TE OGH 2021/12/14 2Ob77/21v

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Veröffentlicht am 14.12.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Wien 20, Adalbert-Stifter-Straße 65, 2. Pensionsversicherungsanstalt, Wien 2, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, und 3. Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, Bochum, Pieperstraße 14–28, Deutschland, alle vertreten durch Hoffmann & Brandstätter Rechtsanwälte KG in Innsbruck, gegen die beklagte Partei ÖBB-Infrastruktur AG, Wien 2, Praterstern 3, vertreten durch Markl Rechtsanwälte OG in Innsbruck, und den auf Seiten der beklagten Partei beigetretenen Nebenintervenienten DI Dr.-Ing. B* F*, vertreten durch Dr. Ewald Jenewein, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 1.) 22.633,27 EUR sA, 2.) 1.319,58 EUR sA und 3.) 13.307,73 EUR sA, sowie (jeweils) Feststellung (Streitwert: jeweils 3.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. Jänner 2021, GZ 2 R 146/20t-51, womit das Teil-Zwischenurteil des Landesgerichts Innsbruck vom 9. September 2020, GZ 10 Cg 56/15y-46, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

         Die Revision wird zurückgewiesen.

         Die beklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei deren mit 1.505,37 EUR (darin 250,90 EUR USt) und der drittklagenden Partei deren mit 922,65 EUR (darin 153,77 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]            Am 7. 5. 2012 ereignete sich auf einer Baustelle der Brennerbahnstrecke in Tirol ein Arbeitsunfall, bei dem ein als Sicherungsposten tätiger und bei den klagenden Sozialversicherungsträgern versicherter deutscher Staatsbürger von einem Arbeitszug überrollt und getötet wurde.

[2]            Den Gegenstand des Verfahrens bilden die Ansprüche der Klägerinnen auf Ersatz der von ihnen aus Anlass des Unfalls erbrachten Pflichtleistungen. Die näheren Umstände können der im ersten Rechtsgang ergangenen Entscheidung 2 Ob 9/19s entnommen werden, in der die Haftungsfrage dahin abschließend geklärt wurde, dass die Beklagte für zwei Drittel des Schadens haftet, es sei denn, ihr käme das Dienstgeberhaftungsprivileg nach § 333 Abs 1 ASVG bzw – bezüglich der Drittklägerin – gemäß § 104 Abs 1 SGB VII zugute.

[3]            Da diese Frage noch nicht abschließend beurteilt werden konnte, hob der Oberste Gerichtshof die Teil-Zwischenurteile der Vorinstanzen im noch streitverfangenen Umfang zur Verfahrensergänzung auf. Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren ergänzende Feststellungen zu treffen haben, die eine Beurteilung ermöglichen, ob die Arbeitgeberin des bei dem Unfall Getöteten die Sicherung der Baustelle vertraglich übernommen gehabt habe und der Getötete daher in deren Aufgabenbereich tätig gewesen sei, oder ob sie nur Sicherungsposten abzustellen gehabt habe, damit die Beklagte ihren Sicherungspflichten selbst nachkommen hätte können, und die dazu in den Betrieb der beklagten Partei eingegliedert und deren Weisungen unterworfen gewesen seien. Erst danach werde – sowohl nach österreichischem (hinsichtlich der Erstklägerin) als auch nach deutschem (hinsichtlich der Drittklägerin) Recht – beurteilt werden können, ob die Beklagte das Dienstgeberhaftungsprivileg für sich in Anspruch nehmen könne.

[4]            Das Erstgericht erkannte mit Teil-Zwischenurteil die jeweiligen Zahlungsbegehren als dem Grunde nach zu zwei Dritteln zu Recht bestehend.

[5]            Zum vertraglichen Verhältnis zwischen der früheren Arbeitgeberin des Getöteten und der Beklagten stellte es fest, dass die Arbeitgeberin auf Basis des von der Beklagten entwickelten und erstellten, ihr vor Vertragsabschluss bekannt gegebenen Sicherheitskonzepts im Wege eines bereits im Vorfeld mit der Beklagten abgeschlossenen Rahmenvertrags die Sicherung der Baustelle übernahm. Sie übernahm vertraglich die Umsetzung des Sicherheitskonzepts, das Grundlage für den Abruf der vereinbarten Leistungen seitens der Beklagten war. Die Beklagte rief die mit der Arbeitgeberin vereinbarten Leistungen ab, die wiederum die Aufträge durch Entsendung bzw Abstellung der von der Beklagten angeforderten Anzahl von Sicherungsposten „samt Bekanntgabe und Betrauung des Aufgabenkreises“ erfüllte.

[6]            Daneben übernahm die Arbeitgeberin vertraglich auch die Abstellung von örtlichen Baukoordinatoren und Nebenfahrtenleitern. Die Beklagte gab der Arbeitgeberin genau vor, wie viele ihrer Mitarbeiter sie wann auf die Baustelle zu schicken hatte, um zB die Sicherung der Baustelle zu übernehmen. Die Arbeitgeberin entschied allein, welche Mitarbeiter sie auf die Baustelle zu deren Sicherung sandte.

[7]            Die von der Arbeitgeberin auf die Baustelle der Beklagten entsandten Sicherungsposten waren und blieben weiterhin Mitarbeiter der Arbeitgeberin. Sie arbeiteten und traten alle in deren Uniform auf. Die Aufträge an die einzelnen Sicherungsposten wurden direkt von (anderen) Mitarbeitern der Arbeitgeberin und nicht von Mitarbeitern der Beklagten erteilt. Die Arbeitgeberin sandte aus diesem Grund auch eine Mitarbeiterin auf die Baustelle, damit diese die aus arbeitsschutzrechtlicher Sicht notwendigen Anweisungen an die örtlichen Sicherungsposten der Arbeitgeberin geben konnte. Die Betriebsanweisungen für die Baustelle bekam die Arbeitgeberin von der Beklagten. Die Sicherungsposten wurden von der Arbeitgeberin beauftragt, die Betriebsanweisungen der Beklagten einzuhalten, die für die Sicherungsposten die Richtschnur für ihre Arbeiten auf der Baustelle waren, wobei sie aber auch beispielsweise das Eisenbahngesetz und die „ÖBB 40“ einzuhalten hatten. Die Sicherungsposten wurden von der Arbeitgeberin angewiesen, auch diese Vorschriften im Rahmen des von der Beklagten der Arbeitgeberin erteilten Auftrags einzuhalten.

[8]            Die Baukoordinatoren, die in der Regel alle vier Tage ausgewechselt wurden, hatten die Aufgabe, die zur Sicherung der Baustelle von der Arbeitgeberin abgestellten Mitarbeiter auf der Baustelle einzuweisen, insbesondere ihnen zu zeigen, was sie konkret auf der Baustelle zu tun hatten. Bei diesen Baukoordinatoren konnte es sich um Mitarbeiter der Beklagten aber auch um solche der Arbeitgeberin handeln. Am Tag des konkreten Vorfalls war es ein Mitarbeiter der Arbeitgeberin, der die von der Arbeitgeberin abgestellten Sicherungsposten zwecks Sicherung der Baustelle unterwies, insbesondere dahin, was sie konkret an diesem Tag zu tun hatten. Die örtlichen Baukoordinatoren gaben den Sicherungsposten ihre Anweisungen immer nur auf Basis des von der Beklagten erarbeiteten Sicherheitskonzepts. Die Sicherungsposten waren von der Arbeitgeberin angewiesen, bei Problemen auf der Baustelle mit dem örtlichen Baukoordinator Rücksprache zu halten und dessen Anweisungen zu befolgen. Die Beklagte hatte die Aufgabe, die örtlichen Baukoordinatoren einzuweisen. Wenn der örtliche Baukoordinator Probleme bei der Umsetzung des Sicherheitskonzepts hatte, musste er sich an den Fahrdienstleiter, einen Mitarbeiter der Beklagten oder direkt an die Beklagte wenden. Der örtliche Baukoordinator hatte sich ebenfalls an die Bau- und Betriebsanweisung der Beklagten zu halten. Das Sicherheitskonzept war ein Teil dieser Bau- und Betriebsanweisung.

[9]       Auf dieser Feststellungsbasis gelangte das Erstgericht zum rechtlichen Ergebnis, dass der Getötete beim Unfall im vertraglich übernommenen Aufgabenbereich seiner Arbeitgeberin tätig gewesen sei, also Tätigkeiten durchgeführt habe, die seine Arbeitgeberin vertraglich übernommen gehabt habe. Er habe die betriebliche Sphäre seiner Arbeitgeberin nicht verlassen und sei daher nicht in das Unternehmen der Beklagten eingegliedert gewesen. Der Beklagten komme deshalb die Haftungsbefreiung des § 333 Abs 1 ASVG bzw des § 104 Abs 1 SGB VII nicht zugute.

[10]     Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

[11]     Der Arbeitgeberin der Sicherungsposten sei die Sicherung der Baustelle nach dem Konzept der Beklagten oblegen. Die Beklagte habe die Anzahl der Sicherungsposten und das Sicherungsobjekt bekannt gegeben, während die Arbeitgeberin die konkreten Personen ausgewählt und ihnen konkret gesagt habe, was zu tun sei. Auch der Baukoordinator, der den Sicherungsposten am Unfallstag unterwiesen habe, sei ein Mitarbeiter der Arbeitgeberin gewesen. Selbst wenn man – wie die Beklagte – von einer für die Beurteilung der Eingliederung relevanten „Weisungskette“ ausgehe, führten rein organisatorische Weisungen, etwa zu welchem Zeitpunkt und an welcher Stelle die Arbeiten vorzunehmen seien, in der Regel ebenso wenig zu einer Eingliederung des Verletzten in den fremden Betrieb, wie die Befugnis des anderen Unternehmers, (Sicherheitsan-)Weisungen aufgrund der faktischen Berührung mit seinem Betrieb zu erteilen oder Störungen des Betriebsablaufs abzuwenden. Selbst wenn man annehmen wollte, dass die Arbeitgeberin lediglich Sicherungsposten abzustellen gehabt hätte, sei der Beklagten der Nachweis nicht gelungen, dass der Getötete am Unfalltag in ihren Betrieb eingegliedert und ihren (unmittelbaren) Weisungen unterworfen gewesen sei.

[12]     Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision in Bezug auf die Erst- und die Drittklägerin nachträglich aufgrund der Rechtsmittelbehauptung zu, dass die Berufungsentscheidung der Vorentscheidung 2 Ob 9/19s widerspreche.

Rechtliche Beurteilung

[13]     Entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision der Beklagten nicht zulässig. Die Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab:

[14]           1. Wie der Senat in seinem Aufhebungsbeschluss 2 Ob 9/19s (Pkt 4.3.2.) ausführte, ist im vorliegenden Fall maßgeblich, welche Leistungen die Arbeitgeberin aufgrund des mit der Beklagten abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags zu erbringen hatte. Entscheidend ist, ob sie vertraglich die Sicherung der Baustelle übernommen hatte und der Versicherte daher im Unfallzeitpunkt in deren Aufgabenbereich tätig war, oder ob sie nur die Verpflichtung übernommen hatte, Sicherungsposten (§§ 29 ff EisbAV) abzustellen, damit die Beklagte den ihr in § 26b EisbAV auch gegenüber Arbeitnehmern anderer Arbeitgeber auferlegten Sicherungspflichten (selbst) nachkommen konnte.

[15]           2. Welche dieser beiden Varianten hier aufgrund der ergänzenden Feststellungen anzunehmen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet (RS0084209 [T9]), und die die Vorinstanzen aufgrund der nachgetragenen Feststellungen in unbedenklicher Weise gelöst haben. Ein Widerspruch mit den Vorgaben des Senats in der Vorentscheidung ist nicht ersichtlich.

[16]           Soweit sich die Revisionswerberin auf ausgewählte Feststellungen über die bis zu ihr reichende Weisungskette im Rahmen des Sicherheitskonzepts und der örtlichen Baukoordination beruft sowie auf ihre gesetzlichen Aufgaben als Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach der EisbAV hinweist, vernachlässigt sie die übrigen Feststellungen und geht daher in unzulässiger Weise nicht vom Gesamtsachverhalt aus. Nach diesem hatte aber die Arbeitgeberin vertraglich die Umsetzung des Sicherheitskonzepts der Beklagten und die Sicherung der Baustelle übernommen und am Unfallstag am Unfallort mit ihren Bediensteten die Baukoordination durchgeführt, durch die die von ihr entsandten Sicherungsposten in ihre konkreten Aufgaben eingewiesen wurden, um die Sicherung der Baustelle zu gewährleisten.

[17]           3. Dass sich die Baukoordinatoren und die von der Arbeitgeberin abgestellten Sicherungsposten selbst an die Vorgaben der Beklagten in deren Sicherheitskonzept und an andere Sicherheitsvorschriften halten mussten, ändert, wie der Senat bereits in der Vorentscheidung 2 Ob 9/19s klargestellt hat (Pkt 4.1.3 mwN), nichts daran, dass für deren konkrete Umsetzung am Unfallstag die Arbeitgeberin und deren Mitarbeiter zuständig waren, darunter auch der getötete Arbeitnehmer. Auch mit dieser Argumentation vermag die Beklagte daher keine Zweifel an der Beurteilung der Vorinstanzen zu wecken, wonach sie den ihr obliegenden Nachweis der Eingliederung des Verstorbenen in ihr Unternehmen zum Unfallszeitpunkt (2 Ob 9/19s Pkt 4.4) nicht erbringen konnte.

[18]           4. Insgesamt wird daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

[19]     5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 46, 50 ZPO. Die Klägerinnen haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Es gebührt nur ein Streitgenossenzuschlag von 10 %.

Textnummer

E133801

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00077.21V.1214.000

Im RIS seit

11.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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