TE Vfgh Erkenntnis 1994/10/4 B1847/93

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Veröffentlicht am 04.10.1994
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Sachentscheidung Allg
B-VG Art144 Abs1 / Sachentscheidung Wirkung
B-VG Art144 Abs3
EMRK Art5 Abs4
PersFrSchG 1988 Art1 ff
PersFrSchG 1988 Art6 Abs1
FremdenG §51
FremdenG §52
VfGG §87 Abs1
ZPO §416

Leitsatz

Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch die verspätete Erlassung eines Bescheides über eine Schubhaftbeschwerde; Verletzung der Verpflichtung zur Entscheidung über solche Beschwerden binnen einer Woche; bloße Feststellung der Rechtsverletzung; Abtretung der Beschwerde

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden, daß Punkt I. des Spruches des angefochtenen Bescheides nicht innerhalb einer Woche erging.

Insofern wird die Beschwerde, soweit der Antrag gestellt wird, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, abgewiesen.

Die Beschwerde wird insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 15.000,-- bestimmten Kosten dieses Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

II. Soweit sich die Beschwerde gegen die Punkte II. und III. des Spruches des angefochtenen Bescheides wendet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

ntscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Syriens kurdischer Abstammung, kam am 21. August 1993 über Ungarn nach Österreich und wollte am Abend desselben Tages mit einem verfälschten niederländischen Reisepaß in die Bundesrepublik Deutschland weiterreisen. Anläßlich der Paßkontrolle wurde ihm von Beamten der Bayerischen Grenzpolizei die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland verwehrt. Am 22. August 1993,

9.30 Uhr, wurde er Beamten der Grenzkontrollstelle Passau-Bahnhof übergeben und gemäß §§175 und 177 StPO wegen des Verdachts der Fälschung besonders geschützter Urkunden (§§223 und 224 StGB) festgenommen. Um 9.52 Uhr wurde er Beamten des Gendarmeriepostens Schärding übergeben und sodann der Bezirkshauptmannschaft Schärding vorgeführt. Diese verhängte über den Beschwerdeführer mit Bescheid vom selben Tage gemäß §41 Abs1 und 2 Fremdengesetz, BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG), die Schubhaft zur Vorbereitung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und zur Sicherung der Abschiebung. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer um 11.10 Uhr übergeben und sogleich vollzogen.

2. Gegen seine "Festnahme sowie Anhaltung unter Berufung auf das FrG sowie den Schubhaftbescheid sowie gegen die Abschiebung und die Durchführung der Anhaltung" erhob der Beschwerdeführer unter dem 6. September 1993 Beschwerde gemäß §51 FrG an den unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich. Diese Beschwerde langte beim unabhängigen Verwaltungssenat am 9. September 1993 ein.

3. Der angerufene unabhängige Verwaltungssenat erledigte die Beschwerde mit Bescheid vom 16. September 1993 wie folgt:

"I: Die Beschwerde wird gemäß §52 Abs2 FrG

(BGBl. Nr. 838/1992) iVm §67c Abs3 AVG als unbegründet abgewiesen.

Gemäß §52 Abs4 FrG wird festgestellt, daß die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

II: Gemäß §52 Abs2 FrG iVm §67c Abs3 AVG wird der Beschwerdeantrag, der unabhängige Verwaltungssenat wolle 'aussprechen, daß meine Abschiebung nach Syrien zum Zeitpunkt der Entscheidung, und weiters vor Aufforderung zur Ausreise innerhalb einer zu setzenden angemessenen Frist unzulässig ist', im Grunde des §51 Abs1 iVm §52 Abs4 FrG als unzulässig zurückgewiesen.

III: Ein Kostenzuspruch gemäß §52 Abs2 FrG iVm §79a AVG zugunsten der obsiegenden Partei entfällt, zumal die belangte Behörde keinen Antrag auf Ersatz der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten gestellt hat."

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters am 20. September 1993 zugestellt.

4. Dagegen wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung der durch Art83 Abs2 B-VG, Art1 und 6 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988 (im folgenden: BVGpersFr.), sowie Art3 und 13 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

Der Beschwerdeführer bringt insbesondere vor, der unabhängige Verwaltungssenat habe im Rahmen der Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen der Schubhaft nicht erwogen, ob die Abschiebung des Beschwerdeführers zulässig sei, und habe seinen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen. Weiters macht der Beschwerdeführer geltend, der unabhängige Verwaltungssenat habe das gemäß Art6 BVGpersFr. garantierte Recht auf Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges innerhalb einer Woche verletzt.

5. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich als belangte Behörde dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher der bekämpfte Bescheid verteidigt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird. Zur Frage der Einhaltung der Entscheidungsfrist führt die belangte Behörde aus:

"Gemäß Art6 Abs1 Satz 2 PersFrSchG 1988 sowie nach §52 Abs1 Z2 FrG hat die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges binnen einer Woche zu ergehen. Sowohl das FrG als auch das PersFrSchG 1988 bleiben weitgehend unbestimmt. Weder der Beginn der Frist noch die Frage, was innerhalb der Wochenfrist genau zu bewirken ist, sind geklärt. Die Regierungsvorlage zum FrG (vgl. 692 BlgNR 18. GP, 54) differenziert zwischen der Entscheidung über die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Haft und über die Behauptung der Rechtswidrigkeit im Umfang der Anfechtung. Lediglich über die Zulässigkeit der Fortdauer der Haft sei innerhalb der verfassungsgesetzlich vorgegebenen Wochenfrist zu entscheiden. Mit dieser theoretisch möglichen, praktisch aber wenig hilfreichen Differenzierung, ist nichts gewonnen, zumal die zumeist zusammenhängenden Rechtsfragen schon aus prozeßökonomischen Gründen in einer einheitlichen Entscheidung behandelt werden.

Nach Ansicht des OÖ. Verwaltungssenates kann die Entscheidungspflicht erst ab dem Einlagen der Schubhaftbeschwerde zu laufen beginnen, zumal vorher nicht einmal die Möglichkeit zur Pflichterfüllung besteht. Die gewählte Formulierung läßt weiters offen, ob die Entscheidung etwa iSd §416 Abs2 ZPO bereits durch Abgabe des genehmigten Entscheidungsentwurfes an die Geschäftsstelle ergangen ist, oder ob erst die rechtswirksame Erlassung der Entscheidung durch Zustellung an den Adressaten das Erfordernis des 'Ergehens' erfüllt. Gegen die Einbeziehung des Postlaufes spricht, daß dieser von Zufälligkeiten abhängen kann, die in keiner Weise beeinflußbar sind. Auch wenn im Bereich des AVG keine dem §416 Abs2 ZPO vergleichbare Vorschrift existiert, muß dennoch auch im Verwaltungsverfahren zwischen dem Zeitpunkt der Entscheidung durch Abgabe des vom zuständigen Organ unterfertigten Entwurfes an die Kanzlei bzw. Geschäftsstelle und dem Zeitpunkt der rechtswirksamen Erlassung eines Bescheides durch Zustellung an den Bescheidadressaten unterschieden werden. Auf die organisatorische Durchführung von Ausfertigung und Zustellung des Bescheides sowie auf die Dauer dieser Vorgänge hat das entscheidende Organ keinen Einfluß.

Der OÖ. Verwaltungssenat ist daher der Ansicht, daß es genügen muß, wenn die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Haft innerhalb der Wochenfrist datiert. Ihre Ausfertigung und Zustellung innerhalb dieser Frist ist praktisch unmöglich. Allein die Beischaffung des Aktes von der Fremdenpolizeibehörde dauert regelmäßig einige Tage (gegenständlich vom 9.9.1993 bis 13.9.1993). Auch der Zustellvorgang dauert regelmäßig mehrere Tage (gegenständlich vom 16.9.1993 bis 20.9.1993). In Summe erschöpfen diese Manipulationsfristen die gesamte Wochenfrist, sodaß für die Entscheidung selbst keine Zeit mehr verbleibt. Vollziehbar ist die Wochenfrist daher nur, wenn ab Einlangen und mit Abgabe des genehmigten Entscheidungsentwurfes an die Geschäftsstelle gerechnet wird.

Auch wenn der Betroffene ein Interesse an einer baldigen Entscheidung über die Haftfrage hat, kann dem Bundesverfassungsgesetzgeber wohl nicht unterstellt werden, daß er entgegen dem Grundsatz 'ultra posse nemo obligatur' eine Pflicht zur Erlassung einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Haft binnen einer Woche unter Einschluß des Postlaufes vorsehen wollte. Ansonsten hätte er bei Schaffung der unabhängigen Verwaltungssenate mit den Art129a und 129b B-VG nicht das Auslangen gefunden. Vielmehr wären tiefgreifende - hier nicht näher zu behandelnde - organisatorische Vorkehrungen notwendig gewesen, um die unabhängigen Verwaltungssenate in die Lage zu versetzen, eine wesentlich beschleunigte Haftprüfung durchzuführen. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, daß die Durchführung einer Haftprüfungsverhandlung innerhalb der Wochenfrist in der Regel nicht möglich ist. Weder die Schubhäftlinge (mangels Inhaftierung am Sitz des Verwaltungssenates) noch die erforderlichen Dolmetscher sind kurzfristig verfügbar.

Abgesehen von diesen praktischen Schwierigkeiten ist auch nach der Straßburger Judikatur eine enge Interpretation der Entscheidungsfrist nicht notwendig. Die Straßburger Instanzen rechnen sogar bei der unverzüglichen Vorführung iSd Art5 Abs3 EMRK im Falle des Verdachts einer strafbaren Handlung in Tagen (vgl. dazu Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art5 Rz 94)! Art5 Abs4 EMRK verlangt nur, daß ehetunlich von einem Tribunal über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden wird. Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat dazu bereits wiederholt entschieden, daß im Zusammenhang mit einer nach Art5 Abs1 litf gerechtfertigten Haft ein Zeitraum bis zu zehn Tagen in den nach Art5 Abs4 zulässigen Zeitraum fallen kann (vgl. zuletzt E der EMRK vom 8.2.1993 über die Beschwerde Nr 13.826/88 gg Österreich, veröffentlicht in ÖJZ 1993/32, S 465). Auch längere Haftprüfungsfristen blieben schon unbeanstandet (vgl. Nw bei Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art5 Rz 128 f).

Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß selbst die neuen Haftprüfungsfristen der Strafprozeßordnung idF des Strafprozeßänderungsgesetzes 1993 (BGBl. Nr. 526/1993) großzügiger gestaltet wurden. Nach §181 StPO sind nunmehr für Beschlüsse auf Verhängung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft gestaffelte Haftfristen (im Sinne von Höchstfristen) von 14 Tagen, einem Monat und zwei Monaten vorgesehen, wobei eine Haftverhandlung durch den Untersuchungsrichter (vgl. §182 StPO) lediglich vor Ablauf der Haftfrist durchzuführen ist. Gegen den Beschluß des Untersuchungsrichters über die Fortsetzung oder Aufhebung der Untersuchungshaft steht gemäß §182 Abs4 StPO die Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz zu. Für diese Entscheidung des Oberlandesgerichts ist keine bestimmte Frist vorgesehen. Vielmehr gilt gemäß §114 Abs2 StPO ganz allgemein, daß der Gerichtshof zweiter Instanz über Beschwerden ohne Verzug in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden hat.

Da die Entscheidung des OÖ. Verwaltungssenates innerhalb der Wochenfrist iSd §416 Abs2 ZPO ergangen ist, liegt kein Verstoß gegen die vorgeschriebene Entscheidungsfrist vor. Im übrigen ist der Bf schon deshalb nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit beeinträchtigt worden, weil sich auch durch die frühere Zustellung des abweisenden Erkenntnisses vom 16. September 1993 nichts am aufrechten Freiheitsentzug geändert hätte."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

A. Zu Punkt I. des Spruches des angefochtenen Bescheides:

1. Der Beschwerdeführer bringt diesbezüglich vor, die belangte Behörde habe das gemäß Art6 BVGpersFr. garantierte Recht auf Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges innerhalb einer Woche verletzt.

2.1. Art6 Abs1 BVGpersFr. lautet:

"Artikel 6

(1) Jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, hat das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.

(2) ..."

2.2. Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde - wie hier des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich -, mit dem darüber entschieden wird, ob eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art1 ff. des BVGpersFr. und durch Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw. Anhaltung verstößt, wenn er in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes, wenn er gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfGH 7.3.1994, B115/93).

Ein Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates über eine Beschwerde gemäß §51 FrG verletzt (u.a.) dann das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er entgegen dem verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernis des Art6 Abs1, letzter Satz, BVGpersFr. nicht binnen einer Woche ergangen ist.

3.1. Zwischen den Parteien dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens ist u.a. strittig, ab welchem Zeitpunkt die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates als "ergangen" iS des Art6 Abs1, letzter Satz, BVGpersFr. anzusehen ist.

Die belangte Behörde vertritt in ihrer Gegenschrift unter Hinweis auf §416 Abs2 ZPO die Auffassung, daß die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates im Zeitpunkt der Abgabe des vom zuständigen Organ unterfertigten Entwurfes an die Kanzlei bzw. Geschäftsstelle als "ergangen" anzusehen ist. Auch Art5 Abs4 EMRK verlange nur, daß "ehetunlich" von einem Tribunal über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden werde. Die belangte Behörde stützt ihre Ausführungen mit Hinweisen auf die Judikatur der Europäischen Kommission bzw. des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und auf die Neuregelung der Haftprüfungsfristen in §181 StPO durch das StrafprozeßänderungsG 1993, BGBl. 526/1993.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof vermag sich dieser Auffassung der belangten Behörde nicht anzuschließen:

Der Verfassungsgerichtshof ist der Ansicht, daß aus der Anordnung in Art6 Abs1, letzter Satz, BVGpersFr., daß die Entscheidung binnen einer Woche zu ergehen hat, die Verpflichtung des unabhängigen Verwaltungssenates erfließt, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, daß im Verfahren über eine Schubhaftbeschwerde gemäß §51 FrG seine Entscheidung iS des §52 FrG möglichst bald, spätestens innerhalb einer Woche (ab Einlangen der Beschwerde beim unabhängigen Verwaltungssenat berechnet) dem Beschwerdeführer (gegebenenfalls seinem Rechtsvertreter) und der vor dem unabhängigen Verwaltungssenat belangten Behörde zugeht. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist die Rechtslage in diesem Punkt daher keineswegs "weitgehend unbestimmt", vielmehr gelten die Regelungen des AVG; eine analoge Anwendung von Bestimmungen der ZPO bzw. der StPO kommt nicht in Betracht.

Auch auf die Auslegung des Wortes "ehetunlich" in Art5 Abs4 EMRK durch die Europäische Kommission bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vermag sich die Auffassung der belangten Behörde nicht zu stützen, weil Art6 Abs1 BVGpersFr. insoferne eine präzisere Regelung trifft als Art5 Abs4 EMRK, als sie eine Höchstfrist von einer Woche festlegt.

Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß die Erfüllung dieser Verpflichtung mit Schwierigkeiten verbunden sein kann; dem ist aber entgegenzuhalten, daß der Bundesverfassungsgesetzgeber dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Schutz der persönlichen Freiheit einen besonders hohen Stellenwert zumißt.

3.3. Im vorliegenden Fall ist die Schubhaftbeschwerde gemäß §51 FrG am 9. September 1993 beim unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich eingelangt. Die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates hatte daher - da sich der Beschwerdeführer weiterhin in Schubhaft befand (vgl. Art6 Abs1, letzter Satz, BVGpersFr. iVm. §52 Abs2 Z2 FrG) - binnen einer Woche, also bis zum 16. September 1993, zu ergehen. Der angefochtene Bescheid wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers (der auch schon die Beschwerde eingebracht hatte) ebenso wie der vor dem unabhängigen Verwaltungssenat belangten Behörde jedoch erst am 20. September 1993 zugestellt. Er ist sohin erst nach Ablauf der gemäß Art6 Abs1, letzter Satz, BVGpersFr. iVm. §52 Abs2 Z2 FrG gebotenen Frist von einer Woche ergangen.

3.4. Der Beschwerdeführer wurde daher durch Punkt I. des Spruches des angefochtenen Bescheides dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt, daß diese Entscheidung nicht innerhalb einer Woche ab Beschwerdeerhebung erging.

Im übrigen aber hat das verfassungsgerichtliche Beschwerdeverfahren nicht ergeben, daß Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides iS der unter II.A.2.2. dargelegten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes an einem weiteren in die Verfassungssphäre reichenden Mangel leidet.

4. Unter diesen Umständen kommt aber eine Aufhebung des Spruchpunktes I. des angefochtenen Bescheides nicht in Betracht. Denn durch Aufhebung der verspätet ergangenen Entscheidung könnte die Rechtsverletzung nicht beseitigt, vielmehr insoweit nur noch verschärft werden, als der Ersatzbescheid nur noch später ergehen könnte. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich deshalb (vgl. auch §87 Abs1 VerfGG, wonach der angefochtene Verwaltungsakt "gegebenenfalls" aufzuheben ist) auf den Ausspruch zu beschränken, daß eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) stattgefunden hat.

Insofern war daher die Beschwerde, soweit der Antrag gestellt wird, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, abzuweisen, antragsgemäß jedoch dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abzutreten, ob der Beschwerdeführer in einem sonstigen Recht verletzt wurde.

B. Zu den Punkten II. und III. des Spruches des angefochtenen Bescheides:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die gerügten Rechtsverletzungen (s. oben I.4.) wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber verfassungsrechtliche Fragen berührt, läßt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zur Frage der Prüfungskompetenz des unabhängigen Verwaltungssenates im Verfahren gemäß §§51 f. FrG VfGH 4.10.1993, B364/93, und vom selben Tage B671/93; s. auch VfGH 14.10.1993, B616/93) die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die Angelegenheit ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.

Demgemäß wurde beschlossen, insoweit von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 VerfGG) und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abzutreten.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag sind S 2.500,-- an Umsatzsteuer enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Fremdenpolizei, Schubhaft, Fristen (Verwaltungsverfahren), Analogie, VfGH / Sachentscheidung Wirkung, VfGH / Sachentscheidung Allg, VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Abtretung, Ersatzbescheid

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B1847.1993

Dokumentnummer

JFT_10058996_93B01847_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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