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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des U in W, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. Jänner 1995, Zl. 4.313.168/11-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 24. Dezember 1990 in das Bundesgebiet ein. Er stellte am 3. Jänner 1991 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Am 26. März 1991 wurde er vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien schriftlich einvernommen und gab zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen an, er sei Kurde alevitischen Glaubens und damit als Angehöriger einer Minderheit in der Türkei benachteiligt. Die Aleviten würden von der übrigen türkischen Bevölkerung abgelehnt, weil sie Moscheenbesuche ablehnten und den Fastenmonat Ramadan nicht beachteten. Da die Lebensbedingungen für den Beschwerdeführer in der Türkei ungünstig seien und die Aleviten dort "keinen Platz" hätten, lehne er den türkischen Staat ab und wolle dort keinesfalls den Militärdienst ableisten. Der Beschwerdeführer fühle sich in der Türkei zwar nicht verfolgt, er strebe jedoch die österreichische Staatsbürgerschaft an und wolle seinen Militärdienst in Österreich ableisten.
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Februar 1993 wurde die eingebrachte Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 8. April 1991, mit dem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen.
Aufgrund der dagegen eingebrachten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 5. September 1994, Zl. 94/20/0105, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) auf, wodurch das Berufungsverfahren wiederum bei der belangten Behörde anhängig wurde.
Über Aufforderung der belangten Behörde erstattete der Beschwerdeführer mit dem am 27. Jänner 1995 dort eingelangten Schriftsatz eine Berufungsergänzung, in der er darauf verwies, daß seine Einvernahme vor der Behörde erster Instanz mangelhaft gewesen sei. Aufgrund der mangelhaften Befragung habe er nicht geltend machen können, daß bereits Familienmitglieder aus politischen Gründen lange Haftstrafen hätten verbüßen müssen. Dies habe eine verstärkte polizeiliche Überwachung und einen Druck auf die gesamte Familie des Beschwerdeführers zur Folge gehabt. Der Beschwerdeführer selbst sei zweimal nach Demonstrationen (am 1. Mai 1987 und am 6. Mai 1988) verhaftet worden. Im übrigen wendete sich der Beschwerdeführer gegen den Vorhalt der belangten Behörde, er sei während seiner Durchreise durch Ungarn bereits gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 vor Verfolgung sicher gewesen. Dem dem Beschwerdeführer vorgehaltenen Gutachten des UNHCR gegenüber dem deutschen Bundesverfassungsgericht vom 4. Juli 1994, worauf die belangte Behörde die Annahme der erlangten Verfolgungssicherheit auch für außereuropäische Flüchtlinge in Ungarn stütze, könne keinesfalls entnommen werden, daß die diesbezüglichen Ausführungen auch für den Zeitraum der Durchreise des Beschwerdeführers im Jahr 1990 gelten.
Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid wiederholte die belangte Behörde die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl. In der Begründung verwies sie auf ihren (mit hg. Erkenntnis vom 5. September 1994 aufgehobenen) Vorbescheid und brachte zum Ausdruck, daß sie die dort enthaltenen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen ihrer neuerlichen Entscheidung wieder zugrundelege. In diesem Bescheid hatte die belangte Behörde nach Wiedergabe der erstinstanzlichen Ermittlungsergebnisse und Zitierung der in Anwendung gebrachten gesetzlichen Bestimmungen ausgeführt, die allgemeine Situation der Aleviten in der Türkei sei asylrechtlich nicht von Relevanz, weil maßgeblich sei, ob eine konkrete, gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete Verfolgungshandlung vorgelegen oder von ihm zu befürchten gewesen sei. Die geschilderten Diskriminierungen des Beschwerdeführers (das allgemeine Mißtrauen, die polizeilichen Belästigungen, die Ablehnung durch die übrige türkische Bevölkerung, auch das in der Berufung geschilderte Verbot der Verwendung der kurdischen Sprache) hätten nicht eine solche Intensität erreicht, daß deshalb der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers in der Türkei als unerträglich und seine Furcht als wohlbegründet anzusehen wäre. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei auch nicht zu entnehmen gewesen, daß mit der künftigen Einberufung zum Wehrdienst eine asylrelevante Verfolgung verbunden sein würde. Soweit der Beschwerdeführer in der Berufung überdies geltend gemacht habe, daß er mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK "sympathisiert" habe, werde damit noch nicht zum Ausdruck gebracht, daß dieses behauptete Engagement von den Behörden seines Heimatlandes überhaupt wahrgenommen worden wäre. Ergänzend führte die belangte Behörde im bekämpften Bescheid noch aus, daß die in der eingelangten Stellungnahme relevierten Umstände (die Verbüßung von langen Haftstrafen durch Familienmitglieder) nicht maßgeblich seien, weil nur konkrete, ausschließlich gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete Verfolgungshandlungen asylrechtlich beachtlich seien. Soweit der Beschwerdeführer davon gesprochen habe, daß diese Umstände "verstärkten Druck" und "polizeiliche Überwachung" der gesamten Familie zur Folge gehabt hätten, sei dieses Vorbringen zu unsubstantiiert und nicht geeignet, die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu begründen. Im übrigen habe der Beschwerdeführer anläßlich seiner Einvernahme am 26. März 1991 ausgeführt, daß er sich in seinem Heimatland nicht verfolgt gefühlt habe. Der Asylgewährung stünde überdies der Asylausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 entgegen, weil sich der Beschwerdeführer vor seiner Einreise nach Österreich in Ungarn aufgehalten und dort Verfolgungssicherheit erlangt habe.
Gegen diesen (Ersatz-)Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Gleichlautend mit der Berufungsschrift wird auch in der Beschwerde beanstandet, daß die belangte Behörde den in erster Instanz geschilderten Diskriminierungen aufgrund der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Glaubensgemeinschaft der Aleviten zu Unrecht keine asylrechtliche Relevanz beigemessen habe.
Es entspricht aber der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, daß Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nur dann vorliegen und zur Asylgewährung führen können, wenn sie gegen den betreffenden Fremden selbst gerichtet, von erheblicher Intensität und dem Heimatstaat des Beschwerdeführers zurechenbar sind. Beleidigungen, Beschimpfungen und Ächtungen seitens der Bevölkerung genügen im Sinne dieser Judikatur nicht; die vom Beschwerdeführer geschilderten Diskriminierungen am Arbeitsplatz und bei Behördenerledigungen (er würde von den Behörden "unerledigter Dinge nach Hause geschickt") erreichen nicht eine derartige Intensität, daß daraus begründete Furcht vor Verfolgung aus Konventionsgründen abgeleitet werden kann. In diesem Sinne kann auch der bekämpfte Standpunkt der belangten Behörde, die Ausführungen des Beschwerdeführers zur allgemeinen Lage der Kurden in der Türkei (etwa das Verbot der Erlernung der kurdischen Sprache) seien nicht geeignet, eine gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete, individuelle Verfolgungsgefahr von erheblicher Intensität zu begründen, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Soweit in der Beschwerde geltend gemacht wird, daß der Beschwerdeführer nicht nur eine innere Abneigung gegen das in seiner Heimat herrschende System habe, sondern dies dadurch dokumentiert habe, "daß er einen Militärdienst verweigere", ist anzumerken, daß in erster Instanz nicht behauptet wurde, der Beschwerdeführer hätte bislang überhaupt einen Einberufungsbefehl erhalten. Allein aus der grundsätzlichen Einstellung, im Falle einer künftigen Einberufung zum Militärdienst diesen verweigern zu wollen, kann aber die Anerkennung als Flüchtling nicht abgeleitet werden. Die belangte Behörde hat sich mit den in der Berufungsergänzung vorgebrachten weiteren Argumenten (Familienmitglieder des Beschwerdeführers hätten aus politischen Gründen längere Haftstrafen zu verbüßen gehabt) insoweit auseinandergesetzt, als sie ausführte, daß aus derartigen gegen Familienmitglieder gesetzten Verfolgungshandlungen eine den Beschwerdeführer selbst treffende asylrelevante Verfolgung nicht abgeleitet werden könne. Es entspricht der hg. Rechtsprechung, daß Maßnahmen, die ausschließlich in der politischen Gesinnung eines Angehörigen bzw. in der Ausforschung des Aufenthaltsortes solcher Personen begründet sind, grundsätzlich keine Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 darstellen. Daß dem Beschwerdeführer selbst eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt worden wäre und ihm deshalb Verfolgung drohte, hat er im Verwaltungsverfahren nicht behauptet. Abgesehen davon wird in der vorliegenden Beschwerde nicht näher ausgeführt, worin die aus der Verbüßung von Haftstrafen durch Verwandte abgeleiteten nachteiligen Folgen für den Beschwerdeführer bestanden haben sollen. In der Berufungsergänzung wurde in diesem Zusammenhang lediglich allgemein geltend gemacht, daß dies einen "verstärkten Druck" und "eine polizeiliche Überwachung" der gesamten Familie zur Folge gehabt habe. Damit wird aber nicht nachvollziehbar dargelegt, daß der Beschwerdeführer einer Verfolgungshandlung von erheblicher Intensität ausgesetzt gewesen wäre. Den Ausführungen der belangten Behörde, daß die behauptete "Sympathie" des Beschwerdeführers gegenüber der PKK den Behörden nicht bekanntgeworden wäre, wird in der Beschwerde nicht entgegengetreten. Wenn die belangte Behörde weiters die Auffassung vertreten hat, daß die in der Berufungsergänzung geschilderten Inhaftierungen im Gefolge von Demonstrationen (am 1. Mai 1987 und 6. Mai 1988) keinen ausreichenden zeitlichen Zusammenhang mit der Flucht des Beschwerdeführers im Jahr 1990 bildeten, so ist diese Schlußfolgerung mangels jeglicher konkret behaupteter Verfolgungsmaßnahmen von erheblicher Intensität gegen den Beschwerdeführer nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Bei diesem Ergebnis bedarf es keines Eingehens mehr auf den von der belangten Behörde überdies noch herangezogenen Asylausschlußtatbestand des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 wegen erlangter Verfolgungssicherheit in Ungarn.
Die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1995200078.X00Im RIS seit
20.11.2000