TE Vwgh Erkenntnis 2022/1/17 Ro 2021/03/0022

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Veröffentlicht am 17.01.2022
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
90/01 Straßenverkehrsordnung
93 Eisenbahn

Norm

EisbKrV 2012 §2 Z2
EisbKrV 2012 §5
EisenbahnG 1957 §48 Abs1
EisenbahnG 1957 §48 Abs1 Z1
EisenbahnG 1957 §48 Abs1 Z2
EisenbahnG 1957 §48 idF 2010/I/025
EisenbahnG 1957 §49 Abs1
EisenbahnG 1957 §49 Abs2
StVO 1960 §1 Abs1
StVO 1960 §2 Abs1 Z1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer, Mag. Nedwed, Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Ö AG in Wien, vertreten durch die Walch Zehetbauer Motter Rechtsanwälte OG, 1010 Wien, Biberstraße 11, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 8. Juli 2021, Zl. LVwG-AV-1462/001-2020, betreffend Teilauflassung einer Eisenbahnkreuzung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptfrau von Niederösterreich; mitbeteiligte Partei: Stadt S, S), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von Euro 1.346,40 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eigentümerin bzw. Betreiberin der Schieneninfrastruktur der Eisenbahnstrecke Hainfeld – Sankt Pölten Hauptbahnhof. Diese Eisenbahnstrecke kreuzt bei km 65,017 eine Gemeindestraße, für die die Mitbeteiligte die Straßenbaulast trägt.

2        Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wurde - durch Bestätigung eines entsprechenden Bescheids der belangten Behörde - der Antrag der Revisionswerberin vom 8. Oktober 2020 auf Teilauflassung der Eisenbahnkreuzung für den Fahrzeugverkehr und auf bauliche Umgestaltung abgewiesen; die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt.

3        Das Verwaltungsgericht legte u.a. dar, dass im Zusammenhang mit der Auflassung und baulichen Umgestaltung von Eisenbahnkreuzungen im Stadtgebiet von Sankt Pölten ein Übereinkommen zwischen der Revisionswerberin und der Mitbeteiligten geschlossen worden sei und in der Folge - in Abänderung früherer Anträge - die Revisionswerberin hinsichtlich der nunmehr revisionsgegenständlichen Eisenbahnkreuzung gemäß § 48 Abs. 1 Z 2 EisbG die Auflassung für den Fahrzeugverkehr und gemäß § 48 Abs. 1 Z 1 EisbG die bauliche Umgestaltung beantragt habe. Während die belangte Behörde mit dem - in Rechtskraft erwachsenen - Bescheid vom 16. Oktober 2020 die Sicherung der Eisenbahnkreuzung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 EisbKrV durch Lichtzeichen sowie die Anbringung von Umlaufsperren gemäß § 12 Abs. 1 EisbKrV angeordnet habe, sei der Antrag auf Teilauflassung für den Fahrzeugverkehr und bauliche Umgestaltung abgewiesen worden.

4        Diese Entscheidung entspreche der Rechtslage, weil § 48 Abs. 1 Z 1 EisbG die bauliche Umgestaltung einer Eisenbahnkreuzung ermögliche, § 48 Abs. 1 Z 2 EisbG hingegen die (gänzliche) Auflassung. Für die von der Revisionswerberin vertretene Auffassung, unter Z 2 falle auch die Auflassung für den Fahrzeugverkehr allein (also unter Beibehaltung der Kreuzung für den Fußgängerverkehr), bestehe, auch unter Einbeziehung der Gesetzessystematik und der Gesetzesmaterialien, kein Anhaltspunkt. Z 1 regle nämlich die bauliche Umgestaltung einer bestehenden Kreuzung, während Z 2 auf ihre gänzliche Auflassung abziele. Für die bloße Einschränkung des Benutzerkreises sei in Z 2 kein Raum, weil in diesem Fall die Eisenbahnkreuzung bestehen bliebe.

5        Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur verfahrensgegenständlichen Frage, ob eine Eisenbahnkreuzung nach § 48 EisbG stets zur Gänze aufzulassen sei oder auch eine Teilauflassung bloß hinsichtlich bestimmter Verkehrsarten zulässig sei, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs fehle.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

7        Die Revision ist aus dem vom Verwaltungsgericht dargelegten Grund zulässig; sie ist auch begründet.

8        Das 1. Hauptstück („Bauliche Umgestaltung von Verkehrswegen, Auflassung schienengleicher Eisenbahnübergänge“) des 4. Teils („Kreuzungen mit Verkehrswegen, Eisenbahnübergänge“) des EisbG normiert in § 48 („Anordnung der baulichen Umgestaltung und der Auflassung“) u.a. Folgendes:

„§ 48. (1) Die Behörde hat auf Antrag eines zum Bau und zum Betrieb von Haupt-, Neben-, Anschluss- oder Materialbahnen mit beschränkt-öffentlichem Verkehr berechtigten Eisenbahnunternehmens oder eines Trägers der Straßenbaulast anzuordnen:

1.   an einer bestehenden Kreuzung zwischen einer Haupt-, Neben-, Anschluss- oder Materialbahn mit beschränkt-öffentlichem Verkehr einerseits und einer Straße mit öffentlichem Verkehr andererseits die bauliche Umgestaltung der Verkehrswege, wenn dies zur besseren Abwicklung des sich kreuzenden Verkehrs erforderlich und den Verkehrsträgern (Eisenbahnunternehmen und Träger der Straßenbaulast) wirtschaftlich zumutbar ist;

2.   die Auflassung eines oder mehrerer in einem Gemeindegebiet gelegener schienengleicher Eisenbahnübergänge zwischen einer Haupt-, Neben-, Anschluss- oder Materialbahn mit beschränkt-öffentlichem Verkehr einerseits und einer Straße mit öffentlichem Verkehr andererseits, sofern das verbleibende oder das in diesem Zusammenhang umzugestaltende Wegenetz oder sonstige in diesem Zusammenhang durchzuführende Ersatzmaßnahmen den Verkehrserfordernissen entsprechen und die allenfalls erforderliche Umgestaltung des Wegenetzes oder die Durchführung allfälliger sonstiger Ersatzmaßnahmen den Verkehrsträgern (Eisenbahnunternehmen und Träger der Straßenbaulast) wirtschaftlich zumutbar sind.

Sie kann unter denselben Voraussetzungen eine solche Anordnung auch von Amts wegen treffen. Für die Durchführung der Anordnung ist eine Frist von mindestens zwei Jahren zu setzen.

...“

9        Die geltende Fassung des § 48 EisbG geht zurück auf die Novelle BGBl. I Nr. 25/2010, mit der u.a. § 48 (samt Überschriften) neu gefasst wurde. Zuvor hatte sich § 48 Abs. 1 EisbG auf die Regelung der baulichen Umgestaltung (unter inhaltlich gleichen Voraussetzungen wie jetzt) beschränkt.

10       Der diesbezügliche, im Plenum des Nationalrats eingebrachte Abänderungsantrag begründete die Neuregelung folgendermaßen (Sten ProtNR 57. Sitzung, 24. GP, S 220f):

„Zu Z 1 (§ 48 EisbG): In der bestehenden Bestimmung über die bauliche Umgestaltung von Verkehrswegen soll auch verankert werden, wie die Auflassung schienengleicher Eisenbahnübergänge auf Antrag oder von Amts wegen angeordnet werden kann, nämlich sofern das verbleibende oder das in diesem Zusammenhang umzugestaltende Wegenetz oder sonstige in diesem Zusammenhang durchzuführende Ersatzmaßnahmen den Verkehrserfordernissen entsprechen und die allenfalls erforderliche Umgestaltung des Wegenetzes oder die Durchführung allfälliger sonstiger Ersatzmaßnahmen den Verkehrsträgern (Eisenbahnunternehmen und Träger der Straßenbaulast) wirtschaftlich zumutbar sind. Ob diese Kriterien im Einzelnen vorliegen und die Auflassung somit vertretbar ist, ist im behördlichen Verfahren zu überprüfen.“

11       Festzuhalten ist zunächst, dass der Wortlaut des § 48 Abs. 1 EisbG für die Kombination einer Umgestaltung iSd Z 1 mit einer Auflassung iSd Z 2 offen ist. Auch wenn man dessen ungeachtet daran zweifeln wollte, ob die Regelung insgesamt die „Teilauflassung“ einer Eisenbahnkreuzung zulässt oder (im Sinne der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung eines entweder oder) bloß die bauliche Umgestaltung nach Z 1 oder die (gänzliche) Auflassung nach Z 2 ermöglicht, führt doch spätestens die gebotene Einbeziehung der Gesetzessystematik und die Berücksichtigung des erkennbaren Regelungszwecks zu einem eindeutigen Auslegungsergebnis.

12       Das EisbG versteht im gegebenen Zusammenhang unter Eisenbahnkreuzungen Kreuzungen von Eisenbahnen mit Straßen (mit öffentlichem Verkehr), unabhängig von der Art des Verkehrs (Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr) auf der jeweiligen Straße:

13       Der 4. Teil des EisbG (§§ 48 bis 50) trifft Regelungen für Kreuzungen „mit Verkehrswegen“ bzw. die bauliche Umgestaltung „von Verkehrswegen“, ohne Beschränkung auf eine bestimmte Art des Verkehrs auf der Straße. § 48 Abs. 1 Z 1 und 2 EisbG stellt jeweils darauf ab, dass die Eisenbahn eine „Straße mit öffentlichem Verkehr“ kreuzt (vgl. demgegenüber § 47a EisbG zur Benützung nicht-öffentlicher Eisenbahnübergänge).

14       § 49 Abs. 1 EisbG ermächtigt den zuständigen Bundesminister, durch Verordnung festzusetzen, in welcher Weise „schienengleiche Eisenbahnübergänge“ zu sichern sind und inwieweit bestehende Sicherungseinrichtungen an solchen Übergängen weiterbelassen werden dürfen.

15       Nach § 49 Abs. 2 EisbG hat die Behörde über die im Einzelfall zur Anwendung kommende Sicherung nach Maßgabe der örtlichen Verhältnisse und Verkehrserfordernisse zu entscheiden.

16       Die Begriffsbestimmung des § 2 Z 2 EisbKrV definiert als „Straße mit öffentlichem Verkehr“ eine „Straße gemäß § 1 Abs. 1 StVO 1960“.

17       § 1 Abs. 1 StVO 1960 hält fest, dass dieses Bundesgesetz für „Straßen mit öffentlichem Verkehr“ gilt und als solche Straßen gelten, die „von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden können“.

Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 1 StVO 1960 gilt als „Straße“ „eine für den Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr bestimmte Landfläche samt den in ihrem Zuge befindlichen und diesem Verkehr dienenden baulichen Anlagen“.

18       Wenn Regelungen des EisbG vor diesem Hintergrund - ohne weitere Einschränkung - auf „Straßen“ (mit öffentlichem Verkehr) abstellen, gilt dies also grundsätzlich unabhängig von der Art des Verkehrs (Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr) auf diesen Straßen. Ob die jeweilige Straße für Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr oder beides bestimmt ist, ist (als maßgeblicher Parameter für die Art der Sicherung) mitentscheidend dafür, wie eine Eisenbahnkreuzung zu sichern ist, zumal dies die örtlichen Verhältnisse und Verkehrserfordernisse ebenso prägt wie die Sicherheit des Verkehrs auf der Straße (wesentliche Faktoren für die Entscheidung über die Art der Sicherung nach § 5 EisbKrV); die grundsätzliche Anwendbarkeit der Regelungen des EisbG wird dadurch aber, sofern im Einzelnen nichts anderes bestimmt wird, nicht eingeschränkt.

19       Dies kommt auch etwa in § 6 EisbKrV zum Ausdruck, wonach die Behandlung von mehreren im Verlauf einer Straße gelegenen Eisenbahnkreuzungen als eine (und nicht mehrere) Eisenbahnkreuzung von der Art des Verkehrs auf der Straße abhängt, oder in § 22 EisbKrV (Abhängigkeit des Ortes der Anbringung von Andreaskreuzen von der Art des Verkehrs). Ebenso differenzieren die §§ 36 EisbG (Sicherung durch Abgabe akustischer Signale vom Schienenfahrzeug aus) und 40 EisbG (Sicherung durch Gewährleisten des erforderlichen Sichtraumes) nach der Art des Verkehrs auf der jeweils von der Eisenbahn gekreuzten Straße (etwa Eisenbahnkreuzung mit Fußgängerverkehr allein, Radfahrverkehr allein, Fußgänger- und Radfahrverkehr oder mit Fahrzeugverkehr). Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang schließlich auf die Übergangsbestimmung des § 102 EisbKrV, die hinsichtlich der der Behörde eingeräumten Frist zur Überprüfung nach der Art des Verkehrs auf der kreuzenden Straße differenziert, aber die Weiterbelassung bestehender Schranken- bzw. Lichtzeichenanlagen unabhängig davon nur von der Möglichkeit der Anpassung an die relevanten Bestimmungen der EisbKrV abhängig macht.

20       Die - oben wiedergegebenen - Gesetzesmaterialien deuten nicht darauf hin, dass der Gesetzgeber, der die neu geschaffene Möglichkeit der Auflassung von Eisenbahnübergängen in der bestehenden Bestimmung über die bauliche Umgestaltung „verankert“ wissen wollte, damit nur ein entweder (bauliche Umgestaltung nach Z 1) oder (gänzliche Auflassung nach Z 2) vor Augen hatte.

21       Regelungsziel der Novelle BGBl. I Nr. 25/2010 war u.a. die Erhöhung der Verkehrssicherheit (vgl. VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0023).

22       Wenn die „bessere Abwicklung“ des sich kreuzenden Verkehrs (und damit die Wahrung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs) die bauliche Umgestaltung der Verkehrswege nach § 48 Abs. 1 Z 1 EisbG erlaubt (insbesondere eine „Entflechtung“ durch Schaffung niveaufreier Übergänge), und eine Auflassung eines Eisenbahnübergangs iSd § 48 Abs. 1 Z 2 EisbG zulässig ist, sofern den maßgebenden Verkehrserfordernissen schon durch das verbleibende Wegenetz entsprochen wird bzw. durch dessen Umgestaltung oder durch die Durchführung sonstiger Ersatzmaßnahmen, spricht dies für ein (weites) Verständnis des § 48 Abs. 1 EisbG insgesamt dahin, dass (unter der weiteren Voraussetzung, dass die jeweilige Maßnahme den beteiligten Verkehrsträgern wirtschaftlich zumutbar ist) diese Bestimmung auch eine (im Revisionsfall in Rede stehende) Teilauflassung erlaubt. Diese kann im Übrigen insofern auch als Umgestaltung des Wegenetzes angesehen werden, weil sie dem Fußgänger- und Radfahrverkehr weiterhin das Überqueren der Eisenbahn an der bisherigen Stelle erlaubt, während für den Fahrzeugverkehr künftig ein anderer Weg erforderlich wird.

23       Da das Verwaltungsgericht, ausgehend von einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht den Antrag schon deshalb abgewiesen hat, ohne auf die Verkehrserfordernisse und die wirtschaftliche Zumutbarkeit einzugehen, hat es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

24       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

25       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

26       Wien, am 17. Jänner 2022

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021030022.J00

Im RIS seit

04.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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