TE OGH 2022/1/25 8Ob102/21i

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Veröffentlicht am 25.01.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Insolvenzsache der Schuldnerin S* Gesellschaft mbH, *, vertreten durch Abel Rechtsanwälte GmbH in Wien, über den Revisionsrekurs der Schuldnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 9. Juni 2021, GZ 1 R 93/21t-151, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 11. April 2021, GZ 14 S 27/20p-115, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache an das Rekursgericht zur neuerlichen Entscheidung über die Rekurse zurückverwiesen.

Text

Begründung:

[1]            Mit 18. 12. 2020 eröffnete das Erstgericht über das Vermögen der Schuldnerin das Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung.

[2]            Bis zur Sanierungsplantagsatzung wurden Insolvenzforderungen mit einer Gesamtsumme von 43.331.186,22 EUR anerkannt bzw festgestellt. Davon entfallen Forderungen im Ausmaß von insgesamt 38.815.530,22 EUR auf fünf Gläubigerbanken.

[3]            Die Schuldnerin verfügt über sieben Liegenschaften und zwei Baurechte, die einen Wert von über 25 Mio EUR aufwiesen. Die Forderungen der Gläubigerbanken sind größtenteils auf den schuldnerischen Liegenschaften besichert.

[4]            Die Gläubigerin zu A-ON 138 beantragte für ihre angemeldete, unbestritten gebliebene Forderung von 4.978.528,20 EUR, die mit einem erstrangigen Höchstbetragspfandrecht besichert ist, die Zuerkennung des Stimmrechts in Höhe von 1.978.528,20 EUR mit der Begründung, dass sie ihre Sicherheit mit einem Deckungswert von 3.000.000 EUR ansetze.

[5]            Die in der Folge bestellte Sanierungsverwalterin holte Sachverständigengutachten zur Bewertung der schuldnerischen Liegenschaften ein und legte die Ergebnisse ihren Berichten zur Erfüllbarkeit des Sanierungsplans zugrunde. In der Sanierungsplantagsatzung bot die Schuldnerin den Insolvenzgläubigern eine (verbesserte) Quote von 50 % ihrer Forderungen, zahlbar binnen zwei Jahren ab Annahme des Sanierungsplanes, an.

[6]       Das Erstgericht hielt im Protokoll über die Abstimmung über den geänderten Sanierungsplanvorschlag folgendes Abstimmungsergebnis fest:

„Pro-Köpfe gesamt:146

Kontra-Köpfe gesamt: 34

Dafür-Stimmen: EUR 5,380.011,58 (50,72 %)

Gegenstimmen:  EUR 5,227.538,61 (49,28 %)

Das Stimmrecht wird bei jeder Forderung so angenommen, wie es im Feld Stimmrecht bei der Anmeldung eingetragen ist.“

[7]            Insgesamt entschied das Erstgericht in der Sanierungsplantagsatzung gemäß § 93 Abs 4 IO über das Ausmaß des Stimmrechts von 43 Insolvenzgläubigern. Der Gläubigerin zu A-ON 138, die für den Zahlungsplan gestimmt hat, wurde für den nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens voraussichtlich ungedeckten Teil ihrer Insolvenzforderung ein Stimmrecht im Ausmaß von 2.273.528,20 EUR zuerkannt. Hinsichtlich des Stimmrechts der bestrittenen Forderungen unterblieb eine Entscheidung mangels Relevanz für das erreichte Abstimmungsergebnis.

[8]            Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Erstgericht den abgeschlossenen Sanierungsplan als mit den erforderlichen Mehrheiten angenommen. Gleichzeitig wies es den Antrag eines Gläubigers ab, der Absonderungsgläubigerin zu A-ON 138 das Stimmrecht nur im Umfang von 1.978.528,20 EUR zuzuerkennen. Die Gläubigerin sei in der Tagsatzung vertreten gewesen und habe abzustimmen begehrt. Maßgeblich für die Höhe des Stimmrechts sei ihr voraussichtlicher Forderungsausfall, der sich aus dem eingeholten Gutachten ergebe. Eine Aufsplittung des Stimmrechts sei unzulässig. Es sei daher unbeachtlich, wenn die Gläubigerin ursprünglich ein geringeres Teilnahmebegehren gestellt habe.

[9]            Das Rekursgericht gab dem gegen die Bestätigung des Sanierungsplans erhobenen Rekursen zweier Gläubigerinnen Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass dem Sanierungsplan die insolvenzgerichtliche Bestätigung versagt werde.

[10]           Nach § 93 Abs 2 IO sei ein Stimmrecht für Forderungen der Absonderungsgläubiger nur soweit zu gewähren, als der Gläubiger dies begehrt habe und nur für den Teil der Forderung, der voraussichtlich durch die anderweitige Geltendmachung nicht gedeckt sei. Die Gläubigerin zu A-ON 138 habe das Stimmrecht nur für einen Ausfall von 1.978.528,20 EUR begehrt, weshalb dieser Betrag die Obergrenze darstelle, auch wenn nach dem eingeholten Bewertungsgutachten mit einem höheren Ausfall zu rechnen wäre. Lege man dem Abstimmungsergebnis nur den vom Begehren gedeckten Forderungsbetrag zugrunde, sei die erforderliche Summen- bzw Kapitalmehrheit nicht erreicht. Alle übrigen im Rekurs behaupteten Mängel des Abstimmungsverfahrens könnten bei diesem Ergebnis dahingestellt bleiben.

[11]           Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur entscheidungswesentlichen Frage der Auslegung des § 93 Abs 2 IO vorliege.

[12]           Der Revisionsrekurs der Schuldnerin strebt die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts an, hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[13]           Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht dargelegten Grund zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Zulässigkeit des Rekurses

[14]           Nach § 93 Abs 4 IO ist ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des Insolvenzgerichts darüber, ob und inwieweit die Stimme eines (ua) Absonderungsgläubigers, für den ungedeckten Teil seiner Forderung bei einer Abstimmung gezählt wird oder nicht, unzulässig.

[15]           Ungeachtet dieses Rechtsmittelausschlusses, der dem provisorischen Charakter dieser für weitere Abstimmungen nicht bindenden Entscheidung Rechnung trägt, bejaht die Rechtsprechung zur Vermeidung eines Rechtsschutzdefizits auch die Überprüfung einer Stimmrechtsentscheidung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Abstimmung über den Zwangsausgleich (Zahlungsplan, Sanierungsplan), und zwar in der Frage des Vorliegens der für den Abschluss normierten gesetzlichen Voraussetzungen und damit insbesondere auch der nach § 147 Abs 1 IO geforderten Stimmenmehrheiten (RIS-Justiz RS0124276 = 8 Ob 104/08i; 8 Ob 5/93; krit Kodek, Das IRÄG 2010 im Überblick, ÖBA 2010, 498 [500]).

[16]           Die Schuldnerin führt gegen diese Rechtsprechung ins Treffen, dass § 93 Abs 2 IO lediglich verlange, dass ein Absonderungsgläubiger das Stimmrecht überhaupt zu begehren habe, ohne die Höhe des Teilnahmeanspruchs beziffern zu müssen. Jedenfalls sei das Insolvenzgericht an eine dennoch angegebene Höhe nicht gebunden. Es treffe nur eine provisorische Entscheidung, die bei späteren Abstimmungen aufgrund neuer Erkenntnisse wieder abweichend festgelegt werden könne. Auch in diesem Fall bleibe ein bereits erzieltes Abstimmungsergebnis aufgrund einer früheren Festlegung des Stimmrechts weiterhin bindend. Diesem bloß provisorischen Charakter der Stimmrechtsentscheidung und dem damit verfolgten Ziel der Verfahrensökonomie trage der Rechtsmittelausschluss nach § 93 Abs 4 IO Rechnung. Die zitierte Rechtsprechung führe im Ergebnis zu der Interpretation, dass lediglich eine abgesonderte Anfechtung der Stimmrechtsentscheidung ausgeschlossen wäre. Hätte der Gesetzgeber dies tatsächlich anordnen wollen, dann hätte er dem entsprechend deutlich Ausdruck verliehen.

[17]           Diese Ausführungen bieten jedoch keinen Anlass für ein Abgehen von den Grundsätzen der eingangs dargestellten Rechtsprechung.

[18]           Der Kritikpunkt, der Rechtsmittelausschluss des § 93 Abs 4 IO werde durch die Rechtsprechung auf den bloßen Ausschluss einer abgesonderten Anfechtung der Stimmrechtsentscheidung reduziert, trifft bei genauer Betrachtung nicht zu.

[19]           Grundlage der Entscheidung 8 Ob 104/08i war, dass die Gläubigerin einer unbestrittenen Forderung durch einen Beschluss nach § 93 (damals) KO von der Ausübung ihres gesetzlichen Stimmrechts ausgeschlossen worden war. Die Entscheidung zu 8 Ob 5/93 betraf den Ausschluss des Stimmrechts für eine durch Rückstandsausweis titulierte bestrittene Forderung, deren Bestreitung der Masseverwalter jedoch nicht nach § 110 Abs 4 (damals) KO geltend gemacht hatte. In beiden Fällen war nicht die unanfechtbare Festsetzung der strittigen Höhe eines Stimmrechts, sondern das Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen, über die betroffenen Forderungen überhaupt eine Stimmrechtsentscheidung zu treffen, als Mangel im Rekursverfahren über den Bestätigungsbeschluss aufzugreifen.

[20]           Wurde ein auf der Gesetzeslage bestehendes Stimmrecht bei der Abstimmung über einen Sanierungsplan ohne Rechtsgrundlage übergangen und war seine Nichtberücksichtigung für das Ergebnis entscheidend, liegt ein die Bestätigung hindernder Verfahrensmangel iSd § 153 Z 2 IO vor (idS zust auch Kodek, Privatkonkurs³ Rz 13.106).

[21]     Nach § 93 Abs 2 IO wird für Forderungen der Absonderungsgläubiger ein Stimmrecht nur gewährt, soweit der Gläubiger dies begehrt, und nur für den Teil der Forderung, der voraussichtlich durch die anderweitige Geltendmachung nicht gedeckt ist.

[22]           Voraussetzung für die Zuerkennung eines Stimmrechts für die Forderung eines Gläubigers nach § 93 Abs 3 IO ist, dass der betreffende Konkursgläubiger sein Stimmrecht in der Tagsatzung zur Prüfung der angemeldeten Forderung und Entscheidung über den Antrag auf Annahme des Zahlungsplans geltend gemacht hat (8 Ob 10/05m). Umgekehrt liegt ein Mangel des Bestätigungsverfahrens vor, wenn ein für das Ergebnis wesentliches Stimmrecht bei der Abstimmung berücksichtigt wurde, obwohl der Gläubiger die Gewährung nach § 93 Abs 2 IO nicht begehrt hat. Es wird in diesem Fall nicht das Ergebnis der Stimmrechtsentscheidung geprüft, sondern ob überhaupt eine solche getroffen werden durfte.

[23]           Im Rekursverfahren wurde die Entscheidung über ein nicht begehrtes Stimmrecht als Mangel des Bestätigungsverfahrens geltend gemacht. Das Rekursgericht hat davon ausgehend die Zulässigkeit der Anfechtung des erstgerichtlichen Beschlusses ohne Rechtsirrtum bejaht.

2. Stimmrecht des Absonderungsgläubigers

[24]           In der Sache macht die Schuldnerin geltend, dass sich das Stimmrechtsbegehren des Absonderungsgläubigers nach § 93 Abs 2 IO nur auf den mutmaßlichen Ausfall zu beziehen habe, der in der Regel bei der Anmeldung der Forderung noch nicht abschließend beziffert werden könne. Eine bestimmte Form des Verlangens oder ein Begehren, das Stimmrecht für einen bestimmten Betrag zuzuerkennen, sei nicht vorgeschrieben. Daraus folge, dass eine solche dennoch getätigte Angabe des Gläubigers das Ausmaß seines Stimmrechts auch nicht beeinflussen, insbesondere es nicht beschränken könne, sondern der tatsächlich zu erwartende Ausfall für die Stimmrechtsentscheidung maßgeblich sei.

[25]           Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass schon der Wortlaut des § 93 Abs 2 IO dafür spricht, dass das Stimmrecht der nach dieser Gesetzesstelle der Höhe nach doppelt begrenzt ist, weil es einerseits nur im Ausmaß des voraussichtlichen Ausfalls zu gewähren ist, und auch nur „soweit“ (nicht nur: „wenn“) der Gläubiger es begehrt.

[26]           Es steht dem Absonderungsgläubiger nach § 93 Abs 2 IO grundsätzlich frei, ob er für seinen voraussichtlichen Forderungsausfall ein Stimmrecht in Anspruch nehmen will. Davon ausgehend überzeugt die Ansicht nicht, dass ihm jede Einschränkung des Stimmrechtsbegehrens der Höhe nach versagt wäre. Das Stimmrecht wird nur „insoweit gewährt“, als es begehrt wurde, das Begehren steckt den Rahmen für die Stimmrechtsentscheidung ab. Nach dem mangels abweichender Regelung analog anzuwendenden § 405 ZPO iVm § 252 IO kann das Gericht dem Gläubiger daher nicht für einen größeren Betrag ein Stimmrecht zusprechen, als er beantragt (Mohr in Konecny, [Hrsg]), ZIK Spezial – IRÄG 2010 Der Sanierungsplan 4.2; vgl auch ErlRV IRÄG 2010, 612 BlgNR 24. GP 18).

[27]           Der Revisionsrekurs führt dagegen ins Treffen, es sei in der Insolvenzordnung nicht vorgesehen, dass ein Gläubiger mit nur einem Teil seines Stimmrechts an einer Abstimmung teilnimmt und sich dadurch mit dem anderen Teil praktisch der Stimme enthält. Stimmenthaltungen seien als Gegenstimmen zu zählen, sodass es zu einer Aufsplittung des Stimmrechts käme und der sich aus § 144 IO und dem Kopfmehrheitserfordernis in § 147 IO ergebende Grundsatz verletzt würde, dass pro Gläubiger bzw Forderung nur eine einzige Stimme zusteht.

[28]           Mit diesen Ausführungen wird nicht berücksichtigt, dass ein Absonderungsgläubiger, der ein Stimmrecht in einer konkreten, unter dem vorhersehbaren Ausfall liegenden Höhe begehrt und zuerkannt erhält, auch nur dieses ausüben kann. Ein darüber hinausgehendes Stimmrecht existiert nicht. Die im Beschluss des Erstgerichts zum Ausdruck kommende Auffassung eines absolut bestehenden Stimmrechts im Ausmaß des voraussichtlichen Ausfalls, das nur teilweise ausgeübt würde, findet in § 93 Abs 2 IO mit der darin normierten doppelten (subjektiven und objektiven) Begrenzung keine Deckung.

[29]           Die Situation, dass ein Gläubiger das Stimmrecht nicht im möglichen höchsten Betrag begehrt, unterscheidet sich im Ergebnis nicht von dem Fall, dass das Insolvenzgericht ein Stimmrecht aufgrund einer zu niedrigen Einschätzung des tatsächlich verbleibenden Ausfalls in geringerem Ausmaß zuerkannt hat.

[30]           Dem Revisionsrekurs ist aber zuzustimmen, dass die Geltendmachung des Stimmrechts nach § 93 Abs 2 IO die Angabe eines bestimmten Betrags nicht erfordert. Es genügt die Angabe des voraussichtlichen, in der Regel noch nicht endgültig feststehenden Werts des Absonderungsguts und das Begehren, für die Differenz zur angemeldeten Forderung ein Stimmrecht zu erhalten. Es obliegt dann dem Gericht nach Anhörung gemäß § 93 Abs 4 IO, diesen Betrag konkret festzulegen.

[31]           Begehrt der Gläubiger aber dessen ungeachtet das Stimmrecht nur für einen bestimmten Betrag, ist dies nicht unbeachtlich. Nach § 405 ZPO iVm § 252 IO kann das Gericht dem Gläubiger, der ausdrücklich weniger als den voraussichtlichen Ausfall geltend macht, nicht mehr an Stimmrecht zuerkennen als er begehrt hat (vgl Mohr in Konecny, [Hrsg]), ZIK Spezial – IRÄG 2010 Der Sanierungsplan 4.2).

[32]           Wie ein konkretes Begehren auszulegen ist, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab. Aus dem Fehlen einer gesetzlichen Obliegenheit zur ziffernmäßigen Festlegung und aus dem grundsätzlich provisorischen Charakter der Stimmrechtsentscheidung kann abgeleitet werden, dass das Begehren eines Absonderungsgläubigers im Zweifel, soweit sich aus seinem Vorbringen nichts anderes ergibt, nicht auf den genannten Betrag beschränkt, sondern auf das Stimmrecht im gesetzlichen Ausmaß gerichtet ist, wenn er einen voraussichtlichen Wert des Absonderungsguts nennt und genau die rechnerische Differenz zwischen diesem und seiner Insolvenzforderung geltend macht.

[33]           Dafür spricht auch, dass die Angabe des voraussichtlich durch das Absonderungsrecht nicht gedeckten Ausfalls zu dem nach § 103 Abs 3 IO zwingenden Inhalt einer Forderungsanmeldung gehört. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist der Erfüllung dieser gesetzlichen Erfordernisse kein darüber hinausgehender, insbesondere kein Rechte des Anmelders einschränkender Erklärungswert beizumessen.

[34]           In jedem Fall ist der Absonderungsgläubiger an eine von ihm vorgenommene Bezifferung des begehrten Stimmrechts im weiteren Verfahren nicht gebunden, weil selbst eine vom Gericht getroffene Entscheidung gemäß § 93 Abs 4 IO auf Antrag bei einer späteren Abstimmung wieder abgeändert werden kann. Wenn sich im Zuge des Verfahrens herausstellt, dass der voraussichtliche Ausfall den ursprünglich angenommenen bzw den begehrten Betrag übersteigt, kann der Absonderungsgläubiger sein Teilnahmebegehren auf die Differenz ausdehnen.

[35]           Der Revisionrekurs macht geltend, die Gläubigerin zu A-ON 138 habe nicht nur von vornherein offenkundig ein Stimmrecht für ihren gesamten voraussichtlichen Ausfall geltend machen wollen, der in der Forderungsanmeldung nur vorläufig angegeben gewesen sei. Sie habe jedenfalls in der Zahlungsplantagsatzung ausdrücklich ihre Stimme im vom Erstgericht festgelegten Ausmaß abgegeben, sodass es längstens zu diesem Zeitpunkt auch von ihrem Begehren umfasst gewesen sei.

[36]           Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu. Nach § 93 Abs 2 IO sind keine Frist und keine bestimmte Form für die Geltendmachung des Stimmrechts vorgesehen. Das Gericht hat nur dann – unter der weiteren Voraussetzung der Ergebnisrelevanz – darüber zu entscheiden, wenn zum Zeitpunkt der Gläubigerversammlung das Stimmrecht beansprucht wird (8 Ob 10/05m). Nach der im Schrifttum vertretenen Ansicht genügt dafür auch ein schlüssiges, durch die tatsächliche Stimmabgabe zum Ausdruck gebrachtes Begehren (Reisch in Koller/Lovrek/Spitzer, IO § 93 Rz 4 sowie Mohr, IO11 § 93 E 11, jeweils unter Berufung auf 8 Ob 10/05m). Aus den Protokollen der Sanierungsplantagsatzug (ON 57) und dem Abstimmungsverzeichnis ist ersichtlich, dass die Gläubigerin A-ON 138 an der Abstimmung teilgenommen und ihr Stimmrecht in jenem Umfang beansprucht hat, den das Insolvenzgericht gemäß § 93 Abs 4 IO in der Folge festgelegt hat. Das Erstgericht hat bei dieser Sachlage seine Entscheidungsbefugnis nicht überschritten, sodass der vom Rekursgericht erblickte Mangel des Bestätigungsverfahrens nicht vorliegt.

3. Ergebnis

[37]           Aufgrund seiner vom erkennenden Senat nicht geteilten Rechtsansicht, dass die Summenmehrheit für die Annahme des Sanierungsplans aufgrund einer unrichtigen Bewertung des Stimmrechts der Gläubigerin A-ON 138 nicht erreicht wurde, hat sich das Rekursgericht mit den weiteren in den Rekursen behaupteten Versagungsgründen nicht auseinandergesetzt.

[38]           Die Rekurswerber haben insbesondere geltend gemacht, dass das Erstgericht sein Ermessen nach § 154 Z 2 IO unrichtig ausgeübt habe, weil bei einer insolvenzrechtlichen Verwertung eindeutig eine höhere Quote für die Gläubiger erzielt werden könne. Es habe sich mit Mängeln des Sachverständigengutachtens und mit vorliegenden Kaufanboten der Rekurswerber nicht auseinandergesetzt und nicht erkannt, dass die Bedingungen des geänderten Sanierungsplans nicht erfüllt worden seien bzw dieser insgesamt unerfüllbar sei.

[39]           Eine abschließende Entscheidung kommt bei dieser Sachlage derzeit nicht in Betracht.

[40]           Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über die Rekurse unter Bedachtnahme auf die noch unerledigten Rechtsmittelgründe aufzutragen.

Textnummer

E134297

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00102.21I.0125.000

Im RIS seit

10.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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