TE Lvwg Erkenntnis 2019/7/5 VGW-151/007/5395/2019

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.07.2019
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Entscheidungsdatum

05.07.2019

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
60/04 Arbeitsrecht allgemein
62 Arbeitsmarktverwaltung
41/02 Passrecht Fremdenrecht
E2D Assoziierung Türkei
E2D E02401013
E2D E05204000
E2D E11401020

Norm

NAG 2005 §41a
AuslBG §4c
FPG §111
ARB 1/80 Art. 6 Abs1 dritter Spiegelstrich
  1. AuslBG § 4c heute
  2. AuslBG § 4c gültig ab 01.01.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 72/2013
  3. AuslBG § 4c gültig von 01.01.1998 bis 31.12.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 78/1997

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Köhler über die Beschwerde des A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (MA 35) vom 25.02.2019, Zl. ..., mit welchem der Antrag vom 25.06.2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte Plus“ gemäß § 41a NAG iVm Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 und § 4c Abs. 1 und 2 AuslBG abgewiesen wurde, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Verkündung am 01.07.2019 zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Beschwerdegegenstand und Verfahrensgang

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25.02.2019 wurde ein Zweckänderungsantrag des Beschwerdeführers vom 25.06.2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ abgewiesen. Gestützt wurde diese Abweisung auf § 41a NAG, Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 sowie § 4c Abs. 1 und 2 AuslBG. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass dieser Aufenthaltstitel nur erteilt werden könne, wenn die entsprechenden (gemeint wohl insbesondere: die besonderen) Voraussetzungen vorlägen. Die Judikatur habe mehrmals festgehalten, dass (bereits) mit einem Befreiungsschein nach § 4c Abs. 2 AuslBG ein entsprechendes Aufenthaltsrecht verbunden sei.

Mit der Beschwerde wurden die Verwaltungsakten vorgelegt.

Mit den Ladungen zur öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 01.07.2019 wurde der Beschwerdeführer auf seine gesetzliche Mitwirkungspflicht im Verfahren (einschließlich der Pflicht zur Vorlage entscheidungsrelevanter Urkunden und Beweismittel) gemäß § 29 Abs. 1 und § 19 Abs. 2 NAG und der NAG-DV hingewiesen. In der Sache wurde angemerkt, dass die Abweisung des Zweckänderungsantrages von der belangten Behörde damit begründet worden sei, dass die Voraussetzungen für den konkreten Aufenthaltstitel nicht vorliegen. In der Beschwerde werde diese Beurteilung gar nicht bekämpft, sondern aus einem unionsrechtlichen Anwendungsvorrang und dem Assoziationsabkommen abgeleitet, dass ein Titel dennoch zu erteilen wäre. Dem sei einerseits die Rechtsprechung des VwGH (VwGH 09.08.2018, Ro 2017/22/0015, Rz 25 ff; 06.09.2018, Ro 2018/22/0008), andererseits der Anwendungsbereich der Richtlinie 2011/98/EU, der im Beschwerdefall wohl nicht berührt ist, entgegenzuhalten (vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. b der RL sowie die Gesetzesmaterialien zu § 4c AuslBG idF BGBl I 72/2013: 449/ME XXIV. GP, 5; ErläutRV 2163 BlgNR XXIV. GP, 3). Die Entscheidung über den Zweckänderungsantrag scheine insofern rechtmäßig und es wäre nach Beendigung des Beschwerdeverfahrens über die Verlängerung des bisherigen Aufenthaltstitels zu entscheiden.

Mit Schreiben vom 02.05.2019 ersuchte das Verwaltungsgericht das Bundesministerium für Inneres, Abteilung V/6 Integriertes Grenzmanagement, um eine Stellungnahme zur do. bekannten Vollzugspraxis betreffend die Einreise nach und zum vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland (oder allenfalls bekannt von anderen Mitgliedstaaten der EU) mit Befreiungsschein iSd AuslBG.

Mit Schreiben vom 21.05.2019 übermittelte das Bundesministerium für Inneres, Abteilung V/2 Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftswesen, eine Stellungnahme, in der es zum Verhältnis zwischen dem ARB 1/80 und dem NAG ausführte und auch den Vollzug durch die Grenzbehörden bei der Einreise darstellte.

Mit Schreiben vom 22.05.2019 übermittelte das Verwaltungsgericht diese Stellungnahme an den Beschwerdeführer und die belangte Behörde zur Wahrung des Parteiengehörs.

Mit Schreiben vom 25.06.2019 übermittelte der Beschwerdevertreter eine Ergänzung des rechtlichen Vorbringens.

Am 01.07.2019 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht statt, in der der Beschwerdeführer und der Beschwerdevertreter anwesend waren und sich jeweils zur Sache äußerten. Das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen wurde sogleich gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG verkündet. Der Beschwerdevertreter beantragte unmittelbar gemäß § 29 Abs. 2b VwGVG die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses nach § 29 Abs. 4 und 5 VwGVG.

Feststellungen

Der Beschwerdeführer, A. B., geboren am …, verfügte zuletzt über einen Aufenthaltstitel Student von 13.04.2018 bis 13.04.2019. Seit 10.11.1994 verfügt er über Aufenthaltsbewilligungen im Bundesgebiet. Seit 1994 studiert er an der TU und Universität Wien. Der Beschwerdeführer hat laut Sammelzeugnis der Universität Wien in verschiedenen Studienrichtungen Leistungen erbracht (…).

Seit 21.05.2013 ist der Beschwerdeführer durchgehend bei demselben Arbeitgeber geringfügig beschäftigt, wofür auch Beschäftigungsbewilligungen vorliegen. Der Beschwerdeführer verfügt über einen Befreiungsschein iSd AuslBG. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Beschäftigungsbewilligung des AMS vom 22.05.2018, die ihm eine Beschäftigung im Ausmaß von 10 Stunden pro Woche mit einem monatlichen Entgelt von 434,– Euro brutto erlaubt. Laut aktuellem Gehaltszettel verdient der Beschwerdeführer aktuell tatsächlich 446,– Euro brutto (14mal im Jahr). Er ist gemäß § 16 Abs. 2 ASVG selbstversichert. Die Beschäftigungsbewilligungen für das aktuelle Beschäftigungsverhältnis bestehen seit 08.05.2013 und wurden seither immer verlängert.

Der Beschwerdeführer wohnt seit 05.10.2017 in Wien, … (monatliche Miete 435,– Euro). An dieser Adresse ist er iSd MeldeG gemeldet. Mit einem Schreiben einer türkischen Bank (YapiBank) wurde ihm ein Guthaben von 46.560,– Euro bestätigt.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem unbedenklichen Inhalt des vorgelegten verwaltungsbehördlichen Aktes (samt Vorakten zu früheren befristeten und immer wieder verlängerten Aufenthaltsberechtigungen) und den im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Unterlagen des Beschwerdeführers sowie aus seiner Einvernahme in der mündlichen Verhandlung am 01.07.2019. Der festgestellte Sachverhalt stimmt mit dem von der belangten Behörde ermittelten Sachverhalt überein und wurde nicht bestritten. Die Beschwerde wendet sich ausschließlich gegen die rechtliche Beurteilung.

Rechtliche Erwägungen

In der Beschwerde wird das grundsätzliche Verfehlen der Voraussetzungen zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 41a NAG gar nicht bekämpft, sondern aus einem unionsrechtlichen Anwendungsvorrang der RL 2011/98/EU und dem Assoziationsabkommen ARB 1/80 abgeleitet, dass ein solcher dennoch zu erteilen wäre.

Die Beschwerde zeigt jedoch keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf; eine solche kann auch von Amts wegen nicht erkannt werden:

Der Beschwerdeführer erfüllt die Voraussetzungen des dritten Spiegelstriches des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Nach der Rechtsprechung des VwGH besteht allerdings auch im Anwendungsbereich des ARB 1/80 kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG – konkret „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gemäß § 41a NAG –, wenn dessen Voraussetzungen nicht erfüllt werden (VwGH 09.08.2018, Ro 2017/22/0015, Rz 25 ff; 06.09.2018, Ro 2018/22/0008).

Dem Wortlaut des ARB 1/80 sind keine expliziten aufenthaltsrechtlichen Berechtigungen/Vergünstigungen zu entnehmen. Allerdings impliziert das darin verankerte Recht auf Beschäftigung notwendigerweise ein Aufenthaltsrecht. Dieses Aufenthaltsrecht als Folge des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung ist unmittelbar aus dem ARB 1/80 abzuleiten und wird nicht erst durch die Erteilung einer entsprechenden nationalen Erlaubnis begründet. Die sich aus Art. 6 ARB 1/80 ergebenden individuellen Rechte stehen türkischen Arbeitnehmern unmittelbar zu. Eine nationale Aufenthaltsberechtigung hätte demnach bloß deklaratorischen Charakter (VwGH 10.11.2009, 2008/22/0687; 23.06.2015, Ro 2014/22/0038; 24.05.2017, Ra 2017/09/0014, Rz 15). Auch nach der Rechtsprechung des EuGH stehen die nach dem ARB 1/80 zukommenden Beschäftigungs- und Aufenthaltsrechte dem türkischen Staatsangehörigen unabhängig davon zu, ob die Behörden des Aufnahmemitgliedstaates bestimmte Papiere (gemeint: eine Arbeits- bzw. Aufenthaltserlaubnis) ausstellen; für die Anerkennung dieser Rechte haben sie nur deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion (EuGH 22.06.2000, Eyüp, C-65/98, Rn 45; VwGH 09.08.2018, Ro 2017/22/0015, Rz 25).

Zwar versteht auch der VwGH ein Interesse an einer Bescheinigung bzw. an einer deklarativen Feststellung des ihm nach dem ARB 1/80 zustehenden Aufenthaltsrechts (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151, Rz 18). Allerdings wird dem Interesse an einer Dokumentation einer aus dem ARB 1/80 erfließenden Berechtigung dadurch Rechnung getragen, dass gemäß § 4c Abs. 1 AuslBG eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen ist, wenn türkische Staatsangehörige die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllen (VwGH 18.12.2012, 2010/09/0185; 09.08.2018, Ro 2017/22/0015, Rz 26).

Die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 wird somit in einem Verfahren nach § 4c AuslBG geklärt. Der VwGH hat zu § 4c AuslBG bereits ausgesprochen, dass bei Vorliegen der dort genannten
Voraussetzungen ein subjektiv-öffentliches Recht auf Ausstellung einer Beschäftigungsbewilligung besteht (VwGH 24.05.2017, Ra 2017/09/0014, Rz 15). Daher wäre ein Antrag auf Feststellung eines Aufenthaltsrechts nach dem ARB 1/80 unzulässig (VwGH 22.06.2006, 2005/21/0115).

Ein auf den ARB 1/80 gestützter Anspruch auf Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels, der eine darüber hinausgehende Berechtigung einräumt, ist zu verneinen, weil dem Betroffenen nur ein dem ARB entsprechendes Aufenthaltsrecht zukommt (EuGH 18.12.2008, Altun, C-337/07, Rn. 21; VwGH 09.08.2018, Ro 2017/22/0015, Rz 27). Auch im Anwendungsbereich des dritten Spiegelstriches ist nur der Befreiungsschein nach dem AuslBG auszustellen und nicht ein weitergehender Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erteilen (VwGH 18.12.2012, 2010/09/0185 = VwSlg 18.537 A/2012; 07.05.2014, 2013/22/0137).

Der Anwendungsbereich der Richtlinie 2011/98/EU ist außerdem im Beschwerdefall gar nicht berührt. Türkische Staatsangehörige, die unmittelbar aufgrund des Assoziationsabkommens EWG-Türkei und des dazu ergangenen Beschlusses des Assoziationsrates 1/80 ein Recht auf Arbeitsmarktzugang haben, sind nicht von der Richtlinie 2011/98/EU erfasst (Art. 3 Abs. 2 lit. b der RL; im Übrigen sieht Art. 3 Abs. 3 der RL die Möglichkeit vor, dass Mitgliedstaaten Studenten von nationalen Umsetzungen dieser RL ausnehmen). Ein Anwendungsvorrang von Unionsrecht setzt jedoch u.a. voraus, dass eine einschlägige unionsrechtliche Bestimmung überhaupt auf einen bestimmten Sachverhalt anwendbar ist; dies ist gegenständlich (abgesehen vom ARB 1/80) nicht der Fall.

Nicht zuletzt auch im Hinblick auf die sog. Stillhalteklausel und das Verschlechterungsverbot des ARB 1/80 ist daher der Befreiungsschein nach dem AuslBG für langjährig niedergelassene und beschäftigte türkische Staatsangehörige und für deren Familienangehörige, welche Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB 1/80 erfüllen, vorgesehen (siehe die Gesetzesmaterialien zu § 4c AuslBG idF BGBl I 72/2013: 449/ME XXIV. GP, 5; ErläutRV 2163 BlgNR XXIV. GP, 3; dazu auch umfassend VwGH 24.03.2015, Ro 2014/09/0057 = VwSlg. 19.082 A/2015).

Dem Beschwerdevorbringen betreffend Einreisemöglichkeiten in andere Schengen-Staaten ist schließlich Folgendes entgegenzuhalten: Im Anschluss an die zitierte Rechtsprechung des VwGH betreffend Art. 6 ARB 1/80 wurden – zur Sicherung der Wiedereinreise von türkischen Staatsangehörigen, die über eine Berechtigung gemäß § 4c AuslBG und somit über ein „entsprechendes“ Aufenthaltsrecht in Österreich verfügen – die Grenzbehörden unverzüglich davon in Kenntnis gesetzt, dass eine Berechtigung gemäß § 4c AuslBG mit einem gültigen Reisepass zur Wiedereinreise nach Österreich berechtigt (dies wurde mittels Erlass des BMI an die nachgeordneten Dienststellen und Organe kommuniziert); für den Fremden selbst ergeben sich seine Rechte unmittelbar aus dem ARB 1/80, weshalb eine weitere gesetzliche Grundlage/Umsetzung oder eine Verordnung nicht notwendig ist und ein Erlass ausreichend scheint.

In Hinblick auf die Einreise bzw. den Aufenthalt in einem anderen EU- bzw. Schengen-Staat sind im Übrigen auch im Anwendungsbereich des Art. 6 ARB 1/80 jedenfalls die in diesem Staat maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften zu beachten. Die betreffenden türkischen Staatsangehörigen müssen daher – sofern sie im jeweiligen Staat der Visumspflicht unterliegen – ein Visum beantragen, zumal eine Berechtigung gemäß Art. 6 ARB 1/80 nur Rechtswirkungen im jeweiligen Mitgliedstaat entfalten kann. Auch aus einem vermeintlichen Bedarf nach Reisedokumenten in einem Drittstaat lässt sich ein Anspruch auf einen österreichischen Aufenthaltstitel für türkische Staatsangehörige aus dem ARB 1/80 nicht ableiten. Die Beschwerde vermischt hier Aufenthaltsrecht/-berechtigung und dessen Nachweis (Aufenthaltsberechtigungskarte o.Ä.). Soweit Vollzugsprobleme bei einer Einreise mit dem AuslBG-Befreiungsschein (alleine) vorgebracht werden, ist dem entgegenzuhalten, dass die behaupteten Probleme beim Nachweis des unmittelbar aus dem ARB 1/80-erwachsenen Aufenthaltsrechts nicht dazu führen können, das eine (andere) Aufenthaltsberechtigung – nämlich nach dem NAG und obwohl dessen besondere Erteilungsvoraussetzungen nicht erfüllt werden (im Beschwerdefall eben § 41a NAG) – zu erteilen wäre, bloß um eine Aufenthaltskarte zu erhalten, mit der die angesprochenen Vollzugsprobleme (angeblich) nicht verbunden wären.

Abgesehen davon, dass der Befreiungsschein gemäß § 4c AuslBG nicht den Zweck hat, als Reisedokument zu dienen, ist hinsichtlich des in der Beschwerde vorgebrachten Gebotes der praktischen Wirksamkeit („effet utile“) anzumerken, dass – wenn es denn eine Grundlage für einen unionsrechtlichen Anwendungsvorrang geben würde – sich der Anspruch auf eine wirksame und im internationalen Vollzug anerkannte Aufenthaltsberechtigungskarte beschränken müsste und nicht (überschießend) eine Erteilung eines Aufenthaltstitel geboten wäre, bloß um zu einem vermeintlich effektiveren Berechtigungsnachweis zu gelangen. Im Wesentlichen behauptet die Beschwerde gar nicht unmittelbar, dass ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel bestünde, sondern argumentiert primär mit dem Bedarf nach einem Einreisedokument.

Auch aus § 111 FPG (Überprüfung von Reisedokumenten und erforderlichenfalls Einreiseberechtigung) lässt sich für den Beschwerdefall kein Anspruch auf Erteilung der beantragten Aufenthaltsberechtigung ableiten. Dass es gelegentliche Schwierigkeiten bei einer (alleinigen) Vorlage des Befreiungsscheines bei Grenzkontrollen gibt, ändert eben nichts daran, dass sich aus dem ARB 1/80 kein weitergehender Anspruch ergibt.

Mit einer Urkundenvorlage wurde zuletzt ein „ergänzendes“ rechtliches Vorbringen erstattet. Es wird pauschal und ohne Angabe einer Grundlage „unmittelbar aus dem Unionsrecht“ ein Rechtsanspruch auf einen Aufenthaltstitel behauptet.

Eine entsprechende Grundlage ist, wie bereits ausgeführt wurde, auch von Amts wegen nicht ersichtlich. Das ARB 1/80 ist keine Rechtsgrundlage für den beantragten Aufenthaltstitel. Wieso die einschlägige VwGH- Rechtsprechung (VwGH 09.08.2018, Ro 2017/22/0015, Rz 25 ff; 06.09.2018, Ro 2018/22/0008); 24.03.2015, Ro 2014/09/0057 = VwSlg. 19.082 A/2015) unrichtig oder nicht anwendbar sein soll, wird nicht aufgezeigt.

Das Verwaltungsgericht sieht jedoch keine Veranlassung von dieser Rechtsprechung des Höchstgerichtes abzugehen. Nachdem sich dieses mit den einschlägigen Fragen auseinander gesetzt hat, sieht das Verwaltungsgericht auch keine Grundlage für ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. Nach dem dargestellten Verständnis von Art. 6 Abs. 1 ARB und auch aus der Richtlinie 2011/98/EU ist keine eine unmittelbar anwendbare Rechtsgrundlage im Unionsrecht für den im Beschwerdefall beantragten Aufenthaltstitel erkennbar. Schließlich kann nach der dargestellten Rechtslage der einschlägigen RL keine maßgebliche einschlägige Vorschrift, die auslegungsbedürftig wäre, erkannt werden. Welche konkrete Auslegungsfrage an den EuGH herangetragen werden sollte, ist damit auch von Amts wegen nicht erkennbar.

Keine der in den einzelnen Absätzen des § 41a NAG normierten Fallvarianten liegt im Beschwerdefall vor. Die besonderen Voraussetzungen zur Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ liegen im Beschwerdefall nicht vor; für dessen Erteilung gibt es auch unionsrechtlich oder im ARB 1/80 keine Grundlage.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist bei Fehlen einer für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels notwendigen besonderen Erteilungsvoraussetzung weder das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu prüfen noch eine Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG durchzuführen (VwGH 17.10.2016, Ra 2016/22/0065). Vor diesem Hintergrund kann es dahingestellt bleiben, ob die weiteren (allgemeinen) Erteilungsvoraussetzungen vorliegen, insbesondere ob der Lebensunterhalt als gesichert anzusehen ist.

Die Entscheidung über den gegenständlichen Zweckänderungsantrag (§ 24 Abs. 4 NAG) war rechtmäßig.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Es ist in der Folge von der Behörde nun über die Verlängerung des bisherigen Aufenthaltstitels zu entscheiden.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Beschwerdefall geht es um Fragen des Verhältnisses von ARB 1/80, NAG und AuslBG; dieses Verhältnis ist durch die zitierte Rechtsprechung geklärt und für die dem Beschwerdefall zugrundeliegende Konstellation einschlägig. Von dieser Rechtsprechung weicht die vorliegende Entscheidung nicht ab. Auch die Gesetzeslage ist klar und auch die unionsrechtlichen Bestimmungen sind ausreichend klar. Der gegenständlich vorgenommenen Würdigung kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Schließlich liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

Fremden- und Aufenthaltsrecht; Rot-Weiß-Rot – Karte plus; Richtlinie 2011/98/EU; Assoziationsabkommen; Befreiungsschein

Anmerkung

VfGH v. 28.11.2019, E 3122/2019; Ablehnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.151.007.5395.2019

Zuletzt aktualisiert am

14.12.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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