TE Lvwg Beschluss 2021/11/19 VGW-124/074/16139/2021

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Veröffentlicht am 19.11.2021
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Entscheidungsdatum

19.11.2021

Index

L72009 Beschaffung Vergabe Wien
97 Öffentliches Auftragswesen

Norm

BVergG 2018 §2 Z15 lita sublitaa
BVergG 2018 §4 Abs1 Z2
WVRG 2020 §18
WVRG 2020 §19 Abs1
WVRG 2020 §20 Abs1
WVRG 2020 §25 Abs1
WVRG 2020 §25 Abs2
WVRG 2020 §26 Abs4

Text

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Mandl über den Antrag der A. Aktiengesellschaft, vertreten durch Rechtsanwälte, auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend Vergabeverfahren „Linienverkehr B." - Zuschlagsentscheidung Los 1 „Wien C.", der Verkehrsverbund Ost-Region (VOR) Gesellschaft m.b.H., vertreten durch Rechtsanwalt, den

BESCHLUSS

gefasst:

I.   Zur Prüfung der von der Antragstellerin behaupteten Rechtswidrigkeiten wird ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet.

II.  Folgende Einstweilige Verfügung wird erlassen:

     Der Antragsgegnerin, Verkehrsverbund Ost-Region (VOR) Gesellschaft m.b.H., wird im Verfahren zur Vergabe „Linienverkehr B." - Zuschlagsentscheidung Los 1 „Wien C.", für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens die Zuschlagserteilung untersagt.

III. Dem Antrag, der Auftraggeberin bis zur rechtskräftigen Entscheidung im gegenständlichen Nachprüfungsverfahren bei sonstiger Exekution zu untersagen, das Vergabeverfahren im Los 1 fortzusetzen, wird nicht stattgegeben.

IV.  Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Gemäß § 26 Abs. 5 WVRG 2020 ist diese Verfügung sofort vollstreckbar.

Begründung

Die Verkehrsverbund Ost-Region (VOR) Gesellschaft m.b.H. (im Folgenden Auftraggeberin, Antragsgegnerin) führt ein offenes Verfahren zur Erbringung von Beförderungsleistungen „Linienverkehr B.“ mit insgesamt 7 Losen. Für das Los 1 soll der Vertrag auf ca. 8 Standardkalenderjahre abgeschlossen werden mit der Option auf Verlängerung. Es handelt sich um einen Dienstleistungsauftrag im Oberschwellenbereich.

Die Angebotsfrist wurde mit 2.6.2021, 10:00 Uhr festgelegt, die Antragstellerin hat fristgerecht ein Angebot gelegt.

Am 5.11.2021 wurde über die Vergabeplattform die Zuschlagsentscheidung vom 4.11.2021 bekanntgemacht und der Antragstellerin mitgeteilt, dass für das Los 1 beabsichtigt sei, der D. GmbH den Zuschlag zu erteilen. Das Angebot der Antragstellerin habe 248 Punkte erreicht, das Angebot der präsumtiven Zuschlagsempfängerin 250 Punkte; bei den Qualitätskriterien hätten beide Angebote die maximale Punkteanzahl erreicht, das Angebot der präsumtiven Zuschlagsempfängerin sei preislich günstiger gewesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der am 15.11.2021 eingebrachte Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung betreffend das Los 1. Das Interesse am Vertragsabschluss sowie der drohende Schaden wurden im Antrag auf Nichtigerklärung dargelegt.

Begründend wurden als Rechtswidrigkeiten angeführt, dass die präsumtive Zuschlagsempfängerin wegen Schlechterfüllung auszuschließen sei, es lägen schwere Verfehlungen im Linienverkehr „B. Wien“, „Stadtverkehr E.“ und „Linienverkehr F.“ vor, welche im Antrag näher beschrieben wurden. Diese Verfehlungen ließen erwarten, dass im gegenständlichen Vergabeverfahren eine ordnungsgemäße und sorgfältige Ausführung des Auftrages nicht zu warten sei, weshalb die präsumtive Zuschlagsempfängerin auszuschließen sei. Es zeige sich darin ein systematischer Verstoß der präsumtiven Zuschlagsempfängerin gegen die derzeit aufrechten Verkehrsdiensteverträge. Die präsumtive Zuschlagsempfängerin sei auch wegen Irreführung auszuschließen und verfüge nicht über die erforderliche Anzahl von Beschäftigten.

Beantragt wurde, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und hinsichtlich des gegenständlichen Loses 1 „Wien C.“ die Zuschlagsentscheidung vom 4.11.2021 nichtig zu erklären, der Auftraggeberin aufzutragen, der Antragstellerin die Pauschalgebühren für diesen Antrag zu ersetzen sowie der Antragstellerin Akteneinsicht zu gewähren.

Die Erlassung einer einstweiligen Verfügung sei im gegenständlichen Fall zusammengefasst erforderlich, da nach Ablauf der Stillhaltefrist am 15.11.2021 der Zuschlag rechtswirksam erteilt werden könne. Damit würde die Antragstellerin vor vollendete Tatsachen gestellt werden und ergebe sich daraus für die Antragstellerin eine beträchtliche Gefährdung ihrer Interessen.

Die Antragstellerin habe ein überwiegendes Interesse auf Erlassung der einstweiligen Verfügung, da durch die Erlassung einer einstweiligen Verfügung keinerlei öffentliche Interessen wesentlich beeinträchtigt oder verletzt würden. Vielmehr liege das Gegenteil vor: Würde die einstweilige Verfügung nicht getroffen werden, würde der unionsrechtlich gebotene effektive Rechtsschutz erst recht unterlaufen und ausgehöhlt werden und der Auftraggeber mit einem Bieter, dessen Angebot nicht entsprechend den Ausschreibungsfestlegungen bewertet wurde, den Vertrag abschließen. In diesem Zusammenhang werde auf Rechtsprechung verwiesen, wonach ein Auftraggeber bei der Erstellung des Zeitplanes auf die Möglichkeit der Einleitung des Nachprüfungsverfahrens und daraus folgenden möglichen zeitlichen Verzögerungen Bedacht zu nehmen hat. Besondere öffentliche Interessen, die gegen die Erlassung einer einstweiligen Verfügung sprechen könnten, seien nicht ersichtlich.

Zur Sicherung ihrer Rechtsposition begehre die Antragstellerin daher, der Auftraggeberin bis zur rechtskräftigen Entscheidung im gegenständlichen Nachprüfungsverfahren bei sonstiger Exekution zu untersagen, das Vergabeverfahren im Los 1 fortzusetzen; in eventu die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit welcher der Antragsgegnerin für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens die Erteilung des Zuschlags im Los 1 untersagt werde, sowie Pauschalgebührenersatz.

Mit Schriftsatz vom 17.11.2021 hat die Antragsgegnerin zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung Stellung genommen und vorgebracht, dass in Kenntnis der ständigen Spruchpraxis keine Einwendungen gegen den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der die Erteilung des Zuschlags im gegenständlichen Vergabeverfahren für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens untersagt werde, erhoben würden. Der auf unbestimmte Zeit gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei überschießend. In Hinblick auf § 26 Abs. 4 WVRG 2020 möge die einstweilige Verfügung längstens für die Dauer von 6 Wochen nach Ablauf der Frist zur Erhebung von Einwendungen gemäß § 22 Abs. 3 WVRG 2020 erlassen werden.

Ausgehend vom Vorbringen der Antragstellerin sowie nach Einsicht in die von ihr vorgelegten Urkunden hat das Verwaltungsgericht Wien zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung erwogen:

Die Antragsgegnerin ist öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 4 Abs. 1 Z 2 BVergG 2018. Sie führt ein offenes Verfahren im Oberschwellenbereich zur Vergabe eines Dienstleistungsauftrages. Das Ende der Angebotsfrist war der 2.6.2021, 10 Uhr. Die Antragstellerin hat sich an dem Vergabeverfahren beteiligt und fristgerecht ein Angebot gelegt.

Die Antragstellerin ist eine Unternehmerin, die einen Nichtigerklärungsantrag gemäß § 18 WVRG 2020 auf Nichterklärung der Zuschlagsentscheidung, einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, Durchführung einer mündlichen Verhandlung, Akteneinsicht und auf Kostenersatz am 15.11.2021 beim Verwaltungsgericht eingebracht hat.

 

Der Antrag auf Einleitung des Nichtigerklärungsverfahrens ist rechtzeitig (§ 19 Abs. 1 WVRG 2020) und auch zulässig, da damit eine gesondert anfechtbare Entscheidung im Sinne des § 2 Z 15 lit. a sublit. aa BVergG 2018 bekämpft wird. Die Beibringung der Pauschalgebühren für ein Nachprüfungsverfahren ist nachgewiesen. Die Antragstellerin hat ihr Interesse und den allenfalls drohenden Schaden bei Nichterlangung des gegenständlichen Auftrages plausibel dargelegt. Die Antragstellerin hat die Antragsgegnerin gemäß § 21 Abs. 1 WVRG 2020 von der Einbringung des Antrages verständigt. Der Antrag auf Einleitung eines Nichtigerklärungsverfahrens entspricht den Bestimmungen der §§ 18 Abs. 1, 20 Abs. 1 WVRG 2020. Es war daher das von der Antragstellerin begehrte Nichtigerklärungsverfahren einzuleiten.

Für die Behandlung des gegenständlichen Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes Wien gemäß § 8 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 WVRG 2020 gegeben, wobei gemäß § 2 Abs. 3 WVRG 2020 Entscheidungen über Anträge auf Erlassung einstweiliger Verfügungen durch die Einzelrichterin erfolgen.

Der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung entspricht grundsätzlich den Bestimmungen des § 25 Abs. 2 WVRG 2020.

Gemäß § 25 Abs. 1 WVRG 2020 hat das Verwaltungsgericht Wien, sobald ein Nichtigerklärungsverfahren eingeleitet ist, auf Antrag durch einstweilige Verfügung unverzüglich vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die nötig und geeignet erscheinen, eine durch die behauptete Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung entstandene oder unmittelbar drohende Schädigung von Interessen des Antragstellers oder der Antragstellerin zu beseitigen oder zu verhindern.

Die von der Antragstellerin behaupteten Rechtswidrigkeiten sind bei ihrem Vorliegen grundsätzlich geeignet, im Ergebnis die Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung herbeizuführen. Dazu bedarf es aber einer eingehenden Prüfung der von der Antragsgegnerin vorzulegenden Vergabeakten sowie der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung.

Gemäß § 26 Abs. 1 WVRG 2020 hat das Verwaltungsgericht Wien vor Erlassung einer einstweiligen Verfügung die voraussehbaren Folgen der zu treffenden Maßnahmen für alle möglicherweise geschädigten Interessen des Antragstellers oder der Antragstellerin, der sonstigen Bewerber oder Bewerberinnen oder Bieter oder Bieterinnen und des Auftraggebers oder der Auftraggeberin sowie ein allfälliges besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens gegeneinander abzuwägen. Ergibt diese Interessensabwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung, ist der Antrag auf deren Erlassung abzuweisen.

Vorliegend hat die Antragstellerin ihr Interesse an der Erlassung einer einstweiligen Verfügung dargelegt und zusammengefasst ausgeführt, dass dem Schutz ihrer Interessen entsprechend der Judikatur der Vorrang gegenüber den Interessen der Auftraggeberin an einer Fortsetzung des Vergabeverfahrens einzuräumen wäre.

Eine weitergehende Prüfung der Interessenslage konnte im Hinblick auf die Stellungnahme der Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 17.11.2021 unterbleiben.

Gemäß § 26 Abs. 3 WVRG 2020 ist im Rahmen einer einstweiligen Verfügung die jeweils gelindeste, noch zum Ziel führende vorläufige Maßnahme zu verfügen.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes wird dem Sicherungszweck mit der aus dem Spruch ersichtlichen Maßnahme ausreichend Rechnung getragen. Dem Begehren, der Auftraggeberin bis zur rechtskräftigen Entscheidung im gegenständlichen Nachprüfungsverfahren bei sonstiger Exekution zu untersagen, das Vergabeverfahren im Los 1 fortzusetzen, war als überschießend nicht stattzugeben.

Gemäß § 26 Abs. 4 WVRG 2020 ist in einer einstweiligen Verfügung die Zeit, für welche diese Verfügung getroffen wird, zu bestimmen.

Im vorliegenden Fall gilt die einstweilige Verfügung für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens, welche mit der gesetzlichen Entscheidungsfrist des
§ 24 WVRG 2020 bestimmbar ist und innerhalb welcher das Gericht voraussichtlich zu einer Entscheidung finden wird.

Der Hinweis auf die sofortige Vollstreckbarkeit der einstweiligen Verfügung gründet auf § 26 Abs. 5 WVRG 2020.

Aus diesen Gründen war daher die beantragte einstweilige Verfügung wie aus dem Spruch ersichtlich zu erlassen.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Offenes Verfahren; Oberschwellenbereich; Dienstleistungsauftrag; Nichtigerklärungsantrag; gesondert anfechtbare Entscheidung; vorläufige Maßnahmen; drohende Schädigung von Interessen; Zuschlagsentscheidung; Interessensabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.124.074.16139.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.03.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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