TE Vfgh Erkenntnis 1994/9/26 B1180/93

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Veröffentlicht am 26.09.1994
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

RAO §9 Abs1
RAO §10 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen des Vergehens der Doppelvertretung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird daher abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (künftig: OBDK) vom 14. Dezember 1992, Z14 Bkd 7/92-8, wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen das Erkenntnis des Disziplinarrates der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 27. Februar 1992 keine Folge gegeben.

Dies wurde im wesentlichen wie folgt begründet:

"Mit dem angefochtenen Erkenntnis (des Disziplinarrates der Tiroler Rechtsanwaltskammer) wurde Dr. P G der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt, weil er gegen eine von ihm in der nämlichen Rechtssache vertretenen Person die Realteilungsklage zu 12 Cg 25/91, Landesgericht Innsbruck, namens der übrigen Miteigentümer eingebracht und dadurch das Disziplinarvergehen der Doppelvertretung begangen hat.

Es wurde über ihn gemäß §16 Abs1 Zahl 1 DSt die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verhängt.

Der Disziplinarrat stellte folgenden Sachverhalt fest:

In den Jahren 1989/90 hat der Disziplinarbeschuldigte Frau D Z und ihre vier Geschwister in einer Realteilungssache vertreten, die übrigen Miteigentümer waren ebenfalls rechtsfreundlich vertreten. Im wesentlichen war unter den Miteigentümern die Frage strittig, ob die Miteigentumsgemeinschaft im Rahmen einer Realteilung oder einer Zivilteilung aufgelöst werden sollte. Die Geschwister der Frau D Z und zunächst auch diese selbst neigten zur Realteilung, die übrigen Miteigentümer zur Zivilteilung. Um die Jahreswende 1990/91 stellte es sich heraus, daß Frau Z bei einer Realteilungsklage nicht mitmachen wollte. Am 12.10.1990 fand in der Kanzlei des Disziplinarbeschuldigten eine Besprechung statt, an der Frau Z und zwei ihrer Geschwister mit deren Ehegatten anwesend waren. Während dieser Besprechung wurden keine bindenden Beschlüsse gefaßt, weil nicht alle der vom Disziplinarbeschuldigten vertretenen Miteigentümer anwesend waren. Es wurde in Aussicht genommen, einen Teil des gemeinsamen Besitzes zu veräußern und sodann weitere Schritte zu überlegen. Am 4.1.1991 kam es zu einer neuerlichen Besprechung in der Kanzlei des Disziplinarbeschuldigten, bei der Frau Z nicht anwesend war. Bei dieser wurde dem Disziplinarbeschuldigten mitgeteilt, daß Frau Z bei einer Realteilungsklage nicht auf Seiten der Kläger mitmachen wolle. Es wurde ihm von den Geschwistern der Frau Z der Auftrag erteilt, die Realteilungsklage einzubringen, worauf er mit Schreiben vom 18.1.1991 das Vollmachtsverhältnis mit Frau Z aufkündigte und am 21.1.1991 die Realteilungsklage bei Gericht einbrachte. In dieser Realteilungsklage schienen die Geschwister der Frau Z als Kläger, die übrigen Miteigentümer, darunter auch Frau Z, als Beklagte auf. Dieses Verfahren behängt noch zu 12 Cg 25/91 beim Landesgericht Innsbruck, der Disziplinarbeschuldigte ist noch Vertreter der klagenden Parteien.

Nach Ansicht des Disziplinarrates liegt eine Doppelvertretung vor, weil der Disziplinarbeschuldigte zunächst Frau Z und ihre Geschwister in den Verhandlungen über eine Real- oder Zivilteilung vertreten und sodann - nach Ausscheiden der Frau Z aus der gemeinsamen Linie mit ihren Geschwistern - die Realteilungsklage auch gegen die früher von ihm vertretene Frau Z eingebracht hat.

...

Der Berufung (gegen dieses Erkenntnis) war ein Erfolg zu versagen.

... Nach dem §10 Abs1 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Vertretung oder auch nur die Erteilung eines Rates abzulehnen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat. Damit hat aber die Aufrechterhaltung der Vertretung der Geschwister einer Miteigentümerin bei Klagsführung gegen diese (und andere) nach Kündigung des Vollmachtsverhältnisses zu dieser Miteigentümerin durch den Disziplinarbeschuldigten gegen die genannten Bestimmungen verstoßen. Der Berufungswerber hat dadurch - zumal unbewußte Fahrlässigkeit genügt (§6 Abs1 StGB) - schuldhaft die Pflichten seines Berufes verletzt sowie Ehre und Ansehen seines Standes beeinträchtigt (§1 Abs1 DSt). ... Daß durch die Verletzung der Bestimmung des §10 RAO das Vertrauen der Bevölkerung in den Anwaltsstand beeinträchtigt werden kann, beweist der gegenständliche Fall, der zu einer Anzeige der Frau D Z an die Tiroler Rechtsanwaltskammer geführt hat.

Der Senat ist der Ansicht, daß im gegenständlichen Falle - entgegen der Stellungnahme des Vertreters der Generalprokuratur - ein bloß geringfügiges Verschulden des Disziplinarbeschuldigten nicht vorliegt, sodaß die Voraussetzungen des §3 DSt nicht gegeben sind.

..."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Erwerbsfreiheit und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

3.1. Hinsichtlich der behaupteten Verletzung des Grundrechtes auf Erwerbsfreiheit wird vom Beschwerdeführer geltend gemacht, daß von ihm - aufgrund des Schuldspruches wegen Doppelvertretung in derselben Rechtsache - das von vier weiteren Auftraggebern erteilte Mandat nicht aufrechterhalten werden könne; durch den angefochtenen Bescheid werde ihm im konkreten Fall die Berufsausübung untersagt. Da er somit gegenüber vier von ihm vertretenen Personen das Mandat nicht dem Gesetz gemäß führen und die Rechte dieser Parteien gegen jedermann mit Eifer, Treue und gewissenhaft vertreten könne, wozu er gemäß §9 Abs1 RAO verpflichtet sei, sei §9 Abs1 und §10 Abs1 RAO von der belangten Behörde denkunmöglich angewendet worden. Wenn die angefochtene Entscheidung richtig sei, dann wäre die Übernahme eines Mandates gegenüber mehreren Personen praktisch unzulässig, weil jeder einzelne aus dem Kreis der Auftraggeber den gemeinsam gewählten Anwalt für alle übrigen Auftraggeber "herausschießen" könne.

Auf Seiten der Auftraggeber werde durch diese Gesetzesauslegung auch eine Ungleichbehandlung bewirkt. Die von der belangten Behörde vertretene Rechtsansicht führe dazu, daß die von ihm bisher vertretenen Personen, die ihn als Anwalt ihres Vertrauens ausgesucht hätten, ihn nicht weiter im Prozeß als ihren Vertreter haben könnten. Die Ansicht der belangten Behörde, der gegenständliche Fall zeige, daß durch sein Verhalten das Vertrauen der Bevölkerung in den Anwaltsstand beeinträchtigt werden könne, beruhe auf keinem zwingenden Schluß, sondern sei im Hinblick auf den weiteren Umstand, daß "doch nur die Honorarnote" die Anzeigerin veranlaßt habe, sich an die Rechtsanwaltskammer zu wenden, geradezu sinnwidrig. Daß es sich tatsächlich um einen "Grenzfall" handle, zeige sich auch daraus, daß der Vertreter der Generalprokuratur auf die Anwendbarkeit des §3 DSt hingewiesen habe, da es sich für ihn um einen "Notstand" gehandelt habe, der ihn von der Einhaltung der Treuepflicht gegenüber der Anzeigerin befreit habe; die Treuepflicht gegenüber den übrigen vier Auftraggebern habe diesen Notstand bewirkt und ihn von der Einhaltung der Treuepflicht gegenüber der Anzeigerin enthoben. Daß tatsächlich keine Doppelvertretung vorgelegen haben könne, zeige auch der Umstand, daß die Anzeigerin den seinerzeitigen, für die übrigen, vom Beschwerdeführer nicht vertretenen, Grundeigentümer eingeschrittenen Anwalt als ihren neuen Vertreter gewählt habe.

3.2. Die Beschwerde ist offenkundig nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid stützt sich in materiell-rechtlicher Hinsicht auf §§9 Abs1 und 10 Abs1 RAO. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmungen wurden nicht geltend gemacht, solche sind auch dem Verfassungsgerichtshof aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden. Ebensowenig behauptet der Beschwerdeführer, daß die belangte Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hätte.

Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften könnte eine Verletzung des Grundrechtes auf freie Erwerbsausübung - wenn dies bei einem disziplinarrechtlichen Verweis an sich in Frage käme - nur dann vorliegen, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte.

Die behauptete Gleichheitsverletzung könnte nur dann vorliegen, wenn der Behörde Willkür anzulasten wäre. Nach den Beschwerdevorwürfen könnte dies nur zutreffen, wenn die behauptete, denkunmögliche Anwendung des Gesetzes in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage läge (vgl. zB

VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

All dies liegt offenkundig jedoch nicht vor. Ausgehend von dem festgestellten Sachverhalt hat der Beschwerdeführer die Anzeigerin in den Jahren 1989 und 1990 gemeinsam mit ihren vier Geschwistern in einer Realteilungssache vertreten und sodann - nach Ausscheiden der Anzeigerin aus der gemeinsamen Linie mit ihren Geschwistern - die Realteilungsklage auch gegen die früher von ihm vertretene Anzeigerin eingebracht. Wenn die belangte Behörde vermeint, der Beschwerdeführer habe dadurch schuldhaft Pflichten seines Berufes verletzt sowie Ehre und Ansehen seines Standes beeinträchtigt, beruht dies jedenfalls nicht auf einer unvertretbaren Rechtsanwendung. Auch die Auffassung der belangten Behörde, daß durch die Verletzung der Bestimmung des §10 RAO - nach dem letzten Satz des ersten Absatzes dieser Bestimmung darf ein Rechtsanwalt nicht beiden Teilen im nämlichen Rechtstreit dienen oder Rat erteilen - das Vertrauen der Bevölkerung in den Anwaltsstand beeinträchtigt werden kann, kann offenkundig nicht als denkunmögliche Gesetzesanwendung angesehen werden. Daß die Anzeigerin, wie in der Beschwerde behauptet, die disziplinäre Anlastung erst erhoben hat, als der Beschwerdeführer ihr eine Honorarnote zustellte, vermag ihn schon deshalb nicht zu exkulpieren, weil durch dieses eigene Vorbringen unterstrichen wird, daß er zunächst gegenüber der Anzeigerin, gegen die er in der Folge namens ihrer Geschwister eine Realteilungsklage einbrachte, eine zu honorierende Vertretungstätigkeit entfaltete. Der in der Beschwerde aufgestellten Behauptung, er habe sich durch das Ausspringen der späteren Anzeigerin aus dem gemeinsamen Vertretungsverhältnis in einem Notstand befunden, hält die belangte Behörde in der Gegenschrift zu Recht entgegen, daß ein unmittelbar drohender bedeutender Nachteil der Mandanten, in deren Vollmachtsnamen der Beschwerdeführer auch seine ehemalige Klientin geklagt habe, gar nicht behauptet wird.

3.3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B1180.1993

Dokumentnummer

JFT_10059074_93B01180_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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