TE Vwgh Erkenntnis 2022/3/18 Ro 2021/01/0024

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.03.2022
beobachten
merken

Index

E3R E19104000
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §51 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
32013R0604 Dublin-III Art29 Abs2

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ro 2021/01/0025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der 1. F J, und 2. H N, beide in W, beide vertreten durch DDr. Rainer Lukits, LL.M., Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das am 2. August 2021 mündlich verkündete und am 16. August 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, Zlen. 1.) I413 2235426-2/8E und 2.) I413 2235428-2/7E, jeweils betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Erstrevisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der Zweitrevisionswerberin; beide sind nigerianische Staatsangehörige. Die Erstrevisionswerberin stellte am 4. August 2014 für sich und am 9. Jänner 2017 als gesetzliche Vertreterin für die Zweitrevisionswerberin einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheiden vom 16. Oktober 2014 (Erstrevisionswerberin) und vom 27. Oktober 2017 (Zweitrevisionswerberin) wies die belangte Behörde, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), diese Anträge gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 25 Abs. 2 (Erstrevisionswerberin) bzw. Art. 20 Abs. 3 (Zweitrevisionswerberin) der Dublin III-Verordnung (Dublin III-VO) Italien zuständig sei (Spruchpunkte I). Weiters wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung der Revisionswerberinnen (nach Italien) angeordnet und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkte II).

3        Die dagegen von den Revisionswerberinnen erhobenen Beschwerden wurden - nachdem das die Beschwerden abweisende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 4. Oktober 2018 mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Juni 2019, E 4602-4603/2018-22 aufgehoben worden war (vgl. in weiterer Folge auch den Beschluss des VwGH vom 26. Juli 2019, Ra 2018/19/0649, 0650, betreffend Einstellung der Revisionsverfahren) - im zweiten Rechtsgang mit Erkenntnis des BVwG vom 14. Februar 2020 (neuerlich) als unbegründet abgewiesen.

4        Mit Schreiben vom 26. August 2020 stellten die Revisionswerberinnen einen Antrag („wegen Verfahrenszulassung/Ausstellung von Aufenthaltsberechtigungskarten“) auf Ausstellung jeweils einer Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005. Begründend führten sie aus, dass seit der Zustellung des Erkenntnisses des BVwG vom 14. Februar 2020 mehr als sechs Monate vergangen seien und die Zuständigkeit zur Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO auf Österreich übergegangen sei.

5        Das BFA wies diesen Antrag mit Bescheid vom 18. Mai 2021 gemäß § 28 iVm § 51 AsylG 2005 ab.

6        Dagegen erhoben die Revisionswerberinnen Beschwerde an das BVwG, die mit nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet abgewiesen wurde (I.); die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig (II.)

7        Das BVwG begründete seine Entscheidung - im Wesentlichen wie das BFA in der Bescheidbegründung - damit, dass eine Aufenthaltskarte gemäß § 51 AsylG 2005 Asylwerbern auszustellen sei, deren Verfahren zuzulassen seien und denen ein Aufenthaltsrecht nach § 13 Abs. 1 AsylG 2005 zukomme. Im Falle der Revisionswerberinnen bestehe aber kein Verfahren, das zuzulassen wäre, weil ihre Anträge auf internationalen Schutz mit Erkenntnis des BVwG vom 14. Februar 2020 rechtskräftig zurückgewiesen worden seien. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) habe in seinem Urteil vom 25. Oktober 2017, Shiri, C-201/16, zwar ausgesprochen, dass nach einem Zuständigkeitsübergang gemäß Art. 29 Abs. 2 der Dublin-III-VO die Zurückweisung des Antrags von den Behörden der Mitgliedstaaten aufzuheben sei. Es bestehe nach innerstaatlichem Recht aber weder für das BFA noch für das BVwG eine gesetzliche Grundlage, eine derartige Aufhebung vorzunehmen, zumal § 68 AVG nicht anwendbar sei. Es komme daher für die Revisionswerberinnen - als „zumutbare und effektive Möglichkeit - nur die neuerliche Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Betracht. Davon hätten die Revisionswerberinnen, die vom BFA ausdrücklich zur neuerlichen Antragstellung angeleitet worden seien, aber bewusst Abstand genommen.

8        Die Zulassung der Revision begründete das BVwG damit, dass „es für den Fall eines nachträglichen Zuständigkeitsübergangs nach Art 29 Abs 2 Dublin-III-Verordnung an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dahingehend fehlt, ob dann, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bereits rechtskräftig durch das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen wurde, das Verfahren auf internationalen Schutz - gegebenenfalls gestützt auf Unionsrecht - ohne förmliche Aufhebung des zurückweisenden Erkenntnisses fortzusetzen ist ... oder erst nach neuerlicher Antragstellung (was sich auch aus unionsrechtlicher Sicht als adäquate verfahrenstechnische Lösung erweisen könnte).“

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete in dem vom BVwG durchgeführten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

10       Die Revision ist zulässig und berechtigt.

11       Der vorliegende Revisionsfall gleicht in sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Hinsicht in seinen entscheidungswesentlichen Punkten jenem Fall, den der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. Dezember 2021, Ro 2019/21/0016, entschieden hat. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.

12       Demnach bestand für Österreich im vorliegenden Revisionsfall nach Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO jedenfalls die Verpflichtung zur inhaltlichen Überprüfung der von den Revisionswerberinnen am 4. August 2014 bzw. 9. Jänner 2017 gestellten Anträge auf internationalen Schutz, der die zurückweisende Dublin-Entscheidung des BVwG vom 14. Februar 2020 nicht (mehr) entgegenstand. Entgegen der Auffassung des BVwG bedurfte es in dieser Konstellation nicht der Stellung eines weiteren Antrags auf internationalen Schutz, um dessen inhaltliche Prüfung zu ermöglichen (VwGH Ro 2019/21/0016, Rn. 14, 27).

13       Die Abweisung des Antrags auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte erweist sich vor diesem Hintergrund als rechtswidrig. Vielmehr wären den Revisionswerberinnen die beantragten Aufenthaltskarten gemäß § 51 Abs. 1 AsylG 2005 auszufolgen (und die Anträge auf internationalen Schutz der Revisionswerberinnen dadurch zuzulassen und inhaltlich zu prüfen) gewesen (vgl. VwGH Ro 2019/21/0016, Rn. 23).

14       Das angefochtene Erkenntnis ist demnach mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

15       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 53 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. März 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021010024.J00

Im RIS seit

18.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.05.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten