TE Vfgh Erkenntnis 2022/9/19 E411/2022

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Veröffentlicht am 19.09.2022
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Index

L7400 Fremdenverkehr, Tourismus

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gerichtsakt
StGG Art2
Oö TourismusG 2018 §54
VfGG §7 Abs2
  1. B-VG Art. 7 heute
  2. B-VG Art. 7 gültig ab 01.08.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2013
  3. B-VG Art. 7 gültig von 01.01.2004 bis 31.07.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  4. B-VG Art. 7 gültig von 16.05.1998 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 68/1998
  5. B-VG Art. 7 gültig von 14.08.1997 bis 15.05.1998 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/1997
  6. B-VG Art. 7 gültig von 01.07.1988 bis 13.08.1997 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 341/1988
  7. B-VG Art. 7 gültig von 01.01.1975 bis 30.06.1988 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 444/1974
  8. B-VG Art. 7 gültig von 19.12.1945 bis 31.12.1974 zuletzt geändert durch StGBl. Nr. 4/1945
  9. B-VG Art. 7 gültig von 03.01.1930 bis 30.06.1934
  1. VfGG § 7 heute
  2. VfGG § 7 gültig ab 22.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 16/2020
  3. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 21.03.2020 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 101/2014
  4. VfGG § 7 gültig von 01.01.2015 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 92/2014
  5. VfGG § 7 gültig von 01.03.2013 bis 31.12.2014 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 33/2013
  6. VfGG § 7 gültig von 01.07.2008 bis 28.02.2013 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008
  7. VfGG § 7 gültig von 01.01.2004 bis 30.06.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003
  8. VfGG § 7 gültig von 01.10.2002 bis 31.12.2003 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 123/2002
  9. VfGG § 7 gültig von 01.01.1991 bis 30.09.2002 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 329/1990
  10. VfGG § 7 gültig von 01.07.1976 bis 31.12.1990 zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 311/1976

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Vorschreibung einer Freizeitwohnungspauschale nach dem Oö TourismusG 2018; keine Abgabepflicht für Freizeitwohnungen, die trotz ernsthafter Vermietungsabsicht längere Zeit nicht vermietet werden können; Unterlassung von Ermittlungen, ob für sämtliche Wohnungen eine Nutzung als Freizeitwohnung auszuschließen ist

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Oberösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit € 242,10 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer zweier in einem Gebäude nebeneinander liegender, baulich aber getrennter Wohnungen. An der Adresse der ersten Wohnung ist der Beschwerdeführer mit seinem Hauptwohnsitz gemeldet. Die zweite Wohnung weist keine Hauptwohnsitzmeldung auf.

2. Mit Bescheid vom 21. April 2021 hat die Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen dem Beschwerdeführer für die Jahre 2019 und 2020 die Freizeitwohnungspauschale in der Höhe von insgesamt € 144,– und einen Zuschlag in der Höhe von insgesamt € 216,– für die zweite Wohnung vorgeschrieben.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Erkenntnis vom 22. Dezember 2021 als unbegründet ab.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich und der Bürgermeister der Stadtgemeinde Gallneukirchen haben die Gerichts- bzw Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Rechtslage

§54 des Landesgesetzes zur Förderung des Tourismus in Oberösterreich (Oö. Tourismusgesetz 2018 – Oö. TG 2018), LGBl 3/2018, idF LGBl 55/2019 lautet:

"2. Unterabschnitt

Freizeitwohnungen

§54

Abgabenpflicht

(1) Das Land erhebt auf Freizeitwohnungen eine Abgabe nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen.

(2) Freizeitwohnungen sind Wohnungen im Sinn des §2 Z4 des Bundesgesetzes über das Gebäude- und Wohnungsregister (GWR-Gesetz), die

1. in das Gebäude- und Wohnungsregister eingetragen sind und

2. länger als 26 Wochen keinen Hauptwohnsitz darstellen und

3. nicht überwiegend zu folgenden Zwecken benötigt werden:

a) als Gästeunterkunft im Sinn des §47 Abs2;

b)  zur Erfüllung der Schulpflicht oder zur Absolvierung des Besuchs einer allgemein bildenden höheren oder berufsbildenden Schule oder einer Hochschule oder zur Absolvierung einer Lehre;

c) zur Ableistung des Wehr- oder Zivildienstes;

d) zur Berufsausübung, insbesondere als Pendlerin bzw Pendler;

e) zur Unterbringung von Dienstnehmerinnen bzw Dienstnehmern.

(3) Nicht als Freizeitwohnung gilt eine Wohnung, wenn seit mindestens fünf Jahren auf demselben Grundstück

1. zumindest eine Person durchgehend mit Hauptwohnsitz wohnt,

2. keine Wohnung als Gästeunterkunft verwendet wird und

3. nicht Personen wohnen, die keine nahen Angehörigen im Sinn des §2 Abs7 Oö. Grundverkehrsgesetz 1994 sind.

Ein Hauptwohnsitz ist nicht erforderlich, solange dieser aus gesundheitlichen oder altersbedingten Gründen aufgegeben werden muss.

(3a) Nicht als Freizeitwohnungen gelten überdies Wohnungen, die nicht vermietet sind und im Eigentum einer gemeinnützigen Bau-, Wohnungs- und Siedlungsvereinigung oder eines Unternehmens, dessen Betriebsgegenstand die Schaffung von Wohnraum ist, stehen.

(4) Länger als zwei Monate auf Campingplätzen abgestellte Wohnwagen, Wohnmobile oder Mobilheime (Dauercamper) gelten als Freizeitwohnungen."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

3. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich unterlaufen.

3.1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich stellt fest, dass der Beschwerdeführer jedenfalls in den Jahren 2019 und 2020 Eigentümer zweier in einem Gebäude nebeneinanderliegender, baulich aber getrennter Wohnungen ist und an der Adresse der ersten Wohnung mit Hauptwohnsitz gemeldet war. Zur zweiten Wohnung stellt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich fest, dass diese in das Gebäude- und Wohnungsregister eingetragen sei und in den Jahren 2019 und 2020 jeweils länger als 26 Wochen keinen Hauptwohnsitz dargestellt habe. Es bestehe für diese Wohnung Abgabepflicht nach §54 Oö. TG 2018, zumal mit dem nicht substantiierten Vorbringen, diese Wohnung auch für Mandatenbesprechungen zu nutzen, nicht konkret dargetan werde, worin iSd Ausnahmetatbestandes des §54 Abs2 Z3 litd Oö. TG 2018 die überwiegende Verwendung zur Berufsausübung bestehe.

3.2. Der Beschwerdeführer erachtet sich im Gleichheitssatz insofern verletzt, als im Fall zweier nebeneinanderliegender Wohnungen eine Abgabepflicht für die nicht als Hauptwohnsitz gemeldete Wohnung nicht bestehe, wenn diese miteinander baulich verbunden seien.

3.3. Indem das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich allein aus dem Umstand, dass die an die als Hauptwohnsitz gemeldeten Wohnung angrenzende zweite Wohnung des Beschwerdeführers in den Jahren 2019 und 2020 jeweils länger als 26 Wochen keinen Hauptwohnsitz darstellte und nicht zu einem der in §54 Abs2 Z3 Oö. TG 2018 genannten Zwecke überwiegend genutzt worden ist, die Schlussfolgerung zieht, dass für diese zweite Wohnung Abgabepflicht bestehe, hat es die Rechtslage verkannt:

3.3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 23. Juni 2022, E710/2021, festgehalten hat, hat der Landesgesetzgeber mit der Abgabe auf Freizeitwohnungen eine Fremdenverkehrsabgabe geregelt. Nach dem System des §54 Oö. TG 2018 kann zwar die Abgabenbehörde bzw das Verwaltungsgericht für eine Wohnung, die länger als 26 Wochen keinen Hauptwohnsitz darstellt, und nicht den in §54 Abs2 Z3 Oö. TG 2018 genannten Zwecken überwiegend dient, zunächst vom Bestehen einer Abgabepflicht ausgehen. Aus der Belastungskonzeption der Abgabe folgt jedoch in verfassungskonformer Auslegung des §54 Abs1 und 2 Oö. TG 2018, dass eine Freizeitwohnung nicht vorliegt und daher eine Abgabepflicht für eine Wohnung nicht eintreten kann, wenn keine Umstände ersichtlich sind, die eine Nutzung der Wohnung für Freizeitzwecke indizieren, und eine solche nach der Lage des Falles auszuschließen ist, wie etwa im Fall einer nach Beendigung eines Mietverhältnisses erfolgenden Sanierung einer Wohnung, wenn diese weiterhin zur Vermietung bestimmt ist (vgl VfGH 23.6.2022, E710/2021).

3.3.2. Ein solcher Fall liegt auch vor, wenn eine in das Gebäude- und Wohnungsregister eingetragene Wohnung lediglich die Funktion einer Erweiterung einer in unmittelbarer räumlicher Nähe befindlichen, den Hauptwohnsitz darstellenden Wohnung und nicht die einer Freizeitwohnung aufweist, deren Besteuerung mit einer Fremdenverkehrsabgabe eine Gleichbehandlung mit Gästen eines Beherbergungsbetriebes herbeiführen soll. Eine Abgabepflicht für eine solche, lediglich räumlich den Hauptwohnsitz erweiternde Wohnung führte zur Verletzung des Gleichheitssatzes, wenn dieser Fall mit jenem der Möglichkeit der Nutzung als Freizeitwohnung gleich behandelt werden würde, obgleich sich die Fälle vor dem Hintergrund der Erhebung einer Fremdenverkehrsabgabe wesentlich unterscheiden.

3.3.3. Indem das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich der Vorschrift des §54 Abs2 Oö. TG 2018 einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt (vgl VfGH 23.6.2022, E710/2021) und vor dem Hintergrund des vorliegenden Sachverhaltes Ermittlungen dahingehend unterlassen hat, ob für die zweite Wohnung eine Nutzung als Freizeitwohnung auszuschließen ist, hat es Willkür geübt.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da der Beschwerdeführer sich in eigener Sache nach §28 ZPO selbst vertreten hat, waren lediglich die Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– sowie der geltend gemachte "ERV-Zuschlag" in der Höhe von € 2,10 zuzusprechen (vgl VfGH 22.9.2020, E317/2020).

4. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Fremdenverkehr, Abgaben, Wohnsitz Freizeit-, Entscheidungsbegründung, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2022:E411.2022

Zuletzt aktualisiert am

28.11.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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