TE Vwgh Beschluss 2022/9/13 Ra 2022/19/0186

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Veröffentlicht am 13.09.2022
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Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision 1. des I S, 2. der Z S, 3. der Z S, 4. des V S, 5. des K S und 6. des A S, alle vertreten durch MMag. Dr. Stephan Vesco, LL.M., Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2022, 1. W189 2253915-1/8E, 2. W189 2253921-1/8E, 3. W189 2253923-1/8E, 4. W189 2253917-1/8E, 5. W189 2253920-1/8E und 6. W189 2253914-1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und Eltern der Dritt- bis Sechstrevisionswerber. Alle Revisionswerber sind Staatsangehörige der Russischen Föderation.

2        Mit Bescheiden des Bundesasylamts vom 14. Mai 2007 wurde den Erst- bis Fünftrevisionswerbern aufgrund ihrer Anträge auf internationalen Schutz vom 18. August 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihnen kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Den Revisionswerbern wurde im Wesentlichen aufgrund der Teilnahme des Erstrevisionswerbers im ersten Tschetschenienkrieg, seiner Tätigkeit im Antiterrorzentrum der Tschetschenischen Republik Itschekria von 1996-1999 und der Verfolgung des Erstrevisionswerbers durch russische Behörden, sowie Anhänger von Kadyrow nach dem Ausbruch des zweiten Tschetschenienkrieges der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

3        Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 7. März 2011 wurde dem Sechstrevisionswerber aufgrund seines Antrages auf internationalen Schutz vom 1. März 2011 im Familienverfahren der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

4        Mit Bescheiden vom 22. März 2022, vom 3. März 2022, vom 28. März 2022 und vom 4. März 2022 erkannte das BFA den Revisionswerbern den Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab, stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihnen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, erkannte den Revisionswerbern den Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zu und erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß § 57 AsylG 2005.

5        Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis - soweit hier maßgeblich - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Zur Aberkennung des Asylstatus führte das BVwG zusammengefasst aus, die Umstände, aufgrund derer den Revisionswerbern Asyl gewährt worden seien, hätten sich insofern geändert, als die Tschetschenienkriege zu Ende seien, den Revisionswerbern nunmehr bei einer Rückkehr nach Tschetschenien keine asylrelevante Verfolgung (mehr) drohe und daher der Tatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) erfüllt sei. Teilnehmer der beiden Tschetschenienkriege würden heute allein wegen ihrer Teilnahme nicht mehr bedroht werden. Außerdem habe die Zweitrevisionswerberin mit der Ausstellung russischer Pässe für sich und ihre Kinder und der Einreise in die Russische Föderation den Tatbestand der „Unterschutzstellung“ nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 1 der GFK erfüllt. Zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten führte das BVwG zusammengefasst aus, dass den Revisionswerbern bei einer Rückkehr nach Tschetschenien, etwa in den Heimatort Serzhen-Yurt, keine Verletzung ihrer nach Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Zur Begründung ihrer Zulässigkeit wendet sich die Revision (der Sache nach) zunächst gegen die Aberkennung des Status der Asylberechtigten und bringt dazu die Zweitrevisionswerberin betreffend im Wesentlichen vor, das BVwG übersehe, das die Zweitrevisionswerberin nur für sich sowie drei ihrer (am Verfahren nicht beteiligten) Kinder russische Reisepässe habe ausstellen lassen, der Erstrevisionswerber dagegen gewesen sei und er, sowie die Dritt- bis Fünftrevisionswerber keinen Kontakt mit der Vertretungsbehörde aufgenommen hätten. Das BVwG sei zudem nicht auf die Umstände der Reise der Zweitrevisionswerberin in die Russische Föderation (Besuch aufgrund des Gesundheitszustandes der Mutter der Zweitrevisionswerberin, Weiterreise von Moskau nach Tschetschenien mit dem Bus, Aufenthalt lediglich im Haus ihrer Mutter) eingegangen.

11       Gemäß § 7 Abs. 2 AsylG 2005 gelten als Hinweise für das Eintreten eines in Art. 1 Abschnitt C Z 1, 2 oder 4 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgrundes insbesondere die Einreise des Asylberechtigten in seinen Herkunftsstaat oder die Beantragung und Ausfolgung eines Reisepasses seines Herkunftsstaates.

12       Nach Artikel 11 Abs. 1 lit. a der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser nicht mehr Flüchtling, wenn er sich freiwillig erneut dem Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt.

13       Der Verwaltungsgerichtshof vertrat mit näherer Begründung in seinem Erkenntnis vom 15. Mai 2003, 2001/01/0499, zum Asylgesetz 1997 die Ansicht, dass die erfolgreiche Beantragung der Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses des Heimatstaates auch dann zur Beendigung der Flüchtlingseigenschaft führen kann, wenn im Heimatstaat selbst weiterhin die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung besteht und eine Rückkehr dorthin nicht beabsichtigt ist. In Abkehr zur Judikatur zu den Vorgängerbestimmungen des § 7 Asylgesetz 1997 hielt er aber fest, dass neben den Voraussetzungen des tatsächlichen Erhaltes des Schutzes und der Freiwilligkeit auch - unter dem Gesichtspunkt des Wunsches einer Normalisierung der Beziehungen zum Herkunftsstaat - das Erfordernis eines auf die Unterschutzstellung als solche abzielenden Willens maßgeblich ist. Dem Betroffenen sei die Gelegenheit zu geben, die neuerliche Erfüllung der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft darzutun, wenn die Unterschutzstellungsabsicht im Entscheidungszeitpunkt wieder aufgegeben wurde (vgl. VwGH 17.9.2021, Ra 2020/19/0420, mwN).

14       Der Verwaltungsgerichtshof hielt vor dem Hintergrund der insoweit unverändert gebliebenen Genfer Flüchtlingskonvention, deren Art. 1 Abschnitt C Z 1 wortgleich in die Statusrichtlinie aufgenommen wurde, auch für das AsylG 2005 an den eben wiedergegebenen Aussagen dieses Erkenntnisses fest, so dass für die Annahme einer Unterschutzstellung die Freiwilligkeit, der tatsächliche Schutzerhalt und die Unterschutzstellungsabsicht vorliegen müssen (vgl. erneut VwGH Ra 2020/19/0420, mwN).

15       Aus der Rechtsprechung ergibt sich auch, dass der Umstand einer Heimreise in den Herkunftsstaat ein Indiz dafür sein kann, dass der Asylberechtigte keinen Schutzbedarf mehr hat und sich vielmehr dem Schutz seines Heimatlandes erneut unterstellt hat. Daher wird der Asylberechtigte im Aberkennungsverfahren die Gründe für sein Verhalten plausibel zu erklären haben. Es sind die konkreten Umstände der Reise zu erheben, die Aufschluss über das Motiv der Heimreise, den Ablauf des konkreten Aufenthaltes und der vom Flüchtling vorgefundenen Gefahrenlage, geben. Es wird auch eine Gewichtung der Motivation zur Heimreise und der Gefahrenlage im Herkunftsstaat, sowohl in subjektiver als auch objektiver Hinsicht, vorzunehmen sein, um den Aufenthalt als „beabsichtigte“ Unterschutzstellung werten zu können. Die alleinige Feststellung des temporären Aufenthaltes im Heimatstaat reicht weder für die Annahme der Unterschutzstellung noch für deren Verneinung aus (vgl. erneut VwGH Ra 2020/19/0420, mwN).

16       Im gegenständlichen Fall stellte das BVwG fest, der Zweitrevisionswerberin sei von der russischen Botschaft in Wien ein Auslandsreisepass ausgefolgt worden und sie sei für die Dauer ca. eines Monats in der Russischen Föderation aufhältig gewesen. Das BVwG sprach jedoch dem Vorbringen der Zweitrevisionswerberin, die Reisepassausstellung sei zum Zweck des Besuches ihrer kranken Mutter erfolgt und die Zweitrevisionswerberin habe sich während ihres Aufenthaltes im Haus der Mutter versteckt, mit näherer Begründung die Glaubwürdigkeit vertretbar im Sinne der hg. Rechtsprechung ab (zum diesbezüglichen Prüfungsmaßstab vgl. etwa VwGH 9.6.2022, Ra 2022/19/0042, mwN; dazu, dass das Motiv der Reise - der Besuch der kranken Mutter - im Zusammenhang mit einer Reisepassausstellung kein ausreichender Beleg dafür ist, dass die Betroffene sich nicht unter den Schutz ihres Herkunftsstaates stellen wollte, vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0046, Rn. 27). Die Revision legt fallbezogen nicht dar, dass das BVwG von den oben wiedergegebenen Leitlinien der hg. Rechtsprechung abgewichen wäre.

17       Soweit die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit des Weiteren geltend macht, dass zur - vom BVwG nicht als „hinreichend exponierend“ erachteten - Vernetzung des Erstrevisionswerbers in der tschetschenischen „Exilcommunity“ jegliche amtswegigen Ermittlungen fehlen würden und es jeder Logik entbehre, dass die Teilnahme des Erstrevisionswerbers an einer rezenten Demonstration in Wien kein öffentliches Auftreten darstellen würde, rügt sie einen Verfahrensmangel.

18       Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs- und Begründungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung auch die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 7.6.2022, Ra 2022/19/0011, mwN). Eine solche Darlegung enthält die Revision in der Zulässigkeitsbegründung nicht.

19       Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit des Weiteren vor, dass die wehrpflichtigen Viert- und Fünftrevisionswerber als Angehörige einer Minderheit gefährdet wären, für den Krieg gegen die Ukraine eingezogen zu werden. Die gegenteilige Annahme des BVwG sei spekulativ und das BVwG habe auch insofern gegen seine Begründungspflicht verstoßen.

20       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 8.6.2022, Ra 2022/19/0047, mwN).

21       Das BVwG setzte sich mit dem Vorbringen einer Einberufung des Viert- und des Fünftrevisionswerbers auseinander und kam unter Einbeziehung der aktuellen Länderberichte betreffend die Einberufung zum Wehrdienst in der Russischen Föderation zum Ergebnis, dass ihnen bei einer Rückkehr eine Einberufung in den russischen Krieg in der Ukraine nicht drohe. Die Revision zeigt nicht auf, dass diese Würdigung an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leidet.

22       Wenn sich die Revision - soweit erkennbar - pauschal gegen die Beurteilung des BVwG wendet, die Drittrevisionswerberin habe sich keinen „freiheitlichen“ Lebensstil angeeignet, ist darauf hinzuweisen, dass das BVwG ausführte, die Drittrevisionswerberin habe weder in der Einvernahme vor dem BFA noch in der Beschwerde noch in der mündlichen Verhandlung konkret dargelegt, inwiefern sie einen „freiheitlichen Lebensstil“ pflege, sodass diesem Vorbringen mangels konkreter Anhaltspunkte nicht gefolgt werden könne. Auch diesen Erwägungen tritt die Revision nicht substantiiert entgegen.

23       Soweit die Revision schließlich vorbringt, die fehlende soziale Verankerung im Herkunftsland, Sozialisation und Schulbesuch der Dritt- bis Fünftrevisionswerber in Österreich seien vom BVwG nicht weiter erforscht worden, macht sie wiederum Ermittlungsmängel geltend, ohne deren konkrete Relevanz darzulegen.

24       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 13. September 2022

Schlagworte

Auswertung in Arbeit!

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022190186.L00

Im RIS seit

05.10.2022

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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