TE Vwgh Erkenntnis 1996/2/8 94/18/0185

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Veröffentlicht am 08.02.1996
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs1 Z1;
B-VG Art8;
MRK Art5;
MRK Art6 Abs3 lite;
VStG §49 Abs1;
VStG §49;
VStG §59;
VStG §60;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der N in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 24. September 1993, Zl. UVS-06/23/367/93, betreffend

1. Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Einspruches gegen die Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien vom 18. Dezember 1992 und 2. Zurückweisung des Einspruches gegen die vorgenannte Strafverfügung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (der belangten Behörde) vom 24. September 1993 wurde der obbezeichnete Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen und der Einspruch gegen die obgenannte Strafverfügung (wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin in Österreich) gemäß § 49 Abs. 1 VStG als verspätet zurückgewiesen.

Nach Ansicht der belangten Behörde sei die Erstbehörde zu Recht davon ausgegangen, daß die von der Beschwerdeführerin als Grund für die Versäumung der Einspruchsfrist geltend gemachten mangelnden Deutschkenntnisse keinen Wiedereinsetzungsgrund i.S. des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG darstellten. Daß sich die Beschwerdeführerin nicht rechtzeitig um eine Übersetzung der Strafverfügung gekümmert habe, sei "zumindest als minderer Grad des Versehens i.S. einer auffallenden Sorglosigkeit" zu werten, da von ihr, die zum Zeitpunkt der Übernahme der Strafverfügung beinahe 18 Jahre alt gewesen sei, jedenfalls habe erwartet werden können, daß sie sich eine Übersetzung anfertigen lasse, zumal sie selbst - wie aus dem Wiedereinsetzungsantrag hervorgehe - der Meinung gewesen sei, daß sie bereits zum zweiten Mal "für ihr negatives Asylverfahren zu bezahlen hätte" und daher umso eher zur Abklärung dieser für sie unklaren Rechtsangelegenheit einer Übersetzung bedurft hätte.

Die besagte Strafverfügung vom 18. Dezember 1992 sei von der Beschwerdeführerin am 24. Dezember 1992 eigenhändig übernommen und somit rechtswirksam zugestellt worden. Die Rechtsmittelfrist habe demnach am 7. Jänner 1993 geendet. Ungeachtet richtiger und vollständiger Rechtsmittelbelehrung sei der Einspruch erst am 4. April 1993 bei der Erstbehörde eingebracht worden.

Zu den Berufungsausführungen, wonach die Strafverfügung nicht wirksam ergangen sei, weil die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Zustellung nicht voll handlungsfähig gewesen sei und daher an den gesetzlichen Vertreter hätte zugestellt werden müssen, sei darauf hinzuweisen, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der minderjährige Beschuldigte über 14 Jahre im Verwaltungsstrafverfahren selbst prozeßfähig und die an ihn erfolgte Zustellung eines Straferkenntnisses rechtswirksam sei, ohne daß es einer Zustellung an den gesetzlichen Vertreter bedürfe (vgl. § 59 VStG). Die Beurteilung der Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit der Zustellung an den gesetzlichen Vertreter i.S. dieser Bestimmung obliege dem Ermessen der Behörde. Die Aktenlage biete keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Zustellung der gegenständlichen Strafverfügung an den gesetzlichen Vertreter der Beschwerdeführerin mißbräuchlich unterblieben wäre, zumal die Beschwerdeführerin, wie erwähnt, zum Zeitpunkt der Zustellung das 18. Lebensjahr fast vollendet gehabt habe.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Was zunächst den Beschwerdeeinwand anlangt, die Erstbehörde wäre nach den Umständen des Falles gemäß § 59 VStG verpflichtet gewesen, den gesetzlichen Vertreter der Beschwerdeführerin (das "Amt für Jugend und Familie") von der Einleitung des Strafverfahrens gegen die Beschwerdeführerin zu benachrichtigen, womit dieser in die Lage versetzt worden wäre, gemäß § 60 VStG (auch gegen den Willen der Beschwerdeführerin) Einspruch gegen die Strafverfügung zu erheben, so wird damit eine Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides nicht aufgezeigt. Dies schon deshalb nicht, weil die Beschwerde mit diesem Vorbringen (eigene) Rechte des gesetzlichen Vertreters und nicht solche der Beschwerdeführerin als verletzt erachtet, berechtigt doch § 60 VStG den gesetzlichen Vertreter eines jugendlichen Beschuldigten zu den dort angeführten Maßnahmen (u.a. zur Ergreifung eines Rechtsmittels) im eigenen Namen und nicht als Vertreter des Minderjährigen (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4 zu § 60 VStG unter 1. b. zitierten hg. Entscheidungen).

2.1. Die Beschwerde meint, es liege keine auffallende Sorglosigkeit (und damit allenfalls ein bloß minderer Grad des Versehens) vor, wenn sich die Beschwerdeführerin nicht um eine Übersetzung der Strafverfügung gekümmert habe, sei doch zu berücksichtigen, daß zwischen den Weihnachtsfeiertagen (Zustelldatum: 24. Dezember 1992; Ablauf der Rechtsmittelfrist:

7. Jänner 1993) kaum eine Übersetzung ins Deutsche hätte angefertigt werden können. Außerdem übersehe die belangte Behörde, daß im Antrag auf Wiedereinsetzung (vom 2. April 1993) die Beschwerdeführerin vorgebracht habe, der irrigen Meinung gewesen zu sein, ein weiteres Mal für ein negatives Asylverfahren bezahlen zu müssen.

2.2. Dieses Vorbringen ist nicht zielführend. Gerade der Umstand, daß die Beschwerdeführerin (behauptetermaßen) der (irrigen) Ansicht war, "daß sie ein weiteres Mal für ein negatives Asylverfahren zu bezahlen habe", in Verbindung damit, daß sie - nach dem Inhalt der Berufung - nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfüge, hätte sie zumutbarerweise dazu veranlassen müssen, sich über den tatsächlichen Inhalt des von ihr angeblich nicht als Strafverfügung erkannten behördlichen Schriftstückes vom 18. Dezember 1992 Klarheit zu verschaffen, um die zur Wahrung allenfalls offenstehender Rechtsverfolgungsmöglichkeiten erforderlichen Schritte setzen zu können. Sich über den Inhalt des besagten Schriftstückes Gewißheit zu verschaffen, wäre ihr entweder durch Anfertigenlassen einer Übersetzung der Strafverfügung - daß dies in der Zeit zwischen

24. Dezember 1992 und 7. Jänner 1993 "kaum" hätte bewerkstelligt werden können, ist eine durch nichts belegte Behauptung - oder durch Kontaktnahme mit ihrem gesetzlichen Vertreter (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie) möglich gewesen. Jede der beiden Maßnahmen wäre der Beschwerdeführerin zumutbar gewesen; die zuletzt genannte sogar naheliegend, wurde sie doch ihrem Vorbringen zufolge im Asylverfahren - welchem sie angeblich die Strafverfügung zuordnete - von ihrem gesetzlichen Vertreter vertreten. Darin aber, daß sie die sohin nach den konkreten Umständen gebotenen und auch zumutbaren Schritte zur Klärung des Inhaltes des Schriftstückes vom 18. Dezember 1992 verabsäumte, kann nicht ein lediglich minderer Grad des Versehens i.S. des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG erblickt werden.

3. Unrichtig ist schließlich die in der Beschwerde vertretene Ansicht, die belangte Behörde habe selbst zugegeben, daß sich "das Nichtkümmern um eine rechtzeitige Übersetzung als ein minderer Grad des Versehens darstellt". Die dafür in Treffen geführte Wendung in der Begründung des angefochtenen Bescheides "... ist nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates zumindest als minderer Grad des Versehens i. S. einer auffallenden Sorglosigkeit zu werten ..." kann nicht so gedeutet werden, wie dies der Beschwerdeführer tut. Das Gegenteil ist der Fall: Die Wortfolge "i.S. einer auffallenden Sorglosigkeit" macht deutlich, daß die - für sich gesehen - mißverständliche Wendung "zumindest als minderer Grad des Versehens" im Zusammenhang mit jener als "ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden" zu lesen ist, weil erst bei Vorliegen eines solchen Verschuldens von "auffallender Sorglosigkeit" gesprochen werden kann, hingegen dem Begriff des minderen Grades des Versehens immanent ist, daß der Wiedereinsetzungswerber gerade "nicht auffallend sorglos" gehandelt hat (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 29. September 1994, Zl. 94/18/0584).

4. Da nach dem Gesagten eine wesentliche Voraussetzung des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG, nämlich ein bloß minderer Grad des Versehens, nicht erfüllt ist, steht die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages mit dem Gesetz in Einklang.

5. Aufgrund der unbestritten erst nach Ablauf der hiefür gemäß § 49 Abs. 1 VStG zur Verfügung stehenden Frist erfolgten Erhebung des Einspruches gegen die Strafverfügung vom 18. Dezember 1992 erweist sich dessen Zurückweisung durch die belangte Behörde als zutreffend.

6. Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 VwGG iVm der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1994180185.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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