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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde der G, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. September 1994, Zl. 4.240.704/7-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. September 1994 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen der Türkei, die am 4. November 1987 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 13. Mai 1988 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 21. November 1988, mit welchem festgestellt worden war, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling sei, abgewiesen und ausgesprochen, daß Österreich der Beschwerdeführerin kein Asyl gewähre.
Die Beschwerdeführerin gab anläßlich ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien an, sie und ihre Familienangehörigen seien Sympathisanten der PKK. Es seien im Jahr 1986 Kämpfer der PKK in ihr Haus gekommen und mit Lebensmittel versorgt worden. Davon dürften die türkischen Behörden Kenntnis erlangt haben, da der Vater der Beschwerdeführerin verhaftet worden sei. Kurz darauf sei sie einer Folter unterzogen worden. Man habe die Namen derer wissen wollen, die bei der Beschwerdeführerin im Haus gewesen seien. Sie habe keine Angaben machen können, da sie die Namen nicht gekannt habe. Aufgrund dieses Vorfalles habe sie ihre Heimatstadt verlassen und sei nach Istanbul gegangen. Sie habe in Istanbul bis zu ihrer legalen Ausreise am 4. November 1987 bei ihrem Onkel gelebt. Sie habe bei ihrer Einreise nach Österreich die Absicht gehabt, wieder in die Türkei zurückzukehren. Anfang 1988 habe sie telefonisch von ihrem Vater erfahren, daß sie auf keinen Fall in die Türkei zurückkehren solle, da gegen sie ein Haftbefehl laufe. Aufgrund dieses Umstandes habe sie einen Asylantrag gestellt, welcher von Hilfskräften für sie verfaßt worden sei. Sie könne bezüglich ihrer Angaben keine Beweismittel beibringen oder Zeugen nennen.
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien ging im Bescheid vom 21. November 1988 in ihrer bereits vorgedruckten Begründung nicht auf die individuellen Angaben der Beschwerdeführerin, insbesondere zum Haftbefehl, ein. In der dagegen erhobenen Berufung wies die Beschwerdeführerin auf ihre Angst hin, in ein Land zurückzukehren, "in dem tagtäglich immer wieder neue Greueltaten von seiten der türkischen Regierung passieren". Ihre Angst sei durch Berichte von kürzlich geflohenen Landsleuten bestärkt worden.
Mit dem Bescheid vom 16. März 1990 wies die belangte Behörde die Berufung im wesentlichen mit der Begründung ab, die Angaben der Beschwerdeführerin seien unglaubwürdig. Die belangte Behörde ging hiebei nur auf die Vorfälle vor der Ausreise der Beschwerdeführerin näher ein, nicht aber auf die in Österreich erhaltene Kenntnis vom Haftbefehl.
In der dagegen erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof vom 20. September 1990 führte die Beschwerdeführerin unter anderem aus:
"Durch diese Vorfälle wurde ihre Flucht via Istanbul nach Österreich dringend notwendig und hat die Antragstellerin, nach dem sie vom Haftbefehl gegen ihre Person wegen dieser Unterstützung (Anmerkung: der PKK) erfahren hat, politisches Asyl beantragt. Ursprünglich hatte die Antragstellerin ihre Rückreise in die Türkei, nach Normalisierung der Zustände, geplant, jedoch ist ihr die Rückfahrt aufgrund des gegebenen Haftbefehls wegen der Betätigung und Sympathisierung der Freiheitsbewegung PKK, nicht möglich.
...
Selbst die sehr einfach festzustellende Tatsache des Erlassens eines Haftbefehles wurde von den Behörden nicht recherchiert, und wurde auch der unmittelbare Zusammenhang zwischen dem Asylantrag und dem Erlassen des Haftbefehls nicht erhoben."
Der Verwaltungsgerichtshof hob den Bescheid vom 16. März 1990 mit Erkenntnis vom 30. Jänner 1991, Zl. 90/01/0181, auf, weil die belangte Behörde ihre Beweiswürdigung nicht schlüssig begründet hatte.
Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung neuerlich ab. Sie begründete im wesentlichen, die Vorfälle des Jahres 1986 seien keine asylrechtlich relevante Verfolgung, sondern dienten den Behörden lediglich dazu, ein bei der Beschwerdeführerin vermutetes "Sonderwissen bezüglich der Namen der in ihrem Haus verpflegten PKK-"Kämpfer"" zu erlangen. Den Haftbefehl betreffend führte die belangte Behörde aus:
"Bezüglich des angeblich gegen Sie erlassenen Haftbefehles - wobei festzustellen ist, daß Sie keinerlei Bescheinigungsmittel für sein tatsächliches Vorliegen beibringen konnten - ist festzuhalten, daß Sie nicht einmal behaupteten, daß der Haftbefehl aus einem der Gründe des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991, - insbesondere aufgrund ihrer politischen Gesinnung - ergangen ist, sodaß auch dieser Haftbefehl asylrechtlich irrelevant bleiben muß."
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde erwogen:
Die belangte Behörde ist zu Recht von der Anwendbarkeit des Asylgesetzes 1991 ausgegangen. Sie läßt im angefochtenen Bescheid zwar nicht ausdrücklich erkennen, daß sie sich auf § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 gestützt und das weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin als unzulässige Neuerung angesehen hat. Jedoch hat sich die belangte Behörde offensichtlich auf die genannte Gesetzesbestimmung gestützt, indem sie festhielt, daß die Beschwerdeführerin "nicht einmal behauptet hat", daß der Haftbefehl aus einem der Gründe des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 ergangen sei. In der Beschwerde gegen den Bescheid vom 16. März 1990 hat die Beschwerdeführerin den Zusammenhang zwischen dem Haftbefehl und ihrer politischen Gesinnung hergestellt; sie rügte diesbezüglich auch einen Ermittlungsmangel der Behörde. Abgesehen von der - rechtlich nicht relevanten - Tatsache, daß sie dieses Vorbringen zu einem Zeitpunkt erstattet hat, als das Asylgesetz (1968) noch in Geltung stand, sie somit auf die Berücksichtigung dieses Vorbringens im fortgesetzten Verfahren rechnen konnte, zeigt sie hiedurch auch eine Verletzung der Ermittlungspflicht gemäß § 16 Asylgesetz 1991 auf. Denn im erstinstanzlichen Vorbringen ist, insbesondere was die Sympathie der Beschwerdeführerin für die PKK anbelangt, ein Zusammenhang des Haftbefehles mit der politischen Gesinnung der Beschwerdeführerin zumindest in einer Weise angedeutet, die ergänzende bzw. klärende Fragen nach dem Grund des Haftbefehles erfordert hätten. Die belangte Behörde hätte daher im Sinne des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 in der Fassung BGBl. Nr. 610/1994 eine Ergänzung oder Wiederholung des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens anzuordnen gehabt, weil es in diesem Punkt mangelhaft war. Somit kann dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Beschwerde gegen den Bescheid vom 16. März 1990 im fortgesetzten Verfahren nach dessen Aufhebung nicht das Neuerungsverbot des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 entgegengehalten werden.
Da sich die belangte Behörde nicht mit dem behaupteten Zusammenhang zwischen dem der Beschwerdeführerin erst während ihres Aufenthaltes in Österreich bekanntgewordenen Haftbefehl und ihrer politischen Gesinnung auseinandergesetzt hat, hat sie Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200176.X00Im RIS seit
20.11.2000