TE OGH 2021/12/15 9ObA140/21k

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Hon.-Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Prof. Dr. Klaus Mayr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. M*, vertreten durch Moser Mutz Rechtsanwälte GesbR in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Ehm & Mödlagl Rechtsanwälte GesbR in Wien, wegen 2.897,89 EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. September 2021, GZ 6 Ra 51/21y-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. Juni 2021, GZ 32 Cga 42/21a-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es wie folgt lautete:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 2.897,89 EUR brutto samt 8,58 % Zinsen aus 686,28 EUR brutto seit 1. 1. 2019 und aus 2.211,61 EUR brutto seit 1. 10. 2019 zu bezahlen, wird abgewiesen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.047,60 EUR (darin enthalten 174,60 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 913,67 EUR (darin enthalten 101,61 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 799,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR USt und 381 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu Handen des Beklagtenvertreters zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Der Kläger war bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im Jahr 2020 als angestellter Arzt im Unfallkrankenhaus G* der Beklagten beschäftigt. Auf sein Dienstverhältnis kam die Dienstordnung B (DO.B) für die Ärzte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs zur Anwendung.

[2]       Im Jahr 2011 wurde dem Kläger auf sein Ansuchen Sonderurlaub für die Zeit von 1. 4. 2001 bis 31. 5. 2002 bewilligt. In dieser Zeit war der Kläger im A.ö D*krankenhaus S* im Rahmen eines (zweiten) Dienstverhältnisses als Oberarzt für Unfallchirurgie tätig.

[3]       Der Kläger begehrt von der Beklagten 2.897,89 EUR brutto sA an Entgeltdifferenzen für die Zeit von Oktober 2018 bis einschließlich September 2019. Die Beklagte habe ihm die Zeit des Sonderurlaubs nicht für die Einstufung in das Gehaltsschema angerechnet. § 12a Abs 3 Z 4 DO.B, wonach Zeiten eines Sonderurlaubs hinsichtlich der Dienstzeitenanrechnung nicht anzurechnen wären, stelle eine Ungleichbehandlung dar, weil jene Dienstnehmer, die durchgehend bei der Beklagten beschäftigt gewesen seien, die gesamten Zeiten angerechnet erhalten. Auch im Fall der Beendigung seines Dienstverhältnisses und einer Neueinstellung wäre die gesamte im D*krankenhaus zugebrachte Zeit angerechnet worden. Außerdem verstoße die Regelung gegen EU-Recht. Im Bereich der Europäischen Union bei anderen Dienstgebern zurückgelegte Vordienstzeiten seien nach nunmehr gesicherter Rechtsprechung für die Einstufung in das Gehaltsschema der DO.B so zu berücksichtigen, als wenn sie bei der Beklagten bzw bei anderen Sozialversicherungsträgern zurückgelegt worden wären. Außerdem sei die Regelung des § 12a Abs 3 Z 4 DO.B geeignet, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer weniger attraktiv zu machen. Auch bei der Anrechnung der Dienstzeiten während eines Sonderurlaubs handle es sich um Vordienstzeiten, die anzurechnen wären. Das Klagebegehren werde daher auch auf § 13 der DO („Anrechenbare Dienstzeit für die Einstufung in das Gehaltsschema“), gestützt.

[4]       Die Beklagte bestreitet und wendet ein, der Klageanspruch sei infolge der ausdrücklichen und für Sonderurlaube gemäß § 20 Abs 1 DO.B spezifischen Regelung des § 12a Abs 3 Z 4 aus der DO.B nicht abzuleiten. Ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungs-grundsatz und gegen das EU-Recht liege nicht vor. Es gehe nicht um die Anrechnung von Vordienstzeiten, die bei anderen Versicherungsträgern zurückgelegt worden seien, weshalb § 13 DO nicht zur Anwendung gelange.

[5]       Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Ungeachtet der Regelung des § 12a Abs 3 Z 4 DO.B, sei das vom Kläger während des Sonderurlaubs im D*krankenhaus S* eingegangene Dienstverhältnis als Vordienstzeit auf der Grundlage der Regelung des § 13 Abs 1 Z 3 lit a DO.B über die Anrechnung von Dienstzeiten für die Einstufung in das Gehaltsschema anzurechnen.

[6]       Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die Gründe für die Beantragung eines Sonderurlaubs seien vielfältig. § 20 Abs 1 DO.B erfasse aber jedenfalls nicht einen Sonderurlaub, der für eine ärztliche Tätigkeit in einem anderen Krankenhaus verwendet werde. Habe der Dienstgeber den Sonderurlaub in Kenntnis davon bewilligt, dass er zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im Rahmen eines zu einem anderen Dienstgeber begründeten Dienstverhältnisses genützt werde, sei es nicht möglich, die Anrechnung der Dienstzeiten für die Einstufung in das Gehaltsschema mit der Begründung zu verwehren, es habe sich um einen Sonderurlaub gehandelt. Auch im Fall einer Beendigung des Dienstverhältnisses und einer Neuanstellung bei der Beklagten wäre dem Kläger die gesamte im D*krankenhaus S* zurückgelegte Dienstzeit angerechnet worden. Zur Vermeidung einer sachlichen Ungleichbehandlung seien diese Zeiten genau so zu bewerten wie Arbeitszeiten, die der Kläger bei der Beklagten verbracht habe.

[7]       Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage der Anrechnung eines Sonderurlaubs im Sinn des § 20 Abs 1 DO.B noch nicht Stellung genommen habe und dieser Frage über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

[8]       Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung in ein klageabweisliches Urteil.

[9]       Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10]     Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

[11]     Die Revisionswerberin macht geltend, die Regelung des § 13 DO.B über die anrechenbaren Dienstzeiten für die Einstufung in das Gehaltsschema sei nicht einschlägig. Sie betreffe die Anrechnung von Vordienstzeiten von in anderen Dienstverhältnissen zugebrachten Zeiten als angestellter Arzt bei der Begründung eines Dienstverhältnisses. Im vorliegenden Fall habe aber ein Dienstverhältnis zur Beklagten (durchgehend) auch während des Sonderurlaubs bestanden. Nach der spezifischen Regelung des § 12a Abs 3 Z 4 DO.B seien Zeiten eines Sonderurlaubs für die Einstufung in das Gehaltsschema nicht anzurechnen. Darin liege weder ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, noch ein Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 45 AEUV.

[12]     Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.

[13]     1.1 Nach § 20 Abs 1 Dienstordnung B (DO.B) für die Ärzte und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (in der zum Zeitpunkt des Endes des Dienstverhältnisses gültigen Fassung 2018) kann einem Arzt über begründetes Ansuchen ein Sonderurlaub unter Verzicht auf die Dienstbezüge bewilligt werden.

[14]     1.2 Nach § 12a Abs 2 DO.B sind Zeiten eines während des Dienstverhältnisses in Anspruch genommenen Sonderurlaubs gemäß § 20 Abs 1 DO.B für das Ausmaß des Erholungsurlaubs, für die Bezüge bei Erkrankung, für die Kündigungsfrist und für das Ausmaß der Abfertigung anzurechnen, nicht aber für die Einstufung in das Gehaltsschema (§ 12a Abs 3 Z 2 und 4 DO.B).

[15]     1.3 § 13 Abs 1 Z 3 DO.B, den der Kläger als Anspruchsgrundlage heranziehen will, regelt die anrechenbare Dienstzeit für die Einstufung in das Gehaltsschema. Er lautet auszugsweise:

(1) Für die Einstufung in das Gehaltsschema (§ 40) sind nachstehende … zurückgelegte Dienstzeiten anzurechnen:

… 3 … . a) die in anderen Dienstverhältnissen als angestellter Arzt zugebrachten Dienstzeiten bzw in einem freien Dienstverhältnis als Arzt gemäß § 4 Abs 4 ASVG, wenn die einzelnen Dienstverhältnisse mindestens sechs Monate ununterbrochen gedauert haben …

[16]     1.4 Nach § 40 Abs 1 und 2 DO.B sind die Ärzte in die Bezugsstufe 1 der … gebührenden Gehaltsgruppe einzustufen, in der sie ein Jahr bleiben. Von der folgenden Bezugsstufe an rücken sie nach Vollendung von je zwei Dienstjahren in die nächste höhere Bezugsstufe vor (Zeitvorrückung).

[17]     2.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist die DO.B ein Kollektivvertrag (RS0054394 [T8]), dessen normativer Teil nach den Auslegungsregeln der §§ 6, 7 ABGB auszulegen ist (RS0008807; RS0010088).

[18]     2.2 Da bei wörtlicher Interpretation und isolierter Betrachtung des § 12a Abs 3 Z 4 und des § 13 Abs 1 Z 3 DO.B beide Regelungen auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar erscheinen, miteinander jedoch nicht vereinbar sind, ist es erforderlich, beide Normen im Zusammenhang mit der Gesamtregelung zu betrachten (systematische Interpretation). Vor allem ist zu klären, ob eine der beiden Regelungen die andere verdrängt.

[19]     2.3 Im Abschnitt II der DO.B „Dienstrecht“ findet sich der mit „Allgemeine Bestimmungen über die Dienstzeitanrechnung“ übertitelte § 12. Dieser normiert in seinem Abs 1, dass für die von der Dauer der Dienstzeit abhängigen Rechte der Ärzte die in den §§ 13 bis 18 angeführten Zeiten anrechenbar sind. § 13 DO.B regelt die anrechenbare Dienstzeit für die Einstufung in das Gehaltsschema. In den §§ 14 bis 18 DO.B finden sich Regelungen zur anrechenbaren Dienstzeit für das Urlaubsausmaß, für die Bezüge bei Erkrankung, für den erhöhten Kündigungsschutz, für die Wartezeit und die Pensionsbemessung sowie für die Kündigungsfrist und das Ausmaß der Abfertigung.

[20]     2.4 § 12a Abs 1 DO.B („Anrechnung von Karenzen und Sonderurlauben“) lautet auszugsweise wie folgt:

„…. Zeiten … eines Sonderurlaubs gemäß § 20 … sind Dienstzeiten, auf die sowohl die allgemeinen Bestimmungen über die Dienstzeitenanrechnung gemäß § 12 als auch die in den §§ 13 bis 18 enthaltenen Regelungen sinngemäß anzuwenden sind. Im übrigen richtet sich die Anrechnung solcher Zeiten nach den in den Abs 2 bis 4 enthaltenen Vorschriften.“

[21]     2.5 Unter den in den Abs 2 bis 4 enthaltenen Vorschriften findet sich der oben bereits wiedergegebene § 12a Abs 3 Z 4 DO.B.

[22]     2.6 Betrachtet man diese Regelungen im Zusammenhang ergibt sich, dass die DO.B – wie viele andere Kollektivverträge auch – grundsätzlich zwischen der Anrechnung von bei anderen Dienstgebern zurückgelegten Vordienstzeiten (§§ 13 bis 18) und der Berücksichtigung von Dienstzeiten während des laufenden Arbeitsverhältnisses unterscheidet.

[23]     2.7 Für Zeiten eines Sonderurlaubs wird angeordnet, dass sie als Dienstzeiten anzusehen sind, auf die die in Betracht kommenden Regelungen der §§ 12 und 13 bis 18 DO.B („sinngemäß“) Anwendung finden, dies jedoch mit der Einschränkung („im übrigen“), dass die speziellen, in den Abs 2 bis 4 des § 12a DO.B für Sonderurlaube enthaltenen Regelungen gelten sollen.

[24]     Die systematische Auslegung ergibt somit, dass bei Sonderurlaub unter Verzicht auf die Bezüge nach § 20 Abs 1 DO.B nicht § 13 DO.B (über die vor der Anstellung zurückgelegten anrechenbaren Vordienstzeiten für die Einstufung in das Gehaltsschema) zur Anwendung gelangt, sondern die für den Sonderurlaub in den § 12a Abs 2 bis 4 DO.B, spezifisch getroffenen Regelungen, denen nach der Systematik der DO.B der Vorrang eingeräumt wird.

[25]     2.8 Der Kläger kann seine Klageansprüche daher nicht erfolgreich auf § 13 Abs 1 Z 3 DO.B stützen.

[26]     3.1 Die Gerichte haben die Kollektivverträge dahin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, also das Unionsrecht, die Verfassung, zwingendes Gesetzesrecht, die guten Sitten oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen (RS0018063 [T5]).

[27]     3.2 Zu dem – auch in der Revisionsbeantwortung aufrechterhaltenen – Vorbringen des Klägers, § 12a Abs 3 Z 4 DO.B sei wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Freizügigkeit (Art 45 AEUV) unwirksam, ist auszuführen, dass die Bestimmungen des AEUV über die Freizügigkeit den Angehörigen der Mitgliedstaaten die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern sollen und Maßnahmen entgegenstehen, die sie benachteiligen könnten, wenn sie eine unselbständige Erwerbstätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausüben wollen (EuGH Rs Salk, C-514/12, Rn 32, 34; RS Österreichischer Gewerkschaftsbund, C-24/17; RS Krah, C-703/17, Rn 40 f).

[28]     3.3 Vom Schutzzweck der Regelungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union ist aber ein Fall wie der vorliegende nicht umfasst, in dem ein Arbeitnehmer bereits über ein aufrechtes Dienstverhältnis verfügt, ihm auf sein Ansuchen hin vom Arbeitgeber Sonderurlaub gewährt wird, den er zur Eingehung eines zweiten Dienstverhältnisses im Inland nutzt. Liegt kein aktueller grenzüberschreitender Sachverhalt oder Unionsrechtsbezug vor, ist der Anwendungsbereich von Art 45 AEUV als unionsrechtliches Primärrecht nicht eröffnet (EuGH C-268/15, Fernand Ullens de Schooten; 8 ObA 8/17k; zu in Österreich zurückgelegten Vordienstzeiten inländischer Arbeitnehmer 9 ObA 95/21t mwN).

[29]     4.1 Wenn der Kläger weiters vorbringt, er sei dadurch diskriminiert, dass ihm im Fall der Beendigung seines Dienstverhältnisses und einer Neueinstellung die gesamte im D*krankenhaus zugebrachte Zeit angerechnet worden wäre, macht er offenbar geltend, § 12a Abs 4 Z 4 DO.B sei wegen eines Verstoßes gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz rechtswidrig.

[30]     4.2 Nach ständiger Rechtsprechung sind kollektivvertragliche Ansprüche zwar in jeder Richtung regelbar. Die Gestaltungsfreiheit der Kollektivvertragsparteien findet jedoch ihre Schranke in der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, vor allem in der Konkretisierung der wertausfüllungsbedürftigen Generalklauseln des Zivilrechts (insbesondere § 879 ABGB). Die Kollektivvertragsparteien sind auch an den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz gebunden, wenngleich in Anbetracht ihrer Interessenswahrungspflicht von einer sogenannten „abgeschwächten Grundrechtsbindung“ auszugehen ist.

[31]     4.3 Der Gleichheitssatz besagt, dass an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen sind bzw unterschiedliche Regelungen, die nicht in den entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen ihre Grundlage haben, verfassungswidrig sind (RS0053509). Sachliche Differenzierungen sind somit zulässig. Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist bei kollektivvertraglichen Regelungen grundsätzlich anzunehmen (RS0038552). Bei der Prüfung, ob eine Kollektivvertragsbestimmung gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz verstößt, darf insbesondere auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass den Kollektivvertragsparteien ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum sowohl hinsichtlich der angestrebten Ziele als auch der zur Zielerreichung eingesetzten Mittel zusteht (8 ObA 19/06m mwN; 8 ObA 32/11f).

[32]     4.4 Es entspricht einer Durchschnittsbetrachtung, dass Dienstnehmer Sonderurlaub in der Regel deshalb beantragen, um die Zeit der Entbindung von der Dienstpflicht für private Zwecke zu nützen, etwa um familiären Verpflichtungen nachzukommen (siehe § 20 Abs 4 und 6 DO.B), aus gesundheitlichen Gründen (siehe § 20 Abs 5) oder auch zu Erholungszwecken. Im Hinblick auf eine derartige Verwendung erscheint es sachgerecht, dass die Zeiten des Sonderurlaubs nicht für die Einstufung in das Gehaltsschema, wohl aber für das Ausmaß des Erholungsurlaubs, für die Bezüge bei Erkrankung, für die Kündigungsfrist und für das Ausmaß der Abfertigung angerechnet werden (§ 12a Abs 2 DO.B). Für den Fall, dass einem in Ausbildung stehenden Arzt Sonderurlaub zu Ausbildungszwecken gewährt wird (§ 20 Abs 2 und 3 DO.B), sieht § 12a Abs 3 Z 2 und 3 DO.B hingegen die Anrechnung der Zeiten des Sonderurlaub für die Einstufung in das Gehaltsschema vor. Dass ein Dienstnehmer – wie der Kläger – Sonderurlaub beantragt, um ein zweites Dienstverhältnis zu einem anderen Dienstgeber einzugehen, entspricht keinem dieser (regelmäßig vorkommenden) Fälle.

[33]     4.5 Normgeber können bei einer Regelung zulässigerweise von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen. Sollten dabei Härtefälle entstehen, macht dies die Regelung nicht gleichheitswidrig (8 ObA 30/00w; 9 ObA 195/99p). Dass die Zeiten des vom Kläger konsumierten Sonderurlaubs, nicht auf die Einstufung in das Gehaltsschema anzurechnen sind, widerspricht somit bei Auslegung einer Durchschnittsbetrachtung nicht dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz. Auch aus diesem Grund ist die Regelung des § 12a Abs 3 Z 4 DO.B daher weder rechtswidrig noch unwirksam.

[34]     5. Auch die Berufung auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, kann zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis führen. Dieser Grundsatz verpflichtet den Arbeitgeber, einzelne Arbeitnehmer nicht willkürlich, also ohne sachliche Rechtfertigung, schlechter zu behandeln als die übrigen (RS0060204). Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nachgekommen. Die Beklagte ist als Arbeitgeberin nicht willkürlich von dem erkennbar generalisierenden Prinzip abgegangen, in einem durchgehend bestehenden Dienstverhältnis zurückgelegte Dienstzeiten als Dienstzeiten für die Einstufung in das Gehaltsschema anzurechnen, nicht aber Zeiten eines Sonderurlaubs nach § 20 Abs 1 DO.B.

[35]     6. Der Revision der Beklagten ist daher Folge zu geben und in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen, das Klagebegehren abzuweisen.

[36]     7. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E133836

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00140.21K.1215.000

Im RIS seit

16.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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