TE Vwgh Beschluss 2022/3/29 Ra 2020/22/0223

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Veröffentlicht am 29.03.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §18
AsylG 2005 §55
AVG §37
AVG §39 Abs2
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1
VwGG §41

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/22/0224

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, Hofrat Dr. Mayr und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache 1. des G A und 2. des G A, beide vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. August 2020, 1. W119 2150630-1/4E und 2. W119 2150628-1/7E, betreffend Zurückweisung von Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 55 AsylG 2005 sowie Erlassung von Rückkehrentscheidungen samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheiden des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27. Februar 2017 wurden die Anträge der revisionswerbenden Parteien, beide Staatsangehörige der Mongolei, auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 55 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) gestützt auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückgewiesen. Unter einem wurde gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Mongolei zulässig sei, und eine Frist für ihre freiwillige Ausreise festgesetzt. Weiters wurden ihre Anträge auf Mängelheilung gemäß § 4 Abs. 2 Asylgesetz - Durchführungsverordnung 2005 (AsylG-DV 2005) abgewiesen.

2        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit den angefochtenen Erkenntnissen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

3        Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, die revisionswerbenden Parteien hätten keine gültigen Reisepässe vorgelegt und seien dadurch ihrer Mitwirkungsverpflichtung gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV 2005 nicht nachgekommen. Sie hätten am Verfahren nicht im Sinn von § 58 Abs. 11 AsylG 2005 ausreichend mitgewirkt, sodass ihre Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln zurückzuweisen gewesen seien. Zwar hätten sie Anträge auf Heilung des in Rede stehenden Mangels gestellt, ein Nachweis im Sinn von § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 sei jedoch nicht erbracht worden.

4        Auch eine Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK falle nicht zu ihren Gunsten aus. Da mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom selben Tag gegenüber ihren Eltern, die ebenfalls Staatsangehörige der Mongolei seien, inhaltsgleiche Entscheidungen ergangen seien und über deren Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 55 AsylG 2005 ebenfalls negativ entschieden worden sei, liege kein Eingriff in das Familienleben der revisionswerbenden Parteien vor.

5        Der mittlerweile volljährige, gesunde und arbeitsfähige Zweitrevisionswerber, dessen Muttersprache Mongolisch sei, sei in seinem Herkunftsstaat aufgewachsen, habe dort die Schule besucht und sei dort sozialisiert worden. Er habe die Matura in Österreich absolviert und studiere nunmehr im zweiten Semester an der Wirtschaftsuniversität in Wien. Ein Reifeprüfungszeugnis sei vorgelegt worden. Er habe sehr gute Deutschkenntnisse, gehe keiner Erwerbstätigkeit nach und sei kein Mitglied in Vereinen. Allerdings besuche er ein Fitnessstudio und habe österreichische Freunde. Eine Freundin bzw. Partnerin habe er nicht. Von 29. November 2011 bis 5. August 2016 sei er in Österreich mit Nebenwohnsitz gemeldet gewesen. Seit 5. August 2016 liege eine Hauptwohnsitzmeldung vor.

6        Der Erstrevisionswerber, dessen Muttersprache ebenfalls Mongolisch sei, sei in Ungarn geboren und in Österreich seit 5. August 2016 gemeldet. Er habe im Bundesgebiet den Kindergarten besucht und gehe nunmehr zur Schule. Hinsichtlich des Kindergartenbesuchs sei eine Bestätigung vorgelegt worden. Er befinde sich im anpassungsfähigen Alter, wohne zusammen mit seinen Eltern sowie mit seinem Bruder in einem Haushalt und sei im Kreis der aus der Mongolei stammenden Familie sozialisiert worden.

7        Die Behauptung, die revisionswerbenden Parteien seien seit August oder September 2011 durchgehend in Österreich aufhältig, sei aus näher genannten Gründen nicht glaubhaft. Insbesondere sei die Mutter der revisionswerbenden Parteien bis zum 5. August 2016 nicht in Österreich gemeldet gewesen. Ihr Vater habe bis zu diesem Zeitpunkt mit Unterbrechungen lediglich über Nebenwohnsitzmeldungen verfügt. Trotz ausdrücklicher Aufforderung seien keine Bestätigungen hinsichtlich des Aufenthalts der Familie in Österreich (wie beispielsweise Schulzeugnisse des Zweitrevisionswerbers oder der Impfpass des Erstrevisionswerbers) vorgelegt worden. Auch sonstige Unterlagen, die einen Aufenthalt der revisionswerbenden Parteien in Österreich belegen würden, seien nicht übermittelt worden.

8        Die Großeltern und Tanten der revisionswerbenden Parteien lebten in der Mongolei; insofern bestünden Bindungen zum Herkunftsstaat. Die revisionswerbenden Parteien würden auch im Familienverbund in die Mongolei zurückkehren. Ihre Integration sei zu einem Zeitpunkt entstanden, zu dem der Aufenthaltsstatus der gesamten Familie unsicher gewesen sei. Vor diesem Hintergrund falle die Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK zu ihren Ungunsten aus.

9        Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 30. November 2021, E 2566-2567/2021, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese mit Beschluss vom 10. Jänner 2022, E 2566-2567/2021-9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe verkannt, dass sich aus § 18 Abs. 1 AsylG 2005 eine verstärkte amtswegige Ermittlungspflicht ergebe. Das Bundesverwaltungsgericht habe es verabsäumt, die Schulbehörde hinsichtlich des Schulbesuchs des Zweitrevisionswerbers zu befassen. Der Vater der revisionswerbenden Parteien habe seit 25. Jänner 2013 über einen Aufenthaltstitel als Studierender verfügt; dies lege nahe, dass die Familie schon vor dem Jahr 2015 nach Österreich gekommen sei. Der Zweitrevisionswerber sei zudem bereits seit 29. November 2011 in Österreich gemeldet. Auch ein Nebenwohnsitz sei ein Wohnsitz. Bei Durchführung von weiteren amtswegigen Ermittlungen hätte sich ergeben, dass sich die revisionswerbenden Parteien bereits seit dem Jahr 2011 in Österreich aufhielten. Ausgehend davon hätte die Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK zu ihren Gunsten ausfallen müssen. Zudem sei das angefochtene Erkenntnis mangelhaft begründet.

Die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG liegen nicht vor:

10       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

12       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13       Soweit sich die revisionswerbenden Parteien auf § 18 AsylG 2005 berufen, genügt es darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm. § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichtes darstellt, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (siehe etwa VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, Rn. 48, mwN), dem dem „Asylverfahrensrecht“ gewidmeten und somit hier nicht maßgeblichen 4. Hauptstück des AsylG 2005 zugeordnet ist.

14       Mit dem Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht habe amtswegige Ermittlungspflichten verkannt, wird eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aufgezeigt. Die revisionswerbenden Parteien bzw. ihre Eltern als gesetzliche Vertreter wurden im Laufe des Verfahrens dazu aufgefordert, Belege betreffend die Behauptung vorzulegen, dass sich die Familie bereits seit dem Jahr 2011 in Österreich aufhalte. Hinsichtlich der Schulzeugnisse des Zweitrevisionswerbers und des Impfpasses des Erstrevisionswerbers wurde eine Vorlage in der mündlichen Verhandlung in Anwesenheit des anwaltlichen Vertreters der revisionswerbenden Parteien auch (erneut) ausdrücklich zugesichert. Es wurden jedoch abermals keine Unterlagen übermittelt.

15       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG im Zusammenhang mit der Überprüfung der Beweiswürdigung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs, nicht aber um die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (vgl. beispielsweise VwGH 12.10.2020, Ra 2020/22/0064, Rn. 6, mwN).

16       Eine derartige vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung zeigt die Revision nicht auf, zumal sich das Verwaltungsgericht mit den Ermittlungsergebnissen, die es u.a. im Rahmen einer mündlichen Verhandlung gewonnen hatte, nachvollziehbar auseinandersetzte; das gilt auch für die in der Revision ins Treffen geführte Nebenwohnsitzmeldung des Zweitrevisionswerbers. Wenn sich die revisionswerbenden Parteien darauf berufen, dass ihr Vater in Österreich seit Jänner 2013 über einen Aufenthaltstitel als Studierender verfügt habe, gelingt es ihnen ebenfalls nicht, eine Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts aufzuzeigen. Die erst mit der Revision vorgelegten Schulzeugnisse des Zweitrevisionswerbers unterliegen im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof dem Neuerungsverbot (vgl. § 41 VwGG); sie haben daher im - hier allein zu beurteilenden - gegenständlichen Verfahren keine Beachtung zu finden.

17       Weiters stellt die einzelfallbezogene Beurteilung der Zulässigkeit eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG dar (VwGH 30.9.2021, Ra 2021/22/0177, Rn. 11).

18       Dass die verwaltungsgerichtliche Interessenabwägung auf Basis der im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Feststellungen, die - wie ausgeführt - auf einer nicht unschlüssigen Beweiswürdigung beruhen, grob fehlerhaft oder unvertretbar vorgenommen worden wäre, ist anhand der Revision nicht ersichtlich. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der bisherige Aufenthalt der revisionswerbenden Parteien in Österreich nach der Aktenlage zum weitaus überwiegenden Teil illegal war.

19       Der von der Revision ins Treffen geführte Begründungsmangel liegt schon deshalb nicht vor, weil das Verwaltungsgericht auf Basis der von ihm getroffenen Feststellungen (siehe auch Rn. 16) nicht von einem nahezu zehnjährigen Aufenthalt der revisionswerbenden Parteien im Bundesgebiet auszugehen hatte.

20       Aus den dargelegten Gründen wird eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aufgezeigt. Somit erweist sich die Revision als unzulässig und war gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 29. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020220223.L00

Im RIS seit

22.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

02.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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