TE OGH 2022/3/16 2Ob33/22z

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Veröffentlicht am 16.03.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2020 verstorbenen S*, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des 1. A* und der 2. A*, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Schöberl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. Dezember 2021, GZ 42 R 388/21a-50, womit infolge Rekurses des A* und der A* der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 30. August 2021, GZ 2 A 240/20g-44, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Aus Anlass des außerordentlichen Revisionsrekurses wird der Beschluss des Rekursgerichts im Umfang der meritorischen Entscheidung über den Rekurs der A* als nichtig aufgehoben und dieser Rekurs zurückgewiesen.

II. Im Übrigen wird der außerordentliche Revisionsrekurs mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       Der erste Revisionsrekurswerber ist der Sohn des Erblassers (in der Folge nur: Sohn), der auf Grund des Gesetzes eine bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass abgegeben hat. Die zweite Revisionsrekurswerberin ist die Ehefrau des Sohnes (in der Folge nur: Schwiegertochter).

[2]       Die Gerichtskommissärin nahm in das von ihr am 8. 7. 2021 errichtete Inventar die Hälfte des Guthabens eines auf den Erblasser und dessen Sohn lautenden Girokontos (in der Folge nur: Konto) auf. Dieses Konto, über das beide Kontoinhaber einzelverfügungsbefugt waren, wies zum Todestag des Erblassers einen Guthabensstand von 48.656,83 EUR auf.

[3]        Der Sohn und die Schwiegertochter beantragten (erkennbar gemäß § 166 Abs 2 AußStrG), die zwischen Dezember 2014 und August 2020 erfolgten Einzahlungen auf das Konto in Höhe von insgesamt 35.400 EUR aus dem Inventar auszuscheiden. Diese Summe habe die Schwiegertochter zu Gunsten des Sohns „und ebenso als Darlehen“ an den Erblasser und dessen Ehefrau überwiesen. Zur Bescheinigung legten die Antragsteller eine (mit Stampiglie und Unterschrift versehene) Aufstellung der Bank über auf dem Konto im Zeitraum von 1. 10. 2014 bis 4. 9. 2020 eingegangene, offenkundig von der Schwiegertochter als Auftraggeberin veranlasste Gutschriften vor.

[4]            Das Erstgericht wies diesen Antrag ab.

[5]            Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Sohnes und der Schwiegertochter nicht Folge, weil keine unbedenkliche Urkunde vorliege, die zur Ausscheidung des halben Guthabensstands auf dem Konto aus dem Inventar führen könnte.

[6]       Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Sohnes und der Schwiegertochter mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Antragsstattgebung; hilfsweise wird ein weiterer Abänderungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[7]       I. Aus Anlass des außerordentlichen Revisionsrekurses ist der Beschluss des Rekursgerichts teilweise als nichtig aufzuheben und der Rekurs in diesem Umfang zurückzuweisen:

[8]            1. Der vom Erstgericht nach Errichtung des Inventars gefasste Beschluss nach § 166 Abs 2 AußStrG ist nach der Rechtsprechung des Fachsenats selbständig anfechtbar (RS0132172).

[9]            2. Allerdings ist die Schwiegertochter nicht Partei des Verlassenschaftsverfahrens und damit auch der Inventarserrichtung nicht beizuziehen (vgl dazu Verweijen, Verlassenschaftsverfahren³ 260).

[10]           2.1. Die Schwiegertochter ist nach der Aktenlage weder (erbantrittserklärte) Erbin noch Pflichtteilsberechtigte noch Verlassenschaftsgläubigerin. Selbst wenn sie aufgrund ihrer Behauptung, Beträge auf das Konto eingezahlt zu haben, als Gläubigerin der Verlassenschaft anzusehen sein sollte, käme ihr nur hinsichtlich der ihr dann zustehenden Rechte nach §§ 811 bis 813 ABGB bzw § 174 AußStrG oder im Fall eines unmittelbaren Eingriffs in ihre Gläubigerrechte Parteistellung zu (RS0006611 [insb T17, T18, T21]). Da die Entscheidung über die Aufnahme in das oder Ausscheidung aus dem Inventar nur Wirkungen für das Verlassenschaftsverfahren und nicht darüber hinaus entfalten kann (RS0006465; RS0121985 zum Verfahren nach § 166 Abs 2 AußStrG) und damit keine Bindung für Eigentumsfragen im Streitverfahren bewirkt (RS0121985), liegt durch den von ihr angefochtenen Beschluss jedenfalls kein unmittelbarer Eingriff in Rechte der Schwiegertochter vor. Es fehlt ihr damit an materieller Parteistellung.

[11]           2.2. Der Umstand, dass die Schwiegertochter als formelle Antragstellerin auftrat, führt im konkreten Fall nicht zur Bejahung ihrer Parteistellung, weil dem Antrag nicht zu entnehmen ist, dass die Schwiegertochter ein eigenes subjektives Recht geltend machen wollte (RS0123813).

[12]           2.3. Da es der Schwiegertochter daher an der Parteistellung und in weiterer Konsequenz an der Rekurslegitimation mangelte, hätte das Rekursgericht den von dieser erhobenen Rekurs zurückweisen müssen und nicht meritorisch darüber entscheiden dürfen.

[13]     3. Die meritorische Entscheidung des Rekursgerichts über den unzulässigen Rekurs war daher aus Anlass des Revisionsrekurses als nichtig aufzuheben und der Rekurs zurückzuweisen (RS0121264).

[14]           II. Der vom Sohn erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

[15]           1. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Fachsenats ist das Guthaben auf Oder-Konten mangels Bescheinigung des Gegenteils durch unbedenkliche Urkunden nur mit dem anteilig auf den Erblasser entfallenden Teil als Aktivum der Verlassenschaft anzusehen (RS0131966). Der Begriff der „unbedenklichen Urkunde“ iSd § 166 Abs 2 AußStrG wird so verstanden wie in § 40 EO. Es muss sich demnach um Urkunden handeln, denen eine besondere Glaubwürdigkeit zukommt wie etwa Postaufgabescheine, gerichtliche Entscheidungen oder Kontoauszüge und Ein- und Auszahlungsbelege eines Wertpapier-Verrechnungskontos (2 Ob 178/13k mwN).

[16]           Sind über gemeinschaftliche Bankkonten beide Konteninhaber verfügungsbefugt, wird somit mangels eines eindeutigen Gegenbeweises in der Regel davon auszugehen sein, dass die jeweiligen Guthaben je zur Hälfte beiden Mitberechtigten zustehen. Das Gesamtguthaben ist daher als zur Hälfte nachlasszugehörig auszuweisen, ohne dass damit über die Berechtigung am Guthaben abgesprochen würde (1 Ob 108/13h mwN im Fall eines Oder-Kontos von Ehegatten; vgl 2 Ob 53/19m im Fall eines Oder-Kontos des Erblassers und zweier seiner Kinder).

[17]           2. Das Rekursgericht ist in Anwendung dieser Rechtsprechung jedenfalls vertretbar davon ausgegangen, dass dem Sohn die Bescheinigung des Gegenteils durch unbedenkliche Urkunden nicht gelungen ist, lässt sich doch aus der vorgelegten Unterlage lediglich ableiten, dass und in welchem Umfang die Schwiegertochter Einzahlungen auf das Konto geleistet hat. Klarheit darüber, mit welchem Anteil der (die Summe der Einzahlungen deutlich übersteigende) Guthabensstand in die Verlassenschaft fällt oder zu welchem Zweck die Einzahlungen durch die Schwiegertochter erfolgten, bietet der beigebrachte Beleg hingegen nicht.

[18]           3. Der Revisionsrekurs des Sohnes war daher zurückzuweisen.

Textnummer

E134553

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00033.22Z.0316.000

Im RIS seit

29.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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