TE Vwgh Erkenntnis 2022/1/31 Ra 2020/09/0005

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Veröffentlicht am 31.01.2022
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verwaltungsgerichtshof
30/01 Finanzverfassung
40/01 Verwaltungsverfahren
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
BDG 1979 §112 Abs1 Z3
Verwaltungsgerichtsbarkeits-Nov 2012
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §29 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Dr. Doblinger und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision der Prof. Mag. A B in C, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen das am 26. September 2019 mündlich verkündete und am 29. November 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W136 2222202-1/9E, betreffend Suspendierung nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarkommission bei der Bildungsdirektion für Wien, Senat für Lehrer/Innen an allgemeinbildenden höheren Schulen [nunmehr: Bundesdisziplinarbehörde]; weitere Partei: Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung [nunmehr: Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport]), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die im Jahr 1960 geborene Revisionswerberin steht als Lehrerin an einem Bundesgymnasium und wirtschaftskundlichen Bundesrealgymnasium in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

2        Mit Bescheid der Bildungsdirektion für Wien (in der Folge: Dienstbehörde) vom 26. März 2019 wurde die Revisionswerberin wegen des Verdachts, erniedrigende, beleidigende und herabwürdigende Aussagen gegenüber Schülerinnen und Schülern getätigt zu haben, zunächst vorläufig vom Dienst suspendiert, nachdem bei der Dienstbehörde nach einem Fernsehauftritt des Bildungsdirektors von Wien im März 2019 im Zusammenhang mit Beschwerden von Eltern bei der Volksanwaltschaft weitere zahlreiche Beschwerden über die Revisionswerberin von derzeitigen als auch ehemaligen Schülerinnen und Schülern oder deren Erziehungsberechtigten einlangten.

3        Mit dem Bescheid vom 21. Juni 2019 sprach die Disziplinarkommission bei der Bildungsdirektion für Wien, Senat für Lehrer/innen an allgemeinbildenden höheren Schulen (in der Folge: Disziplinarkommission) wie folgt die Suspendierung der Revisionswerberin aus (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

„Sie werden gemäß § 112 Absatz 1 Z 3 Beamten-Dienstrechtsgesetz (BDG 1979), BGBl. Nr. 333/1979, wegen des Verdachtes der Begehung der Ihnen während der Schuljahre 2016/17, 2017/18 und 2018/19 an der Schule X dargelegten Dienstpflichtverletzungen wegen der daraus resultierenden Gefährdung des Ansehens des Amtes und wesentlicher Interessen des Dienstes vom Dienst suspendiert.“

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die von der Revisionswerberin dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Das Bundesverwaltungsgericht traf dazu in seinem Erkenntnis nach geraffter Darstellung des Verfahrensgangs folgende Feststellungen (Schreibweise im Original):

„Es besteht der begründeten Verdacht, dass die BF seit dem Schuljahr 2016/17 wiederkehrend im Mathematikunterricht bewusst Angst- und Drucksituationen für Schüler/innen aufgebaut, unangemessene oder herabwürdigende Äußerungen gegenüber einzelnen Schülern getätigt, schwächere Schüler mangelhaft unterstützt, auf Nachfrage bei Nichtverstehen des Mathematikstoffes keine oder mangelnde Erklärungen gegeben sowie einzelne Schüler/innen aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat und dadurch schuldhaft eine Dienstpflichtverletzungen im Sinne des § 91 BDG 1979 begangen hat. Aufgrund der Art der ihr als Lehrerin zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen müsste mit einer weiteren Gefährdung für das Ansehen seines Amtes und wesentliche Interessen des Dienstes gerechnet werden, wenn die BF bis zur abschließenden Klärung der Angelegenheit im Disziplinarverfahren ihren Dienst weiter versehen würde.“

In der Beweiswürdigung verwies das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen darauf, dass sich der dargelegte Sachverhalt, der den Verdacht von konkreten Dienstpflichtverletzungen durch die Revisionswerberin begründe, „unmittelbar aus der vorliegenden Aktenlage, insbesondere den niederschriftlichen Aussagen von Schülern und Lehrern jener Schule, an der die BF unterrichtet“, ergebe. Das bestreitende Vorbringen der Revisionswerberin sei angesichts der Vielzahl an übereinstimmenden bzw. ähnlichen Angaben über den Unterricht bzw. das Verhalten der Revisionswerberin nicht geeignet, den Verdacht von Dienstpflichtverletzungen zu beseitigen.

Rechtlich erachtete das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen, dass die vorliegenden Beweismittel insgesamt den Verdacht schwerwiegender Pflichtverletzungen begründen. Die der Revisionswerberin zum Vorwurf gemachten Tathandlungen seien geeignet, das Ansehen der Schule durch die Belassung im Dienst und das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben von Lehrkräften zu beeinträchtigen. Insbesondere ein auf Druck und Angst basierender Unterricht widerspreche den in § 2 Schulorganisationsgesetz iVm § 17 Schulunterrichtsgesetz festgelegten Bildungs- und Erziehungszielen österreichischer Schulen. Es lägen keine offenkundigen Einstellungsgründe vor.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor. Revisionsbeantwortungen wurden in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7        Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision unter anderem zusammengefasst vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht von Erkenntnissen abgewichen sei. Es fehlten insbesondere die zur rechtlichen Beurteilung der Frage, ob ein begründeter Verdacht einer die Suspendierung rechtfertigenden Dienstpflichtverletzung vorliege, notwendigen Feststellungen.

8        Die Revision ist bereits aus diesem Grund zulässig. Sie ist auch begründet.

9        Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. etwa VwGH 21.2.2019, Ra 2018/09/0031, mwN).

10       Nach der auch nach der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51, aufrecht erhaltenen hg. Rechtsprechung führt ein Begründungsmangel zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in weiterer Folge zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof, wenn er entweder die Parteien des Verwaltungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf deren inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert. Wird das Verwaltungsgericht den sich aus § 29 Abs. 1 VwGVG ergebenden Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte nicht gerecht, so liegt ein Begründungsmangel vor, der einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt (vgl. etwa VwGH 11.7.2019, Ro 2019/03/0015; 26.5.2021, Ra 2019/04/0071; jeweils mwN).

11       Es entspricht ferner der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Suspendierung, dass diese ihrem Wesen nach eine sichernde Maßnahme ist, die bei Zutreffen der gesetzlichen Voraussetzungen im Verdachtsbereich zwingend zu treffen ist. Sie stellt keine endgültige Lösung dar. Es braucht daher nicht nachgewiesen zu werden, dass der Beamte die ihm zur Last gelegte Dienstpflichtverletzung tatsächlich begangen hat. Diese Aufgabe kommt vielmehr erst den Disziplinarbehörden im Disziplinarverfahren zu. Es genügt demnach, wenn gegen den Beschuldigten ein Verdacht besteht. Dies ist dann der Fall, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Ein Verdacht kann immer nur auf Grund einer Schlussfolgerung aus Tatsachen entstehen. Die Berechtigung zur Verfügung der Suspendierung liegt allein in dem Bedürfnis, noch vor der Klärung der Frage des Vorliegens einer Dienstpflichtverletzung in der abschließenden Entscheidung über die angemessene Disziplinarstrafe des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende, vorübergehende Sicherungsmaßnahme zu treffen. Die Suspendierung eines Beamten gehört demnach in die Reihe jener vorläufigen Maßnahmen, die in zahlreichen Verfahrensgesetzen vorgesehen sind, um einen Zustand vorübergehend zu ordnen, der endgültig erst auf Grund des in der Regel einen längeren Zeitraum beanspruchenden förmlichen Verfahrens geregelt wird, um dadurch Nachteile und Gefahren - insbesondere für das allgemeine Wohl - abzuwehren und zu verhindern.

12       Im Hinblick auf diese Funktion der Suspendierung können an die in der Begründung eines die Suspendierung verfügenden Bescheides darzulegenden Tatsachen, die den Verdacht einer Dienstpflichtverletzung begründen, keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Ähnlich wie beim Einleitungsbeschluss - vor der Dienstrechts-Novelle 2011, BGBl. I Nr. 140, bzw. in Disziplinarsystemen, die einen gesonderten Verhandlungsbeschluss vorsehen - muss das dem Beamten im Suspendierungsbescheid zur Last gelegte Verhalten, das im Verdachtsbereich als Dienstpflichtverletzung erachtet wurde, nur in groben Umrissen beschrieben werden. Die einzelnen Fakten müssen nicht bestimmt, das heißt in den für eine Subsumtion relevanten Einzelheiten beschrieben werden. In der Begründung des Suspendierungsbescheides ist aber darzulegen, warum sich nach dem geschilderten Verhalten der Verdacht einer die Suspendierung rechtfertigenden Dienstpflichtverletzung ergibt.

13       Jene Behörde, welche über die Suspendierung entscheidet, hat aber zu beurteilen, ob dem Beamten ausreichend schwere Dienstpflichtverletzungen zur Last liegen, um ihn vorläufig an der Ausübung seines weiteren Dienstes zu hindern. Die Verfügung der Suspendierung setzt den Verdacht einer Dienstpflichtverletzung voraus, die wegen „ihrer Art“ das Ansehen des Amtes oder wesentliche Interessen des Dienstes gefährdet. Es können daher nur schwerwiegende, auf der Hand liegende Interessen der Verwaltung als sachbezogen anerkannt werden und die Suspendierung rechtfertigen. So kann eine Suspendierung zunächst in Betracht kommen, weil das verdächtige Verhalten noch nicht abzugrenzen, aber als schwerwiegend zu vermuten ist. Auch bei geringeren Verdachtsgründen kann aus der konkreten Situation das dienstliche Interesse an der Suspendierung begründet sein, z.B. bei denkbarer Verdunkelungsgefahr im Dienst oder schwerer Belastung des Betriebsklimas. Dagegen liegt das dienstliche Interesse, und zwar sowohl vor wie auch nach Aufklärung, bei Verfehlungen auf der Hand, die in der Regel zur Disziplinarstrafe der Entlassung führen. Denn darin kommen eine so erhebliche Unzuverlässigkeit und ein so schwerer Vertrauensbruch zum Ausdruck, dass der Verwaltung und der Allgemeinheit bis zur Klärung und zum Abschluss des Falles eine Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden kann.

14       Es ist eine Suspendierung andererseits insbesondere dann unzulässig, wenn etwa bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über ihre Verfügung offenkundig die Voraussetzungen für die Einstellung des Disziplinarverfahrens vorliegen. Bloße Gerüchte und vage Vermutungen allein reichen zur Verfügung der Suspendierung nicht aus. Vielmehr müssen greifbare Anhaltspunkte für eine Dienstpflichtverletzung in ausreichender Schwere sowohl in Richtung auf die objektive wie auf die subjektive Tatseite gegeben sein (vgl. zum Ganzen VwGH 24.6.2015, Ra 2015/09/0012, mwN; siehe auch 9.9.2021, Ra 2021/09/0171; 26.2.2021, Ra 2021/09/0007; jeweils mwN).

15       Dem angefochtenen Erkenntnis ist aber entgegen der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Suspendierung und den postulierten Anforderungen an die Begründung eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses nicht zu entnehmen, durch welche konkreten Handlungen die Revisionswerberin Angst- und Drucksituationen aufgebaut und welches Tatverhalten die Revisionswerberin gesetzt habe, die die Wertung „unangemessene oder herabwürdigende Äußerungen“ rechtfertigen sowie welche Sachverhalte die Revisionswerberin verwirklicht habe, die zu einer unsachlichen Benachteiligung einzelner Schülerinnen und Schüler führten. Das im Verdachtsbereich zur Last gelegte Tatverhalten der Revisionswerberin bleibt insofern völlig im Dunklen. Mangels diesbezüglicher Konkretisierung lässt sich jedoch der vom Bundesverwaltungsgericht in der Begründung gezogene Schluss nicht nachvollziehen, dass die vorgeworfenen Dienstverletzungen in einer Form verübt wurden, die die Verfügung einer Suspendierung rechtfertigen.

16       Da sich das angefochtene Erkenntnis somit insoweit einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof auf dessen inhaltliche Rechtmäßigkeit entzieht, war es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

17       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am 31. Jänner 2022

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020090005.L00

Im RIS seit

11.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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