TE Vfgh Erkenntnis 1994/3/3 B960/93

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Veröffentlicht am 03.03.1994
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
EMRK Art5 Abs4
PersFrSchG 1988 Art6 Abs1
FremdenpolizeiG §5a
FremdenG §41
FremdenG §51 Abs1
FremdenG §52
AVG §67c ff

Leitsatz

Verletzung in den Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf persönliche Freiheit durch die Zurückweisung einer Beschwerde gegen einen Schubhaftbescheid durch den UVS wegen Unzulässigkeit aufgrund Beschwerdeerhebung nach Entlassung aus der Schubhaft; kein Wegfall der Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates nach Entlassung des Schubhäftlings; rechtzeitige Beschwerdeerhebung bis sechs Wochen ab Beendigung der Schubhaft

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Schutz der persönlichen Freiheit verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Kosten dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 25. Februar 1993 wurde über den Beschwerdeführer - einen türkischen Staatsangehörigen - zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und zur Sicherung der Abschiebung gemäß §41 Abs1 und 2 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), die Schubhaft verhängt; dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 1. März 1993 zugestellt und daran anschließend in Vollzug gesetzt. Am 22. März 1993 wurde der Beschwerdeführer in die Türkei abgeschoben.

2. Unter dem 29. März 1993 erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter eine Beschwerde gemäß §51 FrG an den unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich wegen Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme und der Anhaltung.

3. Mit Bescheid der genannten Behörde vom 5. April 1993 wurde diese Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen, weil sich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erhebung der Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat nicht mehr in Schubhaft befunden habe.

4. Dagegen wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie auf persönliche Freiheit gemäß den Art1 ff. des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988 (im folgenden: BVG SchPersFr), geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der ua. folgendes ausgeführt wird:

"1.2. Bereits gemäß §5a Abs1 des Fremdenpolizeigesetzes - FrPG hatte, wer in Schubhaft genommen oder angehalten wird, das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit der Festnahme oder Anhaltung anzurufen. Daraus geht hervor, daß ein solches Beschwerderecht nur den tatsächlich in Schubhaft angehaltenen Personen zukommt (arg. 'angehalten wird'). Eine vor der Inhaftnahme bzw. nach einer Haftentlassung eingebrachte Beschwerde ist daher unzulässig.

In ständiger Judikatur hat auch der Verwaltungsgerichtshof, ua. im Beschluß vom 11. Mai 1992, Zl. 92/18/0153, vom 3.12.1992, Zl. 92/18/0390, vom 25.2.1993, Zl. 93/18/0044/3, vom 14. April 1993, Zl. 93/18/0062 und im Erkenntnis vom 3.5.1993, Zl. 93/18/0018 zu §5a FrPG festgestellt, daß das Beschwerderecht gemäß §5a FrPG nur jenen Personen zusteht, die sich im Zeitpunkt der Erhebung der Beschwerde in Schubhaft befinden, nicht aber solchen, bei denen dies noch nicht oder nicht mehr der Fall ist. Hat sich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat nicht mehr in Schubhaft befunden, stand ihm das Beschwerderecht nach §5a FrPG nicht zu.

Dies entspricht auch der Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 12. März 1992, G346/91-18, G5/92-15, G6/92-14 bzw. vom 15. Juni 1992, B66/92-6, worin ausgeführt wird, daß das Beschwerderecht (nur) jenen Personen zusteht, 'die - tatsächlich - in Schubhaft genommen und angehalten werden.'

Dabei ist aber Bedacht zu nehmen, daß dem unabhängigen Verwaltungssenat nach §5a FrPG eine Befugnis zur Prüfung des Schubhaftbescheides nicht zukommt.

1.3. Wurde durch die neue Rechtslage, BGBl. Nr. 838/1992, zwar die Prüfung des Schubhaftbescheides im Rahmen eines Schubhaftbeschwerdeverfahrens dem UVS übertragen, so hat aber grundsätzlich das Recht, Beschwerde zu erheben, durch das Inkrafttreten des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, keine Änderung erfahren.

Gemäß §41 Abs4 FrG kann die Verhängung der Schubhaft mit Beschwerde gemäß §51 angefochten werden. Diese Bestimmung schließt ausdrücklich eine Vorstellung bzw. Berufung aus (vgl. §70 Abs3, letzter Satz, FrG) - im Sinn der umfassenden Prüfungsbefugnis des UVS im Beschwerdeverfahren war daher dieser Ausschluß unbedingt erforderlich - und sagt über die Bekämpfbarkeit der Schubhaft noch nichts näheres aus, sondern gibt schon aufgrund ihres Verweises zu erkennen, daß der Rechtsschutz hinsichtlich Voraussetzungen und Verfahren gesondert geregelt wird.

Gemäß §51 Abs1 FrG hat, wer gemäß §43 festgenommen worden ist oder unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird, das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen.

Unbeschadet der Beschwerdemöglichkeit eines ohne weiteres Verwaltungsverfahren und ohne Bescheid gemäß §43 Festgenommenen hat daher jener ein Beschwerderecht, der 'unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird'. Schon aus dem Wortlaut läßt sich daher die Voraussetzung der Anhaltung zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung erkennen.

Es lassen aber auch die in der Folge die Schubhaftbeschwerde regelnden Bestimmungen erkennen, daß vom Regelfall der Anhaltung zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung ausgegangen wird. Ausdrücklich in Unterschied davon wird der Fall gesetzt, daß der Inhaftierte nachträglich (nach Beschwerdeerhebung) aus der Haft entlassen wird. So unterscheiden die §§51 und 52 FrG zwischen einer Beschwerde eines noch Angehaltenen und einer Beschwerde eines nach Beschwerdeeinbringung Haftentlassenen, und regeln hiefür zB die Pflicht der Erstbehörde zur Aktenvorlage, die Entscheidungsfrist des unabhängigen Verwaltungssenates, den Entscheidungsgegenstand usw.

1.4. Den Fall, daß ein Schubhaftbescheid tatsächlich nie vollzogen wird, regelt das FrG durch §41 Abs2, letzter Satz. Danach gelten nicht vollstreckte Schubhaftbescheide 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

1.5. Ein mangelhafter Rechtsschutz läßt sich hingegen nicht erkennen. Ist der Schubhaftbescheid im ordentlichen Verwaltungsweg (Vorstellung, Berufung) nicht anfechtbar, so steht den Betroffenen jedenfalls die Beschwerdemöglichkeit an die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts zu. Dies gilt sowohl für Schubhaftbescheide, die nie vollstreckt wurden - wenngleich diese Beschwerdemöglichkeit zufolge des Außerkrafttretens wohl nicht angestrebt wird -, als auch für die Bekämpfung von Schubhaftbescheiden nach Haftentlassung.

Lediglich wenn sich der Betroffene in Haft befindet, kommt dem unabhängigen Verwaltungssenat die Kompetenz zur Prüfung des Schubhaftbescheides - als unabdingbare Voraussetzung für eine rechtmäßige Haftanhaltung - zu.

Dies steht auch nicht im Widerspruch zu §52 Abs4, letzter Satz, FrG, da diese Regelung lediglich eine Doppelgeleisigkeit bzw. Doppelzuständigkeit für den Fall ausschließt, daß der Fremde vor der Festnahme einen Schubhaftbescheid beim Verwaltungsgerichtshof anficht und während der Anhängigkeit dieses Beschwerdeverfahrens dann festgenommen wird und eine Anfechtung des Schubhaftbescheides nunmehr im Rahmen einer Schubhaftbeschwerde vor dem unabhängigen Verwaltungssenat anstrengt. Aus dieser Regelung ist aber keinesfalls zu schließen, daß nach jeder Festnahme die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gegen einen Schubhaftbescheid grundsätzlich jedenfalls ausgeschlossen wäre. Es kommt daher dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen keine Berechtigung zu.

1.6. Die aufgezeigte alte und neue Rechtslage entspricht nach

h. Ansicht im übrigen auch den Garantien des Art6 Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988, der jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, somit allen bereits festgenommenen oder angehaltenen Personen (nicht aber in Freiheit befindlichen oder in einer anderen Haft befindlichen Adressaten eines Schubhaftbescheides), die Anrufung eines Gerichtes oder einer anderen unabhängigen Behörde gewährt (vgl. auch die obzit. Judikatur des VfGH).

Aber auch Art5 Abs4 EMRK spricht jedermann, dem seine Freiheit durch Festnahme oder Haft entzogen wird, das Recht zu, ein Verfahren zu beantragen, in dem von einem Gericht ehetunlich über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden wird und im Fall der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird.

Aus den genannten Verfassungsbestimmungen, welche eine Garantie bzw. einen Schutz des Rechts auf persönliche Freiheit enthalten, erhellt, daß ein solches Haftprüfungsrecht bzw. die staatliche Pflicht zur Prüfung durch ein Gericht nur für eine in Haft gehaltene Person statuiert wird, nämlich zu dem Zweck, die Rechtmäßigkeit der Haft festzustellen und für den Fall der Unrechtmäßigkeit die Haftentlassung zu erwirken (habeas corpus-Verfahren).

Zur Erreichung des eben genannten Zweckes einer Haftprüfung - nämlich die sofortige Haftentlassung bei Rechtswidrigkeit der Haft -, gibt daher sowohl das BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit als auch die EMRK schon nach dem Wortlaut zu erkennen, daß Voraussetzung für eine Haftprüfung die Inhaftierung ist (arg. 'festgenommen oder angehalten wird' in Art6 Abs1 des zitierten BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, sowie 'seine Freiheit durch Festnahme oder Haft entzogen wird' in Art5 Abs4 EMRK).

Davon ist die Formulierung der Entschädigungsregelung zu unterscheiden. Jedermann, der rechtswidrig festgenommen oder angehalten wurde, hat Anspruch auf volle Genugtuung (Art7 BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit). Auch nach Art5 Abs5 EMRK hat jeder, der entgegen den Bestimmungen dieses Artikels von Festnahme oder Haft betroffen worden ist, Anspruch auf Schadenersatz.

1.7. Zur Wahrung dieser verfassungsrechtlichen Garantien wurde daher auch in der Strafprozeßordnung ein Haftprüfungsverfahren zur Überprüfung der Gründe der Fortsetzung der Untersuchungshaft usw. vorgesehen (§§113, 114 bzw. 194 StPO).

Dieser Grundsatz liegt auch dem mit 1. Jänner 1993 in Kraft getretenen Grundrechtsbeschwerde-Gesetz - GRBG, BGBl. Nr. 864/1992, zugrunde. Auch dieses Gesetz geht von einer für den Betroffenen negativen strafgerichtlichen Entscheidung oder Verfügung aus, aufgrund deren er in Haft ist. Lediglich in §2 Abs2 leg.cit. ist ausnahmsweise eine Beschwerdemöglichkeit gegen die die Freiheitsbeschränkung beendende Entscheidung oder Verfügung für den Fall, daß sie zu spät getroffen wurde, eingeräumt. Sowohl das Haftprüfungsverfahren nach der StPO als auch das Grundrechtsbeschwerdeverfahren sind als habeas corpus-Verfahren anzusehen (vgl. Dr. Michael Graff, Die Grundrechtsbeschwerde an den OGH in ÖJZ, Heft 23, 47. Jahrgang, Dezember 1992).

1.8. Die gleiche Zielsetzung wie im strafgerichtlichen Verfahren liegt auch dem gegenständlichen Schubhaftbeschwerdeverfahren zugrunde. Dies ist auch den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Fremdengesetz (GP XVIII. RV 692, zu §41 auf Seite 50 sowie zu §§51 und 52 auf Seite 54) zu entnehmen.

2. Im Grunde dieser Ausführungen ist daher den Beschwerdeausführungen (Seite 4) dahingehend beizupflichten, daß ein in Schubhaft Angehaltener, der eine Schubhaftbeschwerde erhebt, diese Beschwerdelegitimation durch eine nachträgliche Haftentlassung nicht verliert. Richtig sind auch die weiteren Beschwerdeausführungen, daß, sofern die Beschwerde vor der Haftentlassung eingebracht wurde, sich die Entscheidungsbefugnis danach richtet, ob die Anhaltung fortbesteht oder nicht (§52 Abs4 FrG). Den weiteren Beschwerdeausführungen kann sich der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich nicht anschließen, da - wie schon unter Punkt 1 ausführlich dargelegt wurde - der §52 FrG das Konzept eines habeas corpus-Verfahrens aufweist, dessen vorrangigstes Ziel die Beendigung des Rechtseingriffes ist. In diesem Zusammenhang ist auch - nach der nunmehrigen Rechtslage - der der Haft zugrundeliegende und diese begründende Schubhaftbescheid zu prüfen. Dabei kann trotz Nichtvorliegens bzw. Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides die weitere Anhaltung in Schubhaft bei Vorliegen der übrigen Haftvoraussetzungen bzw. der Haftgründe rechtmäßig sein.

Ist aber ein Schubhaftbeschwerdeverfahren noch nicht - der Schubhaftbescheid wurde noch nicht vollzogen - oder nicht mehr - der Betroffene wurde aus der Schubhaft bereits entlassen - möglich, so bleibt es dem Betroffenen jedenfalls unbenommen, den rechtskräftigen - weil nicht im ordentlichen Verfahren anfechtbaren - Bescheid bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts anzukämpfen. Dagegen spricht auch nicht §52 FrG (sh. oben Pt. 1.5.).

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vertritt daher die Auffassung, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in keinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde, und stellt daher den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge die Beschwerde gemäß §88 des VfGG 1953 als unbegründet abweisen und dem Beschwerdeführer den Ersatz der Prozeßkosten auferlegen, welche vor dem Ende einer allenfalls stattfindenden mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof durch Überreichung einer schriftlichen Kostennote geltend gemacht werden."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die hier maßgeblichen Regelungen des FrG lauten:

1.1. §41 FrG:

"Schubhaft

§41. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern.

(2) Die Schubhaft ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß §57 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß §57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(3) Hat der Fremde einen Zustellungsbevollmächtigten, so gilt die Zustellung des Schubhaftbescheides auch in dem Zeitpunkt als vollzogen, in dem eine Ausfertigung dem Fremden tatsächlich zugekommen ist. Die Zustellung einer weiteren Ausfertigung an den Zustellungsbevollmächtigten ist in diesen Fällen unverzüglich zu veranlassen.

(4) Die Verhängung der Schubhaft kann mit Beschwerde gemäß §51 angefochten werden."

1.2. §51 FrG:

"Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat

§51. (1) Wer gemäß §43 festgenommen worden ist oder unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird, hat das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen.

(2) Die Beschwerde kann auch bei der Behörde eingebracht werden, der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist; erfolgt die angefochtene Anhaltung in Vollziehung eines Schubhaftbescheides, so kann die Beschwerde auch bei der Behörde eingebracht werden, die den Bescheid erlassen hat.

(3) Wird die Beschwerde bei der Behörde gemäß Abs2 eingebracht, so hat diese dafür zu sorgen, daß sie, sofern die Anhaltung des Beschwerdeführers nicht schon vorher geendet hat, dem unabhängigen Verwaltungssenat spätestens zwei Tage nach dem Einlangen vorliegt. Die Behörde, die den Beschwerdeführer anhält, hat dem unabhängigen Verwaltungssenat ein Ende der Anhaltung während des Beschwerdeverfahrens unverzüglich mitzuteilen.

(4) Hat die Anhaltung des Fremden hingegen schon vor Ablauf der Frist des Abs3 geendet, so ist die Behörde gemäß Abs2 verpflichtet, die Beschwerde dem unabhängigen Verwaltungssenat ohne unnötigen Aufschub vorzulegen."

1.3. §52 FrG:

"Entscheidung durch den unabhängigen Verwaltungssenat

§52. (1) Zur Entscheidung über die Beschwerde ist der unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel der Beschwerdeführer festgenommen wurde.

(2) Über die Beschwerde entscheidet der unabhängige Verwaltungssenat durch eines seiner Mitglieder. Im übrigen gelten die §§67 c bis 67 g sowie 79 a AVG mit der Maßgabe, daß

1. eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, und

2. die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen hat, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet.

(3) Beschwerden, bei denen §67c Abs2 AVG nicht eingehalten wurde, sind zur Behebung der Mängel unter Gewährung einer kurzen Frist zurückzustellen; die Versäumung dieser Frist gilt als Zurückziehung. Ein solcher Antrag hemmt den Ablauf der Entscheidungsfrist des Abs2 Z2.

(4) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat der unabhängige Verwaltungssenat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden. Die Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides ist jedoch als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Fremde vor der Festnahme deswegen auch den Verwaltungsgerichtshof angerufen hat."

1.4. Schließlich ordnet der zweite Satz des §70 Abs3 FrG an, daß gegen die Anordnung der Schubhaft weder eine Vorstellung noch eine Berufung zulässig ist.

2. Zwischen den Parteien dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens ist strittig, ob der unabhängige Verwaltungssenat zur sachlichen Behandlung der vom Beschwerdeführer erst nach seiner Entlassung aus der Schubhaft eingebrachten, auf §51 FrG gestützten Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme und Anhaltung zuständig ist oder nicht.

2.1. Der angefochtene Bescheid begründet die Zurückweisung der Beschwerde damit, schon aus dem Wortlaut des §51 Abs1 FrG (arg.: "angehalten wird") ergebe sich, daß das "Recht zur Schubhaftbeschwerde" nur dann bestehe, wenn sich der Beschwerdeführer in Schubhaft befinde; eine (vor der Inhaftnahme bzw.) nach einer Haftentlassung eingebrachte Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat sei daher unzulässig. Diese Auffassung entspreche auch jener, die der Verwaltungsgerichtshof zu §5a FrPolG entwickelt habe. "Das Recht, Beschwerde zu erheben, hat durch das Inkrafttreten des Fremdengesetzes keine Änderung erfahren", heißt es dazu im angefochtenen Bescheid.

In ihrer Gegenschrift legt die belangte Behörde ihre Auffassung im einzelnen dar, daß sich ihre Unzuständigkeit im vorliegenden Fall aus dem Wortlaut des §51 Abs1 FrG und aus dem Ziel der Schubhaftbeschwerde ergebe, dem Schubhäftling zur Entlassung aus der Haft zu verhelfen ("habeas corpus-Verfahren"); nach Entlassung bestehe kein derartiges Rechtsschutzinteresse mehr. Aus ihrer Sicht bestehe auch keine Rechtsschutzlücke, da aus dem letzten Satz des §52 Abs4 FrG nicht abzuleiten sei, "daß nach jeder Festnahme die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gegen einen Schubhaftbescheid grundsätzlich jedenfalls ausgeschlossen wäre." Die Beschwerdemöglichkeit an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts stehe nicht nur offen, solange ein Schubhaftbescheid noch nicht vollstreckt worden sei, sondern auch "nach Haftentlassung."

2.2. Demgegenüber ist der Beschwerdeführer der Ansicht, Zweck einer Schubhaftbeschwerde gemäß §51 FrG sei nicht ausschließlich die Beendigung eines gesetzwidrigen Freiheitsentzuges. Aus den Regelungen des FrG ergebe sich, daß der unabhängige Verwaltungssenat - zumindest unter bestimmten Voraussetzungen - auch dann noch über eine Beschwerde zu entscheiden habe, wenn der Freiheitsentzug nicht mehr andauere. Bezwecke das Haftprüfungsverfahren aber nicht nur die Beendigung einer aufrechten Haft, sondern auch die Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges schlechthin, sei nicht einzusehen, warum ein relevanter Unterschied darin bestehe, wann der Betroffene die Beschwerde beim unabhängigen Verwaltungssenat eingebracht habe. Diese Überlegungen werden durch Hinweise auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Rechtsstaatsprinzip und zum Rechtsschutzsystem des B-VG ergänzt.

2.3. Die Beschwerde ist im Ergebnis im Recht. Der belangten Behörde (gleicher Auffassung auch auf Grundlage des FrG inzwischen VwGH 28.10.1993, 93/18/0424) ist zwar zuzugestehen, daß der Wortlaut des §51 Abs1 FrG (welcher auf die Gegenwartsform abstellt) die von ihr gewählte Auslegung zuließe, doch verbietet sich diese aus folgenden Überlegungen:

2.3.1. Gemäß §51 Abs1 FrG hat, wer gemäß §43 festgenommen worden ist oder unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird, das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtwidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen. Diese Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates fällt nicht weg, wenn der Schubhäftling aus der Schubhaft entlassen worden ist. Daß auch diesfalls seine Rechtsschutzinteressen und seine Beschwer mit gutem Grunde nicht verneint werden können, gesteht auch die belangte Behörde zu; sie meint aber, dem sei dadurch entsprochen, daß nunmehr wieder der Rechtszug an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts eröffnet werde. Dieser Auffassung vermag sich der Verfassungsgerichtshof jedoch nicht anzuschließen, weil das FrG keinen Anhaltspunkt für eine solche Zuständigkeitsverschiebung bietet.

Ihre Auffassung, Schubhaftbeschwerden hätten das Ziel, dem Schubhäftling zur Entlassung aus der Haft zu verhelfen, relativiert die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift selbst; sie ist in der Tat weder mit dem FrG noch mit dem BVG SchPersFr vereinbar.

Nach §52 Abs2 Z2 FrG hat die Entscheidung des

unabhängigen Verwaltungssenates über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Gemäß §52 Abs4 FrG hat der unabhängige Verwaltungssenat, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls bestimmte Feststellungen zu treffen. Daraus ist abzuleiten, daß der unabhängige Verwaltungssenat grundsätzlich (ausgenommen etwa der im letzten Satz des §52 Abs4 FrG genannte Fall oder allfällige Prozeßhindernisse) auch nach Beendigung der Anhaltung des Fremden über dessen Schubhaftbeschwerde zu entscheiden zuständig ist. (Der Verfassungsgerichtshof hat schon zur Rechtslage nach dem FrPolG mehrfach ausgesprochen (vgl. VfGH 12.3.1992, G346/91 ua., 9.6.1992, B1107/91, und vom selben Tage, B 1200,1201/91), daß der unabhängige Verwaltungssenat - als Haftprüfungsinstanz - über die Frage der Rechtmäßigkeit der Anhaltung nach §5a FrPolG auch für den Fall, daß die Haft vor dem Zeitpunkt seiner Entscheidung endete, zu befinden hatte.)

Die von der belangten Behörde gewählte Lösung widerspricht aber auch Art6 Abs1 des BVG SchPersFr. Art6 leg.cit. lautet:

"Artikel 6

(1) Jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, hat das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.

(2) Im Fall einer Anhaltung von unbestimmter Dauer ist deren Notwendigkeit in angemessenen Abständen durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde zu überprüfen."

Zwar heißt es dazu in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage, Art6 des Entwurfes - der von den gesetzgebenden Organen in der vorgeschlagenen Form auch beschlossen wurde - sei an Art5 Abs4 EMRK "orientiert" (134 BlgNR 17. GP, S 7). Mag auch eine solche "Orientierung" stattgefunden haben, zeigt doch eine Bedachtnahme auf den zweiten Satz des Art6 Abs1 des BVG SchPersFr eine wesentliche Abweichung. Aus dieser Bestimmung ist nämlich nicht etwa abzuleiten, daß bei inzwischen vorgenommener Freilassung des Schubhäftlings sein Anspruch auf Entscheidung darüber, ob seine Festnahme und Anhaltung rechtmäßig waren oder nicht, entfällt, vielmehr wird damit angeordnet, daß diese Entscheidung diesfalls nicht zwingend innerhalb einer Woche zu ergehen hat. Somit begründet Art6 Abs1 des genannten BVG einen Anspruch des Schubhäftlings auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung auch dann, wenn diese schon beendet worden ist (so auch Thienel, Schubhaftprüfung verfassungskonform?, ÖJZ 1992, 705 ff. [707]; vgl. auch OGH SZ 60/12, 24.4.1991, 1 Ob 549/91, 17.6.1993, 8 Ob 537/93).

Hat ein Schubhäftling aber Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner - gesamten - Anhaltung auch nach Beendigung der Schubhaft, wäre es gesetz- und verfassungswidrig, ihm diesen Anspruch durch eine einschränkende Auslegung des §51 Abs1 FrG aus der Hand zu schlagen. Nicht nur wäre es dadurch faktisch häufig ausgeschlossen, die Zeit unmittelbar vor Beendigung der Schubhaft überhaupt überprüfen zu lassen, würde die Zulässigkeit einer Schubhaftbeschwerde insgesamt von dem - vom Rechtsunterworfenen nicht vorhersehbaren und nur beschränkt und indirekt beeinflußbaren - Umstand der Beendigung der Schubhaft, im Ergebnis also von Zufälligkeiten abhängen.

Indes ist die von der belangten Behörde gewählte Auslegung keineswegs zwingend. Vielmehr kommt der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis, daß auch nach Entlassung des Schubhäftlings aus der Schubhaft eine Anrufung des unabhängigen Verwaltungssenates zulässig ist.

2.3.2.1. Für Beschwerden gemäß §51 FrG gelten laut §52 Abs2 FrG die §§67c bis 67g AVG. §67c Abs1 AVG sieht eine Beschwerdefrist von sechs Wochen, und zwar primär ab Kenntnisnahme von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor. Eine Schubhaftbeschwerde kann jedenfalls während der gesamten Dauer der Schubhaft eingebracht werden; vor deren Beendigung kann sich die Frage der Befristung der Einbringung gar nicht stellen. Unter Würdigung aller Umstände ist deshalb davon auszugehen, daß - soweit die Beschwerdebefugnis nicht schon konsumiert wurde - Beschwerden gemäß §51 Abs1 FrG auch innerhalb einer Frist von sechs Wochen ab Beendigung der Schubhaft erhoben werden können.

2.3.2.2. Hier wurde der Schubhaftbescheid am 1. März 1993 zugestellt, am selben Tag in Vollzug gesetzt und am 22. März 1993 die Schubhaft durch Abschiebung in die Türkei beendet. Die Beschwerde wurde am 29. März 1993, also rechtzeitig erhoben.

3. Die Zurückweisung der Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid sowie gegen die Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde erweist sich somit als verfehlt.

Der angefochtene Bescheid verletzt deshalb den Beschwerdeführer in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf persönliche Freiheit; er war deshalb insgesamt aufzuheben.

III.1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag sind S 2.500,-- an Umsatzsteuer enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, und Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Fremdenpolizei, Schubhaft, Behördenzuständigkeit, Unabhängiger Verwaltungssenat, Verwaltungsverfahren, Fristen (Beschwerde)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B960.1993

Zuletzt aktualisiert am

08.07.2008
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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