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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des Y in R, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. April 1995, Zl. 4.335.722/11-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. April 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, der am 8. März 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 12. März 1992 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 14. April 1992, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen und ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.
Der Beschwerdeführer gab in seinem schriftlichen Asylantrag vom 12. März 1992 an:
"Ich bin türkischer Staatsangehöriger und gehöre dem Volksstamm der Kurden an, bin ledig und habe keine Kinder.
Ich bin am 8.3.1992 nach Österreich eingereist. Meine Einreise erfolgte über Griechenland, Jugoslawien und Ungarn. Ich bin mit einer Gruppe anderer türkischer Staatsbürger mit dem Bus nach Österreich gekommen.
Ich stamme aus Kigi, einem Ort nahe der russischen Grenze (ca. 200 km entfernt).
Unser Volksstamm der türkischen Kurden wird seit vielen Jahren unterdrückt und politisch verfolgt.
Seit etwa 1974 kämpfen die Kurden gegen die Unmenschlichkeit in den jeweiligen Staaten.
Diese Bestrebung blieb seitens der Regierung nicht unbemerkt. Es fiel auf, daß der Widerstand gegen die Unterdrückung des kurdischen Volkes von Tag zu Tag stärker wurde.
Häufig kommt es vor, daß türkische Soldaten in die einzelnen Dörfer kommen, um nach kurdischen Freiheitskämpfern zu suchen. Dabei werden Häuser durchsucht, die Dorfbewohner werden an einen Ort des Dorfes zusammengetrieben, dort provoziert und geschlagen.
Im Zuge dieser Ereignisse wurden viele kurdischen Freiheitskämpfer getötet, es kommt auch ständig vor, daß sogar Frauen geschlagen und vergewaltigt werden.
Auch ich selbst war von dieser Verfolgung betroffen. Ich wurde mehrfach von Milizsoldaten und Regierungsbeamten verhört und wurde auch mit Mißhandlungen bedroht. Anläßlich solcher Verhöre wurde ich gestoßen und brutal behandelt.
Bemerken möchte ich noch, daß aus unserem Dorf fast alle jungen Leute bereits geflüchtet sind. Ortsansässig sind nur noch alte Leute und Kinder.
Es ist unmöglich, in diesem Gebiet seine Meinung frei äußern zu können. Man lebt unterdrückt und zurückgezogen. Man kann seine Persönlichkeit in keiner Weise entfalten."
Anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme gab der Beschwerdeführer am 31. März 1992 niederschriftlich zu seinem Fluchtgrund vernommen an:
"Ich bin Kurde. Dort wo ich gelebt habe, in Kigi, gibt es 2 Gruppen, das türkische Militär und kurdische Freiheitskämpfer. Da es zwischen diesen Gruppen immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt bzw. kam, habe ich es nicht mehr dort ausgehalten. Es war so, daß einmal die eine Gruppe in unser Dorf gekommen ist, Frauen vergewaltigt hat und Essen verlangte und das nächste Mal ist die andere Gruppe gekommen. Es sind immer wieder Soldaten in unser Dorf gekommen und haben uns junge Menschen gefragt, wo die Terroristen sind und dabei auch verschiedene Leute geschlagen. Ich persönlich wurde nie geschlagen. Wenn mir vorgehalten wird, daß ich lt. Schreiben meines Rechtsanwaltes Dr. R im Asylantrag angegeben habe, daß auch ich mehrfach von Milizsoldaten und Regierungsbeamten verhört, bedroht, gestoßen und brutal behandelt wurde, so gebe ich jetzt an, daß ich 1984 zweimal in Kigi von Soldaten geschlagen wurde, weil sie wissen wollten, ob ich Terroristen gesehen habe und zuletzt wurde ich 1988 in Aydin von Soldaten festgenommen und verhört, wurde aber dann wieder entlassen. Da ich die ständige Unterdrückung als Kurde nicht mehr ertragen konnte, bin ich nach Österreich geflüchtet. Ich möchte hier bleiben und österr. Staatsbürger werden."
In der Berufung gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich rügte der Beschwerdeführer, dieser sei "floskelhaft" und enthalte keine Beweiswürdigung, gehe von unrichtigen Prämissen aus und gehe auf seine im Zuge der Einvernahme ausgeführten Fluchtgründe nicht ein. Im Zuge dieser Rügen brachte der Beschwerdeführer als neuen Sachverhalt vor, er sei von beiden Seiten, nämlich von der türkischen Miliz und von Angehörigen der PKK aufgefordert worden, an den Kämpfen teilzunehmen. Ansonsten sei sein Leben bedroht. Diese konkret gegen seine Person gestellten Bedrohungen seien immer stärker und gefährlicher geworden, weshalb er sich aus Angst um sein Leben entschlossen habe, aus der Türkei zu flüchten. Daß in seinem Heimatwohngebiet Kurdenkämpfe stattgefunden hätten und weiter stattfänden, welche bereits viele Tote und Verletzte gefordert hätten, setze er als amtsbekannt voraus. Ansonsten verwies er auf seine Ausführungen im Asylantrag und seine niederschriftliche Einvernahme vom 31. März 1992.
Die belangte Behörde erließ daraufhin den Bescheid vom 30. September 1993, welcher aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom 10. Oktober 1994, Zl. 94/20/0222, infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde.
Daraufhin räumte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit ein, im Rahmen einer Berufungsergänzung einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz zu relevieren. In der daraufhin eingebrachten Ergänzung rügte der Beschwerdeführer als einfache Verfahrensmängel die Rechtswidrigkeit des mit Berufung bekämpften Bescheides wegen mangelnder Begründung und fehlender Beweiswürdigung sowie den Umstand, daß die belangte Behörde es weiterhin unterlassen habe, die Widersprüche zwischen seinen Angaben im schriftlichen Asylantrag und der Niederschrift einer näheren Klärung und Überprüfung zuzuführen. Diesbezüglich beantragte der Beschwerdeführer seine eigene "zeugenschaftliche Einvernahme".
Daraufhin erließ die belangte Behörde ohne Durchführung eines ergänzenden Verfahrens den nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid. Begründend führte die belangte Behörde - unter anderem - aus, daß die vom Beschwerdeführer behaupteten allgemeinen Beeinträchtigungen die Gewährung von Asyl nicht zu rechtfertigen vermöchten, da der Beschwerdeführer nicht dargetan habe, daß aus den allgemeinen Beeinträchtigungen, welche jedermann betroffen hätten, eine individuell konkret gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete Verfolgungsintention der Heimatbehörden abzuleiten sei. Die Vorfälle der Jahre 1984 und 1988 betreffend führte die belangte Behörde einerseits aus, daß dem Beschwerdeführer diesbezüglich die Glaubwürdigkeit mangle, andererseits jedoch auch, daß selbst im Falle man dieses Vorbringen als bescheinigt (Anm.: somit als glaubwürdig) gelten ließe, es - neben dem Mangel der vom Verfolgungsbegriff geforderten Eingriffsintensität - nicht geeignet sei, die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu begründen, da sich die Furcht vor Verfolgung auf Umstände beziehen müsse, die im zeitlichen Naheverhältnis zur Ausreise aus dem Heimatland liegen. Der Beschwerdeführer habe sich jedoch noch bis zum 20. Februar 1992 in seinem Heimatland aufgehalten. Da der Beschwerdeführer somit nicht Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 sei, könne ihm kein Asyl gewährt werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Insofern der Beschwerdeführer rügt, daß im Spruch des angefochtenen Bescheides der erstinstanzliche Bescheid nicht nach Zahl und Datum individualisiert sei und das Datum der abgewiesenen Berufung nicht aufscheine, ist ihm zu entgegnen, daß der erstinstanzliche Bescheid in der Begründung des angefochtenen Bescheides nach Datum und Zahl sowie dem Inhalt nach individualisiert wurde. Es ist damit klar erkennbar, welcher erstinstanzliche Bescheid durch den belangten Bescheid bestätigt wurde. Die Aufnahme der vermißten Daten in den Spruch des angefochtenen Bescheides war daher im konkreten Fall entbehrlich. Im übrigen hat der Beschwerdeführer auch in der Beschwerde selbst keine Zweifel daran, welcher erstinstanzliche Bescheid Gegenstand des angefochtenen Bescheides war. Die Aufnahme des Datums der Berufung ist zur Nachvollziehbarkeit des Spruches nicht erforderlich, zumal der Beschwerdeführer die Erhebung einer weiteren Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid nicht behauptet.
Die belangte Behörde ist im Recht, wenn sie aus dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers keine individuell konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungsgefahr ableitet. Denn es stimmt mit der Rechtslage überein, daß der allgemeinen Situation der kurdischen Volksgruppe sowie den bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Gebiet seines Heimatdorfes und den sich dadurch ergebenden Beeinträchtigungen nur dann asylrechtliche Relevanz zukommt, wenn zu diesen allgemeinen Umständen individuell dem Beschwerdeführer drohende Gefahren treten. Als solche individuelle Verfolgungen hat der Beschwerdeführer nur die Vorfälle der Jahre 1984 und 1988 im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht.
Der belangten Behörde ist zuzustimmen, daß die im Asylverfahren glaubhaft zu machende Gefahr einer Verfolgung aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründen bis zur Ausreise andauern muß, und Vorgänge, die bereits längere Zeit zurückliegen, in der Regel keine ausreichende Asylrelevanz mehr aufweisen; solche Umstände können bloß zur Abrundung des Gesamtbildes bei Prüfung der Frage einer nach wie vor gegebenen begründeten Furcht vor Verfolgung herangezogen werden. Daher ist zunächst zu prüfen, inwieweit die begründete Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung auch im Zeitpunkt der Flucht (Ausreise 20. Februar 1992) vorlag. Weder anläßlich seiner Vernehmung noch in seinen Berufungsausführungen noch auch in der Beschwerde gibt der Beschwerdeführer eine schlüssige Erklärung dafür, aus welchen Gründen ihm ein früheres Verlassen seines Heimatlandes angesichts der letzten behaupteten Verfolgungshandlung 1988 unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre.
Es kann daher der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie davon ausging, daß selbst unter Zugrundelegung der gesamten Darstellung des Beschwerdeführers in erster Instanz diesem die Glaubhaftmachung begründeter Furcht vor konkret ihn betreffender AKTUELLER Verfolgung nicht gelungen sei (vgl. zum notwendigen zeitlichen Konnex aus vielen das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/1081).
Da die belangte Behörde in ihrer Eventualbegründung ohnehin die gesamten Angaben des Beschwerdeführers in erster Instanz zugrundegelegt hat, erübrigte sich auch jede weitere Einvernahme des Beschwerdeführers zur Klärung der Widersprüche zwischen schriftlichem Asylantrag und niederschriftlicher Einvernahme. Da der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren die Unvollständigkeit bzw. Unrichtigkeit der Niederschrift nicht gerügt hat, sohin kein Grund des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 vorliegt, ist die belangte Behörde zu Recht auf das neue Tatsachenvorbringen des Beschwerdeführers in der Berufung im Hinblick auf § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 nicht eingegangen.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Damit erübrigt sich eine Befassung mit der darüber hinausgehenden Begründung des angefochtenen Bescheides (innerstaatlicher Fluchtalternative, Sicherheit vor Verfolgung) sowie mit dem hiegegen erstatteten Beschwerdevorbringen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200272.X00Im RIS seit
20.11.2000