TE Vwgh Erkenntnis 1996/9/25 95/01/0280

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Veröffentlicht am 25.09.1996
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnB;
FlKonv Art43;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Dolp und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des R in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Juni 1995, Zl. 4.333.015/9-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Juni 1995 wurde in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 6. März 1992, mit dem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer - ein Staatsangehöriger der "Jugosl. Föderation" aus dem Kosovo mit albanischer Nationalität, der am 27. Jänner 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am darauffolgenden Tag den Asylantrag gestellt hat - die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, abgewiesen und ausgesprochen, Österreich gewähre ihm kein Asyl.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 13. Februar 1992 vor der Bundespolizeidirektion Linz zu seinen Fluchtgründen angegeben, er hätte am 25. Jänner 1992 zum Militär einrücken müssen. Aus innerer Überzeugung habe er diesem Befehl keine Folge geleistet und sei gleich von zu Hause geflüchtet. Am darauffolgenden Tag sei er von Mitrovica mit einem Bus nach Pristina gereist, dann mit einem Taxi weiter nach Skopje und von dort mit einem Flugzeug bis Ljubljana, wo er übernachtet habe. Von Ljubljana sei er mit einem Autobus bis Maribor und dann per Stop bis an die österreichische Grenze, die er illegal überquert habe, gelangt. Die Behörde erster Instanz verneinte die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers mit Formularbescheid, der auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründe lediglich damit antwortete, die im Heimatland des Beschwerdeführers stattfindenden kriegerischen Auseinandersetzungen reichten nicht aus, ihm die Rechtsstellung eines Flüchtlings zuzuerkennen, da allgemein herrschende politische Verhältnisse, kriegerische Handlungen oder auch Kämpfe zwischen Volksgruppen noch keinen Grund darstellten, darin gegen den Asylwerber selbst konkret gerichtete Verfolgungshandlungen zu erblicken.

In der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung machte der Beschwerdeführer nicht nur das gänzliche Fehlen einer Beweiswürdigung, sondern auch die Unvollständigkeit und nicht korrekte Wiedergabe der Ergebnisse seiner Befragung in der Niederschrift geltend und führte in diesem Sinne ergänzend aus, er habe am 25. Jänner 1992 den Einberufungsbefehl für die jugoslawische Bundesarmee erhalten und sei dieser Aufforderung nicht nachgekommen. Er sei zu Hause von der Polizei gesucht worden. Da er in dieser Armee sicher gegen seine Landsleute eingesetzt worden wäre und diese möglicherweise hätte töten müssen, habe er sich entschlossen, aus Jugoslawien zu flüchten. Auf Grund dieser Befehlsverweigerung, zur jugoslawischen Bundesarmee einzurücken, erwarte ihn in seinem Heimatland eine schwere Bestrafung.

Mit Bescheid vom 16. September 1993 wies der Bundesminister für Inneres diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Infolge Beschwerdeerhebung hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 21. September 1994, Zl. 94/01/0436, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (im Zusammenhang mit der Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92,94/94) auf, sodaß das Berufungsverfahren wiederum bei der belangten Behörde anhängig wurde. Ohne daß die belangte Behörde selbst ein ergänzendes Ermittlungsverfahren initiierte, erstattete der Beschwerdeführer am 22. November 1994 einen ergänzenden Schriftsatz, in welchem er auf das bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich anhängige fremdenpolizeiliche Verfahren, das in diesem Verfahren vorgelegte Dokumentationsmaterial und sein in diesem Verfahren erstattetes Vorbringen verwies, welches die belangte Behörde im nunmehr vorliegenden (Ersatz-)bescheid im wesentlichen und zusammengefaßt dahingehend referiert, würde der Beschwerdeführer nach Hause geschickt werden, würde er bestimmt zum Militär eingezogen und müßte dort um sein Leben fürchten. Die proklamierten Waffenstillstände seien auch bisher auf Dauer nie eingehalten worden, es handle sich bei diesen Informationen tatsächlich nur um offizielle Darstellungen der gegnerischen Kriegsparteien und nicht um objektive Gegebenheiten. In Wirklichkeit sei alles wie bisher. In diesen Kriegsgebieten hätten seine Landsleute gerade an den allergefährlichsten Frontabschnitten zu kämpfen. Auch die Behauptung, die Höchststrafen für Desertion überstiegen nicht zwei Jahre, Freisprüche oder bedingte Strafen kämen häufiger vor, könne ihm die Angst vor einer allfälligen Rückkehr nicht nehmen, die gesetzlichen Höchststrafen seien tatsächlich nämlich wesentlich höher. Außerdem habe er sicher Repressalien und menschenunwürdige Erniedrigung zu befürchten. Seine Freiheit sei aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität als Kosovoalbaner sowie auf Grund seiner politischen Ansichten bedroht. Die serbische Seite behaupte immer wieder, daß es eine religiöse Verschwörung gegen das orthodoxe Serbien gebe. Außerdem sei bekannt, daß Kosovo-Albaner jederzeit verprügelt und sogar getötet werden könnten, ohne daß die Täter Strafe befürchten müßten. Für Kosovo-Albaner hingegen gäbe es nicht einmal eine Beschwerdemöglichkeit. Der getötete Kosovo-Albaner sei in den Augen der anderen immer ein Terrorist. Bis heute sei noch kein einziger Täter für einen Mord an einem Kosovo-Albaner zur Verantwortung gezogen worden. Seit Juni 1993 habe die serbische Regierung die Repressionen erneut verstärkt, und 2.500 Familien seien von der Polizei verfolgt, im August 1993 seien sieben seiner Landsleute entweder erschossen oder zu Tode gefoltert worden. Außerdem sei zu beachten, daß es sich bei dem im ehemaligen Jugoslawien herrschenden Krieg um einen international geächteten Krieg handle, die Einberufung in einen derartigen international geächteten Krieg stelle eine Verfolgungshandlung im Sinne des Asylgesetzes dar.

Kosovo-Albanern drohten im Falle der Wehrdienstverweigerung auch härtere Strafen als serbischstämmigen Staatsbürgern. Selbst wenn die Annahme richtig sein sollte, daß sich die jugoslawische Bundesarmee zur Zeit nicht am Krieg beteilige, beteilige sich doch der Bundesstaat Jugoslawien (Serbien und Montenegro) an den kriegführenden serbischen Streitkräften, auch wenn diese nicht der jugoslawischen Bundesarmee angehörten, durch bloße Unterstützung.

Die belangte Behörde verneinte die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers, indem sie das von ihr selbst ausführlich wiedergegebene ergänzende Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers im Sinne des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 - mangels Vorliegen einer der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 leg. cit. - als unbeachtlich keiner gesonderten Beurteilung unterzog. Der belangten Behörde ist jedoch nicht beizupflichten, wenn sie eine der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 für die Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens nicht als gegeben erachtete. Angesichts der außerordentlichen Kürze der erstinstanzlichen Vernehmung des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen (zwei Zeilen) und seinem die Vollständigkeit bestreitenden Berufungsvorbringen hätte die belangte Behörde sich bereits dazu veranlaßt sehen müssen, eine Ergänzung dieses Vorbringens anzuordnen. Sie hat dies unterlassen, dafür jedoch das inhaltliche Vorbringen in der Berufungsergänzung (durch Verweisung auf den Fremdenpolizeiakt) detailliert selbst wiederholt. Darauf basierend hätte sie beweiswürdigend entsprechende Feststellungen zu treffen und diese dann einer ergänzenden rechtlichen Beurteilung zu unterziehen gehabt. Dadurch, daß sie im Sinne des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 lediglich von der kursorischen Behauptung des Beschwerdeführers anläßlich seiner Ersteinvernahme vor der Bundespolizeidirektion Linz, er sei vor dem Militärdienst geflüchtet, ausgegangen ist, ohne die von ihm im Berufungsverfahren hergestellten asylrechtlichen Zusammenhänge im Sinne des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, einer rechtlichen Würdigung zu unterziehen, von denen nicht gesagt werden kann, sie seien abstrakt nicht geeignet, der Asylerlangung zu dienen, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Die belangte Behörde hatte jedoch die Abweisungs des Asyls nicht nur mit dem Nichtvorliegen der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 AsylG 1991 begründet, sondern auch mit dem Vorliegen des Ausschlußgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit., weil der Beschwerdeführer vor seiner Einreise in das Bundesgebiet bereits in Slowenien, einem Mitgliedstaat der Genfer Flüchtlingskonvention, vor Verfolgung sicher gewesen sei. Dies bestreitet der Beschwerdeführer mit dem Hinweis darauf, daß Slowenien im Zeitpunkt seiner Durchreise keinerlei Drittlandsicherheit geboten und er vielmehr mit Rückschiebung in seine Heimat zu rechnen gehabt habe.

Damit bestreitet er in tatsächlicher Hinsicht das Vorliegen der von der belangten Behörde behaupteten Verfolgungssicherheit. Ohne auf die Problematik eingehen zu müssen, ob im Zeitpunkt der Durchreise des Beschwerdeführers (26./27. Jänner 1992) Slowenien bereits ein "anderer Staat" im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. war - dieser Staat wurde erst am 15. Jänner 1992 von Österreich und den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft anerkannt; vgl. im übrigen das hg. Erkenntnis vom 16. November 1994, Zl. 94/01/0264 -, kann nicht ohne weiteres Ermittlungsverfahren davon ausgegangen werden, die Kontinuitätserklärung Sloweniens, sich an die Genfer Flüchtlingskonvention gebunden zu erachten, - gegenüber dem Generalsekretär der Vereinten Nationen erst im Juli 1992 rückwirkend abgegeben -, indiziere bereits eine effektive innerstaatliche Umsetzung zum relevanten Zeitpunkt (vgl. auch hg. Erkenntnis vom 8. April 1995, Zl. 94/01/0272). Der Beschwerdeführer hat aber damit nach Maßgabe der ihn im Verwaltungsverfahren treffenden Mitwirkungspflicht, ohne daß es demnach noch einer weiteren Konkretisierung seines Vorbringens bedurft hätte, die Wesentlichkeit dieses weiteren, der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels aufgezeigt (vgl. hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413). Im Hinblick darauf, daß die belangte Behörde dem Beschwerdeführer im Berufungsverfahren zu diesem Aspekt kein Parteiengehör gewährt hat, obwohl sie - anders als die Erstbehörde - nunmehr auf Grund des von ihr gemäß § 25 Abs. 2 anzuwendenden Asylgesetzes 1991 von diesem Ausschließungsgrund erstmals Gebrauch gemacht hat, verstößt sein diesbezügliches Vorbringen auch nicht gegen das Neuerungsverbot des § 41 VwGG.

Da somit insgesamt Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtsmittelverfahren Berufung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995010280.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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