TE Vwgh Erkenntnis 2022/5/4 Ra 2020/06/0105

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Veröffentlicht am 04.05.2022
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §10
AVG §10 Abs1
AVG §10 Abs4
AVG §23 Abs1
AVG §41
AVG §41 Abs1
AVG §42
AVG §42 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des G H in B, vertreten durch Dr. Christian Pichler, Rechtsanwalt in 6600 Reutte, Untermarkt 16, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 25. Februar 2020, LVwG-2020/40/0168-3, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde Breitenwang; mitbeteiligte Partei: R G in W, vertreten durch Mag. Harald Rossmann, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurner Straße 16, weitere Partei: Tiroler Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Gemeinde Breitenwang hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Dem Rechtsvorgänger des Mitbeteiligten war mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Breitenwang in Tirol vom 24. November 1971 die Baubewilligung für die Errichtung eines Zubaus an das bestehende Wohnhaus sowie die Aufstockung des Garagentraktes auf Grundstück Nr. x KG B erteilt worden.

2        Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (Landesverwaltungsgericht) die am 18. April 2019 gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde zurück und erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig.

3        In der Begründung des angefochtenen Beschlusses legte das Landesverwaltungsgericht dar, dass die Ladung zur Bauverhandlung wie auch der Baubescheid vom 24. November 1971 dem Rechtsvorgänger des Revisionswerbers durch Übergabe an dessen an Mutter - die im selben Haus und an derselben Adresse, aber in getrennten Wohneinheiten wie der Rechtsvorgänger des Revisionswerbers gewohnt habe - ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Der Revisionswerber müsse daher die für seinen Rechtsvorgänger eingetretene Präklusion gegen sich gelten lassen. Zudem habe sein Rechtsvorgänger gegen den ordnungsgemäß zugestellten Bescheid kein Rechtsmittel erhoben und dieser sei ihm gegenüber somit in Rechtskraft erwachsen. Darüber hinaus habe der Vater des Rechtsvorgängers des Revisionswerbers in der mündlichen Bauverhandlung vom 12. November 1971 eine dem Rechtsvorgänger des Revisionswerbers zurechenbare Einverständniserklärung zum gegenständlichen Bauvorhaben erteilt.

4        In der in Folge eingebrachten außerordentlichen Revision macht der Revisionswerber die Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

5        Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei beantragten in ihren Revisionsbeantwortungen jeweils die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7        Die Revision erweist sich angesichts ihres Vorbringens zur Unwirksamkeit der vorgenommenen Ersatzzustellung als zulässig.

8        Die im Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes, BGBl. Nr. 172/1950, lauten:

Vertreter

§ 10. (1) Die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter können sich, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben. Vor der Behörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden; zu ihrer Beurkundung genügt ein Aktenvermerk.

(2) Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis richten sich nach den Bestimmungen der Vollmacht; hierüber auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen. Die Behörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des § 13 Abs. 3 von Amts wegen zu veranlassen.

(...)

(4) Die Behörde kann von einer ausdrücklichen Vollmacht absehen, wenn es sich um die Vertretung durch amtsbekannte Familienmitglieder, Haushaltungsangehörige, Angestellte oder durch amtsbekannte Funktionäre von beruflichen oder anderen Organisationen handelt und Zweifel über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis nicht obwalten.“

Ersatzzustellung

§ 23. (1) Wird der Empfänger in der Wohnung (Kanzlei, gewerbliche Betriebsstätte, Geschäftsraum, Arbeitsplatz) nicht angetroffen, so kann an jeden daselbst befindlichen, dem Zusteller bekannten erwachsenen Angestellten oder zur Familie gehörigen Hausgenossen des Empfängers zugestellt werden.

(2) Werden auch solche Personen nicht angetroffen, so kann das zuzustellende Schriftstück dem in demselben Hause wohnenden Vermieter oder einer von diesem bestellten, ebenda wohnenden Aufsichtsperson eingehändigt werden, wenn diese Personen zur Annahme bereit sind.

(...)“

Mängel der Zustellung

§ 31. Unterlaufen bei der Zustellung Mängel, so gilt sie als in dem Zeitpunkte vollzogen, in dem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist (Empfänger), tatsächlich zugekommen ist.“

Mündliche Verhandlung

§ 41. (1) Die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung hat durch persönliche Verständigung der bekannten Beteiligten zu erfolgen und wird nach Bedarf überdies noch durch Anschlag in der Gemeinde oder durch Verlautbarung in der für amtliche Kundmachungen im Lande bestimmten Zeitung bekanntgemacht.

(...)

§ 42. (1) Wurde eine mündliche Verhandlung durch Anschlag in der Gemeinde oder auch durch Verlautbarung in der für amtliche Kundmachungen im Lande bestimmten Zeitung bekanntgemacht, so hat dies zur Folge, daß Einwendungen, die nicht spätestens am Tage vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung vorgebracht werden, keine Berücksichtigung finden und die Beteiligten dem Parteiantrag, dem Vorhaben oder der Maßnahme, die den Gegenstand der Verhandlung bilden, als zustimmend angesehen werden.

(2) Im Falle einer nur durch Verständigung der Beteiligten anberaumten Verhandlung erstreckt sich die im Abs. 1 bezeichnete Rechtsfolge bloß auf die Beteiligten, die rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten haben.

(...).“

9        Das Landesverwaltungsgericht ging von wirksamen Ersatzzustellungen an die Mutter des Rechtsvorgängers des Revisionswerbers im Hinblick auf die Ladung zur mündlichen Bauverhandlung und auf den Baubewilligungsbescheid vom 24. November 1971 aus, weil diese zwar in getrennten Wohneinheiten, aber im selben Haus wie ihr Sohn wohnte. Diese Auffassung ist aber mit der Vorschrift des § 23 Abs. 1 AVG 1950, wonach, wenn der Empfänger in der Wohnung nicht angetroffen wird, an jeden daselbst befindlichen, dem Zusteller bekannten erwachsenen Angestellten oder zur Familie gehörigen Hausgenossen des Empfängers zugestellt werden kann, nicht vereinbar, weil ein Wohnen in demselben Haus, jedoch in getrennten Wohneinheiten, für eine Ersatzzustellung nicht genügt. Zur Familie gehöriger Hausgenosse des Empfängers ist jeder, der in derselben Hausgemeinschaft wie dieser lebt und entweder mit ihm durch Familienbande (Verwandtschaft, Schwägerschaft) verbunden ist oder doch zumindest, wenn solche Bande nicht bestehen, mit ihm auf gemeinsame Rechnung wirtschaftet, also im gleichen Haushalte untergebracht ist (vgl. VwGH 11.7.1962, 2167/60 unter Verweis auf Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen I. Band [1953] 183).

10       Somit war die Ersatzzustellung der Ladung zur Bauverhandlung und die Ersatzzustellung des Baubewilligungsbescheides vom 24. November 1971 an die Mutter des Rechtsvorgängers des Revisionswerbers nicht rechtswirksam. Der Baubewilligungsbescheid konnte entgegen den Ausführungen des Landesverwaltungsgerichts unter Zugrundelegung der im Beschluss getroffenen Feststellungen nicht in Rechtskraft erwachsen.

11       Nach der ständigen hg. Rechtsprechung treten die Präklusionsfolgen nach § 42 Abs. 1 AVG 1950 nur dann ein, wenn gleichzeitig mit dem Anschlag oder der Zeitungsverlautbarung die Anberaumung der Verhandlung durch die persönliche Verständigung bekanntgemacht wurde (vgl. VwGH 15.2.1971, 1505/70, mwN). Mangels rechtswirksamer Zustellung der Ladung an den Rechtsvorgänger des Revisionswerbers kann im vorliegenden Fall - entgegen der Ansicht des Landesverwaltungsgerichts - nicht vom Eintritt einer Präklusion iSd § 42 Abs. 1 AVG 1950 ausgegangen werden.

12       Ebensowenig vermag die vom Landesverwaltungsgericht angeführte Begründung herangezogen werden, die Zustimmung des Vaters des Rechtsvorgängers des Revisionswerbers zum Bauvorhaben sei diesem zurechenbar. Gemäß § 10 Abs. 1 AVG 1950 können sich die Parteien im Verwaltungsverfahren durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen. Eine solche Vertretung setzt voraus, dass der Bevollmächtigte die Befugnis besitzt, die erforderlichen Prozesshandlungen mit rechtlicher Wirksamkeit für den Vertretenen vorzunehmen. Diese Befugnis zur Vertretung wird, falls sie nicht aus dem Gesetz oder der Anordnung einer Behörde fließt, durch Rechtsgeschäft begründet. Über dieses Rechtsgeschäft hat sich der Bevollmächtigte vor der Behörde in der Regel durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen. Nach § 10 Abs. 4 AVG 1950 kann die Behörde jedoch von der Vorlage einer Vollmacht absehen, wenn es sich um die Vertretung durch amtsbekannte Familienmitglieder handelt und Zweifel über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis nicht obwalten. Da Zweifel über den Bestand der Vertretungsbefugnis nicht obwalten dürfen, ist der Bestand der Vertretungsbefugnis Voraussetzung der Vertretung auch dann, wenn die Behörde von der Vorlage einer ausdrücklichen Vollmacht absieht (vgl. VwGH 9.7.1992, 92/06/0097).

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom 14. Juni 1955, 1236/54, ausgeführt, dass § 10 Abs. 4 AVG nicht dahin zu verstehen sei, dass ein Beteiligter wider seinen Willen eine von ihm nicht bestellte Person als seinen Bevollmächtigten gelten lassen müsse. In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof weiters ausgeführt, dass dann, wenn die Vertretungsbefugnis durch eine vertretene Partei bestritten wird, die Behörde hierüber Feststellungen zu treffen habe. Das Landesverwaltungsgericht traf keine Feststellungen zu einem allenfalls vorliegenden Vollmachtsverhältnis und hielt lediglich fest, dass grundsätzlich dahingestellt bleiben könne, ob der Vater des Rechtsvorgängers des Revisionswerbers eine Vertretungsvollmacht gehabt habe. Es hat zudem keine Ermittlungen dahingehend angestellt, ob der Vater des Rechtsvorgängers des Revisionswerbers tatsächlich zum Zeitpunkt mündlichen Bauverhandlung am 21. November 1971 von seinem Sohn mit dessen Vertretung beauftragt gewesen war. Aufgrund des ausdrücklichen Bestreitens des Vorliegens eines Vollmachtsverhältnisses in der Beschwerde wäre das Landesverwaltungsgericht aber verpflichtet gewesen, Ermittlungen dahingehend durchzuführen, ob dieses Vertretungsverhältnis tatsächlich bestanden hatte. Da eine schriftliche Vollmacht nicht vorgelegt worden war und der Revisionswerber in seiner Beschwerde ausdrücklich das Vorliegen einer Vertretungsbefugnis bestritten und das Landesverwaltungsgericht aber keine Ermittlungen über das Vorliegen einer Vertretungsbefugnis durchgeführt hat, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

14       Ergänzend wird angemerkt, dass es das Landesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis als nicht glaubhaft erachtete, dass der Rechtsvorgänger des Revisionswerbers erst kürzlich von einem Bauakt und einem Baubescheid erfahren habe. Weiters hielt es fest, es sei unerfindlich, warum die Eltern des Rechtsvorgängers des Revisionswerbers diesem nichts von der Bauverhandlung oder der Übernahme des Bescheides hätten sagen sollen (S. 3). Für die Annahme einer allfälligen Heilung des Zustellmangels nach § 31 AVG 1950, dem gemäß eine mangelhafte Zustellung als in dem Zeitpunkt vollzogen gilt, in dem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist (Empfänger), tatsächlich zugekommen ist, fehlt es dem Erkenntnis aber an den erforderlichen Feststellungen, dass die Schriftstücke dem Empfänger tatsächlich zugekommen wären.

15       Zusammengefasst war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, sodass es sich erübrigte, auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen.

16       Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 4. Mai 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020060105.L00

Im RIS seit

03.06.2022

Zuletzt aktualisiert am

21.06.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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