TE Lvwg Erkenntnis 2022/3/25 LVwG-S-2400/001-2021

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.03.2022
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Entscheidungsdatum

25.03.2022

Norm

EpidemieG 1950 §7
EpidemieG 1950 §17
EpidemieG 1950 §40
ZustG §2
ZustG §5
ZustG §37 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag. Allraun als Einzelrichter über die Beschwerde der Frau A, ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha vom 07.10.2021, Zl. ***, zu Recht:

1.   Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

2.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§ 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG

§ 45 Abs. 1 Z 1 und 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG

§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der nunmehrigen Beschwerdeführerin Folgendes zur Last gelegt:

„Sie haben folgende Verwaltungsübertretung begangen:

Zeit:

27.06.2021, 16:40 Uhr (Zeitpunkt der Kontrolle)

Ort:

***, *** (Absonderungsadresse)

Tatbeschreibung:

Sie haben als Erziehungsberechtigte des B, geb. *** zu verantworten, dsss dieser zum angeführten Zeitpunkt am angeführten Ort im Zuge der Überwachung von Anordnungen nach dem Epidemiegesetz 1950 nicht angetroffen werden konnte und dieser somit die Wohnung verlassen hat, obwohl ihm mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha, GZ: ***, vom 24.06.2021, die Absonderung in der Wohnung in ***, ***, für den Zeitraum von 24.07.2021 bis einschließlich 07.07.2021 zur Verhütung der Weiterverbreitung von 2019-nCoV ("2019 neuartiges Coronavirus") angeordnet wurde.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:

§ 40 i.V.m. §§ 7, 17 EpiG i.V.m. VO BGBl. II Nr. 15/2020 und VO BGBl. II Nr. 21/2020

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe von

falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von

Gemäß

€ 400,00

96 Stunden

§ 40 lit.c Epidemiegesetz 1950 - EpiG, BGBl. Nr. 186/1950, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 136/2020

Vorgeschriebener Kostenbeitrag gemäß § 64 Abs.2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), das sind 10% der Strafe, mindestens jedoch 10 Euro

                 40,00

                                                           Gesamtbetrag:

                 440,00“

Dagegen hat die Beschuldigte fristgerecht Beschwerde erhoben.

Folgender entscheidungsrelevanter Sachverhalt wird als erwiesen festgestellt:

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha vom 24.06.2021, Zl. ***, wurde aufgrund seiner möglichen Ansteckung mit der Lungenerkrankung COVID-19 (SARS-CoV-2-Virus) die Absonderung des am *** geborenen Sohnes der Beschwerdeführerin, B, in ***, ***, beginnend mit 24.06.2021 bis einschließlich 07.07.2021 angeordnet.

Dieser Bescheid ist adressiert wie folgt:

„Herr B

z.H. des gesetzl. Erziehungsberechtigten

***

***“

Am 27.06.2021, 16.40 Uhr haben Beamte der Landespolizeidirektion Niederösterreich bei einer Kontrolle am verfahrensgegenständlichen Absonderungsort festgesellt, dass B sich nicht in der Wohnung aufgehalten hat.

Die belangte Behörde hat daraufhin die Strafverfügung vom 08.07.2021, ***, gegen B erlassen. Nach Einspruch gegen diese Strafverfügung wurde das Strafverfahren gegen den im Tatzeitraum unmündig minderjährigen B nicht weitergeführt, sondern die nunmehrige Beschwerdeführerin als Beschuldigte geführt.

In weiterer Folge wurde das angefochtene Straferkenntnis erlassen.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat aufgrund der gegenständlichen Beschwerde Folgendes Schreiben an die belangte Behörde gerichtet:

„Mit Straferkenntnis vom 07.10.2021 wurde Frau A als „Erziehungsberechtigte“ des zum Tatzeitpunkt unmündig minderjährigen B für schuldig erkannt zu verantworten zu haben, dass dieser den Absonderungsort verlassen habe, obwohl mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha, GZ: ***, vom 24.06.2021, die Absonderung in der Wohnung in ***, ***, für den Zeitraum von 24.07.2021 bis einschließlich 07.07.2021 zur Verhütung der Weiterverbreitung von 2019-nCoV ("2019 neuartiges Coronavirus") angeordnet worden sei.

Dieser Absonderungsbescheid ist adressiert an „B, z.H des gesetzl. Erziehungsberechtigten“.

Gemäß § 2 Z 1 Zustellgesetz ist der „Empfänger“ die von der Behörde in der Zustellverfügung (§ 5) namentlich als solche bezeichnete Person.

Dies gilt ebenso für den Vertreter einer Verfahrenspartei.

In Bezug auf den genannten Absonderungsbescheid fordert Sie das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich auf, binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens die Zustellverfügung zu übermitteln.

Weiters fordert Sie das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zur Stellungnahme binnen oben genannter Frist dahingehend auf, welche Bestimmung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Beschwerdeführerin als Erziehungsberechtigte zugrunde gelegt wird.“

Die belangte Behörde hat dazu mit Schreiben vom 23.03.2022 wie folgt Stellung genommen:

„Sehr geehrte Damen und Herren!

Im Hinblick auf Ihr Schreiben vom 22.03.2022 teilt Ihnen die Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha mit, dass der Absonderungsbescheid vom 24.06.2021, GZ. *** via E-Mail an die Adresse *** zugestellt wurde. Beigefügt übermittelt Ihnen die Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha zwei Screenshots aus dem Programm „MEPI“, welches Niederösterreichweit der Erfassung und Verarbeitung von Daten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie dient. Da es sich bei Erlassung eines derartigen Absonderungsbescheides um eine unaufschiebbare Maßnahme handelt, welche die betreffende Person rasch erreichen soll, werden diese Absonderungsbescheide seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 mittels E-Mail versandt.

Frau A rief am 25.06.2021 um 10:31 Uhr den Notruf NÖ an und teilte mit, dass Ihr Sohn B Kontakt zu einer Person hatte, welche positiv auf das COVID-19 Virus getestet wurde.

Da Frau A selbst angab, die Mutter von B zu sein und dies auch gegenüber den einschreitenden Beamten, im Zuge der Kontrolle, bekanntgab, bestand für die Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha zu keiner Zeit Zweifel daran, dass es sich bei Fr. A nicht um die erziehungsberechtigte Person handle.

Gemäß § 4 Abs.1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat das 14. Lebensjahr noch nicht zurückgelegt hat. Da B zur Tatzeit das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, war Fr. A als erziehungsberechtigte Person, dafür verantwortlich, da sie nicht dafür gesorgt hat, dass ihr Sohn die Quarantäne korrekt einhält.“

Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich unzweifelhaft aus dem vorliegenden Akteninhalt, insbesondere aus dem Akt der belangten Behörde, Zl. ***.

Die zur Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes maßgeblichen Bestimmungen lauten wie folgt:

Gemäß § 2 Z. 1 Zustellgesetz bedeutet im Sinne dieses Bundesgesetzes der Begriff „Empfänger“ die von der Behörde in der Zustellverfügung (§5) namentlich als solche bezeichnete Person.

§ 5 Zustellgesetz

Die Zustellung ist von der Behörde zu verfügen, deren Dokument zugestellt werden soll. Die Zustellverfügung hat den Empfänger möglichst eindeutig zu bezeichnen und die für die Zustellung erforderlichen sonstigen Angaben zu enthalten.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat erwogen wie folgt:

Im Akt der belangten Behörde findet sich keine Zustellverfügung, in der die nunmehrige Beschwerdeführerin als Vertreterin des B namentlich als Empfängerin des verfahrensgegenständlichen Absonderungsbescheides bezeichnet wurde.

Im Absonderungsbescheid wird sie auch nicht in der Adresse namentlich bezeichnet. Es ist dort nur unbestimmt „z.H. des gesetzl. Erziehungsberechtigten“ angeführt. Diese Formulierung lässt darüber hinaus entweder auf einen männlichen Erziehungsberechtigen oder, ganz unbestimmt, auf irgendeinen Erziehungsberechtigten als Adressaten schließen.

Gemäß § 9 Abs. 3 iVm § 2 Z. 1 ZustellG ist der Vertreter der Beschwerdeführerin als Empfänger in der Zustellverfügung namentlich zu bezeichnen. Das Kürzel "RA" genügt dieser Anforderung einer "namentlichen Bezeichnung" nicht. Das Fehlen der Angabe des Namens einer Person kann zu Mängeln bei der Zustellung führen. (VwGH 28.07.2010, Zl. 2009/02/0270).

Entsprechend dieser Judikatur und der in § 2 Z 1 Zustellgesetz ausdrücklich normierten Verpflichtung hätte die belangte Behörde die nunmehrige Beschwerdeführerin als Vertreterin des B namentlich in der Zustellverfügung als Empfängerin bezeichnen müssen.

Die fehlerhafte Bezeichnung einer Person als Empfänger in der Zustellverfügung kann nach der Rechtsprechung des VwGH nicht heilen (vgl. VwGH 25.2.2019,
Ra 2017/19/0361, mwN). Ein mangelhafter und dementsprechend gesetzwidriger Zustellvorgang steht einer rechtswirksamen Zustellung entgegen. Er löst den Beginn der Rechtsmittelfrist nicht aus (vgl. VwGH 7.3.2016, Ra 2015/02/0233, mwN). Im Einparteienverfahren (als solches stellt sich hier das behördliche Verwaltungsverfahren dar) setzt die Erhebung einer Beschwerde aber zwingend die Erlassung eines damit angefochtenen Bescheides voraus (vgl. VwGH 18.11.2015, Ra 2015/17/0026, mwN). (VwGH 18.10.2021, Ra 2020/14/0418)

Da keine Zustellverfügung betreffend den gegenständlichen Absonderungsbescheid existiert, in der die Beschwerdeführerin namentlich als Empfängerin bezeichnet wurde und eine Heilung nicht möglich ist, wurde der Absonderungsbescheid vom 24.06.2021 mangels ordnungsgemäßer Zustellung rechtlich nicht existent und konnte keine Rechtswirkungen auslösen.

Aus diesem Grund war B nicht rechtswirksam abgesondert.

Die Beschwerdeführerin konnte demnach die Verwaltungsübertretung nicht begehen.

Die Zustellung erweist sich darüber hinaus auch aus folgendem Grund als mangelhaft.

Gemäß § 37 Abs. 1 ZustG können Zustellungen ohne Zustellnachweis auch an einer elektronischen Zustelladresse erfolgen. § 2 Z 5 ZustG definiert die elektronische Zustelladresse als eine vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem anhängigen oder gleichzeitig anhängig gemachten Verfahren angegebene elektronische Adresse. Somit gelten auch Zustellungen per Telefax oder E-Mail als elektronische Zustellung ohne Zustellnachweis, wenn der Empfänger diese der Behörde in einem laufenden Verfahren angegeben hat. Der Empfänger hat zu erkennen gegeben, dass er über die E-Mail-Adresse erreichbar ist, wenn er der Behörde gegenüber ausdrücklich angibt, dass er über die E-Mail-Adresse zu erreichen ist. Die Zustellung an eine elektronische Zustelladresse wird nach § 37 Abs. 1 zweiter Satz ZustG mit dem Zeitpunkt des Einlangens beim Empfänger wirksam.

Aus dem Akt ergibt sich nicht, dass die Beschwerdeführerin ihre Emailadresse direkt der belangten Behörde bekannt gegeben hat. Die E-Mail-Adresse war der Behörde somit ausschließlich aus anderen Gründen als der Bekanntgabe durch die Beschwerdeführerin an sie bekannt. Nach dem expliziten Wortlaut des § 37 ZustG wäre eine Bekanntgabe an die Behörde selbst jedoch Voraussetzung für die wirksame Zustellung an eine elektronische Zustelladresse gewesen. Ob das Dokument der Beschwerdeführerin tatsächlich zugekommen ist, kann aufgrund der ohnehin rechtsunwirksamen Zustellung mangels namentlicher Nennung der Beschwerdeführerin in der Zustellverfügung dahingestellt bleiben.

Darüber hinaus stellt die der Beschwerdeführerin als unmittelbare Täterin vorgeworfene Verwaltungsübertretung keine solche dar. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für das Handeln eines Dritten bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Es findet sich keine gesetzliche Grundlage, wonach die gesetzliche Vertreterin strafrechtlich für das Fehlverhalten des Vertretenen im Zusammenhang mit einer Absonderung strafrechtlich verantwortlich ist. Eine solche Verantwortlichkeit sieht das Epidemiegesetz in § 40 Abs. 1 lit.d nur für angeordnete Untersuchungen gemäß § 5 Abs. 1 EpiG vor.

Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin aber auch weder Anstiftung noch Beihilfe zum Vorwurf gemacht.

Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG entfallen, zumal bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Schlagworte

Gesundheitsrecht; COVID-19; Verwaltungsstrafe; Erziehungsberechtigte; unmittelbare Täterschaft; Verfahrensrecht; Minderjähriger; Zustellung; Empfänger; e-mail Übermittlung;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.S.2400.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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