TE OGH 2022/1/27 15Ns100/21f

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Veröffentlicht am 27.01.2022
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Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Jänner 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen * P* wegen des Verbrechens der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 111 Hv 3/21v des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über den Kompetenzkonflikt zwischen diesem Gericht und dem Landesgericht Wels nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 60 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Für die Durchführung des Verfahrens ist das Landesgericht Wels zuständig.

Text

Gründe:

[1]       Die Staatsanwaltschaft Graz führte zu AZ 15 St 175/20z ein Ermittlungsverfahren gegen * P* wegen des Verbrechens der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 vierter Fall StGB und des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 2 StGB (ON 1 S 1).

[2]       Im Zuge ihrer Vernehmung als Beschuldigte übergab * P* den Beamten des Landesamts für Verfassungsschutz Oberösterreich eine Handkassa mit 536,54 Euro Bargeld sowie ein Kuvert mit 65 Euro Bargeld, beides wurde sichergestellt (ON 6 S 89 und S 101 ff). Es handle sich dabei um Beträge, die beim Verkauf von „Lebendmeldungen“, „Gewerbescheinen“ und dgl eingenommen und sodann zum Teil der (sogenannten) „Staatskassa“ des „Staates Oberösterreich“ und der „Benzingeldkassa“ zugeführt worden seien.

[3]       Am 2. Dezember 2020 trat die Staatsanwaltschaft nach Zahlung einer Geldbuße gemäß § 200 Abs 5 StPO von der Verfolgung der Genannten zurück (ON 1 S 2).

[4]       Am 28. Dezember 2020 beantragte sie beim Landesgericht für Strafsachen Graz den Verfall der sichergestellten Vermögenswerte gemäß § 445 Abs 1 StPO (ON 11). Nach dem Inhalt des Antrags wurde eine der Tathandlungen in G*, die übrigen in S* und nicht näher benannten Orten begangen.

[5]       Mit Beschluss vom 28. September 2021 trat die Richterin des Landesgerichts für Strafsachen Graz das Verfahren „gemäß § 485 Abs 1 Z 1 iVm § 450 StPO und § 36 Abs 3 StPO“ – somit unter Ausspruch der eigenen örtlichen Unzuständigkeit – an das Landesgericht Wels ab (ON 14). Letzteres erklärte sich mit Beschluss vom 23. November 2021 (ON 15) für örtlich unzuständig und legte die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt (§ 38 StPO) vor (ON 1 S 10).

Rechtliche Beurteilung

[6]       Über einen selbständigen Antrag auf Verfall hat nach § 445 Abs 2 StPO primär jenes Gericht zu entscheiden, das für die Verhandlung und Urteilsfällung wegen jener Tat, die die Anordnung begründen soll, zuständig war oder – wie hier bei diversioneller Erledigung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft – zuständig wäre.

[7]       Im Falle gleichzeitiger Anklage einer Person wegen mehrerer Straftaten ist das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen (§ 37 Abs 1 erster Satz zweiter Fall StPO), wobei für die örtliche Zuständigkeit vorrangig das Gericht höherer Ordnung den Ausschlag gibt (§ 37 Abs 2 erster Satz erster Fall StPO).

[8]       Da die sichergestellten Bargeldbeträge nach dem Verfallsantrag (zumindest teilweise auch) für bzw durch die Begehung des Verbrechens der staatsfeindlichen Verbindungen (§ 246 Abs 2 vierter Fall StGB) erlangt wurden (ON 11 S 4 f) und die Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Unterstützung der staatsfeindlichen Verbindung „Staatenbund Österreich“ (auf sonstige erhebliche Weise) ersichtlich (vgl die Subsumtion als das Verbrechen der staatsfeindlichen Verbindungen [ON 11 S 1, 5] sowie die nicht zahlenmäßig determinierte Untergliederung der einzelnen Tathandlungen [ON 11 S 2 f]) von einer tatbestandlichen Handlungseinheit ausging (vgl auch RIS-Justiz RS0124166), ist – aufgrund der Zuständigkeit des Geschworenengerichts zur Ahndung der Anlasstat (§ 31 Abs 2 Z 4 StPO) – (nur) diese (eine [vgl RIS-Justiz RS0127374]) Straftat für die Frage der örtlichen Zuständigkeit in den Blick zu nehmen.

[9]       Erstreckt sich die den gesetzlichen Tatbestand erfüllende Verhaltensweise über mehrere Orte, gibt jener den Ausschlag, an dem die die deliktische Handlung beendende Tätigkeit, also in der Regel die letzte Ausführungshandlung, stattgefunden hat (RIS-Justiz RS0130107).

[10]     Nach Verfallsantrag und Akteninhalt (vgl RIS-Justiz RS0131309) sind die spätesten hinsichtlich Tatzeit und Tatort konkretisierten Unterstützungshandlungen (§ 246 Abs 2 vierter Fall StGB) das Führen des Kassabuchs des „Staates Oberösterreich“ von 1. März 2017 bis 19. April 2017 (ON 6 S 93 f) sowie das Verwahren der den Gegenstand des Verfallsantrags bildenden Bargeldbeträge („Staatskassa“ und „Benzingeldkasse“) bis 30. Mai 2017 (bzw 12. Juni 2017; ON 6 S 9 f, 101) jeweils (am Wohnort der * P*) in S* begangen worden. Ob zeitlich zuvor auch eine Unterstützungshandlung im Sprengel der (hier) antragstellenden Staatsanwaltschaft gesetzt wurde, ist hingegen – weil § 37 Abs 2 dritter Satz StPO eine Ausnahme nur zum zweiten, nicht jedoch zum ersten Satz dieser Bestimmung normiert (RIS-Justiz RS0124935) – nicht relevant.

[11]     Demzufolge ist – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das Landesgericht Wels zur Entscheidung über den Verfallsantrag berufen.

Textnummer

E133692

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0150NS00100.21F.0127.000

Im RIS seit

05.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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