TE Vfgh Erkenntnis 1993/12/15 B1923/93

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Veröffentlicht am 15.12.1993
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Index

63 Allgemeines Dienst- und Besoldungsrecht
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Verfahrensanordnung
AVG §58 Abs2
AVG §60
Dienstpragmatik §117
BDG 1979 §123

Leitsatz

Aufhebung eines Beschlusses auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens mangels ausreichender Bescheidbegründung; keine konkrete Darlegung der den Verdacht einer Dienstpflichtverletzung begründenden Handlungen

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Steiermark ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines bevollmächtigten Vertreters die mit 15.000 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der Beschwerdeführer steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Steiermark. Die Disziplinarkommission beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung leitete gegen ihn mit einem insoweit unangefochten gebliebenen und deshalb in Rechtskraft erwachsenen Beschluß ein Disziplinarverfahren ein.

b) In ihrer Sitzung am 22. September 1993 faßte die Disziplinarkommission beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung folgenden Beschluß:

"In das mit Beschluß vom 21.6.1993 gegen A B eingeleitete Disziplinarverfahren werden die Nachtragsdisziplinaranzeigen vom 28.6.1993, 9.7.1993, 2.8.1993 und 20.8.1993 eingebunden und das Ruhen des Verfahrens bis zum Vorliegen des Ergebnisses der Sachverhaltserhebungen durch die Staatsanwaltschaft Graz verfügt."

Die Begründung dieses Beschlusses hat folgenden Wortlaut:

    "Auf Grund des Schreibens des Landesrechnungshofes vom

24.3.1993, GZ. ... an die Landesamtsdirektion, des Schreibens der

Landesamtsdirektion vom 30.7.1993, GZ. ... an den

Landesrechnungshof besteht der Verdacht, daß A B Akten verjähren ließ.

Auf Grund der genannten Nachtragsdisziplinaranzeigen besteht der Verdacht, daß A B weitere Dienstpflichtverletzungen begangen hat. Es waren daher diese Nachtragsdisziplinaranzeigen in das bereits anhängige Disziplinarverfahren einzubinden.

Zeitungsmeldungen war zu entnehmen, daß die Staatsanwaltschaft Graz zum Bericht des Landesrechnungshofes betreffend 'Überprüfung der Rechtsabteilung 11 des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung gemäß §26 Abs2 Z. 4 LRG-VG' Erhebungen durchführt. Das Ergebnis derselben wird von der Disziplinarkommission abgewartet."

2. Gegen diesen, dem Beschwerdeführer am 5. Oktober 1993 zugestellten Beschluß richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, mit der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, unter anderem auch die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt wird.

3. Die Disziplinarkommission beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen in verschiedenen Punkten entgegentritt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gesetzliche Grundlage eines Beschlusses von der Art des angefochtenen Beschlusses der Disziplinarkommission beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung ist §117 der Dienstpragmatik (DP), RGBl. 15/1914, die - soweit landesgesetzlich nicht anderes bestimmt ist - gemäß §2 des Steiermärkischen Landesbeamtengesetzes, LGBl. 124/1974, im Land Steiermark als Landesgesetz "sinngemäß anzuwenden" ist. Die für den angefochtenen Beschluß maßgebende Fassung erhielt §117 DP durch ArtI Z5 der Landesbeamtengesetz-Novelle 1984, LGBl. 33. In dieser Fassung stimmt §117 DP mit §123 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 - BDG 1979, BGBl. 333 idgF, wörtlich überein (sieht man davon ab, daß in §117 Abs3 DP vor dem Wort "Suspendierung" das in Klammer gesetzte Wort "vorläufige" fehlt). Es ist daher die zu §123 BDG 1979 ergangene Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes übertragbar.

2. Ein Beschluß auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens ist ein Bescheid (s. zB VfSlg. 10086/1984; so auch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, etwa VwGH 26.9.1991, 91/09/0094), der das Dienstverhältnis gestaltet. Gemäß §117 Abs2 zweiter Satz DP ist gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens kein Rechtsmittel zulässig. Da somit ein tauglicher Gegenstand für eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nach Art144 Abs1 B-VG vorliegt und kein Instanzenzug offensteht, ist die Beschwerde zulässig (zB VfSlg. 10997/1986).

3. Die Beschwerde ist auch begründet.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde insbesondere auch verletzt, wenn diese bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat (zB VfSlg. 10479/1985, 11321/1987). Dies ist der Behörde ua. vorzuwerfen, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in besonderem Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 9024/1981, 9726/1983, 10890/1986, 10942/1986). Eine in die Verfassungssphäre reichende Mangelhaftigkeit des Verfahrens liegt insbesondere auch vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen kein Begründungswert zukommt (zB VfSlg. 10057/1984, 10758/1986).

b) Nach der ständigen (wie erwähnt, auf den vorliegenden Fall übertragbaren) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu §123 BDG 1979 ist die Bedeutung des Beschlusses über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens in erster Linie darin gelegen, dem beschuldigten Beamten gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzungen ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird (zB VwGH 18.10.1990, 90/09/0061 mwH). Das dem Beschuldigten vorgeworfene Verhalten, das als Dienstpflichtverletzung gewertet wird, muß im Einleitungsbeschluß so beschrieben werden, daß praktisch unverwechselbar feststeht, welcher konkrete Vorgang Gegenstand des Disziplinarverfahrens sein soll. Die umschriebene konkrete Tat muß nicht nur nach Ort und Zeit, sondern durch bestimmte Tatumstände so genau gekennzeichnet werden, daß keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Beschuldigten zur Last gelegt werden und was im anschließenden Disziplinarverfahren auf der Grundlage des Einleitungsbeschlusses behandelt werden darf. Sie muß sich von anderen gleichartigen Handlungen, die der Beschuldigte begangen haben kann, genügend unterscheiden lassen (so der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 26.11.1992, 92/09/0101, unter Hinweis auf Vorjudikatur).

c) Dem angefochtenen Bescheid ist weder zu entnehmen, hinsichtlich welcher konkreter Handlungen (oder Unterlassungen) der Verdacht einer Dienstpflichtverletzung besteht, noch auch, welche Dienstpflichtverletzungen mit diesem Beschluß in das (bereits eingeleitete) Disziplinarverfahren einbezogen werden.

d) Gemäß §99 DP (idF der Landesbeamtengesetz-Novelle 1984) ist auf das Disziplinarverfahren (auch) §58 Abs2 und §60 AVG anzuwenden. Im Hinblick auf die in diesen Vorschriften festgelegte Begründungspflicht wäre die Disziplinarkommission beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung gehalten gewesen, den Grund für die Einleitung des Disziplinarverfahrens in der Begründung des Bescheides sowohl in sachverhaltsmäßiger als auch in rechtlicher Hinsicht darzulegen (so VfSlg. 10997/1986).

Eine inhaltliche Begründung dieser Art läßt der angefochtene Bescheid vermissen.

e) Der angefochtene Bescheid leidet somit, sowohl was den Spruch als auch was die Begründung anlangt, an einer in die Verfassungssphäre reichenden Mangelhaftigkeit.

Er war schon aus diesem Grund wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz aufzuheben, sodaß es sich erübrigte, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten.

Schlagworte

Bescheidbegriff, Verfahrensanordnung, Dienstrecht, Disziplinarrecht Beamte, Einleitungsbeschluß (Disziplinarverfahren), Bescheidbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1993:B1923.1993

Dokumentnummer

JFT_10068785_93B01923_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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