TE Vwgh Erkenntnis 1996/2/28 95/01/0182

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.02.1996
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Dolp und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der T in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Mai 1995, Zl. 4.320.012/12-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exkution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Ghanas, die am 8. Juli 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 10. Juli 1991 den Asylantrag gestellt hat, hatte bei ihrer am 12. Juli 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung im wesentlichen angegeben, sie selbst sei in ihrer Heimat weder aus politischen, religiösen, noch aus rassischen Gründen verfolgt worden und sei auch niemals Mitglied einer politischen Organisation gewesen. Ihr Gatte habe jedoch Probleme mit der Polizei gehabt, deshalb hätte sie seiner Ausreise wegen mit Vergeltungsaktionen der Polizei zu rechnen gehabt und sei daher seinem Ruf gefolgt und nach Togo ausgereist, von wo sie gemeinsam über Libyen, Rumänien und Jugoslawien nach Österreich gelangt seien.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 27. Februar 1992 wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle. In der dagegen gerichteten Berufung machte die Beschwerdeführerin Begründungmängel des erstinstanzlichen Bescheides geltend und führte zu ihren Fluchtgründen ergänzend aus, ihr Ehegatte sei Mitglied der GDM (Ghana Democratic Movement), mit Sitz in London, gewesen. Diese Partei sei in Ghana verboten und jedes ghanesische Mitglied als Staatsfeind angesehen worden und würde vom Sicherheitsdienst der Militärregierung verfolgt werden. Da ihr Ehegatte Probleme mit der Militärregierung bekommen habe, habe er am 17. Juni 1991 sein Heimatland verlassen müssen. Ihr Mann sei Taxifahrer gewesen und habe eines Nachts vier Männer nach Akkra fahren sollen, die er nicht gekannt habe. Unterwegs sei der Wagen vom Sicherheitsdienst der Regierung angehalten und kontrolliert worden, wobei Waffen, Munition und ein Funkgerät, das nur vom Sicherheitsdienst verwendet werde, gefunden worden sei. Es habe sich herausgestellt, daß diese vier Männer einen Regierungsumsturz geplant hätten und der Sicherheitsdienst auch ihren Ehegatten verdächtigt habe, diesen Umsturz mitgeplant zu haben. Ihr Ehegatte habe mit dem Sicherheitsdienst der Militärregierung Probleme gehabt und nicht - wie in der Niederschrift des Erstinterviews irrtümlich aufscheine - mit der Polizei. Am 19. Juni habe sie eine Nachricht von ihrem Mann aus Togo erhalten, mit der Aufforderung, ihm zu folgen. In derselben Nacht habe auch sie Ghana verlassen. Am nächsten Tag, dem 20. Juni 1991, habe sie dann ihren Mann in Togo getroffen und zunächst noch überlegt, nach Ghana zurückzukehren, weil sie ihre beiden Kinder bei der Schwiegermutter habe lassen müssen. Ihr Ehemann habe ihr aber erklärt, daß, wenn der Sicherheitsdienst ihn nicht finden würde, sie zur Verantwortung gezogen werden würde, wobei sie mit einer Gefängnisstrafe rechnen müßte. Daher habe sie sich entschlossen, die Flucht mit ihrem Ehegatten gemeinsam fortzusetzen.

Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. April 1993 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin nicht Folge gegeben. Infolge der dagegen erhobenen, an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde wurde dieser Bescheid mit hg. Erkenntnis vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0311, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides (Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) aufgehoben.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 11. April 1995 wurde der Beschwerdeführerin daraufhin die Möglichkeit eingeräumt, einfache Verfahrensmängel geltend zu machen und ihr bei dieser Gelegenheit unter einem vorgehalten, Ghana sei am 7. Jänner 1993 nach mehr als 10 Jahren Militärregime zu einem demokratischen Mehrparteiensystem zurückgekehrt, eine neue Verfassung sei in Kraft, welche einen umfangreichen Katalog an Grundrechten beinhalte, der neben den wesentlichen bürgerlichen und politischen Rechten auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte enthalte. Mehrere Entscheidungen des Obersten Gerichshofes hätten menschenrechtlich bedenkliche Bestimmungen aufgehoben, das Public Order-Gesetz 1992, das gegen internationale Standards verstoßende Verwaltungshaft erlaubt habe, sei außer Kraft gesetzt worden und die Public Tribunals, die in Verletzung internationaler Normen (Fair Trial) Recht gesprochen hätten, seien in die ordentliche Gerichtsbarkeit integriert worden. In der neuen Verfassung sei u.a. das Recht auf Vereins-, Versammlungs- und Parteienfreiheit, Religions- und Gewissensfreiheit sowie Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit garantiert. Daraufhin antwortete die Beschwerdeführerin durch ihren ausgewiesenen Vertreter, die angeführten Tatsachen laut Schreiben des Bundesministers vom 11. April 1995 seien weder notorisch noch träfen sie auf den derzeitigen Zustand Ghanas zu. Vielmehr werde darauf verwiesen, daß bereits in den Märztagen zahlreiche Unruhen im Norden des Landes stattgefunden hätten, aus welchen hervorgehe, daß vielleicht im Vorjahr (gemeint: 1994) rein theoretisch die Grundlagen für eine Demokratisierung geschaffen worden seien, tatsächlich jedoch eine solche Demokratisierung in der Praxis nicht habe umgesetzt werden können. Tatsächlich sei auf Grund der Unruhen und der zahlreichen Ausschreitungen von Regierungsseite zu befürchten, daß der ursprüngliche Zustand in Ghana noch immer "aufrecht" bzw. "wieder hergestellt" worden sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion (neuerlich) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Nach Darstellung des bisherigen Verfahrensganges und Zitierung der in Anwendung gebrachten gesetzlichen Bestimmungen führte die belangte Behörde im wesentlichen - soweit dies für das gegenständliche Beschwerdeverfahren noch relevant ist - aus, da einer der im § 20 Abs. 2 (neue Fassung) AsylG 1991 genannten Fälle nicht vorliege, sei gemäß § 20 Abs. 1 leg. cit. das Ermittlungsergebnis des Verfahrens erster Instanz der Entscheidung zugrundezulegen, auf das darüber hinausgehende Berufungsvorbringen sei nicht näher einzugehen gewesen. Umstände, die eine Person nicht unmittelbar beträfen, sowie Ereignisse gegen Familienmitglieder könnten einen Asylanspruch nicht begründen; es müßten vielmehr konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, daß sie auf Grund der Flucht ihres Ehegatten aus Ghana mit Vergeltungsaktionen seitens der Polizei zu rechnen gehabt hätte, könne als bloße Behauptung asylbegründender Tatsachen nicht als ausreichend angesehen werden. Weiters führt die belangte Behörde aus:

"Würde es bereits genügen, wenn das Vorliegen der asylbegründenden Tatsachen abstrakt möglich wäre, also nicht mit Sicherheit ausgeschlossen ist, so könnte von Beweiswürdigung im eigentlichen Sinn wohl kaum gesprochen werden. Ein hervorstehendes Charakteristikum ist, daß das Vorbringen, wenn gleiches bis zu einem gewissen Grad auch auf Ihren eigenen Erfahrungen beruht, regelmäßig so abstrakt und allgemein gehalten ist, daß es sich einer Überprüfbarkeit an der Wirklichkeit entzieht."

Im übrigen wiederholt die belangte Behörde die von ihr bereits in ihrem Schreiben vom 11. April 1995 als notorisch hingestellten Tatsachen und knüpft daran die Schlußfolgerung, es könne davon ausgegangen werden, daß diese Grundrechte eingehalten und in der Praxis auch angewandt würden. Aufgrund dieser politischen Situation könne davon ausgegangen werden, daß die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland mit keinerlei Verfolgungshandlungen bezugnehmend auf Sippenhaftung oder Repressalien zu rechnen habe. Im übrigen sah die belangte Behörde den Asylausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 als vorliegend an, da die Beschwerdeführerin bereits in Togo Verfolgungssicherheit erlangt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zunächst ist der Beschwerdeführerin entgegenzuhalten, wenn sie unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften die mangelnde Wahrung des Parteiengehörs geltend macht, daß dieses nach der Aktenlage, insbesondere im Hinblick auf das auch von der Beschwerdeführerin zitierte Schreiben vom 11. April 1995, sehr wohl gewährt wurde. Ihr ist jedoch darin beizupflichten, daß die belangte Behörde die von der Beschwerdeführerin dagegen geäußerten Bedenken weder aufgegriffen, zum Gegenstand weiterer Ermittlungen gemacht oder sonst wie beantwortet hat. Angesichts der von der Beschwerdeführerin behaupteten erneuten Destabilisation der politischen Verhältnisse in ihrem Heimatland kann aber ihrer bereits in erster Instanz ausgedrückten Vermutung, sie würde infolge der Flucht ihres vom Sicherheitsdienst gesuchten Ehegatten selbst erhebliche Probleme bekommen, nicht von vornherein mangelnde Glaubwürdigkeit oder mangelnde Asylrelevanz unterstellt werden. Auch dürfte es einem Beschwerdeführer schwerfallen, lediglich befürchtete, jedoch noch nicht erfolgte Verfolgungshandlungen - wie sie ja nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht vorliegen müssen, um eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 annehmen zu können, näher zu konkretisieren. Im übrigen ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne des § 1 Abs. 1 AslyG 1991 lediglich glaubhaft zu machen. Eine "Überprüfbarkeit" ist nicht erforderlich. So durfte die belangte Behörde insbesondere aber im Hinblick auf die detaillierte Entgegnung der Beschwerdeführerin zu dem mit Schreiben vom 11. April 1995 gemachten Vorhalt über die Zustände in Ghana ohne weitere Ermittlungsergebnisse nicht davon ausgehen, daß die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland mit "keinerlei Verfolgungshandlungen bezugnehmend auf Sippenhaftung oder Repressalien zu rechnen" habe. Es trifft im wesentlichen zu, daß Verfolgungshandlungen gegen die Person des jeweiligen Asylwerbers gerichtet sein müssen, also in der Regel Verfolgungshandlungen gegen Familienangehörige nicht von Asylrelevanz sind, doch können solche Umstände - allenfalls im Rahmen einer "Sippenhaftung" - auch auf den Asylwerber durchschlagen und waren in diesem Falle für ihn insgesamt unmittelbar entscheidungswesentlich (vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 4. November 1992, Zl. 92/01/0479, und vom 5. November 1992, 92/01/0792, und vom 28. Juni 1995, Zlen. 94/01/0790, 0791). Für eine derartige Annahme fehlen aber die entsprechenden Sachverhaltsgrundlagen. Dies allein hätte jedoch nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen können, läge Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 vor. Die belangte Behörde zog diesen Ausschlußgrund erstmals im angefochtenen Bescheid heran, unter Hinweis auf den Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Togo, welcher Staat Mitgliedstaat der Genfer Flüchtlingskonvention sei. Dem hält die Beschwerdeführerin in der Beschwerde entgegen, lediglich der Hinweis auf die Mitgliedschaft bei der Genfer Flüchtlingskonvention sei nicht geeignet, die Drittlandklausel zu tragen. Die belangte Behörde habe ihrer Ermittlungspflicht in dieser Richtung nicht Genüge getan.

Mit diesen Ausführungen macht die Beschwerdeführerin gerade noch geltend, daß keine ausreichenden Ermittlungen gepflogen wurden, um annehmen zu können, Togo habe - wie dies die belangte Behörde allein aufgrund der Mitgliedschaft bei der Genfer Flüchtlingskonvention annahm - als Zufluchtsstaat von seiner effektiv geltenden Rechtsordnung her einen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Schutz geboten.

Diese Ausführungen sind nach Maßgabe der die Beschwerdeführerin im Verfahren treffenden Mitwirkungspflicht ausreichend konkretisiert, um die Wesentlichkeit der der belangten Behörde unterlaufenen Verletzungen von Verfahrensvorschriften (Parteiengehör, Ermittlungs- und Begründungspflicht) zu erkennen. Die Mitwirkungspflicht der Partei geht nicht soweit, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie (hier: gemäß § 11, 16 Asylgesetz 1991 iVm §§ 39, 45, 60 AVG) verpflichtet ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413).

Die Beschwerdeführerin hat die diesbezüglichen Beschwerdebehauptungen wohl erstmals in der Beschwerde aufgestellt, doch wurde ihr - zumal die Erstbehörde zufolge der von ihr anzuwendenden Rechtslage des Asylgesetzes (1968) ihren abweislichen Bescheid zutreffend nicht darauf gestützt hat, daß die Beschwerdeführerin in Togo bereits vor Verfolgung sicher gewesen sei - im Berufungsverfahren nicht Gelegenheit geboten, zu der ihr noch nicht bekannten Annahme der belangten Behörde, daß sie in Togo "Verfolgungssicherheit" erlangt habe, Stellung zu nehmen, weshalb ihr in der Beschwerde erstattetes Vorbringen auch nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG verstößt.

Damit aber belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Bemerkt wird, daß die Ausführungen in der Beschwerde keinen Anlaß bieten, der Anregung auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof hinsichtlich der Bestimmung des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 in der bereinigten Fassung BGBl. Nr. 610/1994 näherzutreten, weil verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestehen.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abzusehen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995010182.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten