TE Lvwg Erkenntnis 2021/11/11 VGW-031/062/15218/2021

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.11.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

11.11.2021

Index

90/01 Straßenverkehrsordnung
19/05 Menschenrechte

Norm

StVO 1960 §4 Abs1
StVO 1960 §4 Abs5
MRKZP 07te Art. 4

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Mag. Holl, LL.M. über die Beschwerde der Frau A. B. gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat C., vom 30.8.2021, GZ: VStV/...1/2021, betreffend zwei Verwaltungsübertretungen nach der Straßenverkehrsordnung (StVO),

zu Recht:

I. Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis aufgehoben und das Verfahren gemäß § 38 VwGVG iVm § 45 Abs. 1 Z 3 VStG eingestellt.

II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat die Beschwerdeführerin keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III. Gemäß § 25a VwGG ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG durch die belangte Behörde unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Verfahrensgang

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat C., vom 30.8.2021 zur GZ: VStV/...1/2021, zugestellt am 3.9.2021, wurde der Beschwerdeführerin Folgendes zur Last gelegt:

„1.

Datum/Zeit:                  04.05.2021, 09:25 Uhr

Ort:             1220 Wien, A23 unmittelbar im Bereich der Auffahrt zur A22

Betroffenes Fahrzeug:   PKW, Kennzeichen: GF-...(A)

Sie sind als Lenker/in des angeführten Fahrzeuges mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben Ihr Fahrzeug nicht sofort angehalten.

2.

Datum/Zeit:                  04.05.2021, 09:25 Uhr

Ort:             1220 Wien, A23 unmittelbar im Bereich der Auffahrt zur A22

Betroffenes Fahrzeug:   PKW, Kennzeichen: GF-...(A)

Sie sind mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt, obwohl Sie und die beteiligte(n) Person(en), einander ihre Namen und Anschriften nicht nachgewiesen haben.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

1. § 4 Abs. 1 lit. a StVO

2. § 4 Abs. 5 StVO

Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:

Geldstrafe von      falls diese uneinbringlich ist,  Freiheitsstrafe von    Gemäß Ersatzfreiheitsstrafe von

1. € 180,00   1 Tag 15 Stunden      § 99 Abs. 2 lit.a StVO

2. € 150,00   2 Tage 21 Stunden      § 99 Abs. 3 lit.b StVO

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG zu zahlen:

€ 33,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, jedoch mindestens € 10,00 für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich € 100,00 angerechnet).

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher

€ 363,00

Begründend führte die belangte Behörde dazu aus, dass die im Spruch bezeichneten Verwaltungsübertretungen aufgrund der Angaben des Privatanzeigers als erwiesen anzunehmen sei. Die Beschwerdeführerin sei diesen Ausführungen nicht entgegengetreten, zumal sie auf eine Aufforderung zur Rechtfertigung der belangten Behörde nicht geantwortet habe.

In der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde vom 17.9.2021 wendete die Beschwerdeführerin ein, dass sie für dieselbe Angelegenheit bereits am 11.8.2021 eine Geldstrafe in Höhe von 374,- Euro bezahlt habe. Diesen Irrtum habe Sie bereits am 15.9.2021 – dem Tag an dem Sie das angefochtene Straferkenntnis entgegengenommen habe – mit der zuständigen Beamtin geklärt. Sie ersuche daher um Bestätigung, dass dadurch nunmehr alles erledigt sei.

Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte dem Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde sowie den Akt des Verwaltungsverfahrens vor (ha. eingelangt am 22.10.2021). Eine mündliche Verhandlung wurde nicht beantragt; im Falle der Durchführung einer solchen wurde auf die Teilnahme verzichtet. Auf dem Vorlageschreiben der belangten Behörde vom 12.10.2021 wurde überdies Folgendes vermerkt:

„Die Beschuldigte wurde für die gegenständlichen Verwaltungsübertretungen ha. bereits unter der GZ: VStV/...8/2021 abgestraft. Das Straferkenntnis ist in Rechtskraft erwachsen und wurde der Strafbetrag von der Beschuldigten bereits bezahlt. Aus ha. Sicht handelt es sich hier um eine Doppelbestrafung.“

Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren wurde die belangte Behörde durch das Verwaltungsgericht Wien mit E-Mail vom 27.10.2021 aufgefordert das im Vorlageschreiben genannte Straferkenntnis zur GZ: VStV/...8/2021 zu übermitteln. Diesem Ersuchen kam die belangte Behörde mit E-Mail vom 4.11.2021 und Unterlagen, die am 3.11.2021 ha. einlangten, nach.

II. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin stand am 4.5.2021 um 09:25 Uhr im Bereich der Örtlichkeit „1220 Wien, A23 unmittelbar im Bereich der Auffahrt zur A22“ als Lenkerin des Kraftfahrzeuges mit dem behördlichen Kennzeichen W-9 in einem ursächlichen Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall (mit Sachschaden) mit dem Kraftfahrzeug mit dem behördlichen Kennzeichen GF-..., wodurch letzteres einen Lackschaden im Bereich des Kühlergrills erlitt. Hierbei hielt die Beschwerdeführerin ihr Fahrzeug nicht sofort nach dem Verkehrsunfall an und verständigte auch nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienstelle, obwohl sie und ihr Unfallgegner einander nicht ihre Namen und Anschriften ausgetauscht hatten.

Diesbezüglich führte die belangte Behörde ein Ermittlungsverfahren durch und erließ infolgedessen ein Straferkenntnis vom 12.7.2021 zur GZ: VStV/...8/2021, in der sie der Beschwerdeführerin Folgendes zur Last legte:

„1.

Datum/Zeit:                  04.05.2021, 09:25 Uhr

Ort:             1220 Wien, A23R43 km 0.00-1.208, Höhe Abfahrt zur

A22/Donauuferautobahn, Fahrtrichtung Gänserndorf

Betroffenes Fahrzeug:   PKW, Kennzeichen: W-9 (A)

Sie sind mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt, obwohl Sie und der Zweitbeteiligte einander ihre Namen und Anschriften nicht nachgewiesen haben.

2.

Datum/Zeit:                  04.05.2021, 09:25 Uhr

Ort:             1220 Wien, A23R43 km 0.00-1.208, Höhe Abfahrt zur

A22/Donauuferautobahn, Fahrtrichtung Gänserndorf

Betroffenes Fahrzeug:   PKW, Kennzeichen: W-9 (A)

Sie sind als Lenker/in des angeführten Fahrzeuges mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben Ihr Fahrzeug nicht sofort angehalten.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

1. § 4 Abs. 5 StVO

2. § 4 Abs. 1 lit. a StVO

Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:

Geldstrafe von      falls diese uneinbringlich ist,  Freiheitsstrafe von    Gemäß Ersatzfreiheitsstrafe von

1. € 160,00   3 Tage 2 Stunden      § 99 Abs. 3 lit.b StVO

2. € 180,00   1 Tage 15 Stunden      § 99 Abs. 2 lit.a StVO

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG zu zahlen:

€ 34,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, jedoch mindestens € 10,00 für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich € 100,00 angerechnet).

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher

€ 374,00

Das Straferkenntnis vom 12.7.2021 wurde rechtskräftig. Die in diesem Straferkenntnis verhängten Geldstrafen wurden von der Beschwerdeführerin in weiterer Folge bezahlt.

Mit Straferkenntnis vom 30.8.2021 zur GZ: VStV/...1/2021 wurden über die Beschwerdeführerin wegen desselben Vorfalles am 4.5.2021, 09:25 Uhr erneut zwei Geldstrafen wegen Verstößen nach § 4 Abs. 1 lit. a StVO (Geldstrafe: 180,- Euro bzw. Ersatzfreiheitsstrafe von 1 Tag und 15 Stunden) und nach § 4 Abs. 5 StVO (Geldstrafe: 150,- Euro bzw. Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Tagen und 21 Stunden) incl. Kosten iHv 33,- Euro verhängt (siehe oben Punkt I.).

III. Beweiswürdigung

Das Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Würdigung des Beschwerdevorbringens sowie durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verwaltungsstrafakt und in die von der belangten Behörde übermittelten Auszüge aus dem Verwaltungsstrafakt zur GZ: VStV/...8/2021.

Die Feststellungen hinsichtlich der bereits zuvor erfolgten Bestrafung der Beschwerdeführerin mit Straferkenntnis vom 12.7.2021 zur GZ: VStV/...8/2021 folgen zur Gänze aus den diesbezüglichen Aktenauszügen. Aus diesen Unterlagen geht auch zweifelsfrei hervor, dass es sich dabei um denselben Vorfall (Tatzeit, Tatort, gegnerisches Kfz, Privatanzeiger) wie im hg. Straferkenntnis vom 30.8.2021 zur GZ: VStV/...1/2021 handelt.

Die Feststellung, wonach das Straferkenntnis vom 12.7.2021 rechtskräftig wurde und die Beschwerdeführerin die über sie mit Straferkenntnis vom 12.7.2021 verhängten Geldstrafen bereits beglichen hat, ergibt sich aus den übereinstimmenden Angaben in der Beschwerde und den erläuternden Ausführungen der belangten Behörde im Vorlageschreiben vom 12.10.2021.

IV. Rechtsgrundlagen

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Protokolles Nr. 7 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (7. ZPMRK), BGBl. Nr. 628/1988 idF BGBl. III Nr. 30/1998, lauten auszugsweise:

„Artikel 4 - Recht, wegen derselben Sache nicht zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden

1. Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.

2. Abs. 1 schließt die Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des betreffenden Staates nicht aus, falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen oder das vorausgegangene Verfahren schwere, den Ausgang des Verfahrens berührende Mängel aufweist.

3. Dieser Artikel darf nicht nach Art. 15 der Konvention außer Kraft gesetzt werden.“

V. Rechtliche Beurteilung

Gemäß dem in Art. 4 7. ZPMRK festgelegten Verbot der Doppelbestrafung bzw. Doppelverfolgung darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.

Im gegenständlichen Fall steht aufgrund der von der belangten Behörde übermittelten Unterlagen eindeutig fest, dass die Beschwerdeführerin für die Verwaltungsübertretungen nach § 4 Abs. 1 lit. a StVO sowie nach § 4 Abs. 5 StVO, welche von ihr im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall vom 4.5.2021 begangen wurden, bereits mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 12.7.2021 zur GZ: VStV/...8/2021 bestraft wurde. Dieses Straferkenntnis ist in Rechtskraft erwachsen und die Beschwerdeführerin hat die darin verhängten Geldstrafen auch bereits entrichtet.

Das im gegenständlichen Verfahren angefochtene Straferkenntnis der belangten Behörde vom 30.8.2021 zur GZ: VStV/...1/2021 enthält – mit dem Unterschied, dass darin wohl versehentlich nicht die Kennzeichennummer der Beschwerdeführerin (W-9), sondern jene des Unfallgegners bzw. Privatanzeigers (GF-...) angeführt ist – denselben Tatvorwurf wie das bereits rechtskräftige Straferkenntnis der belangten Behörde vom 12.7.2021 zur GZ: VStV/...8/2021.

Da über das im angefochtenen Straferkenntnis genannte Verhalten bereits rechtskräftig abgesprochen und die dabei verhängten Geldstrafen bezahlt wurden, verstößt die im angefochtenen Straferkenntnis vorgenommene weitere Bestrafung dieses Verhaltens gegen das Verbot der Doppelbestrafung (vgl. VwGH 16.2.2012, 2010/01/0009; VwGH 31.1.2006, 2005/05/0049).

Aufgrund des vorliegenden Verstoßes gegen das Doppelbestrafungsverbot nach Art 4 des 7. ZPMRK ist das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG einzustellen (siehe Kneihs in Raschauer/Wessely, VStG2 §°45, Rz 7).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die im Spruch genannte gesetzliche Bestimmung.

Da im gegenständlichen Fall bereits aufgrund der Aktenlage bzw. dem unstrittigen Sachverhalt feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG entfallen.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die vorliegende Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes oder ist diese als uneinheitlich anzusehen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Verkehrsunfall; ursächlicher Zusammenhang; Herbeiholung einer Hilfe; Tatvorwurf; Doppelbestrafungsverbot; Doppelverfolgung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2021:VGW.031.062.15218.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten