TE Vwgh Erkenntnis 2022/10/18 Ro 2022/03/0062

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Veröffentlicht am 18.10.2022
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Norm

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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Mag. Nedwed, Mag. Samm, Dr. Faber und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des MMag. T S, vertreten durch Dr. Thomas Kralik, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottenring 14, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. August 2022, Zl. W194 2257235-1/11E, betreffend Verhängung einer Beugestrafe gemäß der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Beschluss verhängte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) über den Revisionswerber gemäß § 36 Abs. 1 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 zweiter Halbsatz und § 56 der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse (VO-UA) eine Geldstrafe in der Höhe von 6.000 Euro als Beugestrafe wegen wiederholter Nichtbefolgung einer Ladung als Auskunftsperson. Weiters sprach es aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei.

2        Dem legte das BVwG - auf für das Revisionsverfahren Wesentliche zusammengefasst - Folgendes zu Grunde:

3        Mit Schreiben vom 18. Juli 2022, beim BVwG am 19. Juli 2022 eingelangt, habe der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses betreffend Klärung von Korruptionsvorwürfen gegen ÖVP-Regierungsmitglieder (ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss; im Folgenden: Untersuchungsausschuss) den vom Untersuchungsausschuss am 14. Juli 2022 einstimmig beschlossenen und begründeten Antrag auf Verhängung einer Beugestrafe über den Revisionswerber gemäß § 36 Abs. 1 iVm § 55 Abs. 1 der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse (VO-UA) übermittelt.

4        In der Begründung dieses Antrags sei dargelegt worden, dass die an den Revisionswerber (der seinen Wohnsitz in den Niederlanden habe) gerichtete Ladung für den Termin 30. Juni 2022 im Wege der vom Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten in Übereinstimmung mit der niederländischen Rechtslage (auf Vorschlag des Außenministeriums der Niederlande) empfohlenen Weise erfolgt sei, nämlich letztlich durch die durch einen niederländischen Gerichtsvollzieher am 23. Juni 2022 vorgenommene Hinterlegung am Wohnsitz des Revisionswerbers. Dieser habe der Ladung ohne genügende Entschuldigung nicht Folge geleistet und eine Kontaktaufnahme mit dem Untersuchungsausschuss unterlassen.

5        Dazu zur Stellungnahme aufgefordert, habe der Revisionswerber im Wesentlichen geltend gemacht, die Ladung für den 30. Juni 2022 zwar erhalten zu haben, aber erst wenige Tage vor dem Termin, sodass es ihm praktisch unmöglich gewesen sei, innerhalb der kurzen Zeit Vorkehrungen für eine Reise nach Wien zu treffen. Er habe zudem darauf hingewiesen, seit dem 23. Februar 2022 seinen ordentlichen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthaltsort in den Niederlanden zu haben. „Mangels Geltung der VO-UA in den Niederlanden“ treffe ihn daher nicht die in § 33 Abs. 1 VO-UA normierte Pflicht, einer Ladung Folge zu leisten und vor dem Untersuchungsausschuss zu erscheinen, weshalb auch die Androhung oder Verhängung von Zwangsmitteln rechtswidrig sei.

6        Das BVwG legte weiter dar, am 1. August 2022 eine Vernehmung durchgeführt zu haben, an der der Revisionswerber (mittels Videotelefonie) und sein Rechtsvertreter (vor Ort am BVwG) teilgenommen hätten, und traf (zusammengefasst) folgende Feststellungen:

7        Der Revisionswerber sei bereits zur Sitzung des Untersuchungsausschusses am 2. März 2022 geladen worden, aber nicht erschienen, weshalb über ihn auf Antrag des Untersuchungsausschusses mit Beschluss des BVwG vom 14. April 2022 eine Beugestrafe in Höhe von 5.000.-- Euro verhängt worden sei, wogegen er kein Rechtsmittel erhoben habe. Ob die Ladungen an den Revisionswerber für die Sitzung des Untersuchungsausschusses am 6. April 2022 zugestellt worden seien, könne nicht festgestellt werden.

8        Die Ladung für die Sitzung des Untersuchungsausschusses am 30. Juni 2022 habe die Androhung, dass bei nochmaliger Nichtbefolgung der Ladung die Vorführung durch die politische Behörde beschlossen werden könne und Informationen über die Rechte und Pflichten von Auskunftspersonen sowie über allfällige Folgen des Ausbleibens (Beugestrafe nach §§ 36 Abs. 1, 55 VO-UA, Vorführung nach § 36 Abs. 2 VO-UA) enthalten.

9        Die Übermittlung der Ladung an den Revisionswerber sei im Wege der Amtshilfe gemäß Art. 22 B-VG über das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, die Österreichische Botschaft in Den Haag, den Vertrauensanwalt der Österreichischen Botschaft und einen niederländischen Gerichtsvollzieher derart erfolgt, dass nach drei erfolglosen Zustellversuchen an der Wohnung des Revisionswerbers die Ladung am 23. Juni 2022 in den Postkasten des Revisionswerbers eingeworfen wurde. Der Revisionswerber habe die Ladung am 25. oder 26. Juni 2022 ausgehändigt bekommen. Den Termin 30. Juni 2022 habe er nicht wahrgenommen.

10       Der Revisionswerber sei österreichischer Staatsbürger und habe zuletzt am 23. Februar 2022 über einen aufrechten Wohnsitz in Österreich verfügt. Er habe keine Sorgepflichten, sei berufstätig und habe im Verfahren keine Angaben zu seinen aktuellen Einkommensverhältnissen gemacht. Ausgehend von den Ergebnissen des vorangegangenen Verfahrens zur Verhängung einer Beugestrafe vor dem BVwG seien überdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse anzunehmen.

11       Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG nach einer Darlegung der maßgebenden Rechtsvorschriften zunächst (zusammengefasst) aus, dass ein zulässiger und ausreichend begründeter Antrag des Untersuchungsausschusses auf Verhängung einer Beugestrafe vorliege, wobei unstrittig sei, dass dem Revisionswerber die (an ihn zu eigenen Handen gerichtete) Ladung für den 30. Juni 2022 tatsächlich zugekommen sei. Eine „genügende Entschuldigung“ des Revisionswerbers liege nicht vor (was näher begründet wurde). Da sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 36 Abs. 1 VO-UA erfüllt seien, seien die Voraussetzungen für die Verhängung einer Beugestrafe gegeben.

12       Daran ändere nämlich entgegen der Auffassung des Revisionswerbers der Umstand, dass dieser seinen ordentlichen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in Österreich, sondern in den Niederlanden habe, nichts.

13       Gemäß Art. 53 Abs. 1 B-VG könne der Nationalrat durch Beschluss Untersuchungsausschüsse einsetzen; darüber hinaus sei ein solcher auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder einzusetzen. Gemäß Art. 53 Abs. 5 B-VG treffe das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrats nähere Bestimmungen. In diesem könnten eine Mitwirkung der Mitglieder der Volksanwaltschaft sowie besondere Bestimmungen über die Vertretung des Vorsitzenden und die Vorsitzführung vorgesehen werden. Es habe auch vorzusehen, in welchem Umfang der Untersuchungsausschuss Zwangsmaßnahmen beschließen und um deren Anordnung oder Durchführung ersuchen kann.

14       Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VO-UA habe die Auskunftsperson der Ladung Folge zu leisten und in der Befragung wahrheitsgemäß zu antworten. Gemäß § 36 Abs. 1 VO-UA könne der Untersuchungsausschuss beim BVwG die Verhängung einer Beugestrafe gemäß § 55 VO-UA beantragen, wenn eine Auskunftsperson der ihr gemäß § 32 Abs. 2 VO-UA zu eigenen Handen zugestellten Ladung ohne genügende Entschuldigung nicht Folge leistet.

15       Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (Hinweis auf VwGH 27.1.2016, Ro 2015/03/0042) sei davon auszugehen, dass es sich bei den in § 55 Abs. 1 VO-UA normierten Geldstrafen um Beugemittel handelt, also um Vollstreckungsmaßnahmen, die der effektiven Durchsetzung der Pflicht einer Auskunftsperson zum Erscheinen vor dem Untersuchungsausschuss dienen. Dem damit verfolgten Ziel, eine Auskunftsperson zum Erscheinen vor dem Untersuchungsausschuss zu verhalten, komme angesichts der Kontrollfunktion parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ein hoher Stellenwert zu. Das AVG sei weder auf das Verfahren vor dem Untersuchungsausschuss noch auf das Verfahren vor dem BVwG über einen Antrag auf Verhängung einer Beugestrafe anzuwenden (Hinweis auf VwGH 8.2.2021, Ra 2021/03/0001). Die VO-UA regle das Verfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse abschließend und enthalte auf Grundlage des Art. 136 Abs. 3a B-VG auch Bestimmungen über das Verfahren des BVwG. So sei das Vorliegen einer genügenden Entschuldigung iSd § 36 Abs. 1 VO-UA autonom nach dieser Verfahrensordnung auszulegen, wobei insbesondere die Bedeutung des Untersuchungsausschusses als parlamentarisches Kontrollinstrument sowie die gesetzlich beschränkte Dauer der Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses zu beachten seien und jedenfalls jene Anforderungen nicht unterschritten werden dürften, die für die Befolgung der Ladung von Verwaltungsbehörden oder Gerichten gälten.

16       Gerade die besondere Bedeutung der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses weise in Verbindung mit seinem Ziel, nämlich der Aufklärung von Vorgängen zu politischen Zwecken, ganz deutlich darauf hin, dass hier - anders als in einem Straf-, Zivil-, Verwaltungs- oder Verwaltungsstrafverfahren - individuelle Interessen bzw. Ziele nicht im Vordergrund stünden. Dies unterscheide aber die Befragung einer Auskunftsperson im Untersuchungsausschuss von der Einvernahme eines Zeugen in einem Straf-, Zivil-, Verwaltungs- oder Verwaltungsstrafverfahren. Zudem müsse in der konkreten Konstellation beachtet werden, dass der Revisionswerber österreichischer Staatsbürger sei und seine individuellen Rechte als Auskunftsperson insbesondere durch die §§ 33 und 43 VO-UA umfassend gewährleistet würden.

17       Dem stehe auch das vom Revisionswerber angesprochene Territorialitätsprinzip nicht entgegen: Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (Hinweis auf VwGH 27.10.1997, 96/17/0348) erlaube das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip, das als allgemein anerkannte Regel des Völkerrechts gemäß Art. 9 Abs. 1 B-VG Bestandteil des österreichischen Bundesrechts sei, mit Zwangsgewalt verbundene Hoheitsakte auf fremden Staatsgebiet zwar grundsätzlich nur mit ausdrücklicher Zustimmung oder Duldung des betroffenen Staates. Eine derartige (generelle) Zustimmung fehle schon mangels eines auf die vorliegende Konstellation anzuwendenden Amts- oder Rechtshilfeabkommens zwischen Österreich und den Niederlanden.

18       Dem Territorialitätsprinzip sei aber kein absoluter Vorrang einzuräumen: Bei Bestehen eines ausreichenden inländischen Anknüpfungspunktes erlaube vielmehr das Personalitätsprinzip dem Gesetzgeber, Gebote an die eigenen Staatsbürger zu richten, die sich außerhalb des Staatsgebiets befinden, sowie an andere Personen bezüglich solcher Verhaltensweisen, die sich gegen ein inländisches Rechtsgut oder den Staat selbst richten (Hinweis auf VwGH 26.3.2008, 2007/03/0221).

19       Der Revisionswerber sei einerseits österreichischer Staatsbürger, andererseits gehe es in der konkreten Konstellation um einen im Inland verwirklichten Sachverhalt, weil der Revisionswerber nicht zu der im Inland stattgefundenen Sitzung des durch Beschluss des österreichischen Nationalrats eingesetzten Untersuchungsausschusses am 30. Juni 2022 erschienen sei. Zudem würde ein ausreichender inländischer Anknüpfungspunkt durch das Ziel des Untersuchungsausschusses, nämlich der Aufklärung von Vorgängen zu politischen Zwecken, begründet.

20       Im gegebenen Zusammenhang sei zudem auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zum Steuerrecht (Hinweis auf VwGH 28.3.2011, 2011/17/0045) zu verweisen, wonach das Völkerrecht einer Anknüpfung an sich außerhalb des Staatsgebietes ereignende Sachverhalte nicht prinzipiell entgegenstehe.

21       Der ausländische Wohnsitz des Revisionswerbers habe ihn daher nicht von seiner Verpflichtung entbunden, der Ladung Folge zu leisten.

22       Im Weiteren begründete das BVwG die Höhe der über den Revisionswerber verhängten Beugestrafe und schließlich die Zulässigkeit der Revision: Es fehle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, ob die in § 33 Abs. 1 VO-UA festgelegte Pflicht von Auskunftspersonen, der Ladung Folge zu leisten, durch Verhängung einer Beugestrafe auch über solche Personen durchgesetzt werden könne, die zwar österreichische Staatsbürger seien, aber über keinen Wohnsitz im Inland verfügten.

23       Gegen diesen Beschluss richtet sich die ordentliche Revision des Revisionswerbers, die zur Zulässigkeit zunächst auf die Begründung des BVwG verweist und zudem die Frage releviert, ob Personen, die über keinen ordentlichen Wohnsitz im Inland verfügen, überhaupt verpflichtet seien, einer Ladung als Auskunftsperson Folge zu leisten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

24       Die Revision ist schon aus dem vom BVwG angeführten Grund zulässig. Sie erweist sich aber als unbegründet.

25       Dem vor dem BVwG antragstellenden Untersuchungsausschuss kommt im Verfahren über die Revision einer Auskunftsperson gegen eine vom BVwG verhängte Beugestrafe keine Parteistellung im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof zu (vgl. VwGH 27.1.2016, Ro 2015/03/0042, und VwGH 8.2.2021, Ra 2021/03/0001). Die Einladung des BVwG an den Untersuchungsausschuss, eine Revisionsbeantwortung zu erstatten, war daher entbehrlich; auf die vom Untersuchungsausschuss erstattete „Revisionsbeantwortung“ ist nicht einzugehen.

26       Durch die Novelle BGBl. I Nr. 101/2014 wurden (u.a.) Art. 53 B-VG neu gefasst und Abs. 1a in Art. 130 B-VG eingefügt. Diese Bestimmungen lauten seither (auszugsweise):

„Art. 53 B-VG:

(1) Der Nationalrat kann durch Beschluss Untersuchungsausschüsse einsetzen. Darüber hinaus ist auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder ein Untersuchungsausschuss einzusetzen.

...

(5) Nähere Bestimmungen trifft das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates. In diesem können eine Mitwirkung der Mitglieder der Volksanwaltschaft sowie besondere Bestimmungen über die Vertretung des Vorsitzenden und die Vorsitzführung vorgesehen werden. Es hat auch vorzusehen, in welchem Umfang der Untersuchungsausschuss Zwangsmaßnahmen beschließen und um deren Anordnung oder Durchführung ersuchen kann.

...

Art. 130 B-VG:

...

(1a) Das Verwaltungsgericht des Bundes erkennt über die Anwendung von Zwangsmitteln gegenüber Auskunftspersonen eines Untersuchungsausschusses des Nationalrates nach Maßgabe des Bundesgesetzes über die Geschäftsordnung des Nationalrates.“

27       Im Initiativantrag zur Neuregelung (718/A XXV. GP) wird (u.a.) Folgendes ausgeführt:

„Zu Art. 53:

Mit der Neufassung des Art. 53 B-VG sollen die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses auch aufgrund eines Verlangens einer parlamentarischen Minderheit sowie genauere Bestimmungen für den Gegenstand eines Untersuchungsausschusses und dessen Verfahren geschaffen werden.

Seit der Stammfassung des B-VG ist der Untersuchungsausschuss im Abschnitt E. „Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates an der Vollziehung des Bundes“ im zweiten Hauptstück des B-VG geregelt. Nähere Kriterien für die Bestimmung des Umfanges und die Überprüfung der Zulässigkeit eines Untersuchungsgegenstandes sowie Anforderungen an das Verfahren wurden im B-VG nicht normiert. Einen Maßstab konnte bislang nur die Verfassung in ihrer Gesamtheit bilden. Die bisherige Formulierung des Art. 53 Abs. 1 B-VG hat regelmäßig Anlass zu Diskussionen über dessen Auslegung gegeben. In der Verfassungsrechtslehre wurde unter Verweis auf die systematische Stellung (Abschnitt E. „Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates an der Vollziehung des Bundes“) und unter Bezugnahme auf die erste Kommentierung des B-VG (Kelsen/Froehlich/Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920 [Neudruck 2003; erstmals 1922] 139) eine sehr restriktive Sicht vertreten, die Art. 53 B-VG nur in Zusammenhang mit Art. 52 B-VG versteht (mwN Kahl, Art. 53 B-VG, in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Kommentar, 7. Lieferung 2005, Rz. 10). ...

Die Erfahrungen in den Untersuchungsausschüssen der 23. und 24. Gesetzgebungsperiode haben Auslegungsschwierigkeiten und sich aus der einschränkenden Interpretation ergebende Grenzen des Untersuchungsrechts aufgezeigt, deren Ableitung aus dem Verfassungstext umstritten geblieben ist (siehe Öhlinger, Die Bedeutung von Untersuchungsausschüssen als besonderes Instrument parlamentarischer Kontrolle, in: Bußjäger [Hrsg.], Die Zukunft der parlamentarischen Kontrolle [2008] 107 [112]). Die zwischenzeitige Neufassung der Regelungen betreffend weisungsfreie Organe in Art. 20 B-VG (BGBl. I Nr. 2/2008 idF. BGBl. I Nr. 51/2012) und die korrespondierende Ergänzung des Art. 52 Abs. 1a B-VG (BGBl. I Nr. 2/2008 idF. BGBl. I Nr. 114/2013) hinsichtlich der Anwesenheit und Befragung von Leitern eines gemäß Art. 20 Abs. 2 B-VG weisungsfreien Organs in den Sitzungen der Ausschüsse des Nationalrates haben die erwähnte Problematik verstärkt.

Zu Art. 53 Abs. 1:

Das Untersuchungsausschussverfahren dient der Information des Parlaments im Sinne einer Selbstinformation. Art. 53 B-VG gibt dem Nationalrat besondere Möglichkeiten, Informationen zu erlangen, die zur Wahrnehmung seiner Kontroll- und Gesetzgebungsfunktion notwendig sind. Im Unterschied zu Fragerechten, die in erster Linie auf die Erlangung konkreter Einzelinformationen gerichtet sind, soll die Einsetzung eines eigenen Ausschusses die Möglichkeit bieten, auch einen komplexen Vorgang aufzuarbeiten. Anders als ein Straf- oder Verwaltungsverfahren hat ein Untersuchungsausschuss nicht die Erfüllung eines bestimmten Tatbestandes zu prüfen bzw. über konkrete Anbringen abzusprechen. Ziel des Untersuchungsausschusses ist die Aufklärung von Vorgängen zu politischen Zwecken.

...

Die näheren Regelungen über die Einsetzung und das Verfahren eines Untersuchungsausschusses sind gemäß Art. 53 Abs. 5 B-VG im GOG-NR zu treffen. Dabei sollen im Sinne der Funktionsfähigkeit und Verfahrenseffizienz des Nationalrates z. B. auch Beschränkungen der Unterstützungsmöglichkeit von Einsetzungsverlangen oder anderen Verfahrensrechten möglich sein.

...

Zu Art. 53 Abs. 5:

Mit Art. 53 Abs. 5 B-VG wird die Grundlage für die Ausgestaltung der Einsetzung und des Verfahrens der Untersuchungsausschüsse im Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates geschaffen. Darin können auch besondere Bestimmungen über die Vorsitzführung des Untersuchungsausschusses vorgesehen werden. Damit sind Bestimmungen gemeint, die auch über die sonstigen Regelungen über die Obleute und die Vorsitzführung nach dem GOG-NR hinausgehen. Das können z. B. auch Vertretungsaufgaben der Stellvertreter nach außen sein.

...

Für die bislang nur in der Verfahrensordnung geregelte Zulässigkeit der Beantragung bzw. Anordnung von Zwangs- und Beugemitteln wird nunmehr eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen. Die weite Formulierung bezieht auch sonstige Ersuchen an andere Organe, z. B. zur Durchführung von Erhebungen, mit ein.

...

Zu Art. 130 Abs. 1a sowie Art. 136 Abs. 3a:

Diese Bestimmungen schaffen die Grundlage dafür, dass über die Verhängung von Zwangsmitteln gegenüber Auskunftspersonen eines Untersuchungsausschusses (insbesondere Beugestrafen wegen Nichtbefolgung einer Ladung oder ungerechtfertigter Verweigerung einer Aussage sowie Beschwerden gegen eine zwangsweise Vorführung) künftig das Verwaltungsgericht des Bundes entscheidet. ...“

28       § 33 des Geschäftsordnungsgesetzes 1975, BGBl. Nr. 410 idF BGBl I Nr. 99/2014, lautet auszugsweise:

„...

(3) Für die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen gilt die 'Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse' (VO-UA), die als Anlage 1 zu diesem Bundesgesetz einen Bestandteil desselben bildet. Sofern diese Verfahrensordnung nicht anderes bestimmt, kommen für das Verfahren die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zur Anwendung.“

29       Die als Anlage 1 zum Geschäftsordnungsgesetz 1975 geregelte Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse (VO-UA) ist vorliegend in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 63/2021 anzuwenden.

30       Im Revisionsfall sind folgende Bestimmungen der VO-UA von Bedeutung:

„Sitzungen des Untersuchungsausschusses

§ 16. (1) Der Untersuchungsausschuss legt auf Vorschlag des Vorsitzenden und nach Beratung mit dem Verfahrensrichter unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Beweisbeschlusses gemäß § 24 einen Arbeitsplan fest. Nach Möglichkeit sollen mindestens vier Sitzungen des Untersuchungsausschusses pro Monat stattfinden.

...

Beweisaufnahme

§ 22. (1) Der Untersuchungsausschuss erhebt die Beweise im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes. Beweise werden aufgrund des grundsätzlichen Beweisbeschlusses, der ergänzenden Beweisanforderungen, der Ladung von Auskunftspersonen und Sachverständigen sowie durch Augenschein erhoben.

(2) Die Beweisaufnahme endet unter Beachtung der Fristen gemäß §§ 51 und 53 mit Feststellung des Vorsitzenden. Diese ist sowohl im Amtlichen Protokoll über die Ausschusssitzung als auch im schriftlichen Bericht des Untersuchungsausschusses an den Nationalrat festzuhalten.

...

Ladung von Auskunftspersonen mit Beschluss

§ 28. Der Untersuchungsausschuss kann aufgrund eines schriftlichen Antrags eines Mitglieds die Ladung von Auskunftspersonen beschließen. Der Antrag hat die Auskunftspersonen und die Themen der Befragung zu benennen und kann einen Vorschlag für den Zeitpunkt der Befragung enthalten. Er ist unter Bedachtnahme auf den Untersuchungsgegenstand zu begründen.

...

Inhalt der Ladung und Festlegung der Reihenfolge der Befragungen

§ 30. (1) Die Ladung hat den Untersuchungsgegenstand und die Themen der Befragung, Ort und Zeit derselben sowie einen Hinweis auf die gesetzlichen Bestimmungen über die Rechte und Pflichten von Auskunftspersonen und den Kostenersatz sowie allfällige Folgen des Ausbleibens zu enthalten.

(2) Der Vorsitzende hat nach Beratung mit dem Verfahrensrichter im Interesse der Zweckmäßigkeit und unter Bedachtnahme auf die Angaben gemäß Abs. 1 und den Arbeitsplan gemäß § 16 Abs. 1 den Zeitpunkt und die Reihenfolge der Befragung von Auskunftspersonen zu bestimmen. Davon sind die Mitglieder des Untersuchungsausschusses unverzüglich zu informieren.

(3) Ist die zu ladende Person ein öffentlich Bediensteter, so ist gleichzeitig die zuständige Dienstbehörde von der Ladung zu benachrichtigen.

...

Ausfertigung der Ladung

§ 32. (1) Ladungen sind vom Vorsitzenden ohne unnötigen Aufschub auszufertigen.

(2) Die erstmalige Ladung kann ohne Zustellnachweis erfolgen. Jede weitere Ladung ist dem Empfänger zu eigenen Handen zuzustellen.

Rechte und Pflichten von Auskunftspersonen

§ 33. (1) Die Auskunftsperson hat der Ladung Folge zu leisten und in der Befragung wahrheitsgemäß zu antworten. Davon unberührt bleiben die Aussageverweigerungsgründe gemäß §§ 43 und 44. ...

Folgen des Ausbleibens von Auskunftspersonen

§ 36. (1) Wenn eine Auskunftsperson der ihr gemäß § 32 Abs. 2 zu eigenen Handen zugestellten Ladung ohne genügende Entschuldigung nicht Folge leistet, kann der Untersuchungsausschuss beim Bundesverwaltungsgericht die Verhängung einer Beugestrafe gemäß § 55 beantragen. Der Antrag ist zu begründen.

...

Beugemittel

§ 55. (1) Als Beugestrafe wegen Nichtbefolgung einer Ladung als Auskunftsperson kommt eine Geldstrafe in der Höhe von 500 Euro bis 5 000 Euro, im Wiederholungsfall in der Höhe von 2 000 Euro bis 10 000 Euro in Betracht.

(2) Als Beugestrafe wegen ungerechtfertigter Verweigerung der Aussage kommt eine Geldstrafe bis zu 1 000 Euro in Betracht.

Zuständigkeit und Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts

§ 56. (1) In den Fällen der §§ 36 Abs. 1 und 4 und 45 Abs. 2 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Senat. Das Bundesverwaltungsgericht hat die für seine Entscheidung notwendigen Ermittlungen durchzuführen.

(2) In den Fällen der §§ 36 Abs. 1 und 45 Abs. 2 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen vier Wochen zu entscheiden.

...“

31       Die im Revisionsfall maßgebende Fassung der genannten Bestimmungen der VO-UA geht im Wesentlichen zurück auf die Novelle BGBl. I Nr. 99/2014, mit der die Anlage 1 zum Geschäftsordnungsgesetz 1975, also die VO-UA, neu gefasst wurde; die Novelle BGBl. I Nr. 63/2021 beschränkte sich auf die Einfügung des § 56 Abs. 1 zweiter Satz VO-UA und die Änderung der für das BVwG geltenden Entscheidungsfrist (nunmehr vier Wochen) in § 56 Abs. 2 VO-UA).

Der Initiativantrag zur Novelle BGBl. I Nr. 99/2014 (IA, 719/A XXV. GP) enthält u.a. folgende Ausführungen:

„Zu §§ 30 bis 32:

...

Aufgrund der Rechtsfolgen, die mit einer Ladung verbunden sind, soll nunmehr auch die Zustellung von Ladungen eindeutig geregelt werden. Das Zustellgesetz ist für den Nationalrat nicht anwendbar. Die erstmalige Ladung kann wie im gerichtlichen Verfahren ohne Zustellnachweis erfolgen. Eine Ladung per E-Mail ist also zulässig. Sofern eine Ladung ohne Zustellnachweis erfolgt ist, ist die Anordnung von Zwangsmaßnahmen oder das Ersuchen um Verhängung einer Beugestrafe nicht möglich. Die Bestimmung stellt aber sicher, dass in besonderen Fällen schon bei der ersten Ladung mit Zustellnachweis geladen werden kann.

Der Vorsitzende hat Ladungen ohne unnötigen Aufschub auszufertigen. Die Einladung zur schriftlichen Äußerung gemäß § 31 ist ein Recht, das dem Untersuchungsausschuss zusätzlich zur Ladung von Auskunftspersonen zusteht. Es steht in keiner Konkurrenz zur Ladung von Auskunftspersonen.

Zu § 33:

In dieser Bestimmung werden im Sinne der Rechtssicherheit und -klarheit alle Rechte und Pflichten der Auskunftsperson zusammenfassend dargestellt, und es wird auf die entsprechenden Ausführungen im Gesetz verwiesen.

...

Zu § 36:

Diese Bestimmungen entsprechen der bisherigen Rechtslage mit der Maßgabe, dass die Verhängung von Beugestrafen nunmehr beim Bundesverwaltungsgericht zu beantragen ist. Im Unterschied zur bisherigen Rechtslage und der damit verbundenen Problematik des fehlenden Rechtsschutzes gegen eine Vorführung wird nun auch eine ausdrückliche Beschwerdemöglichkeit an das Bundesverwaltungsgericht vorgesehen. Eine aufschiebende Wirkung besteht nicht.“

32       Vor der Schaffung der VO-UA als Anlage 1 zum Geschäftsordnungsgesetz 1975 (erstmals durch die Novelle BGBl. I Nr. 131/1997, in Kraft ab 1. Jänner 1998) waren die Verfahrensbestimmungen betreffend Untersuchungsausschüsse im Geschäftsordnungsgesetz 1975 selbst geregelt.

33       § 33 Geschäftsordnungsgesetz 1975 in seiner Fassung bis zur Änderung durch die Novelle BGBl. I Nr. 131/1997 lautete (auszugsweise):

„§ 33 (1) Der Nationalrat kann auf Grund eines Antrages zur Geschäftsbehandlung den Beschluß auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fassen. Ein solcher Antrag ist dem Präsidenten schriftlich zu überreichen und hat den Gegenstand der Untersuchung sowie die Zusammensetzung des Untersuchungsausschusses zu enthalten. Jedem Untersuchungsausschuß muß jedoch mindestens ein Mitglied jeder im Hauptausschuß vertretenen Partei angehören.

...

(4) Die Gerichte und alle anderen Behörden sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse um Beweiserhebungen Folge zu leisten; alle öffentlichen Ämter haben auf Verlangen ihre Akten vorzulegen.

(5) Bei Beweiserhebungen durch den Untersuchungsausschuß sind die Bestimmungen der Strafprozeßordnung über das Beweisverfahren in der Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz sinngemäß mit der Maßgabe anzuwenden, daß die Beeidigung von Sachverständigen und Zeugen sowie die Verlesung von Protokollen, Gutachten und anderen Schriftstücken auf Grund eines Beschlusses des Untersuchungsausschusses erfolgen.“

34       Die VO-UA idF der Novelle BGBl. I Nr. 131/1997 lautete (auszugsweise):

„II. Ladung von Auskunftspersonen oder Sachverständigen

§ 3. (1) Die Ladung von Auskunftspersonen oder Sachverständigen ist auf Beschluß des Untersuchungsausschusses durch den Präsidenten des Nationalrates bzw. in dessen Auftrag durch die Parlamentsdirektion auszufertigen.

(2) Die Ladung hat neben der Benennung der geladenen Person und der Bezeichnung des Gegenstandes der Untersuchung bzw. im Rahmen dieses Gegenstandes die Themen der Befragung, Ort und Zeit derselben sowie einen Hinweis auf die gesetzlichen Bestimmungen über den Kostenersatz (§ 40 Abs. 3 GOG und Abs. 4) sowie allfällige Folgen des Ausbleibens zu enthalten.

(3) Wenn eine geladene Person der ihr zugestellten Ladung ohne genügende Entschuldigung nicht Folge leistet, so kann der Untersuchungsausschuß beim Gericht (§§ 21 f.) die Verhängung einer Ordnungsstrafe beantragen und die Auskunftsperson unter der Androhung, daß der Untersuchungsausschuß bei neuerlicher Nichtbefolgung der Ladung die Vorführung beschließen könne, neuerlich laden. Leistet die Auskunftsperson auch dieser Ladung ohne genügende Entschuldigung nicht Folge, so kann der Untersuchungsausschuß unter Beantragung einer neuerlichen Ordnungsstrafe beschließen, daß sie durch die politische Behörde vorzuführen ist.

...

VII. Zwangsmaßnahmen

§ 21. Abgesehen von der Vorführung einer Auskunftsperson für den Fall ihres Nichterscheinens (§ 3 Abs. 3) und der Verhängung von Ordnungs- und von Beugestrafen wegen ungerechtfertigter Verweigerung einer Aussage stehen dem Untersuchungsausschuß keine Zwangsmittel zur Verfügung. Insbesondere ist die Durchführung von Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahme von Gegenständen unzulässig.

§ 22. (1) Beantragt der Untersuchungsausschuß die Verhängung einer Ordnungs- oder einer Beugestrafe, so übermittelt er diesen Antrag unter Anschluß der hiefür maßgeblichen Gründe an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien.

(2) Auf Grund des Antrages des Untersuchungsausschusses verhängt das Gericht in sinngemäßer Anwendung der StPO (§§ 159 ff.) die Ordnungs- oder Beugestrafe. Auf die Gründe für eine Entschuldigung und das Rechtsmittel gegen die Anordnung finden die Bestimmungen der StPO Anwendung.“

35       Die Revision macht zusammengefasst Folgendes geltend:

Da es sich bei der VO-UA um ein Bundesgesetz handle, beschränke sich ihr Geltungsbereich gemäß Art. 49 Abs. 1 B-VG auf das Bundesgebiet. Verpflichtungen aufgrund dieses Gesetzes träfen daher nur Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich. Da der Revisionswerber diesen seit 23. Februar 2022 nicht mehr in Österreich, sondern in den Niederlanden habe, seien „die österreichischen Gesetze [auf ihn] nicht mehr anzuwenden.“

Die VO-UA normiere nicht, dass ihre Bestimmungen auf österreichische Staatsbürger ungeachtet eines ordentlichen Wohnsitzes im Inland anzuwenden seien. Wegen Art. 49 Abs. 1 B-VG wäre eine solche Ausdehnung des Geltungsbereichs vom Gesetz aber ausdrücklich anzuordnen gewesen.

Die VO-UA sei eine „autonome Verfahrensordnung“. Zu ihrer Auslegung könne daher „nur auf die Materialien und auf Rechtsprechung anderer Verfahrensordnungen zurückgegriffen werden“.

Die Entstehungsgeschichte der VO-UA zeige, dass ihre Regelungen anderen Verfahrensordnungen, nämlich der ZPO und der StPO, nachempfunden worden seien, weshalb Judikatur zu diesen Verfahrensordnungen zur Auslegung herangezogen werden könne.

Regelungen wie § 333 ZPO und § 242 StPO normierten ebenfalls Zwangsmittel für unentschuldigt ferngebliebene Zeugen, ohne dass nach der maßgeblichen Judikatur diese Zwangsmittel auf im Ausland wohnhafte Zeugen angewendet werden könnten (Verweis auf OLG Linz 5.9.2013, 3 R 145/13h, OGH 25.6.1990, 11 Os 28/90, und OGH 17.5.2017, 13 Os 30/17m, sowie Danek in WK-StPO, § 242, Rz 13).

Da dies Ausfluss des Territorialitätsprinzips sei und die Verhängung von Zwangsmaßnahmen gegen Personen mit Wohnsitz bzw. gewöhnlichem Aufenthalt außerhalb Österreichs gegen die Souveränität des betreffenden Staates verstieße, sei die Regelung auch auf die §§ 33 und 36 VO-UA anzuwenden, weil der Geltungsbereich dieses Gesetzes mangels ausdrücklicher (gegenteiliger) Anordnung nur das Staatsgebiet der Republik Österreich umfasse.

Die Auffassung des BVwG basiere auf unrichtigen Schlüssen aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 26. März 2008, 2007/03/0221: Zwar habe der Verwaltungsgerichtshof hier ausgesprochen, dass ungeachtet des grundsätzlich geltenden Territorialitätsprinzips es dem Gesetzgeber im Rahmen der allgemein gültigen Regeln des Völkerrechts unbenommen bleibe, im Sinne des Personalitätsprinzips Gebote an die eigenen Staatsbürger, die sich außerhalb des Staatsgebiets befinden, zu richten. Eine solche Anordnung habe der Gesetzgeber aber explizit zu treffen und erfordere dies einen ausreichenden inländischen Anknüpfungspunkt.

Im Revisionsfall fehle es sowohl an einer entsprechenden expliziten Anordnung als auch an einem ausreichenden inländischen Anknüpfungspunkt: Der Umstand, dass die Sitzung des Untersuchungsausschusses im Inland stattgefunden habe, stelle einen solchen nicht dar, zumal der maßgebliche Willensentschluss, die Ladung zu befolgen oder nicht, im Ausland getroffen werde. Auch das Argument, Ziel des Untersuchungsausschusses sei die Aufklärung von politischen Vorgängen, sei nicht tauglich, zumal auch ein Strafverfahren das Ziel habe, aufzuklären, ob eine gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, ohne dass die Anwendung von Zwangsmaßnahmen gegen Personen mit Wohnsitz im Ausland zulässig wäre.

Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass sich die Pflicht, einer Ladung als Auskunftsperson vor den Untersuchungsausschuss Folge zu leisten, auch auf Personen ohne ordentlichen Wohnsitz im Inland erstreckt, hätte er dies explizit angeordnet bzw. anordnen müssen.

36       Dieses Vorbringen ist nicht zielführend.

37       Festzuhalten ist zunächst, dass im Revisionsverfahren nur strittig ist, ob von der (gegebenenfalls mit Beugestrafen gemäß § 36 iVm § 55 VO-UA durchzusetzenden) Verpflichtung nach § 33 VO-UA, einer Ladung als Auskunftsperson vor den Untersuchungsausschuss nachzukommen und in der Befragung wahrheitsgemäß zu antworten, auch solche Personen erfasst sind, die - wie der Revisionswerber - zwar österreichische Staatsbürger sind, in Österreich aber weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Nicht strittig hingegen ist, dass vom Revisionswerber keine genügende Entschuldigung für sein Fernbleiben erstattet wurde.

38       Ausgangspunkt für die Beantwortung der gestellten Frage ist der Wortlaut der maßgebenden Vorschriften der VO-UA vor dem Hintergrund des systematischen Zusammenhangs und des Willens des Gesetzgebers unter Einbeziehung völker- und verfassungsrechtlicher Grenzen.

39       Gemäß § 28 VO-UA kann der Untersuchungsausschuss aufgrund eines schriftlichen Antrags eines Mitglieds die Ladung von Auskunftspersonen beschließen; gemäß § 29 VO-UA kann ein Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses in einer Sitzung die Ladung von Auskunftspersonen schriftlich verlangen; dabei sind jeweils die Auskunftsperson und die Themen ihrer Befragung zu benennen.

Gemäß § 30 Abs. 1 VO-UA hat die Ladung den Untersuchungsgegenstand und die Themen der Befragung, Ort und Zeit derselben sowie einen Hinweis auf die gesetzlichen Bestimmungen über die Rechte und Pflichten von Auskunftspersonen und den Kostenersatz sowie allfällige Folgen des Ausbleibens zu enthalten.

Gemäß § 32 Abs. 1 VO-UA sind Ladungen vom Vorsitzenden ohne unnötigen Aufschub auszufertigen. Während die erstmalige Ladung ohne Zustellnachweis erfolgen kann, ist jede weitere Ladung dem Empfänger zu eigenen Handen zuzustellen (Abs. 2).

Gemäß § 33 Abs. 1 VO-UA hat die Auskunftsperson der Ladung Folge zu leisten (und zudem in der Befragung wahrheitsgemäß zu antworten).

Gemäß § 36 Abs. 1 VO-UA kann der Untersuchungsausschuss beim BVwG die Verhängung einer Beugestrafe gemäß § 55 beantragen, wenn eine Auskunftsperson der ihr gemäß § 32 Abs. 2 zu eigenen Handen zugestellten Ladung ohne genügende Entschuldigung nicht Folge leistet.

40       Der Wortlaut dieser Bestimmungen stellt weder auf die Staatsbürgerschaft noch auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort der Auskunftsperson ab. Er verlangt insbesondere also keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Inland, damit die Verpflichtung einer Auskunftsperson, einer Ladung vor den Untersuchungsausschuss nachzukommen, begründet wird. Voraussetzung für die Verhängung einer vom Untersuchungsausschuss beim BVwG zu beantragenden Beugestrafe ist nach § 36 Abs. 1 VO-UA demgemäß nur, dass die Auskunftsperson einer ihr gemäß § 32 Abs. 2 VO-UA zu eigenen Handen zugestellten Ladung ohne genügende Entschuldigung nicht Folge leistet.

41       Die Hinweise der Revision auf Regelungen bzw. Grundsätze anderer Verfahrensordnungen (der ZPO und der StPO wie auch des AVG) und diesbezügliche Judikatur bzw. Literatur, wonach es unzulässig sei, im Ausland wohnhafte Zeugen unter Androhung von Zwangsmaßnahmen zu laden, sind vom Ansatz her verfehlt.

42       Die VO-UA regelt das Verfahren vor dem Untersuchungsausschuss abschließend; auf dieses Verfahren ist weder das AVG noch die ZPO oder die StPO anzuwenden. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 8. Februar 2021, Ra 2021/03/0001, dargelegt hat, ist daher (auch) das Vorliegen einer „genügenden Entschuldigung“ iSd § 36 Abs. 1 VO-UA autonom nach dieser Verfahrensordnung auszulegen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das Untersuchungsausschussverfahren der Information des Parlaments im Sinne einer Selbstinformation dient und Art. 53 B-VG dazu dem Nationalrat besondere Möglichkeiten gibt, Informationen zu erlangen, die zur Wahrnehmung seiner Kontroll- und Gesetzgebungsfunktion notwendig sind. Aufgrund der Bedeutung des Untersuchungsausschusses als parlamentarisches Kontrollinstrument sowie im Hinblick auf die gesetzlich beschränkte Dauer seiner Tätigkeit sind an das Vorliegen einer „genügenden Entschuldigung“ strenge Anforderungen zu stellen, die jedenfalls nicht jene Anforderungen unterschreiten können, die für die Befolgung einer Ladung von Gerichten oder Verwaltungsbehörden gelten.

43       Die historische Entwicklung der Regelungen betreffend das Verfahren vor Untersuchungsausschüssen bekräftigt die Notwendigkeit einer autonomen Auslegung der maßgebenden Bestimmungen vor dem Hintergrund ihrer Zielsetzung:

44       § 33 Geschäftsordnungsgesetz 1975 idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 131/1997 hatte nur rudimentäre Regelungen über das Verfahren getroffen und in Abs. 5 normiert, dass bei Beweiserhebungen durch den Untersuchungsausschuss die Bestimmungen der StPO über das Beweisverfahren in der Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz sinngemäß (mit einer näher genannten Maßgabe) anzuwenden sind. Erstmals mit der genannten Novelle wurde - als Anlage zum Geschäftsordnungsgesetz 1975 - eine eigene Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse geschaffen. Diese sah noch - in § 22 Abs. 2 - vor, dass eine Ordnungs- oder Beugestrafe in sinngemäßer Anwendung der StPO (§§ 159ff) zu verhängen ist und auf die Gründe für eine Entschuldigung und das Rechtsmittel dagegen die Bestimmungen der StPO Anwendung finden.

45       Grundlegende Änderungen erfolgten durch die Novelle BGBl. I Nr. 99/2014 im Verein mit der B-VG-Novelle BGBl. I Nr. 101/2014, wodurch die maßgebenden Vorschriften des B-VG bzw. der VO-UA ihre für den Revisionsfall relevante (oben wiedergegebene) Fassung erhielten.

46       Die dazu getroffenen Gesetzesmaterialien sprechen die mit dieser Neuregelung verfolgte Zielsetzung explizit an: Es sollten genauere Bestimmungen nicht nur für den Gegenstand eines Untersuchungsausschusses, sondern auch für dessen Verfahren geschaffen werden und bisher bestehenden Auslegungsschwierigkeiten begegnet werden. Hervorgehoben werden zudem die strukturellen Unterschiede gegenüber Straf- oder Verwaltungsverfahren. Durch die im Geschäftsordnungsgesetz zu treffenden Regelungen über die Einsetzung und das Verfahren eines Untersuchungsausschusses solle „Funktionsfähigkeit und Verfahrenseffizienz“ gewährleistet werden. Für die bislang nur in der Verfahrensordnung geregelte Beantragung bzw. Anordnung von Zwangs- und Beugemitteln solle nunmehr - mit „weite[r] Formulierung“ - eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen werden (Initiativantrag 718/A XXV. GP).

47       In den Gesetzesmaterialien zur Änderung der VO-UA durch die Novelle BGBl. I Nr. 99/2014 wiederum wird schon einleitend ausgeführt, dass - wegen der mit einer Ladung verbundenen Rechtsfolgen - die Zustellung von Ladungen „eindeutig“ geregelt werden soll, wobei darauf hingewiesen wird, dass das ZustellG für den Nationalrat nicht anwendbar ist. In § 33 würden - im Sinne der Rechtssicherheit und -klarheit - „alle Rechte und Pflichten der Auskunftsperson zusammenfassend dargestellt“.

48       Die Neuregelung ist insgesamt also vom Ziel bestimmt, das Verfahren vor Untersuchungsausschüssen autonom (ohne subsidiäre sinngemäße Anwendung anderer Verfahrensordnungen) zu regeln, um durch effiziente Verfahrensführung die Wahrnehmung der Kontrollfunktion des Nationalrats zu ermöglichen.

49       Vor diesem Hintergrund deutet nichts darauf hin, dass - abgesehen etwa von zwingenden verfassungsrechtlichen oder völkerrechtliche Vorgaben - weitere, im VO-UA nicht normierte Voraussetzungen (insbesondere hinsichtlich Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt) erfüllt sein müssten, damit die Verpflichtung einer Auskunftsperson, einer Ladung an den Untersuchungsausschuss Folge zu leisten, begründet wird. Insbesondere mit der in den Gesetzesmaterialien angesprochenen „Funktionsfähigkeit und Verfahrenseffizienz“ wäre es zudem kaum vereinbar, könnte sich eine Auskunftsperson schon dadurch ihrer Verpflichtung, einer Ladung vor den Untersuchungsausschuss Folge zu leisten, entziehen, dass sie - gegebenenfalls auch nur kurzfristig - ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland verlegt.

50       Ausgehend von Wortlaut, Gesetzessystematik und Willen des historischen Gesetzgebers ist ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Inland einer Auskunftsperson daher nicht erforderlich, um ihre Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten, zu begründen.

51       Die über den Revisionswerber wegen dessen Nichtbefolgung der ihm zu eigenen Handen zugestellten Ladung verhängte Beugestrafe war daher nicht etwa deshalb rechtswidrig, weil er bei Zustellung der Ladung keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte.

52       Diesem Auslegungsergebnis stehen - entgegen der Revision - weder das Territorialitätsprinzip (Art. 49 Abs. 1 B-VG) noch (gemäß Art. 9 Abs. 1 B-VG Bestandteil des Bundesrechts bildende) völkerrechtliche Grundsätze entgegen:

53       Warum nämlich die im Revisionsfall nach den insoweit unstrittigen Feststellungen im Einklang mit den niederländischen Vorschriften vorgenommene, durch einen niederländischen Gerichtsvollzieher bewerkstelligte Zustellung der Ladung an den Revisionswerber, der diese auch tatsächlich erhalten hat, wie von der Revision geltend gemacht „gegen die Souveränität“ des Wohnsitzstaats verstoßen sollte, wird von der Revision - insbesondere angesichts der Einbindung der niederländischen Behörden in den Zustellvorgang - nicht näher dargelegt.

54       Nach Art. 49 Abs. 1 B-VG erstreckt sich die verbindende Kraft von Bundesgesetzen, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, auf das gesamte Bundesgebiet. Aus dieser Bestimmung ist zunächst abzuleiten, dass sich die verbindende Kraft von Bundesgesetzen nicht über das Bundesgebiet hinaus erstreckt. Der einfache Gesetzgeber kann aber Gegenteiliges anordnen. Auch wenn also grundsätzlich das Territorialitätsprinzip gilt, bleibt dem Gesetzgeber unbenommen, im Sinne des Personalitätsprinzips Gebote an die eigenen Staatsbürger zu richten, die sich außerhalb des Staatsgebietes befinden, sowie - im Sinne des Schutzprinzips - an andere Personen bezüglich solcher Verhaltensweisen, die sich gegen ein inländisches Rechtsgut oder den Staat selbst richten (vgl. VwGH 2.7.1998, 97/07/0152, und VwGH 26.3.2008, 2007/03/0221).

55       Im Revisionsfall kann dahingestellt bleiben, ob es (im Sinne des Schutzprinzips) zulässig wäre, würden von den Verpflichtungen der VO-UA auch ausländische Staatsbürger ohne Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland erfasst.

Das Schutzprinzip im Verein mit dem Personalitätsprinzip erlaubt jedenfalls die von der VO-UA vorgenommene Erfassung österreichischer Staatsbürger (auch solche ohne Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, vgl. nochmals Rn 40), zumal ein ausreichender inländischer Anknüpfungspunkt und im Sinne des Schutzprinzips ein wesentliches Interesse des österreichischen Staates gegeben ist: Die durch die Ladung nach § 33 VO-UA begründete Verpflichtung, ihr Folge zu leisten und in der Befragung wahrheitsgemäß zu antworten, dient der Effektuierung der Kontrollfunktion des Nationalrats (vgl. Rn 42) und damit einem gewichtigen staatlichen Interesse; sie ist am Sitz des Untersuchungsausschusses und damit im Inland zu erfüllen.

56       Die Revision erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Wien, am 18. Oktober 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RO2022030062.J00

Im RIS seit

03.11.2022

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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