TE Vfgh Erkenntnis 1994/6/15 WI-4/93

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Veröffentlicht am 15.06.1994
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art117 Abs5
B-VG Art141 Abs1 litb
Tir GdWO 1991 §37
Tir GdWO 1991 §68
Tir GdWO 1991 §74

Leitsatz

Abweisung der Anfechtung der Wahl eines Gemeindevorstands; keine Bedenken gegen das System der Listenkoppelung

Spruch

Der Wahlanfechtung wird nicht stattgegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Am 15. März 1992 fanden die Wahlen zum Gemeinderat (und zum Bürgermeister) in allen Gemeinden Tirols außer der Stadt Innsbruck, so auch in der Gemeinde Bad Häring (politischer Bezirk Kufstein), statt, welche die Tiroler Landesregierung mit Kundmachung vom 3. Dezember 1991, LGBl. 88, ausgeschrieben hatte.

Dabei entfielen laut Kundmachung der Gemeindewahlbehörde der Gemeinde Bad Häring vom 18. März 1992 von den insgesamt

1.449 abgegebenen gültigen Stimmen - mehrere Stimmzettel wurden als ungültig gewertet - auf die

Liste 1:

    Sozialdemokratische Partei

    Bad Häring (SPÖ)                   620 Stimmen (7 Mandate)

    Liste 2:

    ÖVP - Österreichischer

    Arbeiter- und Angestelltenbund

    (ÖVP-ÖAAB)                         171 Stimmen (2 Mandate)

    Liste 3:

    Unabhängige Häringer Liste

    (UHL)                              147 Stimmen (1 Mandat)

    Liste 4:

    ÖVP - Bad Häring (ÖVP)             221 Stimmen (2 Mandate)

    Liste 5:

    Grüne Liste Bad Häring (GLH)        95 Stimmen (1 Mandat)

    Liste 6:

    Namensliste Zehetner-

    Lackstätter (NZL)                  195 Stimmen (2 Mandate).

Die Listen 2 (ÖVP-ÖAAB) und 4 (ÖVP) waren miteinander gekoppelt.

1.1.2. Einer von der Namensliste Zehetner-Lackstätter eingebrachten Anfechtung dieser Gemeinderatswahl gab der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 30. September 1993, WI-8/92, nicht statt. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich ua., daß zwar ein Stimmzettel zu Unrecht der ÖVP zugezählt wurde, daß sich diese Rechtswidrigkeit aber auf das Ergebnis der Wahl - und auch auf die Mandatsverteilung im Gemeindevorstand - nicht auswirkt.

1.2. Am 9. April 1992 fand die (zweite) konstituierende Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde Bad Häring statt. Zunächst wurde beschlossen, die Zahl der Bürgermeister-Stellvertreter und der weiteren stimmberechtigten Mitglieder des Gemeindevorstandes jeweils mit zwei festzusetzen und fünf Ersatzmitglieder zu wählen. Hierauf gab der Bürgermeister bekannt, daß der SPÖ drei Stellen (einschließlich des Bürgermeisters) und der ÖVP-ÖAAB und der ÖVP je eine Stelle im Gemeindevorstand zustünden. Diese Fraktionen erstatteten sodann entsprechende Vorschläge; der Gemeinderat wählte die Bürgermeister-Stellvertreter, die übrigen Vorgeschlagenen wurden für gewählt erklärt.

1.3.1. Diese Gemeindevorstandswahl fochten die Gemeinderäte C L und F Z unmittelbar beim Verfassungsgerichtshof an; ihre Wahlanfechtung wurde mit Beschluß vom 9. Juni 1992, WI-13,14/92 - wegen Nichterschöpfung des Instanzenzuges - zurückgewiesen.

1.3.2. Daneben bekämpften die beiden Gemeinderäte diese Wahl auch bei der Bezirkshauptmannschaft Kufstein als überörtlicher Wahlbehörde, die der Wahlanfechtung mit dem - im zweiten Rechtsgang erlassenen - Bescheid vom 17. März 1993 keine Folge gab. Eine Berufung dagegen wies die Tiroler Landesregierung als überörtliche Wahlbehörde mit Bescheid vom 24. Mai 1993 ab.

    1.3.3.1. Mit ihrer am 25. Juni 1993 zur Post gegebenen, an

den Verfassungsgerichtshof gerichteten Wahlanfechtungsschrift

begehren die Gemeinderäte C L und F Z nunmehr, der

Verfassungsgerichtshof möge "die in der konstituierenden Sitzung

des Gemeinderates der Gemeinde Bad Häring vom 9. April 1992

erfolgte Ermittlung, wie viele Stellen des Gemeindevorstandes auf

die einzelnen Gemeinderatsparteien ... entfallen, ... aufheben

sowie die in der konstituierenden Sitzung des Gemeinderates ...

erfolgten Wahlen von zwei Bürgermeister-Stellvertretern, zwei

stimmberechtigten Mitgliedern des Gemeindevorstandes und zwei

Ersatzmitgliedern desselben ... aufheben".

Begründend bringen die Anfechtungswerber - gerafft wiedergegeben - vor, daß gemäß §74 Abs7 und 9 erster Satz der Tiroler Gemeindewahlordnung 1991 (TGWO), LGBl. 79, der Liste 1 drei Sitze und den gekoppelten Listen 2 und 4 zusammen ein Sitz im Gemeindevorstand zugestanden seien. Auf die fünfte Stelle hätten danach auf Grund der Mandatsverteilung im Gemeinderat die gekoppelten Listen 2 und 4 ebenso Anspruch gehabt wie die Liste 6, weil auf die gekoppelten Listen vier (zwei plus zwei), auf die Liste 6 zwei Gemeinderatsmandate entfallen seien. Diese (fünfte) Stelle sei gemäß §74 Abs8 erster Satz TGWO den gekoppelten Listen 2 und 4, und zwar wegen ihrer größeren Anzahl an Teilstimmen, zugefallen (insgesamt 392 Stimmen gegenüber 195 Stimmen der Liste 6). Gemäß §74 Abs9 zweiter Satz TGWO hätten die Listen 2 und 4 dann je einen Gemeindevorstandssitz erhalten. Dies habe zur Folge, daß auf die Liste 2 mit nur 171 Stimmen bei der Gemeinderatswahl ein Sitz im Gemeindevorstand entfalle, während die Liste 6 mit 195 Stimmen leer ausgehe. Wäre die Koppelung der Listen 2 und 4 nicht berücksichtigt worden, so hätte der Liste 2 kein, der Liste 6 aber ein Sitz im Gemeindevorstand gebührt. Grund für das bekämpfte Ergebnis seien §74 Abs9 und §37 Abs4 TGWO, welche die Behandlung

gekoppelter Wahlvorschläge regeln. Diese Vorschriften verstießen gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen Art117 Abs5 B-VG, wonach im Gemeinderat vertretene Wahlparteien nach Maßgabe ihrer Stärke Anspruch auf Vertretung im Gemeindevorstand hätten. "Wahlparteien" im Sinn dieser Vorschrift seien nur die Mandatare, die auf Grund eines Wahlvorschlages gewählt worden seien, nicht aber auf Grund mehrerer miteinander gekoppelter Vorschläge. Die TGWO dagegen ordne die Rechte und Befugnisse von Gemeinderatsparteien ohne sachliche Grundlage einmal den einzelnen der gekoppelten Wahlparteien, ein anderes Mal der "Koppel-Gemeinderatspartei" zu.

1.3.3.2. Die Tiroler Landesregierung legte die Wahlakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragte, der Wahlanfechtung nicht stattzugeben.

Sie verteidigte die angegriffenen Bestimmungen und wies darauf hin, der Verfassungsgerichtshof habe bisher (etwa in VfSlg. 1212/1929 und 1976/1950) keinen Grund gefunden, die Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften über die Koppelung von Wahlvorschlägen zu prüfen. Wenn die Koppelung von Wahlvorschlägen für die Gemeinderatswahl verfassungskonform sei, müsse dies auch für die entsprechenden Regelungen über die Wahl des Gemeindevorstandes gelten. Die Landesregierung bezog sich auf eine Literaturstelle (Putschögl, Wahl der Mitglieder des Gemeindevorstandes (des Bürgermeisters) und der Gemeinderatsausschüsse, in: Fröhler/Oberndorfer (Hrsg.), Das österreichische Gemeinderecht, 3.6 (1982) 15 f.), nach der gekoppelte Parteien schon am Gemeinderatswahlverfahren gleichsam als eine "Quasi-Wahlpartei" teilnähmen und daher im Lichte des Art117 Abs5 B-VG keine verfassungsrechtlichen Bedenken (gegen Vorschriften über Listenkoppelung) bestünden.

1.4. Die maßgebenden Bestimmungen der TGWO lauten in ihrem Zusammenhang:

"§37

Koppelung von Wahlvorschlägen

(1) Wählergruppen können ihre Wahlvorschläge für die Wahl des Gemeinderates koppeln. Sollen mehr als zwei Wahlvorschläge miteinander gekoppelt werden, so muß jeder Wahlvorschlag mit jedem von ihnen gekoppelt werden.

(2) Die Koppelung ist von den Wählergruppen spätestens am 16. Tag vor dem Wahltag, 17.00 Uhr, schriftlich bei der Gemeindewahlbehörde zu erklären. Die Koppelungserklärung muß jeweils von mehr als der Hälfte der Wahlwerber der einzelnen zu koppelnden Wahlvorschläge unterfertigt sein.

(3) Die Koppelungserklärung wird gegenstandslos, wenn eine Wählergruppe der gekoppelten Wahlvorschläge die Auflösung der Koppelung bis spätestens am zehnten Tag vor dem Wahltag, 17.00 Uhr, schriftlich bei der Gemeindewahlbehörde erklärt. Die Auflösungserklärung muß von mehr als der Hälfte der Wahlwerber dieser Wählergruppe unterfertigt sein. Sind mehr als zwei Wahlvorschläge miteinander gekoppelt, so bewirkt die Auflösung der Koppelung auch nur mit einem der gekoppelten Wahlvorschläge auch die Auflösung der Koppelung mit den übrigen gekoppelten Wahlvorschlägen.

(4) Soweit in den §§17 Abs1, 19 Abs1, 27 Abs3, 40 Abs2, 45 Abs5, 68 zweiter Satz, 71 Abs7, 73 Abs1, 74 Abs9 zweiter Satz, 78 Abs7 und 79 Abs4 nichts anderes bestimmt ist, gelten die Wählergruppen der miteinander gekoppelten Wahlvorschläge als eine Wählergruppe bzw. Gemeinderatspartei. Koppelungen bleiben während der gesamten Funktionsperiode des Gemeinderates aufrecht.

...

§68

Behandlung von Wählergruppen

gekoppelter Wahlvorschläge

Wählergruppen gekoppelter Wahlvorschläge sind im Verfahren nach §67 zunächst als eine Wählergruppe zu behandeln. Die Aufteilung der Mandate auf die einzelnen Wählergruppen der gekoppelten Wahlvorschläge hat sodann in sinngemäßer Anwendung des §67 zu erfolgen.

(§67 TGWO regelt die Verteilung der Mandate auf die Wählergruppen und richtet dafür das Verfahren d'Hondt ein.)

§74

Zusammensetzung

(1) Der Gemeindevorstand besteht aus:

a)

dem Bürgermeister,

b)

einem oder zwei Bürgermeister-Stellvertreter(n) und

c)

weiteren stimmberechtigten Mitgliedern.

(2) In Gemeinden mit höchstens 1000 Einwohnern ist ein Bürgermeister-Stellvertreter zu wählen. In Gemeinden mit mehr als 1000 und höchstens 5000 Einwohnern kann der Gemeinderat einen zweiten Bürgermeister-Stellvertreter vorsehen, wenn dies zur Erfüllung der Aufgaben des Gemeindevorstandes erforderlich ist. In Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern sind zwei Bürgermeister-Stellvertreter zu wählen. Maßgebend für die Berechnung der Einwohnerzahl ist das letzte vor dem Tag der Wahlausschreibung für die Gemeinderatswahl kundgemachte endgültige Ergebnis der Volkszählung.

(3) Der Gemeinderat hat die Anzahl der weiteren stimmberechtigten Mitglieder nach Abs1 litc festzulegen. Sie darf nicht mehr als ein Viertel der Anzahl der Gemeinderatsmitglieder betragen.

(4) Der Gemeinderat hat zu bestimmen, ob die stimmberechtigten Mitglieder des Gemeindevorstandes im Falle ihrer Verhinderung durch Ersatzmitglieder zu vertreten sind. Dem Ersatzmitglied für den Bürgermeister oder für einen Bürgermeister-Stellvertreter kommen jedoch nur die Befugnisse eines weiteren stimmberechtigten Mitgliedes des Gemeindevorstandes zu.

(5) Der Bürgermeister ist im Gemeindevorstand nur dann nicht stimmberechtigt, wenn die Gemeinderatspartei, der er angehört, keinen Anspruch auf Vertretung im Gemeindevorstand hat. In diesem Fall ist er beratendes Mitglied des Gemeindevorstandes. Der Bürgermeister führt aber in jedem Fall den Vorsitz im Gemeindevorstand.

(6) Die Gemeinderatsparteien haben nach Maßgabe ihrer Stärke Anspruch auf Vertretung im Gemeindevorstand.

(7) Die verhältnismäßige Stärke der Gemeinderatsparteien ist wie folgt zu ermitteln: Die Anzahl der Mandate jeder einzelnen Gemeinderatspartei ist, beginnend mit der größten Zahl, nebeneinanderzuschreiben. Darunter sind die Hälfte, das Drittel, das Viertel und nach Bedarf die weiteren Bruchteile zu schreiben. Dezimalzahlen sind zu berücksichtigen. Die so gewonnenen Zahlen sind ihrer Größe nach zu ordnen, wobei mit der größten Zahl zu beginnen ist. Die verhältnismäßige Stärke der Gemeinderatsparteien richtet sich nach der Reihenfolge, in der die so geordneten Zahlen auf die einzelnen Gemeinderatsparteien entfallen.

(8) Haben zwei oder mehrere Gemeinderatsparteien denselben Anspruch auf eine Stelle im Gemeindevorstand, so fällt die Stelle jener dieser Gemeinderatsparteien zu, die bei der Wahl des Gemeinderates die größere Listensumme erreicht hat bzw. auf die bei der Berechnung nach §67 die größere Anzahl an Teilstimmen entfallen ist. Bei gleicher Listensumme bzw. Anzahl an Teilstimmen entscheidet das von dem an Jahren jüngsten Mitglied des Gemeinderates zu ziehende Los.

(9) Bei der Ermittlung der verhältnismäßigen Stärke nach den Abs7 und 8 sind Gemeinderatsparteien, die aus gekoppelten Wahlvorschlägen hervorgegangen sind, zunächst als eine Gemeinderatspartei zu behandeln. Für die sodann durchzuführende Verteilung der auf sie entfallenen Vorstandsstellen auf die einzelnen Wählergruppen gekoppelter Wahlvorschläge gelten die Abs7 und 8.

..."

2. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:

2.1.1. Gemäß Art141 Abs1 litb B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über Anfechtungen von Wahlen in die mit der Vollziehung betrauten Organe einer Gemeinde (Gemeindevorstand, §67 Abs1 VerfGG 1953). Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden. Sie bedarf gemäß §67 Abs2 Satz 1 VerfGG 1953 eines Antrages von einem Zehntel der Mitglieder der Gemeindevertretung (das sind hier zwei Mitglieder), mindestens aber zweier Mitglieder.

2.1.2.1. Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem anzuwendenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht sein.

Ein derartiger, die unmittelbare Anfechtung der Wahl zum Gemeindevorstand der Gemeinde Bad Häring beim Verfassungsgerichtshof ausschließender Instanzenzug ist in §80 Abs2 TGWO vorgesehen. Danach kann jedes Gemeinderatsmitglied die Wahl innerhalb von zwei Wochen schriftlich bei der Bezirkshauptmannschaft anfechten.

Gegen die Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft ist die Berufung an die Landesregierung zulässig (§80 Abs5 TGWO); sie entscheidet endgültig.

Wie sich aus den Ausführungen zu Pkt. 1.3.2. ergibt, wurde die von den Anfechtungswerbern gemäß §80 TGWO erhobene Wahlanfechtung mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 24. Mai 1993 als unbegründet abgewiesen.

2.1.2.2. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn der vierwöchigen Frist zur Anfechtung der Gemeindevorstandswahl vor dem Verfassungsgerichtshof ist somit der 28. Mai 1993, das ist der Tag der Zustellung des Bescheides der Tiroler Landesregierung an den rechtsfreundlichen Vertreter der Anfechtungswerber.

Die am 25. Juni 1993 zur Post gegebene Wahlanfechtungsschrift wurde also rechtzeitig eingebracht.

2.1.3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.

2.2. In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

2.2.1.1. Die Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens erblicken die Anfechtungswerber (nur) in der behaupteten Verfassungswidrigkeit der Vorschriften der TGWO über die Koppelung von Wahlvorschlägen.

2.2.1.2. Die Anfechtungsschrift behauptet, die im Bundesland Tirol geltende Regelung des §74 Abs9 und des §37 Abs4 TGWO (s. Abschnitt 1.3.3.1) verstoße gegen das Proportionalitätsprinzip des Art117 Abs5 B-VG (und auch, aber hier nicht präjudiziell, gegen den Verhältniswahlgrundsatz des Art117 Abs2 B-VG).

Nach dem Konzept der TGWO können Wählergruppen ihre Wahlvorschläge für die Wahl des Gemeinderates koppeln (§37 Abs1 TGWO); die miteinander gekoppelten Listen werden bei der Zuweisung der Mandate im Gemeinderat (§68 erster Satz TGWO) und der Gemeindevorstandssitze (§74 Abs9 erster Satz TGWO) zunächst wie eine Wählergruppe behandelt (vgl. §37 Abs4 TGWO). Die Mandate, die auf die gekoppelten Listen zusammen entfallen, werden sodann "unterverteilt" (§68 zweiter Satz, §74 Abs9 zweiter Satz TGWO), und zwar in (sinngemäßer: §68 TGWO) Anwendung der Vorschriften über die "erste" Verteilung.

Der Verfassungsgerichtshof hegte, wie die Landesregierung zutreffend erwähnt, bisher keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit eines Systems der Listenkoppelung (vgl. VfGH 30.9.1993, WI-8/92, S 8, und die dort zitierte Vorjudikatur). Auch aus der Sicht der hier zur Entscheidung stehenden Wahlanfechtungssache ergeben sich keine derartigen Bedenken, weil gekoppelte Listen iSd TGWO in ihrer Gesamtheit grundsätzlich als eine Wahlpartei nach Art117 Abs5 B-VG anzusehen sind (vgl. Putschögl, Wahl der Mitglieder des Gemeindevorstandes (des Bürgermeisters) und der Gemeinderatsausschüsse, in:

Fröhler/Oberndorfer (Hrsg.), Das österreichische Gemeinderecht,

3.6 (1982) 15 f.): Gemäß §37 Abs4 erster Satz TGWO "gelten die Wählergruppen der miteinander gekoppelten Wahlvorschläge als eine Wählergruppe bzw. Gemeinderatspartei", soweit in §17 Abs1, §19 Abs1, §27 Abs3, §40 Abs2, §45 Abs5, §§68 zweiter Satz, 71 Abs7, §73 Abs1, §74 Abs9 zweiter Satz, §78 Abs7 und §79 Abs4 TGWO nichts anderes bestimmt ist. Koppelungen bleiben während der ganzen Funktionsperiode des Gemeinderates aufrecht (§37 Abs4 zweiter Satz TGWO).

Entgegen den Behauptungen der Anfechtungsschrift fügen sich auch jene Vorschriften, die §37 Abs4 erster Satz TGWO nennt (s. Abschnitt 1.4.), in das vom Landesgesetzgeber verfolgte Konzept ein, das die miteinander gekoppelten Wahlparteien als einheitliche Wahlpartei auffaßt und es daher ausschließt, jede der gekoppelten Parteien als Wahlpartei (iSd Art117 B-VG) zu verstehen. Die von den Anfechtungswerbern angestellten Erwägungen ändern nichts daran, daß hier ein einheitliches System geschaffen wird:

§68 zweiter Satz und §74 Abs9 zweiter Satz TGWO knüpfen an das dargelegte Konzept an und regeln die Frage, wie die Mandate und Gemeindevorstandssitze, die der "Koppel-Wahlpartei" zustehen, auf die gekoppelten Wahlparteien aufzuteilen sind. Diese Regelungen haben also keine andere Funktion als etwa die Bestimmung des §69 Abs2 bis 4 TGWO, welche die Zuweisung der von einer Partei errungenen Mandate an einzelne Wahlwerber regeln. Das erweist die Koppelung als eine weitere Möglichkeit - etwa neben der Vergabe von Vorzugsstimmen (§49 Abs2 lite, §§56, 69 Abs2 und 3 TGWO) -, dem Wähler Einfluß auf die Zusammensetzung der Gemeinderatspartei einzuräumen. Dieser Einfluß soll sich auch dann auswirken, wenn ein Mitglied des Gemeinderates ausscheidet; es darf daher nur ein Ersatzmitglied jener der miteinander gekoppelten Gemeinderatsparteien nachrücken, der auch das ausgeschiedene Mitglied angehört hatte (§73 Abs1 dritter Satz TGWO).

§17 Abs1 letzter Satz TGWO wieder normiert, daß auch bei der Aufteilung der Beisitzer in Wahlbehörden auf die Wahlparteien gekoppelte Wahlparteien zusammenzufassen und die ihnen zustehenden Sitze unterzuverteilen sind. Diese Vorgangsweise entspricht der Grundentscheidung der TGWO über die Behandlung gekoppelter Parteien. Da aber auf Grund der Unterverteilung auch feststeht, wie viele Beisitzer jeder der gekoppelten Parteien zustehen, ist es folgerichtig, wenn diese Beisitzer getrennt namhaft gemacht werden (§19 Abs1 letzter Satz TGWO).

Gemäß §35 Abs2 erster Satz TGWO sind Wahlvorschläge frühestens am Stichtag und spätestens am 23. Tag vor dem Wahltag einzubringen; Koppelungserklärungen sind aber noch später, nämlich bis zum 16. Tag vor dem Wahltag, zulässig (§37 Abs2 erster Satz TGWO). Dies rechtfertigt es aber, Wählerverzeichnisse nicht an die "Koppel-Wahlpartei", sondern an die einzelnen gekoppelten Wählergruppen auszufolgen (§27 Abs3 iVm Abs2 TGWO). Denn diese Verzeichnisse sind uU schon am Tag ihrer Auflegung auszugeben (§27 Abs1 erster Satz TGWO), das ist der 20. Tag nach dem Stichtag (§26 Abs1 erster Satz TGWO) und somit spätestens der 50. Tag vor dem Wahltag (§3 Abs2 zweiter Satz TGWO). Daß diese Regelung offenbar auch für Wahlparteien gilt, die schon aus der letzten Gemeinderatswahl hervorgegangen sind (§27 Abs1 TGWO), widerspricht dem System der Koppelung ebensowenig wie der Umstand, daß jede der gekoppelten Wählergruppen einen eigenen Zustellungsbevollmächtigten hat (§35 Abs3 litc und Abs6, auch iVm §35 Abs2 und §37 Abs2

TGWO). Denn das System bezieht sich nur auf die Verrechnung der Stimmen und die Verteilung der Mandate, oder allgemeiner: auf das Ergebnis der Wahl. Unbedenklich ist daher auch §45 Abs5 TGWO, wonach bei der Reihung der Wahlvorschläge in der Kundmachung gekoppelte Vorschläge nicht als eine Wählergruppe zu behandeln sind.

§78 Abs7 und §79 Abs4 TGWO unterscheiden für die Erstattung von Vorschlägen und für die Wahl des Gemeindevorstandes insofern, als bei der Wahl des Bürgermeisters die "Koppel-Wahlpartei" als eine Gemeinderatspartei zählt, bei der Wahl der Bürgermeister-Stellvertreter, der weiteren stimmberechtigten Mitglieder und der Ersatzmitglieder aber nicht. Diese - aus der Sicht dieser Anfechtungssache nicht weiter zu untersuchende - Regelung entspricht für den Bürgermeister dem Konzept, die "Koppel-Wahlpartei" als einheitliche Wahlpartei zu behandeln. Einen Vorschlag für die Wahl des Bürgermeisters kann jede Gemeinderatspartei einbringen. Die übrigen Sitze im Gemeindevorstand werden aber den Gemeinderatsparteien auf Grund ihrer Stärke zugewiesen (§74 Abs6 bis 9 TGWO); bei dieser Zuweisung wird die Koppelung bereits berücksichtigt (§74 Abs9 TGWO), sodaß §78 Abs7 zweiter Satz und §79 Abs4 TGWO nur auf eine Regelung hinauslaufen, welcher Teil der gesamten Gemeinderatspartei ("Koppel-Gemeinderatspartei") die Unterschrift für die entsprechenden Vorschläge leisten muß (§78 Abs8, §79 Abs1 TGWO).

§37 Abs4 TGWO zählt schließlich noch §40 Abs2 und §71 Abs7 TGWO auf. Darauf braucht aber nicht mehr eingegangen zu werden, weil der Verfassungsgerichtshof diese Vorschriften mit Erkenntnis vom 1. Juli 1993, G75/93 (Bürgermeister-Direktwahl), als verfassungswidrig aufgehoben hat.

Abschließend ist festzuhalten, daß keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, wenn der Gesetzgeber, der gekoppelte Wählergruppen bei der Gemeinderatswahl als einheitliche Wahlpartei auffaßt und behandelt, bei der Gemeindevorstandswahl gleichermaßen verfährt; eine solche Gleichbehandlung ist vielmehr unter dem Aspekt der Verfassungsvorschrift des Art117 Abs5 B-VG geradezu geboten. Würden die für die Gemeinderatswahl gekoppelten Parteien bei der Vorstandswahl als getrennte Parteien behandelt, so hätte dies zur Folge, daß die - als einheitliche Wahlpartei anzusehende - "Koppel-Wahlpartei" gespalten würde, ein Ergebnis, das, wie sich aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Dezember 1993, WI-25/92 (Salzburger Stadtsenat), S 12, ergibt, gegen Art117 Abs5 B-VG verstieße.

Es ist schließlich auch nicht unsachlich, an das Vorliegen einer Koppelungserklärung andere Rechtsfolgen zu knüpfen als an das Nichtvorliegen und daher gekoppelte Wahlparteien anders zu behandeln als nicht gekoppelte. Die Besserstellung gekoppelter Wahlparteien ist dabei eine Folge des leicht mehrheitsfördernden Stimmenverrechnungsverfahrens nach der TGWO (Methode d'Hondt: §67 Abs2 und 3, §74 Abs7), das aber als solches keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. dazu VfSlg. 8700/1979, insb. auch VfSlg. 8447/1978; zur Frage eines "Verstärkungseffektes" vgl. auch VfSlg. 8852/1980).

2.2.2. Da somit die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens nicht vorliegt, mußte spruchgemäß entschieden werden.

2.2.3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Wahlen, Gemeindevorstand, Verhältniswahl, Wahlvorschlag, Wahlpartei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:WI4.1993

Dokumentnummer

JFT_10059385_93W00I04_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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