TE Lvwg Erkenntnis 2021/12/21 LVwG-S-577/001-2021

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Veröffentlicht am 21.12.2021
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Entscheidungsdatum

21.12.2021

Norm

KFG 1967 §4
KFG 1967 §18 Abs1
KFG 1967 §103 Abs1 Z1
VStG 1991 §44a

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch den Einzelrichter Hofrat Dr. Schwarzmann über die Beschwerde von A, ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Waidhofen an der Thaya vom 28.1.2021, ***, betreffend Bestrafung nach dem Kraftfahrgesetz 1967 (KFG 1967), zu Recht erkannt:

1.         Der Beschwerde wird stattgegeben und das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben. Das Verwaltungsstrafverfahren wird eingestellt.

2.         Gegen diese Entscheidung ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§ 38, § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG

§ 44a Z. 1, § 45 Abs. 1 Z. 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG

§ 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmünd (im folgenden: „belangte Behörde“) wurden über den Beschwerdeführer als Zulassungsbesitzer des Pkw mit dem Kennzeichen *** wegen zweier Verwaltungsübertretungen, begangen am 21.10.2020, 10:10 Uhr, im Gemeindegebiet *** auf der *** nächst Strkm. ***, gemäß § 134 Abs. 1 KFG 1967 zwei Geldstrafen in Höhe von jeweils 75 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 15 Stunden) verhängt:

„Tatbeschreibung:

1.   Sie haben als Zulassungsbesitzer des angeführten KFZ nicht dafür Sorge getragen, dass der Zustand des genannten KFZ den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes entspricht. Das Fahrzeug wurde von Ihnen gelenkt, wobei festgestellt wurde, dass beim PKW die Bremsleuchte rechts nicht funktionierte.

2.   Sie haben als Zulassungsbesitzer nicht dafür Sorge getragen, dass der Zustand des PKW den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes entspricht. Das Fahrzeug wurde von Ihnen gelenkt, wobei festgestellt wurde, dass die für die verkehrs- und betriebssichere Verwendung des angeführten Fahrzeuges maßgebenden Teile nicht den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes entsprachen, obwohl Kraftfahrzeuge und Anhänger so gebaut und ausgerüstet sein müssen, dass durch ihren sachgemäßen Betrieb weder Gefahren für den Lenker oder beförderte Personen oder für andere Straßenbenützer noch Beschädigungen der Straße oder schädliche Erschütterungen noch übermäßig Lärm, Rauch, übler Geruch, schädliche Luftverunreinigungen oder vermeidbare Beschmutzungen anderer Straßenbenützer oder ihrer Fahrzeuge entstehen. Es wurde festgestellt, dass beim Scheinwerfer rechts vorne das Glas gesprungen war.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

zu 1. § 103 Abs. 1 Z. 1 KFG i.V.m. § 18 Abs. 1 KFG

zu 2. § 103 Abs. 1 Zif. 1 i.V.m. § 4 Abs. 2 Kraftfahrgesetz (KFG)“

Der Kostenbeitrag zum verwaltungsbehördlichen Verfahren wurde mit 20 Euro festgesetzt. Das Straferkenntnis stützt sich auf eine Anzeige der Polizeiinspektion *** vom 27.10.2020.

In seiner rechtzeitig dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Beschwerdeführer vor, dass seitens der Polizei *** und der belangten Behörde durch Korruptionsvorsatz fortgesetzt die StVO und die Verfassung missbraucht würden und dass das fortgesetzt verfassungswidrige Verfahren unverzüglich einzustellen sei; weder die Polizei *** noch die belangte Behörde hätten die Befugnis ein Amt auszuüben und begingen täglich rund hundert Amtsmissbräuche.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, dem die belangte Behörde die Beschwerde mitsamt dem Akt vorgelegt hat, hat dem Beschwerdeführer einen Verbesserungsauftrag erteilt, den er mit Schreiben vom 18.4.2021 beantwortet hat. Darin hat er u.a. darauf hingewiesen, dass er die Verfahrenseinstellung als Begehren genannt und dieses auch entsprechend begründet habe, und nähere Ausführungen dazu erstattet, dass sich u.a. die Mitarbeiter der Polizei ***, der Bezirkshauptmannschaften Gmünd und Zwettl und des Landesverwaltungsgerichtes der Ausübung ihrer Ämter wegen Missbrauchs der Amtsgewalt zu enthalten hätten, da vor ihren Gebäuden gesetzwidrig (§§ 23 Abs. 1 und 24 Abs. 3 lit. d StVO) geparkt werde.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich über die Beschwerde wie folgt erwogen:

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid und die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Eine Auslegung des § 27 VwGVG dahingehend, dass die Prüfbefugnis der Verwaltungsgerichte stark eingeschränkt zu verstehen wäre, ist nach der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. VwGH 16.3.2016, Ra 2015/04/0042) unzutreffend. Von einem Beschwerdeführer kann nicht erwartet werden, dass er in seiner Beschwerde sämtliche rechtlichen Angriffspunkte aufzeigt. Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den Prüfungsumfang ausschließlich an das Vorbringen des Beschwerdeführers binden wollte. Die Prüfungsbefugnis der Verwaltungsgerichte ist aber keine unbegrenzte. Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis ist die "Sache" des bekämpften Bescheides (vgl. VwGH 26.3.2015, Ra 2014/07/0077). Das bedeutet, dass das Verwaltungsgericht nicht an die geltend gemachten Beschwerdepunkte bzw. das Beschwerdevorbringen gebunden ist, sondern – solange die „Sache“ des bekämpften Bescheids nicht überschritten wird – offenkundige Rechtswidrigkeiten aufgreifen kann, selbst wenn diese nicht ausdrücklich in den Beschwerdegründen geltend gemacht werden (vgl. Müller in Raschauer/Wessely, VwGVG § 27 Rz 5, rdb.at, mwN).

Gemäß § 4 Abs. 1 KFG 1967 müssen Kraftfahrzeuge und Anhänger verkehrs- und betriebssicher gebaut und ausgerüstet sein. Die Sicht vom Lenkerplatz aus muss für das sichere Lenken des Fahrzeuges ausreichen. Die Vorrichtungen zum Betrieb eines Kraftfahrzeuges müssen so angeordnet sein, dass sie der Lenker auch bei bestimmungsgemäßer Verwendung eines geeigneten Sicherheitsgurtes, ohne das Augenmerk von der Fahrbahn abzuwenden, leicht und ohne Gefahr einer Verwechslung betätigen und das Fahrzeug sicher lenken kann. Die Wirksamkeit und Brauchbarkeit der für die verkehrs- und betriebssichere Verwendung dieser Fahrzeuge maßgebenden Teile muss bei sachgemäßer Wartung und Handhabung gegeben und zu erwarten sein; diese Teile müssen so ausgebildet und angeordnet sein, dass ihr ordnungsgemäßer Zustand leicht überwacht werden kann und ein entsprechender Austausch möglich ist.

Gemäß § 4 Abs. 2 KFG 1967 müssen Kraftfahrzeuge und Anhänger so gebaut und ausgerüstet sein, dass durch ihren sachgemäßen Betrieb weder Gefahren für den Lenker oder beförderte Personen oder für andere Straßenbenützer noch Beschädigungen der Straße oder schädliche Erschütterungen noch übermäßig Lärm, Rauch, übler Geruch, schädliche Luftverunreinigungen oder vermeidbare Beschmutzungen anderer Straßenbenützer oder ihrer Fahrzeuge entstehen. Sie müssen so gebaut und ausgerüstet sein, dass der Lenker, beförderte Personen und andere Straßenbenützer bei Verkehrsunfällen möglichst geschützt sind. Sie dürfen innen und außen keine vermeidbaren vorspringenden Teile, Kanten oder zusätzlichen Vorrichtungen aufweisen, die bei Verkehrsunfällen schwere körperliche Verletzungen erwarten lassen. Unvermeidbare vorspringende Teile, Kanten oder zusätzliche Vorrichtungen, die bei Verkehrsunfällen schwere körperliche Verletzungen erwarten lassen, müssen durch geeignete Schutzvorrichtungen entsprechend abgedeckt oder, wenn dies nicht ohne schwere Beeinträchtigung der Verwendbarkeit des Fahrzeuges im Rahmen seiner Zweckbestimmung durchführbar ist, entsprechend gekennzeichnet sein.

Gemäß § 18 Abs. 1 KFG 1967 müssen mehrspurige Fahrzeuge, abgesehen von den in § 15 geregelten Fahrzeugen und ausgenommen die Fälle des Abs. 2, hinten mit zwei, Fahrzeuge der Klasse M1 mit drei Bremsleuchten ausgestattet sein. Die Anbringung einer zusätzlichen mittleren hochgesetzten Bremsleuchte oder eines Paares zusätzlicher hochgesetzter Bremsleuchten ist zulässig, sofern nicht schon eine dritte, mittlere Bremsleuchte vorhanden ist. Bremsleuchten sind Leuchten, mit denen beim Betätigen der Betriebsbremsanlage (§ 6 Abs. 3), bei Anhängern der Betriebsbremsanlage des Zugfahrzeuges, rotes Licht ausgestrahlt wird (Bremslicht). Dieses Licht muss sich vom Schlusslicht (§ 14 Abs. 4) durch größere Lichtstärke deutlich unterscheiden.

Gemäß § 103 Abs. 1 Z. 1 KFG 1967 hat der Zulassungsbesitzer dafür zu sorgen, dass das Fahrzeug (der Kraftwagen mit Anhänger) und seine Beladung – unbeschadet allfälliger Ausnahmegenehmigungen oder -bewilligungen – den Vorschriften dieses Bundesgesetzes und der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen entspricht.

Gemäß § 134 Abs. 1 KFG 1967 begeht, wer u.a. diesem Bundesgesetz, den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen, Bescheiden oder sonstigen Anordnungen zuwiderhandelt, eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 5.000 Euro, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen.

Gemäß § 44a Z. 1 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Sie bildet den den Deliktstatbestand erfüllenden Sachverhalt. Das bedeutet, dass es im Bescheidspruch aller wesentlichen Tatbestandsmerkmale bedarf, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens und damit für die Subsumtion der als erwiesen angenommenen Tat unter die dadurch verletzte Verwaltungsvorschrift erforderlich sind; der Umfang der notwendigen Konkretisierung hängt dabei vom jeweiligen Tatbild ab. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausspricht, sind gemäß § 44a VStG, um die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale zu ermöglichen, entsprechende, in Beziehung zum vorgeworfenen Straftatbestand stehende, wörtliche Anführungen erforderlich, die nicht etwa durch die bloße paragrafenmäßige Zitierung von Gebots- und Verbotsnormen ersetzt werden können (siehe z.B. VwGH 15.9.2003, 2000/10/0061). Die Tat muss so eindeutig umschrieben sein, dass kein Zweifel besteht, wofür der Täter zur Verantwortung gezogen wird. Es reicht nicht aus, die verba legalia zu wiederholen, ohne konkret anzugeben, durch welches Handeln des bzw. der Beschuldigten es zur Verletzung der herangezogenen Strafbestimmung gekommen ist (vgl. VwGH 26.6.2020, Ra 2019/17/0073, VwGH 24.7.2019, Ra 2018/02/0163).

In Spruchpunkt 1. des angefochtenen Straferkenntnisses werden dem Beschwerdeführer zuerst die verba legalia des § 103 Abs. 1 Z. 1 Satz KFG angelastet, also die Verletzung seiner ihm als Zulassungsbesitzer aufgetragenen Sorge für den Zustand seines Fahrzeuges, und dann (nur), dass er das Fahrzeug gelenkt habe und „die Bremsleuchte rechts nicht funktionierte“.

§ 103 Abs. 1 Z. 1 KFG 1967 allein ist keine verletzte Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a Z. 2 VStG; es ist vielmehr erforderlich, im Spruch des Straferkenntnisses anzuführen, welche bestimmte Vorschrift des KFG oder einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnung im Einzelfall verletzt wurde und welcher konkrete Zustand eines Fahrzeuges im einzelnen als jeweils vorschriftswidrig anzusehen war (vgl. VwGH 30.5.1997, 97/02/0042). – Aus der Anführung des § 18 Abs. 1 KFG, also jener mit „Bremsleuchten“ betitelten Norm, geht aber noch nicht hervor, was „nicht funktioniert hat“.

Im Erkenntnis vom 12.12.1986, 86/18/0176, hat der Verwaltungsgerichtshof u.a. ausgesprochen, dass Formulierungen des Spruches wie „die Reifen wiesen nicht mehr die erforderliche Mindestprofiltiefe auf“ bzw. „die rechte Schlussleuchte und der linke Rückstrahler des Anhängers waren nicht in Ordnung" nicht dem Konkretisierungsgebot des § 44a VStG entsprechen, weil damit nicht zum Ausdruck kommt, inwiefern nicht den einschlägigen Bestimmungen entsprochen wurde bzw. welche vorgeschriebenen Mindestanforderungen in Betracht kommen. Die Anlastung im Spruch, ein Fahrzeug entspreche insofern nicht den gesetzlichen Vorschriften, als "bei sechs Rädern insgesamt 13 Tragbolzen über die Radmuttern hinausstanden, drei Radmuttern fehlten", entspricht nach dem zitierten Erkenntnis auch nicht dem Konkretisierungsgebot, denn dadurch wird die Zuordnung des Tatverhaltens zur zitierten Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, nicht in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht (ähnlich dann auch VwGH 28.9.1988, 88/02/0055, wonach die Anlastung, dass ein „Aufbau in einem vorschriftswidrigen Zustand“ gewesen sei, nicht dem Konkretisierungsgebot entspricht).

Dieser höchstgerichtlichen Judikatur folgend entspricht die Formulierung, dass „die Bremsleuchte nicht funktionierte“ nicht den Anforderungen des § 44a Z. 1 VStG, weil damit nicht Ausdruck kommt, inwiefern die Bremsleuchte nicht den einschlägigen Bestimmungen entsprochen haben soll (vgl. VwGH 12.12.1986, 86/18/0176). Vielmehr wäre konkret anzulasten gewesen, ob – wie es § 18 Abs. 1 KFG 1967 vorsieht – beim Betätigen der Betriebsbremsanlage kein rotes Licht ausgestrahlt wurde oder nur teilweise oder zu schwach oder worin sonst der Mangel bestand.

In Spruchpunkt 2. des angefochtenen Straferkenntnisses werden zuerst wiederum die verba legalia des § 103 Abs. 1 Z. 1 Satz KFG, sodann teilweise jene des § 4 Abs. 1 dritter Satz und schließlich des ganzen ersten Satzes des § 4 Abs. 2 KFG wörtlich zitiert. Die anschließende kursorische Umschreibung der Tathandlung („dass beim Scheinwerfer rechts vorne das Glas gesprungen war“) gibt wörtlich einen Teil des Ergebnisses des vor Ort beim Prüfzug erstellten Teiluntersuchungsgutachtens wieder; dabei fehlt jedoch die Konkretisierung dahingehend, inwiefern der Zustand bzw. „die für die verkehrs- und betriebssichere Verwendung maßgebenden Teile“ nicht „den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes“ entsprochen haben bzw. welchen der mehreren Tatbestände des (unter den „verletzten Rechtsvorschriften“ angeführten) § 4 Abs. 2 KFG der Beschwerdeführer durch den festgestellten Mangel am Scheinwerfer verwirklicht haben soll.

Zuletzt hat der Verwaltungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 6.5.2020, Ra 2019/02/0213, und vom 1.3.2021, Ra 2020/02/0301, u.a. darauf hingewiesen, dass die Umschreibung der Tat bereits im Spruch - und nicht erst in der Begründung - so präzise zu sein hat, dass der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte wahren kann und er nicht der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt ist, und dass sie keinen Zweifel daran bestehen lassen darf, wofür der Täter bestraft worden ist; das Höchstgericht hat folglich Tatbeschreibungen dahingehend, dass „die Fahrzeugkarosserie und der Unterboden mehrfach durchgerostet“, „die Außenspiegel links und rechts mangelhaft befestigt“, „die Ölwanne offenkundig beschädigt und nur behelfsmäßig repariert/abgedichtet“, „der linke Vorderreifen im Bereich der Lauffläche einseitig völlig abgefahren“ und „hinten links die Cellone gebrochen“ gewesen seien, als nicht den Anforderungen an das Konkretisierungsgebot des § 44a Z. 1 VStG entsprechend qualifiziert und darauf hingewiesen, dass § 4 Abs. 2 KFG mehrere Tatbestände umfasst, die jeweils auf unterschiedliche Art und Weise verwirklicht werden können, und dass bereits aus dem Spruch der zur Last gelegten und eine Verletzung des § 4 Abs. 2 KFG darstellenden Tathandlung hervorzugehen hat, welchen der mehreren Tatbestände des § 4 Abs. 2 KFG der bzw. die Beschuldigte konkret verwirklicht haben soll.

Dieser Rechtsprechung haben sich auch die Landesverwaltungsgerichte in Niederösterreich (vgl. z.B. LVwG NÖ 17.4.2018, LVwG-S-825/001-2017) und Oberösterreich (vgl. z.B. LVwG OÖ 7.7.2020, LVwG-603499/8/Bi) angeschlossen; in letzterem Judikat heißt es anschaulich wie folgt:

„Wesentlich für einen Verstoß gegen die genannten Bestimmungen ist, dass ein Kraftfahrzeug so gebaut und ausgerüstet sein muss, dass durch seinen sachgemäßen Betrieb weder

1. Gefahren für die in § 4 Abs. 2 KFG genannten Personengruppen, noch

2. Beschädigungen der Straße,

3. schädliche Erschütterungen, übermäßig Lärm, Rauch, übler Geruch, schädliche Luftverunreinigungen oder vermeidbare Beschmutzungen entstehen bzw.

4. die in § 4 Abs. 2 KFG genannten Personengruppen bei Verkehrsunfällen möglichst geschützt sind und die Fahrzeuge

5. innen und außen keine vermeidbaren vorspringenden Teile, Kanten oder zusätzliche Vorrichtungen aufweisen, die bei Verkehrsunfällen schwere körperliche Verletzungen erwarten lassen.

Nur bei Vorliegen derartiger Umstände, kann es zu einem Verstoß gemäß
§ 102 Abs. 1 iVm § 4 Abs. 2 KFG kommen. Der Vorwurf, dass ein Reifen am Radkasten innen streift bzw. die Kontrollmaße vorne und hinten unterschritten werden, lässt für sich alleine keinen Verstoß im Sinne dieser Bestimmung erkennen, zumal ein solcher Zustand nur dann zu einer Bestrafung nach § 102 Abs. 1 Z. 1 KFG führen kann, wenn ein oder mehrere der dargestellten Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Diese müssen im Spruch vorgeworfen werden. Die belangte Behörde hat nicht konkretisiert, inwieweit die Mängel Einfluss auf die Verkehrs- und Betriebssicherheit iSd § 4 Abs. 1 KFG haben können oder Gefährdungspotential iSd § 4 Abs. 2 KFG gegeben ist.“

Im Sinne der nun ausführlich dargestellten Judikatur ist daher bei der Tatanlastung „dass beim Scheinwerfer rechts vorne das Glas gesprungen war“ eine Zuordnung des Tatverhaltens zur zitierten Verwaltungsvorschrift des § 4 Abs. 2 KFG nicht in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht.

Eine Spruchkorrektur ist dem Verwaltungsgericht in beiden genannten Spruchpunkten – unabhängig von der Frage, ob es sich damit vom Prozessgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, nämlich der Verwaltungsstrafsache im Umfang des vom bekämpften Straferkenntnis erfassten und erledigten Sachverhalts, entfernen würde (vgl. VwGH 11.10.2019, Ra 2017/11/0080) – nach mittlerweile eingetretener Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs. 1 VStG verwehrt. Demzufolge ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung nach § 32 Abs. 2 VStG vorgenommen worden ist; eine solche Verfolgungshandlung muss sich auf alle einer späteren Bestrafung zu Grunde liegenden Sachverhaltselemente beziehen (vgl. VwGH 27.4.2012, 2008/17/0175).

Somit war spruchgemäß zu entscheiden.

Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG sind Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht aufzuerlegen, da der Beschwerde Folge gegeben worden ist.

Gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG entfiel eine öffentliche mündliche Verhandlung, da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist.

Die Revision ist unzulässig, da sie nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, und die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Zudem stellen die – hier im Einzelfall beurteilten – Fragen keine „Rechtsfragen von grundsätzlicher, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung“ (vgl. VwGH 23.9.2014, Ro 2014/01/0033) dar.

Schlagworte

Verkehrsrecht; Kraftfahrrecht; Verwaltungsstrafe; Tatvorwurf; Konkretisierungsgebot;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.S.577.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.03.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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