TE Vwgh Erkenntnis 2022/1/20 Ra 2020/04/0175

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Veröffentlicht am 20.01.2022
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Index

19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
MRKZP 07te Art4
VStG §24
VStG §44a Z1
VwGVG 2014 §38

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des P S in I, vertreten durch Dr. Gernot Gasser und Dr. Sonja Schneeberger, Rechtsanwälte in 9900 Lienz, Beda-Weber-Gasse 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 30. September 2020, Zl. LVwG-2020/22/1644-3, betreffend Übertretung der Gewerbeordnung 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Lienz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt 1.a) sowie in seinem Spruchpunkt 2., soweit der Revisionswerber damit zum Ersatz der Kosten von EUR 100,-- des Beschwerdeverfahrens betreffend eine Übertretung der Gewerbeordnung 1994 verpflichtet wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        1. Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses ist der Revisionswerber Alleineigentümer eines näher bezeichneten „geschlossenen Hofes“ in der KG I., mit welchem die „T.-Alm“ in der KG I. untrennbar verbunden ist. Der Wohnteil im Erdgeschoß bestehe aus Stube, Küche, WC und Speis, im Obergeschoß befänden sich drei Zimmer, Vorraum, WC und Dusche.

2        2. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 30. Juni 2020 wurde dem Revisionswerber eine Übertretung der Gewerbeordnung 1994 zur Last gelegt und über ihn eine Verwaltungsstrafe in Höhe von Euro 500,-- gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 iVm § 111 Abs. 2 Z 4 der Gewerbeordnung 1994 verhängt, weil er ohne im Besitz einer Gewerbeberechtigung zu sein, die entgeltliche, selbstständige und regelmäßige touristische Vermietung von zwei Doppelzimmern, drei Einzelzimmern, Bettwäsche und Handtücher, Endreinigung usw. und damit das Gewerbe gemäß § 111 Abs. 2 Z 4 GewO 1994 ausgeübt habe.

3        Mit dem selben Straferkenntnis wurde dem Revisionswerber eine Übertretung des § 67 Abs. 1 lit. a iVm § 28 Abs. 1 lit. c der Tiroler Bauordnung 2018 (TBO 2018) zur Last gelegt, weil er das auf der T.-Alm befindliche „kombinierte Alpgebäude“ „ca. seit 2017 bis zumindestens 31.12.2019“ ohne die erforderliche Baubewilligung zu einem anderen als dem bewilligten Verwendungszweck, nämlich als „Ferienhaus mit Gästevermietung“ verwendet habe und über ihn aus diesem Grund eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 600,-- und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von sechs Stunden verhängt; weiters wurde er gemäß § 64 VStG zum Ersatz der Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens verpflichtet.

4        3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) die gegen die verhängte Verwaltungsstrafe nach der Gewerbeordnung 1994 erhobene Beschwerde mit der Maßgabe einer Spruchpräzisierung als unbegründet ab.

5        In der Begründung führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe das oben beschriebene Gebäude auf einer Homepage zur touristischen Vermietung angeboten und auch über den Tourismusverband beworben. Die Vermietung der Alm sei jeweils als „Ganzes“ für ein bis zwei Wochen erfolgt.

6        „Jedenfalls bis zum 29.2.2020“ sei die T.-Alm auf einer näher genannten Homepage zur touristischen Vermietung mit einem näher beschriebenen Werbetext angeboten worden; ebenfalls sei diese über den Tourismusverband beworben worden. Im Folgenden traf das Verwaltungsgericht nähere Feststellungen zur Anzahl der beim örtlich zuständigen Tourismusverband für die Jahre 2017, 2018 und 2019 gemeldeten Gäste und Nächtigungen, wobei es zum Jahr 2017 ausführte, dass im Zeitraum von „Juni bis November“ 48 Gäste mit 309 Nächtigungen gemeldet worden seien. Die Änderung des Verwendungszweckes auf eine gastgewerbliche Nutzung sei aus raumordnungsrechtlichen, aber auch aus „rein baurechtlichen“ Erwägungen bewilligungspflichtig (wird näher ausgeführt).

7        Im Jahr 2017 seien 309 Nächtigungen, im Jahr 2018 insgesamt 297 Nächtigungen und im Jahr 2019 324 Nächtigungen gemeldet worden. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass in Hinblick auf die ständig wechselnden Feriengäste keine Raummiete vorliege. Das Gebäude sei nur über einen „Alpweg“ zu erreichen und werde ausdrücklich als Urlaubsdomizil beworben. In der vorliegenden Nutzung liege eine geradezu typische im Sinne einer Ferienwohnung, was durch die angebotenen Nebenleistungen unterstrichen werde.

8        Der Revisionswerber selbst habe seinen Hauptwohnsitz bei seinem Hauptbetrieb an einem Ort in der Nähe des Almgebäudes und nächtige nur mitunter zur Alpzeit dort. Das typische Bild einer Privatzimmervermietung, bei der die Gäste im Wohnungsverband des Vermieters zusätzliche Zimmer in Anspruch nehmen und der Vermieter Dienstleistungen im untergeordneten Ausmaß anbiete, liege hier nicht vor. Aus diesem Grund scheide auch eine Privatzimmervermietung aus.

9        3. Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 7 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde. Im Hinblick auf Spruchpunkt 1.a) des angefochtenen Erkenntnisses (betreffend Übertretung der Gewerbeordnung 1994) wurde die Revision zur hg. Zl. Ra 2020/04/0175 und im Hinblick auf Spruchpunkt 1.b) (betreffend Übertretung der TBO 2018) zur hg. Zl. Ra 2020/06/0308 protokolliert.

10       Die belangte Behörde erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Abweisung der Revision beantragt.

11       Mit der gegenständlichen Entscheidung wird über die Revision, soweit sie sich gegen die Bestrafung nach der Gewerbeordnung 1994 richtet, abgesprochen.

12       4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13       Die Revision ist aufgrund des in der Zulässigkeitsbegründung aufgezeigten Abweichens des angefochtenen Erkenntnisses vom Konkretisierungsgebot des § 44a Z 1 VStG in Bezug auf den angelasteten Tatzeitraum zulässig und auch begründet.

14       Gemäß § 44a Z 1 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat dabei die Umschreibung der Tat so präzise zu sein, dass der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte wahren kann und er nicht der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt ist; sie darf keinen Zweifel daran bestehen lassen, wofür der Täter bestraft worden ist. Ungenauigkeiten bei der Konkretisierung der Tat haben nur dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Strafbescheides, wenn dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und keine Gefahr der Doppelbestrafung bewirkt wird (vgl. für viele etwa VwGH 15.10.2021, Ra 2021/02/0129, mwN).

15       Der Vorschrift des § 44a Z 1 VStG ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes also dann entsprochen, wenn im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen und der Spruch selbst geeignet ist, den Beschuldigten rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Der Spruch hat daher nicht nur die Sachverhaltselemente, von denen die Zuordnung eines Tatverhaltens zu den Merkmalen des Straftatbestandes abhängt, zu bezeichnen, sondern grundsätzlich auch die Anführung des Zeitpunktes der Begehung der Tat, und, falls es sich um einen Zeitraum handelt, dessen Anfang und Ende in einer kalendermäßig eindeutig umschriebenen Art zu umfassen (vgl. etwa VwGH 20.8.2019, Ra 2019/16/0101, 22.3.2012, 2009/09/0282, 16.10.2008, 2004/09/0192 oder auch 29.5.2006, 2003/09/0064, jeweils mwN).

16       Mit der vorliegenden Umschreibung des Beginnes der angelasteten Tatzeit mit den Worten „seit ca. dem Jahre 2017“ wird das angefochtene Erkenntnis den genannten Erfordernissen nicht gerecht. Unbedenklich ist die Tatzeitformulierung zwar hinsichtlich des Endes der Tatzeit mit „bis zumindest 31.12.2019“ (vgl. dazu nochmals VwGH 2004/09/0192, oder auch 24.10.2019, Ra 2019/07/0094), deren Beginn ist jedoch entgegen § 44a Z 1 VStG zu ungenau umschrieben, da die genannte Formulierung einen nicht unbeachtlichen Interpretationsspielraum einräumt und verschiedenste Deutungen im Hinblick auf den Beginn des vorgeworfenen Tatzeitraumes offen lässt. Insofern ist hinsichtlich des angelasteten Beginnes des Tatzeitraumes im gegenständlichen Fall nicht sichergestellt, dass dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Revisionswerbers entsteht und er keiner Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt ist. Aufgabe des Verwaltungsgerichtes wäre es gewesen, anhand der ihm vorliegenden Beweisergebnisse den sich daraus (im Zweifel zu Gunsten des Revisionswerbers spätestmöglich) ergebenden Beginn des Tatzeitraumes festzustellen und diese Feststellung entsprechend zu begründen (vgl. etwa VwGH 3.9.2019, Ra 2019/15/0070, mwN). Den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses lässt sich betreffend das Jahr 2017 nur entnehmen, dass beim zuständigen Tourismusverband im Zeitraum von „Juni bis November“ 48 Gäste mit 309 Nächtigungen gemeldet worden seien; eine Bestrafung für einen vor Juni 2017 liegenden Zeitraum ist somit von den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht gedeckt. Insofern liegt jedenfalls auch ein gewisser Widerspruch zwischen Spruch und Begründung des angefochtenen Erkenntnisses vor (vgl. dazu etwa VwGH 25.5.2018, Ra 2017/10/0013, Rz 21, mwN).

17       Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund insoweit, als damit über den Revisionswerber eine Bestrafung nach der Gewerbeordnung 1994 verhängt wurde, sowie hinsichtlich des damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden Kostenausspruches zum Beschwerdeverfahren gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere Vorbringen näher einzugehen war.

18       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. Jänner 2022

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit Mängel bei Beschreibung Formulierung "seit...." "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit Mängel bei Beschreibung ungenaue Angabe Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020040175.L00

Im RIS seit

14.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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