TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/12 95/20/0192

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Veröffentlicht am 12.09.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Dezember 1994, Zl. 4.330.844/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 31. Jänner 1992 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 4. Februar 1992 Asyl. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 6. Februar 1992 gab er an:

"Ich gehöre der kurdischen Minderheit in der Türkei an. Diese Gruppe wird von den türkischen Behörden immer unterdrückt und wir haben keine Rechte. Ich bin bei keiner politischen Partei und gehöre oder arbeite für keine dieser Organisationen.

In unserer Region sind die PKK-Kämpfer sehr aktiv. Aus diesem

Grunde kommen die Soldaten sehr häufig in unser Dorf und

verhalten sich uns gegenüber sehr brutal. Ich habe die

PKK-Kämpfer manchmal mit Lebensmittel und auch Geldspenden

unterstützt. Dies wurde den türkischen Behörden bekannt. Aus

diesem Grunde wurde ich von den Soldaten, die in mein

Elternhaus kamen, sehr streng vernommen und dabei geschlagen

wie Ohrfeigen, Fußtritte, etc. Sichtbare Wunden trug ich von

den Vernehmungen nicht davon. Es kam vor, daß ich blaue Flecken

bekam. Da ich als Alevite nicht in die Moschee gehe, wurde ich

von den Türken abgelehnt. Ich müßte demnächst beim Militär

einrücken. Dies will ich aber nicht. Aus diesem Grunde beschloß

ich, die Heimat zu verlassen. ... Ich bemühte mich um einen

Paß, konnte diesen jedoch nicht bekommen, weil ich noch nicht

beim Militär war. ...

    Ich will aus der Bundesbetreuung entlassen werden, und bei

meinem Schwager in Wien ... wohnen. Auf den Asylantrag

verzichte ich jedoch nicht. Ich nehme zur Kenntnis, daß die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden für sich alleine keinen Grund zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft darstellt."

Mit Bescheid vom 19. Februar 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien fest, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling. Die formularmäßige Begründung enthielt keine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers.

In der im März 1992 eingebrachten Berufung rügte der Beschwerdeführer das Fehlen einer auf seinen Fall bezogenen Begründung und wiederholte im wesentlichen sein in erster Instanz erstattetes Vorbringen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung unter Anwendung des inzwischen in Kraft getretenen Asylgesetzes 1991 ab. Sie führte im wesentlichen aus, die allgemeine Benachteiligung und Diskriminierung der Kurden in der Türkei und die vom Beschwerdeführer beschriebenen Beeinträchtigungen im Rahmen "behördlicher Ermittlungen" reichten nicht aus, um die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu begründen. Das gelte auch für die drohende Einberufung zum Militärdienst und den Umstand, daß dem Beschwerdeführer kein Reisepaß ausgestellt worden sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer vermeint, der "gegenständliche Sachverhalt" gleiche "in sämtlichen entscheidungsrelevanten Einzelheiten dem, der dem Erkenntnis vom 13. Oktober 1994 (Zl. 94/20/0235) zugrunde lag". Diese Behauptung, die offenbar auf das Erkenntnis vom 13. Oktober 1994, Zl. 94/19/0235, zu beziehen ist, trifft nicht zu. In dem erwähnten Erkenntnis wurde ausgesprochen, das Asylgesetz 1991 sei im damals zu entscheidenden Fall von der belangten Behörde zu Unrecht angewandt worden. Begründet wurde dies damit, daß der erstinstanzliche Bescheid erst im Juli 1992 ergangen und das Verfahren am 1. Juni 1992, dem Tag des Inkrafttretens des Asylgesetzes 1991, daher noch in erster Instanz anhängig gewesen war, womit die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 erster Satz Asylgesetz 1991 nicht erfüllt waren. Auf den vorliegenden Fall trifft das Gegenteil zu, weil die erstinstanzliche Entscheidung im Februar 1992 erging, die Berufung im März 1992 erhoben wurde und das Verfahren am 1. Juni 1992 daher bei der belangten Behörde anhängig war. Gemäß § 25 Abs. 2 erster Satz Asylgesetz 1991 hatte sie es nach diesem Gesetz zu Ende zu führen.

Das restliche Beschwerdevorbringen besteht zunächst in der in die Darstellung des Verfahrensganges aufgenommenen Behauptung, die belangte Behörde habe ihre abweisende Entscheidung trotz der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Argumente "und der allgemein bekannten militärischen Operation der türkischen Armee im Kurdengebiet samt Invasion in das iranische Staatsgebiet und der Überfälle auf alevitische religiöse Zentren, selbst in Istanbul" gefällt. Darüber hinaus behauptet der Beschwerdeführer, es habe schon im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung "folgender aus übereinstimmenden Medienberichten offenkundiger Sachverhalt" vorgelegen:

"Der türkische Staat verfolgt trotz mancher gegenteiliger Lippenbekenntnisse einen organisierten und systematischen Ausrottungsfeldzug gegen Angehörige der kurdischen und alevitischen Religionsgemeinschaft. Dies führte sogar soweit, daß die auf das Staatsgebiet des Iran flüchtenden Angehörigen der oben genannten Religionsgemeinschaften von der türkischen Armee nunmehr teilweise sogar auch auf dem Staatsgebiet des Iran, welches unter Aufsicht der UN gestellt ist, bekämpft werden. Angesichts dieses Umstandes stellt es beinahe eine Verhöhnung des Beschwerdeführers dar, wenn ausgeführt wird, daß die bisherigen ihm bereits tatsächlich widerfahrenen Mißhandlungen eine zu geringe Eingriffsintensität hätten. In diesem Zusammenhang muß ernstlich die Frage gestellt werden, ob sich ein Asylwerber erst töten lassen muß, bevor ihm Asyl gewährt wird. Daß er die Flucht zu einem Zeitpunkt ergriffen hat, als er zum Militär eingezogen wird, kann nicht so gedenkt (gemeint: gedeutet?) werden, daß dem Beschwerdeführer Desertion bzw. Wehrdienstverweigerung zur Last gelegt wird, sondern stand ein neuerlicher staatlicher Zugriff auf seine Person drohend bevor und hat er sich deshalb zur Flucht entschlossen. Die nunmehr bekannten Ein- und Übergriffe der türkischen Behörden gegen seine Religionsgemeinschaft beweisen die Richtigkeit seiner Handlung. Die konkrete Gefahr gegen Leib und Leben des Beschwerdeführers ist durch die jüngsten Ereignisse augenscheinlich dokumentiert."

Die belangte Behörde habe es "zudem unterlassen, auch nur ansatzweise Feststellungen zur Lage der Aleviten in der Türkei zu treffen".

Dem ist entgegenzuhalten, daß es im Asylverfahren auf die wohlbegründete Furcht des konkret betroffenen Asylwerbers vor Verfolgung aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründe ankommt, und daß die Behörde bei der Prüfung des Vorliegens dieser Furcht von den Umständen auszugehen hat, die der Asylwerber selbst zur Begründung anführt. Sein Vorbringen ist in dieser Hinsicht das zentrale Entscheidungskriterium (vgl. dazu Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, Entscheidung 79 zu § 37 AVG). Die Behörde hat zwar nach § 16 Abs. 1 AsylG 1991 auf eine Konkretisierung und Vervollständigung der Angaben zu dringen, doch gilt dies nur insoweit, als das Vorbringen des Asylwerbers deutliche Hinweise auf einen für die Begründung der Flüchtlingseigenschaft in Frage kommenden Sachverhalt enthält. Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, muß die Behörde nicht ermitteln (vgl. dazu Hauer-Leukauf, aaO, Entscheidung 18a, d und j zu § 37 AVG).

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren auch nicht ansatzweise erkennen lassen, er habe befürchten müssen, auf türkischem oder iranischem Staatsgebiet Opfer eines vom türkischen Staat geführten Ausrottungsfeldzuges zu werden. Er gab an, "sehr streng vernommen" worden zu sein, wobei er mit Ohrfeigen, Fußtritten usw. mißhandelt worden sei und es "vorgekommen" sei, daß er "blaue Flecken" davongetragen habe. Seine Flucht begründete er aber nicht damit, daß er eine Wiederholung oder Steigerung dieser auf seine körperliche Integrität gerichteten Angriffe zu befürchten gehabt habe, sondern damit, er hätte "demnächst beim Militär einrücken" müssen und "aus diesem Grund" beschlossen, das Land zu verlassen. Die in der Beschwerde aufgeworfene (rhetorische) Frage, ob sich ein Asylwerber erst töten lassen müsse, bevor ihm Asyl gewährt werde, konnte sich im Verwaltungsverfahren in dem Sinne, daß dem Beschwerdeführer eine derartige oder überhaupt eine Steigerung der ihm widerfahrenen Mißhandlungen gedroht hätte, aufgrund seiner Angaben daher nicht stellen. Gegenstand der Prüfung hatte vielmehr der Grund zu sein, den der Beschwerdeführer selbst für seine Flucht angegeben hatte. Wenn er diesen Grund - die bevorstehende Einziehung zum Militärdienst - in der Beschwerde als "neuerlichen staatlichen Zugriff auf seine Person" wertet, der "drohend bevor" gestanden sei, so ist dem zu erwidern, daß die belangte Behörde die Rechtslage richtig erkannte, wenn sie die drohende Einziehung zum Militärdienst auf der Grundlage der Behauptungen des Beschwerdeführers nicht als Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 wertete. Daß die Einberufung selbst aus einem der in dieser Bestimmung genannten Gründe bevorstand oder dem Beschwerdeführer während des Militärdienstes in ihrer Intensität und Motivation als Verfolgung im Sinne der genannten Gesetzesstelle zu wertende Benachteiligungen drohten, war seinem Vorbringen auch in Verbindung mit dem vorangegangenen Satz, als Alevite werde er "von den Türken abgelehnt", und mit der einleitenden Behauptung, die Kurden würden von den türkischen Behörden "immer unterdrückt" und hätten "keine Rechte", nicht zu entnehmen (vgl. zu den erwähnten Gesichtspunkten im einzelnen das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200192.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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