TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/16 Ra 2021/09/0204

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Veröffentlicht am 16.12.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
66/03 Sonstiges Sozialversicherungsrecht
82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

EFZG
EFZG §3
EFZG §3 Abs3
EpidemieG 1950 §32
EpidemieG 1950 §32 Abs1
EpidemieG 1950 §32 Abs2
EpidemieG 1950 §32 Abs3
EpidemieG 1950 §7
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision der Bezirkshauptmannschaft Braunau gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 26. Mai 2021, LVwG-751360/2/KLi/NiF, betreffend Ansprüche nach dem Epidemiegesetz 1950 (mitbeteiligte Partei: A GmbH in B, vertreten durch die Rechtsanwälte Estermann & Partner OG, Rechtsanwälte in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        1. Mit Bescheid der nunmehrigen amtsrevisionswerbenden Partei vom 29. April 2021 wurde dem von der mitbeteiligten Partei gestellten Antrag auf Zuerkennung einer Vergütung gemäß § 32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) für die Absonderung des bei ihr beschäftigten Arbeitnehmers X.Y. im Zeitraum 16. Oktober 2020 bis 21. Oktober 2020 im Betrag von € 463,65 gemäß § 32 Abs. 1 Z 1, Abs. 2 und Abs. 3 iVm § 36 Abs. 2 EpiG stattgegeben; das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde dazu u.a. aus, der Vergütungsanspruch würde keine anteiligen Sonderzahlungen und auch keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung umfassen.

2        2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich (LVwG) wurde der dagegen von der mitbeteiligten Partei erhobenen Beschwerde stattgegeben und ein Gesamtbetrag von € 529,42 zuerkannt. Weiters wurde ausgesprochen, dass gegen diese Entscheidung eine Revision unzulässig sei.

3        2.2. Begründend führte das LVwG aus, der Arbeitnehmer der Mitbeteiligten sei mit telefonischem Bescheid vom 16. Oktober 2020 bzw. mit Bescheid vom 18. Oktober 2020 der amtsrevisionswerbenden Partei vom 16. bis 21. Oktober 2020 „nach § 7 bzw. § 17 EpidemieG“ abgesondert gewesen. Der Tatbestand des § 32 Abs. 1 Z 1 EpiG sei daher erfüllt. Das gemäß § 3 EFZG dem Arbeitnehmer gebührende und auch tatsächlich ausbezahlte „regelmäßige Entgelt“ setze sich im Oktober 2020 aus dem Monatslohn, der Position „EFZ“, einem Urlaubsentgelt, einem Feiertagsentgelt, der Position „Sonst. Arbeitsverh.“ sowie einer COVID-19-Prämie iHv. € 500,-- zusammen. Es sei ein Gesamtbruttolohn in Höhe von € 2.538,22 ausbezahlt worden. Die Berechnung der Vergütung erfolge kalendermäßig taggenau, was für den Oktober einen Tagesbetrag in Höhe von € 81,88 ergebe. Da der Arbeitnehmer für sechs Tage abgesondert gewesen sei, errechne sich zunächst ein regelmäßiges Entgelt in der Höhe von € 491,28. Da jedoch die Mitbeteiligte nur einen Betrag von € 460,24 geltend gemacht habe, sei das LVwG an diesen Antrag gebunden. Weiters sei bei der Vergütung nach § 32 Abs. 3 EpiG der Dienstgeberanteil in der gesetzlichen Sozialversicherung gemäß § 51 ASVG ersatzfähig. Der entsprechende aliquote Betrag im Oktober sei € 69,19. Aus der Addition der Beträge ergebe sich die Höhe des nunmehr zuerkannten Vergütungsanspruchs.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der Bezirkshauptmannschaft Braunau.

5        Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6        Die Revision erweist sich mit ihrem Vorbringen, es gebe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Qualifikation einer „COVID-19-Prämie“ als regelmäßiges Entgelt gemäß § 3 EFZG als zulässig; sie ist auch begründet.

7        Die Rechtslage stellt sich dar wie folgt:

8        § 32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl. Nr. 186/1950 idF BGBl. I Nr. 90/2021, lautet auszugsweise:

„Vergütung für den Verdienstentgang.

§ 32. (1) Natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes ist wegen der durch die Behinderung ihres Erwerbes entstandenen Vermögensnachteile dann eine Vergütung zu leisten, wenn und soweit

1.   sie gemäß §§ 7 oder 17 abgesondert worden sind, oder

     [...]

und dadurch ein Verdienstentgang eingetreten ist.

(2) Die Vergütung ist für jeden Tag zu leisten, der von der in Abs. 1 genannten behördlichen Verfügung umfaßt ist.

(3) Die Vergütung für Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, ist nach dem regelmäßigen Entgelt im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes, BGBl. Nr. 399/1974, zu bemessen. Die Arbeitgeber haben ihnen den gebührenden Vergütungsbetrag an den für die Zahlung des Entgelts im Betrieb üblichen Terminen auszuzahlen. Der Anspruch auf Vergütung gegenüber dem Bund geht mit dem Zeitpunkt der Auszahlung auf den Arbeitgeber über. Der für die Zeit der Erwerbsbehinderung vom Arbeitgeber zu entrichtende Dienstgeberanteil in der gesetzlichen Sozialversicherung und der Zuschlag gemäß § 21 des Bauarbeiterurlaubsgesetzes 1972, BGBl. Nr. 414, ist vom Bund zu ersetzen.“

9        § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz, BGBl. Nr. 399/1974, lautet:

„Höhe des fortzuzahlenden Entgelts

§ 3. (1) Ein nach Wochen, Monaten oder längeren Zeiträumen bemessenes Entgelt darf wegen einer Arbeitsverhinderung für die Anspruchsdauer gemäß § 2 nicht gemindert werden.

(2) In allen anderen Fällen bemißt sich der Anspruch gemäß § 2 nach dem regelmäßigen Entgelt.

(3) Als regelmäßiges Entgelt im Sinne des Abs. 2 gilt das Entgelt, das dem Arbeitnehmer gebührt hätte, wenn keine Arbeitsverhinderung eingetreten wäre.

(4) Bei Akkord-, Stück- oder Gedinglöhnen, akkordähnlichen oder sonstigen leistungsbezogenen Prämien oder Entgelten bemißt sich das fortzuzahlende Entgelt nach dem Durchschnitt der letzten 13 voll gearbeiteten Wochen unter Ausscheidung nur ausnahmsweise geleisteter Arbeiten.

(5) Durch Kollektivvertrag im Sinne des § 18 Abs. 4 Arbeitsverfassungsgesetz, BGBl. Nr. 22/1974, kann geregelt werden, welche Leistungen des Arbeitgebers als Entgelt nach diesem Gesetz anzusehen sind. Die Berechnungsart für die Ermittlung der Höhe des Entgelts kann durch Kollektivvertrag abweichend von Abs. 3 und 4 geregelt werden.“

10       Nach § 32 Abs. 3 erster Satz EpiG ist die gemäß § 32 Abs. 2 leg. cit. für jeden Tag, der von der in § 32 Abs. 1 leg. cit. genannten behördlichen Verfügung umfasst ist, zu leistende Vergütung für Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, nach dem regelmäßigen Entgelt im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes, BGBl. Nr. 399/1974, zu bemessen.

11       Dem Gesetz ist demnach unmissverständlich zu entnehmen, dass die Bemessung des für jeden Tag der Absonderung zu leistenden Vergütungsbetrages nach dem regelmäßigen Entgelt im Sinne des EFZG vorzunehmen ist.

12       Als regelmäßiges Entgelt im Sinne des EFZG gilt gemäß dessen § 3 Abs. 3 jenes Entgelt, das dem Arbeitnehmer gebührt hätte, wenn keine Arbeitsverhinderung eingetreten wäre (vgl. z.B. VwGH 24.6.2021, Ra 2021/09/0094, mwH). Darin kommt das sogenannte „Ausfallsprinzip“ zum Ausdruck, wonach der Arbeitnehmer während dieser Nichtarbeitszeiten einkommensmäßig so gestellt werden soll, als hätte er die ausgefallene Arbeit tatsächlich erbracht, und er daher weder einen wirtschaftlichen Nachteil erleiden noch auch einen wirtschaftlichen Vorteil erringen soll (vgl. VwGH 13.5.2009, 2006/08/0226, mwN).

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat hinsichtlich der Bemessung des Vergütungsanspruches nach § 32 EpiG jüngst ausgesprochen, dass bei der für jeden Tag der Absonderung nach § 7 EpiG zu leistenden Vergütung auch jenes Entgelt zu berücksichtigen ist, das aus kollektiv- oder einzelvertraglich eingeräumten Sonderzahlungen resultiert; dies gilt freilich nicht für Sonderzahlungen, die der Arbeitnehmer - nach den kollektiv- oder einzelvertraglichen Bestimmungen - vom Arbeitgeber für die Zeit der Absonderung bzw. des Entfalls der Pflicht zur Entgeltzahlung jedenfalls erhält und die daher bei ihm keinen Ausfall an Entgelt bewirken, der auf den Arbeitgeber übergehen könnte (vgl. näher erneut VwGH 24.6.2021, Ra 2021/09/0094).

14       Dies bedeutet, dass vom LVwG in einem ersten Schritt hinsichtlich der Frage der Beurteilung der COVID-19-Prämie bei der Bemessung des Vergütungsanspruches zu prüfen ist, ob die Mitbeteiligte diese Prämie an ihren Arbeitnehmer jedenfalls gezahlt hat bzw. hätte, unabhängig davon, ob der bei ihr beschäftigte Arbeitnehmer im Oktober gearbeitet hat oder nicht. Dies ist u.a. auch danach zu beurteilen, ob die Mitbeteiligte die Prämie ihren anderen Arbeitnehmern im Oktober ohne Rücksicht auf sonstige Umstände stets in gleicher Höhe und nicht aliquotiert gewährt hat; etwa, wenn Arbeitnehmer nicht bereits den gesamten Oktober im Betrieb beschäftigt waren oder nur Teilzeit gearbeitet haben oder wenn aus anderen Gründen eine Aliquotierung des Betrages ermittelt werden kann.

15       Nur wenn in der Folge feststeht, dass beim von der Mitbeteiligten beschäftigten Arbeitnehmer ein Entgeltausfall vorliegt, sind weitere Ermittlungen zum Entgelt zu tätigen:

16       Dabei ist zu beachten, dass der in diesem Zusammenhang heranzuziehende Entgeltbegriff weit auszulegen ist. Unter ihm ist nach herrschender Lehre und Rechtsprechung jede Art von Leistung zu verstehen, die dem Arbeitnehmer für die zur Verfügungstellung seiner Arbeitskraft gewährt wird. Es kommt auf die Funktion der jeweiligen Leistung als Abgeltung der Arbeitsleistung, nicht aber auf die Bezeichnung, die steuer- oder die sozialrechtliche Beurteilung an. Vom Entgeltbegriff sind daher auch Akkordlöhne und Prämien, Zuschläge, Zulagen (ohne Aufwandersatzcharakter), Provisionen, Sonderzahlungen, Entfernungszulagen und Gewinnbeteiligungen oder anstelle einer Ist-Gehaltserhöhung vereinbarte Mitarbeiterbeteiligungen erfasst, nicht aber echte Aufwandsentschädigungen, Trinkgelder sowie Sozialleistungen des Arbeitgebers, auch wenn sie regelmäßig geleistet werden (vgl. OGH 28.2.2011, 9 ObA 121/10z, mwN).

17       Ob eine bestimmte Leistung des Arbeitgebers unter den Begriff des Entgelts fällt oder aber als Aufwandsentschädigung anzusehen ist, bestimmt sich allein danach, ob und inwieweit sie lediglich der Abdeckung eines konkreten finanziellen Aufwands des Arbeitnehmers dient oder (auch) Gegenleistung für die Bereitstellung seiner Arbeitskraft ist (OGH 17.3.2004, 9 ObA 101/03y). Als Aufwandersatz gilt eine Schmutzzulage, soweit dadurch ein Mehraufwand für Reinigung abgegolten wird (vgl. OGH 25.4.1990, 9 ObA 54/90). Wird ein Aufwand des Arbeitnehmers überhöht abgegolten, dann handelt es sich nur im Umfang des tatsächlichen Aufwands um Aufwandersatz, darüber hinaus jedoch um Entgelt (vgl. erneut OGH 17.3.2004, 9 ObA 101/03y).

18       Führt man sich den Sinn des Entgeltfortzahlungsprinzips, Arbeitnehmer im Falle einer Arbeitsverhinderung wirtschaftlich nicht zu benachteiligen, vor Augen, ist die von der Mitbeteiligten ihrem Arbeitnehmer gewährte COVID-19-Prämie - sofern diese nicht unabhängig von der Arbeitsleistung im Monat Oktober 2020 jedenfalls gewährt worden wäre, weshalb kein Entgeltausfall beim Arbeitnehmer eingetreten ist - daher in einem nächsten Schritt dahingehend zu beurteilen, ob diese Prämie von der Mitbeteiligten zur Abdeckung eines konkreten finanziellen Aufwands des Arbeitnehmers durch die COVID-19-Pandemie dient, oder (auch) als Gegenleistung für die Bereitstellung seiner Arbeitskraft.

19       Handelt es sich um die Gegenleistung für die Bereitstellung seiner Arbeitskraft, handelt es sich um „regelmäßiges Entgelt“ im Sinne des § 3 EFZG. Dabei macht es keinen Unterschied, dass diese Prämie erstmalig ausbezahlt wurde, schließt doch die Einführung eines neuen Gehaltsbestandteils nicht aus, dass dieser vom Arbeitgeber „regelmäßig“ gewährt wird. Auch dies ist nämlich vor dem Hintergrund des „Ausfallsprinzips“ zu sehen, wonach der Arbeitnehmer während seiner Nichtarbeitszeit einkommensmäßig so gestellt werden soll, als hätte er die ausgefallene Arbeit tatsächlich erbracht, und er daher weder einen wirtschaftlichen Nachteil erleiden noch auch einen wirtschaftlichen Vorteil erringen soll.

20       In einem letzten Schritt ist dann zu beurteilen, für welchen Zeitraum diese COVID-19-Prämie Abgeltung für die Bereitstellung der Arbeitskraft sein soll. Dies ist nach der getroffenen (Betriebs-) oder einzelvertraglichen Vereinbarung oder - in Ermangelung genauer vertraglicher Regelungen - nach den zuvor von der Mitbeteiligten gegenüber den Mitarbeitern zugesagten oder erschließbaren Vorgaben abhängig (zur Beurteilung eines Arbeitgeberverhaltens vgl. z.B. OGH 16.12.1975, 4 Ob 60/75, mwN).

21       Es kann im Revisionsfall nicht abschließend beurteilt werden, ob die COVID-19-Prämie bei der Bemessung der Vergütung nach § 32 EpiG für den Monat der Absonderung einbezogen werden muss:

22       Das LVwG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob diese Prämie jedenfalls gezahlt worden wäre oder nicht, d.h., ob beim Arbeitnehmer überhaupt ein Entgeltausfall entstanden ist, ob diese Prämie eine Aufwandentschädigung für einen konkret entstandenen Aufwand darstellt, welcher für den Absonderungszeitraum dann jedoch nicht entstanden wäre und - für den Fall der Qualifizierung der COVID-19-Prämie als erstattbares Entgelt - für welchen Zeitraum dieses gebührt hätte.

23       Da das LVwG es somit unterlassen hat, die zur Beurteilung der Rechtssache notwendigen Feststellungen zu treffen (vgl. VwGH 19.7.2021, Ra 2021/02/0020, mwN), hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 16. Dezember 2021

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021090204.L00

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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