TE Vwgh Beschluss 2021/12/21 Ra 2021/19/0438

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Veröffentlicht am 21.12.2021
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3R E19104000
001 Verwaltungsrecht allgemein
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §5 Abs1
EURallg
VwRallg
32013R0604 Dublin-III Art17 Abs1
32013R0604 Dublin-III Art3 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision der Z E, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2021, W144 2243027-1/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine ihren eigenen Angaben zufolge syrische Staatsangehörige, stellte am 13. Dezember 2020 in Rumänien einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 9. März 2021 stellte sie in Österreich neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Schreiben vom 24. März 2021 stimmte Rumänien dem Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 11. März 2021 unter Hinweis auf Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin III-Verordnung ausdrücklich zu.

3        Mit Bescheid vom 7. Mai 2021 wies das BFA den in Österreich gestellten Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück, stellte für die Prüfung dieses Antrages die Zuständigkeit Rumäniens fest, ordnete die Außerlandesbringung der Revisionswerberin an und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Rumänien zulässig sei.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Begründend führte das BVwG - soweit hier wesentlich - aus, Rumänien sei der nach der Dublin III-Verordnung zuständige Mitgliedstaat und habe der Wiederaufnahme der Revisionswerberin zugestimmt. Aus Art. 16 und 17 Abs. 2 Dublin III-Verordnung ergebe sich keine Zuständigkeit Österreichs, da weder eine Vulnerabilität der Revisionswerberin noch besondere humanitäre Gründe vorliegen würden. Die Revisionswerberin sei zwar mit einem in Österreich als Asylberechtigter lebenden syrischen Staatsangehörigen verheiratet. Vor ihrer Einreise nach Österreich habe die Revisionswerberin ihren Ehemann jedoch das letzte Mal etwa elf Jahre zuvor persönlich gesehen, sich mit ihm lediglich in Abwesenheit per Video verlobt und keine Nahebeziehung zu ihm gehabt. Österreich habe auch nicht zwingend vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung Gebrauch machen müssen, da keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung der Rechte der Revisionswerberin nach Art. 2 und 3 EMRK bzw. nach Art. 8 EMRK anzunehmen sei. So habe die Revisionswerberin ihren Ehemann, der seit elf Jahren im Bundesgebiet lebe, erst vor wenigen Wochen geheiratet. Ein gemeinsamer Haushalt bestehe erst seit kurzem. Eine Fortsetzung des Familienlebens sei auch in Rumänien durch Besuche des Ehemannes der Revisionswerberin möglich und zumutbar.

6        Vor diesem Hintergrund kam das BVwG zum Schluss, dass die Revisionswerberin mit ihrem Ehemann zwar ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK führe, dessen Intensität aber als „äußerst gering“ einzustufen sei, weshalb ein Eingriff in die Rechte der Revisionswerberin nach Art. 8 EMRK zulässig sei.

7        Mit Beschluss vom 22. September 2021, E 2797/2021-7, wies der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Zur Zulässigkeit der Revision wird zunächst vorgebracht, das BVwG hätte das Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung auszuüben gehabt, da Art. 8 EMRK einer Außerlandesbringung der Revisionswerberin entgegenstehe.

12       Gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis 15) der Dublin-III-Verordnung bestimmt wird. Ungeachtet dessen sieht Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn er nach den Kriterien der Dublin-III-Verordnung nicht für die Prüfung zuständig ist. Da Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung keine inhaltlichen Vorgaben enthält, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt (vgl. VwGH 26.4.2021, Ra 2021/14/0015, mwN).

13       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes macht die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 eine Bedachtnahme auf die - in Österreich im Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK notwendig. Die Asylbehörden müssen daher bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch Art. 8 EMRK berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschrift das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin-Verordnung ausüben (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192, mwN).

14       Soweit die Revision die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK beanstandet, ist darauf hinzuweisen, dass das BVwG unter Berücksichtigung der entscheidungswesentlichen Umstände eine entsprechende Interessenabwägung vorgenommen hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass im vorliegenden Fall die öffentlichen Interessen die privaten und familiären Interessen der Revisionswerberin an einem Verbleib in Österreich überwiegen würden.

15       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. etwa VwGH 7.10.2021, Ra 2021/19/0255, mwN).

16       Im vorliegenden Fall ging das BVwG aufgrund der Eheschließung der Revisionswerberin mit ihrem in Österreich aufenthaltsberechtigten Ehemann vom Vorliegen eines Familienlebens iSd Art. 8 EMRK aus, durfte aber bei der Gewichtung der für den Verbleib der Revisionswerberin im Bundesgebiet sprechenden Umstände im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG 2014 maßgeblich relativierend einbeziehen, dass sich die Revisionswerberin im Zeitpunkt der Eheschließung ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Angesichts dessen gelingt es der Revision nicht darzulegen, dass die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung unvertretbar erfolgt wäre und das BVwG das Selbsteintrittsrecht iSd Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung ausüben hätte müssen.

17       Das BVwG legte auch mit näherer Begründung dar, weshalb im gegenständlichen Fall auch keine humanitären Gründen im Sinne des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-Verordnung vorliegen. Dem tritt die Revision lediglich pauschal und unsubstantiiert entgegen.

18       Soweit die Revision einen Verstoß gegen die Verhandlungspflicht im Hinblick auf die Güterabwägung nach Art. 8 EMRK rügt, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof zwar ausgesprochen hat, bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen der mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine „absolute“ (generelle) Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 31.7.2020, Ra 2020/19/0252, mwN).

19       Von einem solchen eindeutigen Fall durfte das BVwG in vertretbarer Weise ausgehen (zur Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren nach § 21 Abs. 6a BFA-VG und dessen Verhältnis zu § 21 Abs. 7 BFA-VG vgl. grundlegend VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 22.4.2021, Ra 2020/19/0419, mwN). Vor dem Hintergrund, dass das BVwG ein Familienleben der Revisionswerberin in Österreich unter den festgestellten Umständen (letzter persönlicher Kontakt elf Jahre vor der Einreise nach Österreich, kurzer Zeitraum seit der Eheschließung und Gründung eines gemeinsamen Haushalts) angenommen hat, vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass der Sachverhalt fallbezogen nicht als gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt angesehen werden durfte.

20       Wenn die Revision zuletzt rügt, das BVwG habe veraltete Länderberichte herangezogen, macht sie einen Verfahrensmangel geltend, dessen Relevanz in konkreter Weise darzulegen ist. Das Revisionsvorbringen wird dieser Anforderung, insbesondere vor dem Hintergrund der Kriterien für die Widerlegung der Sicherheitsvermutung nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 sowie des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedsstaaten, nicht gerecht (vgl. VwGH 5.12.2017, Ra 2017/01/0392, mwN).

21       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

22       Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG Abstand genommen werden.

Wien, am 21. Dezember 2021

Schlagworte

Ermessen VwRallg8 Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190438.L00

Im RIS seit

20.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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