerdeführer nie entgegengetreten) und dann der Zusatz "Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen" erfolgte, nicht überzeugend, zumal der Beschwerdeführer in den beiden niederschriftlichen Einvernahmen vom 16. September 1994, deren erste um 8.45 Uhr begann, deren zweite um 9.50 Uhr endete, zahlreiche Details zu persönlichen Ergebnissen und seinen Fluchtmotiven enthalten sind, die durch "gezielte" Fragen allein gar nicht hätten hervorkommen können.

Das weitere Vorbringen betreffend "Seite 5 unten des bekämpften Bescheides" ist aktenwidrig, denn die belangte Behörde hat ausdrücklich auf die in der Berufung in deutlich hervorgehobener Weise enthaltene Behauptung "Über meine PERSÖNLICHE Situation wurde ich überhaupt nicht befragt" Bezug genommen und darauf geantwortet.

Somit sind die Ausführungen des Beschwerdeführers nicht geeignet, die Schlüssigkeit der Erwägungen der belangten Behörde, warum der Beschwerdeführer anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme ausreichend Gelegenheit hatte, seine Fluchtmotive zu schildern und deshalb die niederschriftliche Einvernahme frei von relevanten Verfahrensmängeln sei, zu erschüttern. Die Ausführungen der belangten Behörde sind auch nicht von vornherein als unschlüssig zu erkennen.

Aus dem erstinstanzlichen Vorbringen des Beschwerdeführers ist aber kein Ansatz einer politisch motivierten Verfolgung zu erkennen, wie dies der Beschwerdeführer darzutun versucht. Auch im schriftlichen Asylantrag hat der Beschwerdeführer lediglich auf den Bürgerkrieg in seiner Heimat hingewiesen.

Im Umstand, daß im Heimatland des Beschwerdeführers Bürgerkrieg herrscht, ist für sich allein noch keine Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 (in Übereinstimmung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) gelegen.

Zentraler Aspekt des von § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 aus Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Zu fragen ist daher nicht danach, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Zurechnungssubjekt der Verfolgungsgefahr ist der Heimatstaat bzw. bei Staatenlosen der Staat des vorherigen gewöhnlichen Aufenthaltes (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0858, uva.).

Grundsätzlich stellt der Einsatz von Truppen keine Verfolgung dar, er kann jedoch in asylrechtlich relevante Verfolgung übergehen, wenn ein in § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannter Grund vorliegt, welcher sich individuell auf die betreffende Person bezieht.

Der Beschwerdeführer hat aber in der - nach obigen Ausführungen allein heranzuziehenden - niederschriftlichen Einvernahme vom 16. September 1994 keine Gründe angeführt, die erkennen ließen, daß eine der bürgerkriegsführenden Gruppen des Samuel Doe oder des Charles Taylor ein individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtetes Interesse an einer Verfolgung hätte.

Daß der Beschwerdeführer niemanden kannte, der ihn hätte unterstützen können, ist kein asylrechtlich relevanter Umstand. Daß der Beschwerdeführer in Monrovia kein Essen gehabt habe, ist ebenso keine individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung, weil die Hungersituation Ausfluß des Bürgerkriegs ist und alle Einwohner in gleicher Weise bedrohte.

Die sich somit als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Bei diesem Ergebnis braucht auf den des weiteren von der belangten Behörde herangezogenen Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 und die dagegen gerichteten Ausführungen der Beschwerde nicht eingegangen zu werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995190020.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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