TE Lvwg Erkenntnis 2022/10/12 LVwG-AV-888/001-2022

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.10.2022
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Entscheidungsdatum

12.10.2022

Norm

GewO 1994 §14
GewO 1994 §340
  1. GewO 1994 § 14 heute
  2. GewO 1994 § 14 gültig ab 13.07.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 45/2018
  3. GewO 1994 § 14 gültig von 10.07.2015 bis 12.07.2018 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 81/2015
  4. GewO 1994 § 14 gültig von 14.09.2012 bis 09.07.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 85/2012
  5. GewO 1994 § 14 gültig von 27.02.2008 bis 13.09.2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 42/2008
  6. GewO 1994 § 14 gültig von 01.01.2007 bis 26.02.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 161/2006
  7. GewO 1994 § 14 gültig von 01.08.2002 bis 31.12.2006 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 111/2002
  8. GewO 1994 § 14 gültig von 01.07.1996 bis 31.07.2002 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 10/1997
  9. GewO 1994 § 14 gültig von 19.03.1994 bis 30.06.1996
  1. GewO 1994 § 340 heute
  2. GewO 1994 § 340 gültig ab 30.06.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 48/2015
  3. GewO 1994 § 340 gültig von 27.03.2015 bis 29.06.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 18/2015
  4. GewO 1994 § 340 gültig von 27.02.2008 bis 26.03.2015 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 42/2008
  5. GewO 1994 § 340 gültig von 01.08.2002 bis 26.02.2008 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 111/2002
  6. GewO 1994 § 340 gültig von 01.07.1997 bis 31.07.2002 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 63/1997
  7. GewO 1994 § 340 gültig von 01.07.1996 bis 30.06.1997 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 10/1997
  8. GewO 1994 § 340 gültig von 19.03.1994 bis 30.06.1996

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch die Richterin HR Mag. Daniela Marihart über die Beschwerde des A, geboren am ***, in ***, ***, vertreten durch B, Rechtsanwalt in ***, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt St. Pölten vom 14.03.2022, Zl. ***, betreffend Feststellung des Nichtvorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen und Untersagung der Gewerbeausübung, zu Recht:

1.   Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.

2.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichthof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

1.   Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:

Mit elektronisch am 06.03.2022 eingebrachtem Antrag meldete der irakische Staatsbürger A, geb. ***, (in der Folge: Beschwerdeführer) das Gewerbe „Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten“ mit Beginn 07.03.2022 im Standort ***, ***, an. Neben den gesetzlich geforderten Erklärungen legte er unter anderem eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 mit dem Vermerk „Zur Gültigkeit siehe IZR“ vor.

Über Ersuchen des Magistrats der Stadt St. Pölten als Gewerbebehörde (in der Folge: belangte Behörde) vom 08.03.2022, Zl. ***, hat das zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) mit Schreiben vom 09.03.2022 die belangte Behörde dahingehend informiert, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig negativ entschieden wurde, er über kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügt bzw. zur Ausreise verpflichtet ist.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid der belangten Behörde vom 14.03.2022, *** (in der Folge: Bescheid), wurde festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des vom Beschwerdeführer am 06.03.2022 angemeldeten Gewerbes „Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten“ im Standort ***, ***, nicht vorliegen und es wurde dem Beschwerdeführer die Ausübung dieses Gewerbes untersagt. In der Begründung hat sich die belangte Behörde darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel verfügt und er zur Ausreise verpflichtet ist, sodass die in § 14 Abs. 1 GewO 1994 genannten Voraussetzungen für die Ausübung des Gewerbes nicht vorliegen.

2.   Zum Beschwerdevorbringen:

Wider den Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass aufgrund des Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits (in der Folge: PuK EU/Irak) Iraker als Dienstleistungserbringer Inländern gleichgestellt wären, ein legaler Aufenthalt wäre keine Voraussetzung für die Gewerbeausübung. Aus Art. 118 PuK EU/Irak wäre im Bereich des Gewerberechts eine Gegenseitigkeit abzuleiten, die Bestimmung des Art. 29 Abs. 4 PuK EU/Irak, die gegen die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit ins Treffen geführt würde, wäre menschenrechtskonform zu interpretieren.

3.   Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den von der belangten Behörde vorgelegten Akt, ***, die vom Beschwerdeführer über Auftrag des erkennenden Gerichts nach § 13 Abs. 3 AVG vorgelegten Rechnungen sowie Abfrage des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister.

Weder von der belangten Behörde noch vom Beschwerdeführer wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

4.   Feststellungen:

A wurde am *** geboren und ist irakischer Staatsbürger.

Ihm wurde am 02.08.2017 vom BFA eine Aufenthaltsberechtigungskarte weiß gemäß § 51 AsylG mit dem Vermerk „Zur Gültigkeit siehe IZR“ ausgestellt. Das zu Zl. *** beim BFA Regionaldirektion Niederösterreich (BMI-BFA_NOE_RD) geführte Verfahren auf Gewährung von internationalem Schutz wurde rechtskräftig mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.07.2021 negativ abgeschlossen. Der Beschwerdeführer hat keinen Asylstatus gemäß § 3 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (AsylG 2005), keine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG und ist nicht subsidiär schutzberechtigt gemäß § 8 AsylG 2005. Er ist zur Rückkehr gemäß § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005 verpflichtet, seine Abschiebung ist zulässig. Am 30.03.2022 wurde Heimreisezertifikat beantragt. Darüber hinaus sind keine Verfahren nach dem AsylG 2005 oder dem FPG offen.

Der Beschwerdeführer hat am 06.03.2022 elektronisch das freie Gewerbe „Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten“ ab 07.03.2022 angemeldet. Im Zeitraum von 11.03.2022 bis 11.04.2022 hielt sich der Beschwerdeführer in Kärnten auf.

Der nunmehr bekämpfte Bescheid des Magistrats der Stadt St. Pölten als Gewerbebehörde vom 14.03.2022, ***, wurde am 18.03.2022 an der Wohnadresse des Beschwerdeführers hinterlegt und nach Ablauf der Frist zur Bereithaltung für die Abholung der belangten Behörde am 06.04.2022 zurückgestellt. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer persönlich am 11.07.2022 von der belangten Behörde übergeben. Am 01.08.2022 hat der Beschwerdeführer anwaltlich vertreten Beschwerde erhoben.

5.   Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Akt der belangten Behörde sowie dem Akt des erkennenden Gerichts, dem auch seitens des Beschwerdeführers – auf faktischer Ebene – nicht entgegengetreten wurde. Seitens des Beschwerdeführers wurde nicht einmal unsubstantiiert bestritten, dass er über keinen Aufenthaltstitel verfügt, sondern nur auf das Abkommen (PuK EU/Iran) verwiesen.

Die Feststellungen zur fehlenden Aufenthaltsberechtigung sowie zur Rückkehrverpflichtung ergeben sich aus der vom erkennenden Gericht vorgenommenen Abfrage beim Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister.

Die Feststellungen zur Hinterlegung und Ausfolgung des Bescheides ergeben sich aus den im Verwaltungsakt der belangten Behörde erliegenden unbedenklichen Urkunden und dem handschriftlichen Vermerk. Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Kärnten ergeben sich aus den von ihm vorgelegten Rechnungen über die Unterbringung von Mitarbeitern.

6.   Rechtslage:

Die zur rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhalts relevanten Bestimmungen lauten (auszugsweise):

§ 17 Zustellgesetz – Hinterlegung

(1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

§ 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG)

(1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn

a.   der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder

b.   die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist;

c.   wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird.

(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

§ 28 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG)

(1)  Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

§ 51 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (AsylG 2005)

(1)  Einem Asylwerber, dessen Verfahren zuzulassen ist und dem ein Aufenthaltsrecht gemäß § 13 Abs. 1 zukommt, ist eine Aufenthaltsberechtigungskarte auszustellen. Die Karte ist bis zu einer durchsetzbaren Entscheidung, zur Einstellung oder zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens gültig.

§ 14 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994)

(1) Ausländische natürliche Personen dürfen, sofern dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt, Gewerbe wie Inländer ausüben, wenn dies in Staatsverträgen festgelegt worden ist. Angehörige von Staaten, mit denen kein derartiger Staatsvertrag abgeschlossen wurde, Personen, denen Asyl gewährt wird, oder Staatenlose dürfen, sofern dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt, Gewerbe wie Inländer ausüben, wenn sie sich nach den für sie in Betracht kommenden Rechtsvorschriften zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit bereits in Österreich aufhalten dürfen. Für Drittstaatsangehörige, die noch nicht rechtmäßig aufhältig sind (Erstantragsteller) und in Österreich ein Gewerbe ausüben wollen, ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels, der die Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zulässt, zur rechtmäßigen Ausübung dieses Gewerbes erforderlich.

§ 340 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994)

(1)  Auf Grund der Anmeldung des Gewerbes (§ 339 Abs. 1) hat die Behörde zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des angemeldeten Gewerbes durch den Anmelder in dem betreffenden Standort vorliegen. Liegen die Voraussetzungen für die Ausübung des Gewerbes vor und hat die Anmeldung nicht ein in Abs. 2 genanntes Gewerbe zum Gegenstand, so hat die Behörde den Anmelder längstens binnen drei Monaten in das GISA einzutragen und durch Übermittlung eines Auszugs aus dem GISA von der Eintragung zu verständigen. Ist im Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung ein Verfahren über eine erforderliche Nachsicht, eine Anerkennung gemäß § 373c oder eine Gleichhaltung gemäß § 373d oder § 373e anhängig, so hat die Behörde die innerhalb der im zweiten Satz festgelegten dreimonatigen Frist rechtskräftig erteilte Nachsicht, Anerkennung oder Gleichhaltung zu berücksichtigen. Als Tag der Gewerbeanmeldung gilt jener Tag, an welchem alle erforderlichen Nachweise (§ 339 Abs. 3) bei der Behörde eingelangt sind und die allenfalls erforderliche Feststellung der individuellen Befähigung gemäß § 19, eine erforderliche Nachsicht, eine Anerkennung gemäß § 373c oder eine Gleichhaltung gemäß § 373d oder § 373e rechtswirksam erfolgt ist. Als Mangel der gesetzlichen Voraussetzungen gilt auch, wenn der Firmenwortlaut im Hinblick auf den Inhalt des Gewerbes eine erhebliche Irreführung bedeuten würde.

[…]

(3)  Liegen die im Abs. 1 genannten Voraussetzungen nicht vor, so hat die Behörde - unbeschadet eines Verfahrens nach § 366 Abs. 1 Z 1 - dies mit Bescheid festzustellen und die Ausübung des Gewerbes zu untersagen.

7.   Erwägungen:

Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:

Grundsätzlich kann der Bescheid dem Beschwerdeführer an der Abgabestelle auch durch Hinterlegung zugestellt werden, wenn der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Als Abgabestelle kommt im gegenständlichen Fall in erster Linie die Wohnung des Beschwerdeführers in Betracht, die auch vom Beschwerdeführer im Verfahren angegeben. Nach § 17 Abs. 3 vierter Satz Zustellgesetz wird die Zustellung (nur) dann nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. In diesem Fall wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH zu § 17 Abs. 3 Zustellgesetz wird die durch den dritten Satz dieser Bestimmung normierte Zustellwirkung der Hinterlegung […] nur durch eine solche Abwesenheit von der Abgabestelle ausgeschlossen, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (VwGH vom 28.10.2020, Ra 2020/01/0144). Voraussetzung für eine Hinterlegung ist, dass der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Hinterlegte Dokumente gelten gemäß § 17 Abs. 3 letzter Satz Zustellgesetz nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte. Daraus ergibt sich, dass die Zustellung an dem der Rückkehr des Empfängers an die Abgabestelle folgenden Tag nur dann wirksam ist, wenn dieser innerhalb der Abholfrist liegt (vgl. VwGH vom 18.09.2020, Ra 2019/08/0142 mwN).

Nach den Feststellungen war der Beschwerdeführer im Zeitraum von 11.03.2022 und 11.04.2022 nicht an der Abgabestelle anwesend, sodass die Zustellung durch Hinterlegung am 18.03.2022 nicht bewirkt werden konnte. Da er auch erst nach Ende der Abholfrist an die Abgabestelle zurückgekehrt ist, war die konnte die Zustellung nicht durch Hinterlegung gemäß § 17 Zustellgesetz fingiert werden. Erst durch die Ausfolgung des Bescheides an den Beschwerdeführer persönlich am 11.07.2022 wurde der Bescheid dem Beschwerdeführer gegenüber erlassen; gleichzeitig begann der Lauf der Beschwerdefrist, sodass die am 01.08.2022 erhobene Beschwerde rechtzeitig ist.

Zu den Beschwerdegründen:

Gemäß § 14 Abs. 1 GewO 1994 dürfen ausländische natürliche Personen, sofern die Gewerbeordnung 1994 nichts Anderes bestimmt, Gewerbe wie Inländer ausüben, wenn dies in Staatsverträgen festgelegt ist (1. Fall). Ohne das Vorliegen eines Staatsvertrages dürfen Asylberechtigte und Staatenlose Gewerbe wie Inländer ausüben, wenn sie nach den für sie in Betracht kommenden Rechtsvorschriften zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit bereits in Österreich aufhalten dürfen (2. Fall). Letztlich ist für Drittstaatsangehörige, die noch nicht rechtmäßig aufhältig sind (Erstantragsteller) und in Österreich ein Gewerbe ausüben wollen, die Erteilung eines die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit zulassenden Aufenthaltstitels erforderlich (3. Fall). Die genannte Bestimmung unterteilt Ausländer in Angehörige fremder Staaten, mit denen Gegenseitigkeit in Bezug auf die Gewerberechtsfähigkeit vereinbart ist (formelle Gegenseitigkeit) und Angehörige fremder Staaten ohne solche Vereinbarungen (Stolzlechner u.a., GewO4, § 14, Rz 2).

Angehörige von Staaten, mit denen eine formelle Gegenseitigkeit vereinbart wurde, dürfen ohne weiteres – wie Inländer – ein Gewerbe ausüben (Fall 1), die andere Gruppe benötigt zusätzlich einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel, sei es, dass dieser bereits vorliegt (2. Fall) oder vor der Gewerbeanmeldung beantragt wurde (3. Fall). Für Drittstaatsangehörige ist die Erteilung eines entsprechenden Aufenthaltstitels für die rechtmäßige Ausübung einer selbständigen Tätigkeit erforderlich. Daraus ist zwingend die Reihenfolge für die rechtlich vorgesehenen Antragstellungen nach Aufenthalts- und Gewerberechts abzuleiten: Drittstaatsangehörige haben zunächst einen rechtskräftigen Aufenthaltstitel zu erwerben, erst dann dürfen sie ein Gewerbe anmelden. Die umgekehrte Vorgehensweise ist unzulässig (Stolzlechner u.a., GewO4, § 14, Rz 16). Die Gewerbeordnung gestattet Fremden die tatsächliche Ausübung des Gewerbes unter der aufschiebenden Bedingung, dass ein Aufenthaltsrecht besteht. Bis zum Vorliegen eines solchen und somit bis zum Bedingungseintritt wäre die Strafbestimmung des § 366 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 anwendbar (Stolzlechner u.a., GewO4, § 14, Rz 18).

Nach dem festgestellten Sachverhalt verfügt der Beschwerdeführer, über dessen Asylverfahren rechtkräftig negativ entschieden wurde und für den ein Heimreisezertifikat am 30.03.2022 beantragt wurde, nicht über einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel, der ihn zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt. Die Gewerbeanmeldung kann somit mangels Aufenthaltstitel nicht auf den 2. oder 3. Fall des § 14 Abs. 1 GewO 1994 gestützt werden.

Auch der 1. Fall des § 14 Abs. 1 GewO 1994 liegt nicht vor: Dem vom Beschwerdeführer unter Berufung auf das PuK EU/Irak ins Treffen geführten „Staatsvertrag“ fehlt es an der notwendigen Voraussetzung der Reziprozität. Zu den Staatsverträgen im Sinne des ersten Satzes leg. cit. zählen nur solche mit bestimmtem Inhalt, nämlich Staatsverträge, welche festlegen, dass Angehörige fremder Staaten im Bundesgebiet „Gewerbe wie Inländer ausüben“ dürfen. Staatsverträge mit einem anderen, wenn auch wirtschaftlich relevanten Inhalt, sind keine Staatsverträge nach § 14 Abs. 1 GewO 1994; er müsste eine umfassende Liberalisierung der Freizügigkeit auch in fremdenpolizeilicher Hinsicht festlegen (Stolzlechner u.a., GewO4, § 14, Rz 8).

Der Beschwerdeführer beruft sich auf das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits (PuK EU/Irak) und verweist darauf, dass dieser Staatsvertrag vom Österreichischen Nationalrat genehmigt und im Bundesgesetzblatt, BGBl. III Nr. 137/2018, abgedruckt worden sei. Dieses Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ist ein Handelsabkommen, das gemäß seinem Art. 1 Abs. 2 einen geeigneten Rahmen für den politischen Dialog zwischen den Vertragsparteien schaffen soll, der die Entwicklung politischer Beziehungen ermöglicht, den Handel und Investitionen sowie harmonische Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien fördern und so ihre nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung unterstützen und eine Grundlage für die rechtliche, wirtschaftliche, soziale, finanzielle und kulturelle Zusammenarbeit schaffen soll. Mit dem Abkommen soll eine breite Grundlage für den Ausbau der Beziehungen und der Zusammenarbeit in einer Vielzahl von Bereichen geschaffen sowie die Handelsregelungen zwischen dem Irak und der EU verbessert und präzisiert werden.

Auch das WTO-Abkommen BGBl. 1995/539 stellt keinen Staatsvertrag im Sinne der genannten Bestimmung dar (Stolzlechner u.a., GewO4, § 14, Rz 8 a.E.); hieraus ist abzuleiten, dass die Anforderungen eines die Gegenseitigkeit gewährleistenden Staatsvertrages streng sind, um die Voraussetzungen für die Ausübung eines Gewerbes zu erfüllen. Unter Heranziehung der im PuK EU/Irak selbst formulierten Ziele sowie der übrigen Bestimmungen wird jedoch die von § 14 Abs. 1 erster Satz GewO 1994 geforderte Gegenseitigkeit im Partnerschafts- und Kooperationsübereinkommen zwischen der EU und dem Irak nicht geregelt, sodass der Beschwerdeführer nicht die Inländergleichbehandlung des § 14 Abs. 1 erster Satz GewO 1994 für sich in Anspruch nehmen kann.

Da somit weder ein Staatsvertrag im Sinne des § 14 Abs. 1 erster Satz GewO 1994 vorliegt, noch der Beschwerdeführer über einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel verfügt, der ihn zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit – allenfalls aufschiebend bedingt – berechtigt, war spruchgemäß zu entscheiden. Mangels konkreter Angaben bzw. Gründe seitens des Beschwerdeführers lag auch kein Aussetzungsgrund vor.

8.   Zur Nichtdurchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

Von der Durchführung der gegenständlichen Verhandlung wurde Abstand genommen, weil zum einen die Behörde im Zuge der Vorlage des Verwaltungsaktes auf die mündliche Verhandlung verzichtet hat und zum anderen auch der Beschwerdeführer die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragt hat und darüber hinaus die verfahrensgegenständlichen Unterlagen den Sachverhalt eindeutig und klar erkennen lassen.

9.   Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Es entspricht ständiger Judikatur, dass Abkommen wie das WTO-Abkommen keinen Staatsvertrag im Sinne des § 14 Abs. 1 GewO 1994 darstellt, umso weniger kann das PuK EU/Irak, der diesem Abkommen nur nachgebildet ist, einen solchen darstellen.

Schlagworte

Gewerbliches Berufsrecht; Hausbetreuung; Gewerbeausübung; Untersagung; Gegenseitigkeit; Inländergleichbehandlung;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.AV.888.001.2022

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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