TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/20 Ra 2018/08/0013

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Veröffentlicht am 20.12.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §111
ASVG §33 Abs1
ASVG §33 Abs2
ASVG §4 Abs1 Z1
ASVG §4 Abs2
ASVG §4 Abs2 Z1
ASVG §4 Abs4
AVG §19 Abs3
AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §46
MRK Art7 Abs1
MRKZP 07te Art4
VStG §1 Abs2
VStG §24
VStG §31 Abs2
VStG §31 Abs2 Z2
VStG §32 Abs2
VStG §44a
VStG §44a Z1
VwGVG 2014 §38
VwGVG 2014 §45 Abs2
VwGVG 2014 §46
VwGVG 2014 §48
VwRallg

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2018/08/0066

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.Sasshofer, über die Revision 1. des A S in W (hg. Ra 2018/08/0013) und 2. der S GmbH in V (hg. Ra 2018/08/0066), beide vertreten durch Dr. Georg Lehner, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Südtirolerstraße 12a, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 29. Dezember 2016, LVwG-S-20/001-2016, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mödling),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Der Revision der erstrevisionswerbenden Partei wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis im nachstehenden Umfang aufgehoben:

Spruchpunkt 2. im Umfang des Schuld- und Strafausspruchs wegen der unter Spruchpunkt II. Unterpunkte 21., 24. und 28. des Straferkenntnisses der belangten Behörde vom 19. November 2015 angeführten Verwaltungsübertretungen;

Spruchpunkt 2. ferner im Umfang des Strafausspruchs wegen der unter Spruchpunkt II. Unterpunkte 2., 5., 6., 8., 10., 23., 25., 27., 29., 31. bis 33., 35. bis 38., 40. bis 43., 48., 50. bis 53. und 55. des Straferkenntnisses der belangten Behörde vom 19. November 2015 angeführten Verwaltungsübertretungen;

Spruchpunkt 4. im Umfang des Ausspruchs über den Beitrag zu den Kosten des behördlichen Strafverfahrens.

Der Bund hat der erstrevisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen - also soweit es den Schuldausspruch wegen der unter Spruchpunkt II. Unterpunkte 2., 5., 6., 8., 10., 23., 25., 27., 29., 31. bis 33., 35. bis 38., 40. bis 43., 48., 50. bis 53. und 55. des Straferkenntnisses der belangten Behörde vom 19. November 2015 betrifft - wird die Revision der erstrevisionswerbenden Partei zurückgewiesen.

Die Revision der zweitrevisionswerbenden Partei wird als verspätet zurückgewiesen.

Begründung

1        1.1. Unstrittig ist, dass durch die Finanzpolizei (für das Finanzamt Baden Mödling) am 11. Juni 2013 eine „Nachschau“ am Sitz der Zweitrevisionswerberin, deren alleiniger Gesellschafter und handelsrechtlicher Geschäftsführer der Erstrevisionswerber ist, durchgeführt wurde. Dabei wurde erhoben, dass sich die Revisionswerber gegenüber mehreren Auftraggebern (Betreibern vorwiegend von Pizzalokalen) zur Speisenzustellung verpflichtet haben und dass die Zweitrevisionswerberin in der Folge Verträge mit zahlreichen als Zusteller eingesetzten Personen abgeschlossen hat. Es ergab sich jedoch der Verdacht, dass die Zusteller - entgegen den mit ihnen geschlossenen formellen Vereinbarungen - tatsächlich nicht als selbständige Unternehmer im Rahmen von Werkverträgen, sondern als Arbeitnehmer im Rahmen von Dienstverträgen tätig geworden seien und daher zur Pflichtversicherung in der Krankenversicherung (Vollversicherung) nach dem ASVG anzumelden gewesen wären, was nicht geschehen ist.

1.2. Aufgrund der bestehenden Verdachtslage wurde bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ein Ermittlungsverfahren gegen den Erstrevisionswerber wegen §§ 153d, 153e StGB geführt. Dieses Verfahren fiel am 6. November 2013 bei der Staatsanwaltschaft an und wurde mit Verfügung vom 14. Juli 2014 gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt. Nach dem Akteninhalt ging die Benachrichtigung von der Einstellung der mitbeteiligten Partei als Anzeigerin am 17. Juli 2014 zu.

1.3. Ausgangspunkt des hier gegenständlichen Verfahrens war eine Strafanzeige samt Strafantrag der Finanzpolizei (für das Finanzamt Baden Mödling) gegen den Erstrevisionswerber wegen § 111 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 1 ASVG vom 28. Mai 2014. Mit „Aufforderung zur Rechtfertigung“ vom 2. Juni 2014, abgefertigt am selben Tag, gab die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde (im Folgenden nur: Behörde) dem Erstrevisionswerber Gelegenheit, sich zu rechtfertigen. In der daraufhin erstatteten Stellungnahme bestritt der Erstrevisionswerber die Dienstnehmereigenschaft der 56 Zusteller und beantragte deren zeugenschaftliche Vernehmung. Die Behörde führte in der Folge die Vernehmung von lediglich vier Zustellern im Rechtshilfeweg durch.

2        2.1. Mit Straferkenntnis vom 19. November 2015, Spruchpunkt II., sprach die Behörde den Erstrevisionswerber schuldig, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Zweitrevisionswerberin zu verantworten, dass diese als Dienstgeberin die in den Unterpunkten 1. bis 56. angeführten, in der Krankenversicherung (Vollversicherung) pflichtversicherten Personen am 11. Juni 2013 als Dienstnehmer beschäftigt habe, ohne die Genannten vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden. Er habe hierdurch Verwaltungsübertretungen gemäß § 33 Abs. 1 in Verbindung mit § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG begangen und werde hierfür gemäß § 111 Abs. 2 ASVG (in Verbindung mit § 9 VStG) mit 56 Geldstrafen von je € 2.180,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von je 100 Stunden) zuzüglich Kosten belegt. Ferner sprach die Behörde mit Spruchpunkt I. aus, dass die Zweitrevisionswerberin für die Geldstrafen und Kosten gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand hafte.

Die Behörde führte begründend im Wesentlichen aus, die Zusteller übten die Tätigkeit nicht im Rahmen von Werkverträgen aus, zumal es an einem Werk im Sinn eines gewährleistungstauglichen Erfolgs fehle und die Vertragsverhältnisse auch nicht mit der Leistung endeten. Die Zusteller schuldeten vielmehr ein dauerndes Bemühen im Sinn eines wiederkehrenden Tätigwerdens und seien in den Betrieb in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit eingegliedert, sodass Dienstverträge vorlägen. Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs werde die Tätigkeit als Pizzazusteller typischerweise im Rahmen von Dienstverhältnissen ausgeübt. Für die subjektive Tatseite genüge fahrlässiges Verhalten, das nicht widerlegt worden sei. Der Erstrevisionswerber sei bereits in einem anderen Verfahren mit Straferkenntnis vom 8. Oktober 2013 wegen Übertretung des ASVG bestraft worden, sodass ein Wiederholungsfall vorliege. Was die Strafzumessung betreffe, so lägen keine Erschwerungs- und Milderungsgründe vor. Mangels Bekanntgabe der persönlichen Verhältnisse sei von einem monatlichen Nettoeinkommen von € 3.500,--, Haus- und Grundbesitz (im Wert von € 450.000,--) sowie keinen Sorgepflichten auszugehen.

2.2. Gegen dieses Straferkenntnis erhoben die Revisionswerber Beschwerde mit dem wesentlichen Vorbringen, die Annahme von Dienstverhältnissen sei weder aus der mit gravierenden Feststellungs- bzw. Begründungsmängeln behafteten Entscheidung, noch aus den Beweisergebnissen abzuleiten. Die Zusteller seien unter den gegebenen Umständen (keine Eingliederung in den Betrieb der Auftraggeberin in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit, Einräumung einer generellen Vertretungsbefugnis und eines sanktionslosen Ablehnungsrechts, Betrieb eigener Unternehmen mit Gewerbeberechtigung und unternehmerischer Infrastruktur, Rechnungslegung und Bezahlung nach erbrachten Leistungen, Gewährleistungspflicht und Haftung) nicht als Dienstnehmer beschäftigt worden, sodass auch keine Meldepflichten verletzt worden seien. Zum Beweis für das Vorbringen wurden die Parteienvernehmung des Erstrevisionswerbers sowie die zeugenschaftliche Vernehmung sämtlicher Zusteller beantragt. Ferner wurde die Höhe der verhängten Strafen bekämpft.

2.3. Das Verwaltungsgericht führte eine mündliche Verhandlung mit sieben Tagsatzungen durch, in denen es zahlreiche Zusteller zeugenschaftlich einvernahm. Eine Vernehmung unter anderem jener Zusteller, auf die sich die unter Spruchpunkt II. Unterpunkte 21., 24. und 28. des behördlichen Straferkenntnisses angeführten Verwaltungsübertretungen bezogen, unterblieb, zumal zwei Zusteller trotz zweimaliger Ladung unentschuldigt nicht erschienen und hinsichtlich des dritten Zustellers eine aktuelle Anschrift nicht vorlag.

Eine Vernehmung des Erstrevisionswerbers in der mündlichen Verhandlung war nicht möglich, weil dieser trotz sechsmaliger Ladung nicht erschien. Dabei wurde sein Fernbleiben von vier Tagsatzungen jeweils mit einer Erkrankung begründet (in drei Fällen wurde eine ärztliche Bestätigung vorgelegt, wonach er zum jeweiligen Termin „arbeitsunfähig“ gewesen sei, in einem Fall wurde ein in der Vorwoche aufgetretener Trommelfellriss ins Treffen geführt, ohne eine ärztliche Bestätigung vorzulegen). Die Abwesenheit von einer weiteren Tagsatzung wurde mit einer Verhinderung wegen „eines beruflichen Termins“ begründet, ohne dies näher darzutun und zu bescheinigen. Das Fernbleiben von der letzten Tagsatzung (an der nach Auflösung des Vollmachtsverhältnisses auch der Rechtsvertreter der Revisionswerber nicht teilnahm) wurde nicht weiter begründet.

Auch der Rechtsvertreter der Revisionswerber blieb einer Tagsatzung (bereits vor Auflösung des Vollmachtsverhältnisses) fern, was dem Verwaltungsgericht wenige Minuten vor Beginn der Tagsatzung durch seine Anwaltskanzlei mitgeteilt wurde. Das Fernbleiben wurde mit einer Erkrankung begründet, nachträglich wurde eine ärztliche Bestätigung vorgelegt, wonach er „arbeitsunfähig (bettlägrig)“ gewesen sei. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Tagsatzung wurde vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. Jänner 2017 abgewiesen, weil das Vorbringen nicht hinreichend zuverlässig und die Nachweise nicht geeignet gewesen seien, ein unvorhergesehenes Ereignis glaubhaft zu machen.

3        3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der Revisionswerber insoweit Folge, als es (Spruchpunkt 1.) die unter Spruchpunkt II. des behördlichen Straferkenntnisses angeführten Unterpunkte 1., 3., 4., 7., 9., 11. bis 20., 22., 26., 30., 34., 39., 44. bis 47., 49., 54. und 56. aufhob und das Strafverfahren in diesem Umfang gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 und 3 VStG einstellte. Ferner gab es (Spruchpunkt 2.) der Beschwerde insoweit Folge, als es hinsichtlich der weiteren unter Spruchpunkt II. des behördlichen Straferkenntnisses angeführten Unterpunkte die verhängten Geldstrafen von je € 2.180,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von je 100 Stunden) auf je € 900,-- (Ersatzfreiheitsstrafen je 72 Stunden) herabsetzte; zudem ersetzte es in Bezug auf Unterpunkt 53. die Wortfolge „in der Krankenversicherung (vollversicherte)“ durch „in der Unfallversicherung (teilversicherte)“ und die Wortfolge „zur Pflichtversicherung als vollversicherte Person“ durch „zur Unfallversicherung als teilversicherte Person“ und änderte insofern die Übertretungsnorm auf § 111 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 2 ASVG ab. Hingegen wies es (Spruchpunkt 3.) die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des behördlichen Straferkenntnisses ab. Ferner reduzierte es (Spruchpunkt 4.) gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG den Beitrag zu den Kosten des behördlichen Verfahrens auf € 2.610,-- und sprach aus, dass die Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten hätten.

3.2. Das Verwaltungsgericht führte zu Spruchpunkt 1. begründend aus, die Strafbarkeit einer Meldepflichtverletzung gemäß § 33 ASVG setze voraus, dass im Tatzeitpunkt ein Beschäftigungsverhältnis bereits bestehe oder angetreten werde, das vorgelagert anzumelden gewesen wäre. Vorliegend gebe es keine Nachweise dafür, dass die betreffenden 27 Zusteller im behaupteten Tatzeitpunkt (Nachschau am 11. Juni 2013) bereits in einem Beschäftigungsverhältnis zur Zweitrevisionswerberin gestanden wären oder ein solches im Tatzeitpunkt angetreten hätten. Im Hinblick darauf komme in Bezug auf die genannten 27 Zusteller eine Bestrafung wegen einer Meldepflichtverletzung nicht in Betracht.

3.3.1. Zu Spruchpunkt 2. stellte das Verwaltungsgericht fest, die weiteren 29 Zusteller seien jedenfalls im Juni 2013 für die Zweitrevisionswerberin tätig gewesen, indem sie für die betreffenden Lokale Speisen und Getränke zugestellt hätten. Die Zusteller seien jeweils nur für einen (Lokal)Betreiber bzw. eine Filiale im Einsatz gewesen. Die Diensteinteilung sei überwiegend so erfolgt, dass sich die Zusteller einmal im Monat in Listen in der jeweiligen Filiale eingetragen hätten. Zudem sei einige Tage oder Wochen im Voraus eine Dienstbereitschaft für bestimmte Zeiten bekannt gegeben worden. Die Zusteller hätten sich nicht nach Gutdünken vertreten lassen können, eine Vertretung sei - wenn überhaupt - nur durch Zusteller derselben Filiale möglich gewesen. Sie hätten auch einen konkreten Auftrag nicht grundlos ablehnen können. Die laut Dienstplan eingeteilten Zusteller hätten in der Filiale oder im Auto davor auf Lieferfahrten warten müssen. Es seien ihnen Nummern zugewiesen worden, mit denen über ein Computersystem die Lieferungen zugeteilt worden seien. Die Zusteller hätten auf einem Bildschirm die Zuweisungen ablesen können und dann die Lieferungen in der Reihenfolge ihres (Wieder)Eintreffens in der Filiale durchgeführt. Durch das Computersystem sei auch eine Kontrolle möglich gewesen. Die Zusteller seien überwiegend verpflichtet gewesen, bei den Lieferfahrten gegen Kaution überlassene Firmenkleidung und Werbeschilder für die Fahrzeuge zu verwenden. Die Wärmetaschen für die Lieferungen seien ihnen ebenso gegen Kaution überlassen worden. Die Zusteller hätten die eigenen Fahrzeuge benützt, die Aufwendungen hätten sie selbst getragen und steuerlich geltend gemacht. Sie seien nach Anzahl der Lieferungen entlohnt worden und hätten diesbezügliche Aufzeichnungen in einem Fahrtenbuch geführt. Die Rechnungslegung sei unter Mitwirkung einer durch den Erstrevisionswerber organisierten Buchhalterin erfolgt. Diese sei mit dem Erstrevisionswerber einmal im Monat in die Filialen gekommen und habe mit den Zustellern aufgrund deren Aufzeichnungen auf zur Verfügung gestellten Formularen die Rechnungen erstellt. Die Bezahlung sei monatlich durch die Zweitrevisionswerberin vorgenommen worden. Die Zusteller hätten in den meisten Fällen bei schuldhaft verspätet oder kalt gelieferten Bestellungen keine zweite Lieferung auf eigene Kosten durchführen und keinen Abzug vom Entgelt hinnehmen müssen. Eine allgemeine Haftung für mangelhafte Lieferungen habe es nicht gegeben.

Die Zusteller seien zum Teil von den Filialleitern angewiesen worden, sich Gewerbeberechtigungen für die Zustelltätigkeit zu besorgen; in einigen Fällen sei auch die Gründung von Personengesellschaften zur Bedingung gemacht worden. Die Zusteller seien daher fast alle im Besitz einer Gewerbeberechtigung gewesen. Die Gründung der Gesellschaften habe überwiegend nur dem Zweck gedient, für die Zweitrevisionswerberin tätig sein zu können. Einige Zusteller hätten zwar noch eine zweite Tätigkeit (etwa als Zeitungszusteller) ausgeübt, die jedoch nach ihrem Ausmaß untergeordnet gewesen sei. Die Zusteller hätten keine Werbung gemacht, über keine Büros und vorwiegend auch über keine Firmenkonten verfügt; selbst bei Vorliegen von Firmenkonten hätten sie über ihre Privatkonten abgerechnet.

Alle Dienstverhältnisse seien auf unbestimmte Zeit abgeschlossen worden. Die Zusteller hätten ein monatliches Gehalt zwischen € 500,-- und € 2.000,-- bezogen. Nur in einem Fall (betreffend Spruchpunkt II. Unterpunkt 53. des behördlichen Straferkenntnisses) habe der Zusteller ein monatliches Entgelt von lediglich € 200,-- bis € 500,-- erzielt.

3.3.2. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, die Zusteller seien nicht als selbständige Unternehmer aufgrund von Werkverträgen tätig gewesen, sondern als Arbeitnehmer aufgrund von Dienstverträgen. Sie hätten nicht die Herstellung eines Werks geschuldet, sondern ihre Arbeitskraft in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit auf Dauer zur Verfügung gestellt. Grundvoraussetzung für das Vorliegen von persönlicher Abhängigkeit sei eine persönliche Arbeitspflicht. Diese sei vorgelegen, zumal den Zustellern weder ein sanktionsloses Ablehnungsrecht noch eine generelle Vertretungsbefugnis (sie hätten sich allenfalls nur durch Arbeitskollegen vertreten lassen dürfen) zugekommen sei. Weiters hätten die Merkmale persönlicher Abhängigkeit gegenüber jenen persönlicher Unabhängigkeit überwogen. So seien die Zusteller an den Arbeitsort gebunden gewesen, weil sie sich im jeweiligen Lokal oder davor hätten aufhalten müssen, um unverzüglich liefern zu können. Die Arbeitszeit habe sich ebenso an den Bedürfnissen des Dienstgebers orientiert, zumal sich die Zusteller zwar selbst im Dienstplan hätten eintragen können, in der Folge jedoch daran gebunden gewesen seien. Weiters sei der Dienstplan so gestaltet gewesen, dass stets genügend Zusteller hätten anwesend sein müssen. Bindungen und Weisungen seien auch in Bezug auf das arbeitsbezogene Verhalten vorgelegen. So hätten die Zusteller Arbeitskleidung tragen und Werbeschilder auf den Fahrzeugen anbringen müssen. Sie seien insofern einer Kontrolle unterlegen, als ihnen Nummern zugewiesen und die Lieferfahrten automationsunterstützt auf sie aufgeteilt worden seien. Auch seien ihnen Formulare für die Honorarnoten zur Verfügung gestellt worden und seien sie beim Ausfüllen angeleitet worden. Im Hinblick darauf sei jedenfalls von einer Eingliederung der Zusteller in den Betrieb mit Weisungs- und Kontrollrechten auszugehen. Dass die Anweisungen durch die Filialleiter bzw. Mitarbeiter der Filialen erteilt worden seien, schade nicht, seien sie doch letztlich der Dienstgeberin zuzurechnen. Die Tätigkeit sei auch in wirtschaftlicher Abhängigkeit erfolgt. So seien den Zustellern essenzielle Betriebsmittel (etwa Warmhaltetaschen und Bankomatterminals) zur Verfügung gestellt worden. Die Verwendung der privaten Fahrzeuge schließe die Annahme von Dienstverhältnissen nicht aus. Die Zusteller hätten überwiegend auch keine eigene unternehmerische Infrastruktur (keine Büros, keinen werbenden Marktauftritt, überwiegend keine eigene Buchhaltung) aufgewiesen und seien größtenteils nur für die Zweitrevisionswerberin tätig gewesen. Soweit die Zusteller bzw. deren Gesellschaften über Gewerbeberechtigungen verfügten, schließe dies ein Arbeitsverhältnis ebensowenig aus.

Insgesamt sei daher vom Vorliegen (abhängiger) Dienstverhältnisse auszugehen. Auch der Verwaltungsgerichtshof habe in ähnlichen Fällen bereits die Dienstnehmereigenschaft von Pizzazustellern bejaht. Da die aufrechten Beschäftigungsverhältnisse im Zeitpunkt der Nachschau nicht beim zuständigen Krankenversicherungsträger gemeldet gewesen seien, seien die angelasteten Verwaltungsübertretungen verwirklicht. Der Erstrevisionswerber trage als handelsrechtlicher Geschäftsführer für die Verwaltungsübertretungen die strafrechtliche Verantwortung. Für die Strafbarkeit genüge fahrlässiges Verhalten; ein solches sei dem Erstrevisionswerber mangels Glaubhaftmachung eines fehlenden Verschuldens anzulasten. Eine Strafbarkeitsverjährung sei nicht eingetreten, zumal das mehr als acht Monate bei der Staatsanwaltschaft anhängige Strafverfahren in die Verjährungsfrist nicht einzurechnen sei.

Hinsichtlich Spruchpunkt II. Unterpunkt 53. des behördlichen Straferkenntnisses habe der betreffende Zusteller ein monatliches Gehalt von lediglich € 200,-- bis € 500,-- erzielt, sodass ein Anspruchslohn über der Geringfügigkeitsgrenze nicht feststellbar gewesen sei. Nach der Rechtsprechung umfasse in einem solchen Fall der Tatvorwurf gemäß § 33 Abs. 1 ASVG auch den Vorwurf eines Verstoßes gegen § 33 Abs. 2 ASVG. Der Schuldspruch sei daher in dem Sinn entsprechend abzuändern gewesen.

Was den Strafausspruch betreffe, so sei kein Wiederholungsfall vorgelegen, zumal im Tatzeitpunkt das weitere Straferkenntnis vom 8. Oktober 2013 noch nicht rechtskräftig erlassen gewesen sei. In Bezug auf die Strafbemessung seien keine Erschwerungs- und Milderungsgründe vorgelegen. Eine Verfahrenseinstellung gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG sei nicht in Betracht gekommen, zumal weder die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts noch das Verschulden geringfügig gewesen seien. Aus dem Grund habe auch die gesetzliche Mindeststrafe gemäß § 111 Abs. 2 ASVG nicht unterschritten werden können. Da keine Milderungsgründe vorgelegen seien, sei auch die Anwendung des § 20 VStG nicht in Frage gekommen. Die Behauptung, der Erstrevisionswerber beziehe lediglich ein monatliches Einkommen von € 1.000,-- und verfüge über keinen Grundbesitz, sei nicht entsprechend nachgewiesen worden. Aber selbst wenn man dies zu Grunde lege, erweise sich die nunmehr herabgesetzte Strafe als angemessen.

3.4. Zu den Spruchpunkten 3. und 4. nahm das Verwaltungsgericht von einer näheren Begründung Abstand bzw. verwies insoweit auf die angeführten Gesetzesbestimmungen.

3.5. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        4. Gegen dieses Erkenntnis erhoben die Revisionswerber zunächst nach Stellung eines Antrags auf Verfahrenshilfe rechtzeitig Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 24. November 2017, E 2954/2017-15, die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 12. Dezember 2017 im Sinn des § 87 Abs. 3 VfGG gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Dieser Abtretungsbeschluss wurde dem Rechtsvertreter der Revisionswerber (unstrittig) am 14. Dezember 2017 zugestellt, womit gemäß § 26 Abs. 4 VwGG die sechswöchige Revisionsfrist zu laufen begann. Innerhalb offener Frist stellte der Erstrevisionswerber einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe, der mit hg. Beschluss vom 5. Februar 2018 abgewiesen wurde. Mit der Zustellung dieses Beschlusses am 13. Februar 2018 begann die Revisionsfrist für den Erstrevisionswerber gemäß § 26 Abs. 3 VwGG neu zu laufen, sodass die von ihm am 27. März 2018 eingebrachte Revision rechtzeitig erhoben wurde. Hingegen stellte die Zweitrevisionswerberin keinen Verfahrenshilfeantrag, sodass ihr die damit verbundene Fristverlängerung im Sinn des § 26 Abs. 3 VwGG nicht zu Gute kommt. Für sie endete daher die sechswöchige Revisionsfrist (bereits) mit Ablauf des 25. Jänner 2018, sodass die von ihr am 27. März 2018 eingebrachte Revision verspätet ist. Folglich ist die gegenständliche Revision - soweit sie von der Zweitrevisionswerberin erhoben wurde - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als verspätet zurückzuweisen.

5        5. Soweit die Revision - zu der keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - vom Erstrevisionswerber erhoben wurde, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Revision ist insofern zulässig und begründet, als das Verwaltungsgericht die zeugenschaftliche Vernehmung von drei Zustellern unterlassen hat (siehe näher unten Punkt 6.) und die lange Verfahrensdauer als Milderungsgrund bei der Strafbemessung außer Acht gelassen hat (siehe näher Punkt 7.). Im Übrigen ist die Revision mangels Vorliegen einer Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig (siehe näher Punkte 8. bis 20.).

6        6.1. Der Erstrevisionswerber bemängelt, seinem Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung sämtlicher Zusteller, wegen deren Beschäftigung die Bestrafung erfolgt sei, sei vom Verwaltungsgericht nicht entsprochen worden. Die Vernehmung der Zeugen, deren Erscheinen mit den gebotenen Mitteln durchzusetzen gewesen wäre, sei erforderlich gewesen, hätte sich doch erweisen lassen, dass sie nie als Dienstnehmer für die Zweitrevisionswerberin tätig gewesen seien.

6.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, ist Beweisanträgen grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Beweisaufnahme im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Zur Vermeidung einer antizipierenden Beweiswürdigung dürfen Beweisanträge vom Verwaltungsgericht, vor dem der Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt (vgl. die §§ 46, 48 VwGVG), nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder ein Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - an sich nicht geeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen (vgl. VwGH 8.1.2015, Ra 2014/08/0064; 20.5.2015, Ra 2014/09/0041).

Nach dem - gemäß § 38 VwGVG in Verbindung mit § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren vor dem Verwaltungsgericht anzuwendenden - § 19 Abs. 3 AVG hat derjenige, der nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten, und kann zur Erfüllung dieser Pflicht auch durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden (vgl. VwGH 26.2.2014, 2012/02/0079; 17.2.2016, Ra 2015/08/0006).

6.3. Vorliegend beantragte der Erstrevisionswerber die Vernehmung sämtlicher Zusteller als Zeugen (unter anderem) zum Beweis dafür, dass sie nicht als Dienstnehmer beschäftigt worden seien. Das Verwaltungsgericht führte die Vernehmung zahlreicher Zusteller durch, darunter 26 von den insgesamt 29 Zustellern, auf die sich die Bestrafung durch das Verwaltungsgericht bezog. Folglich unterließ es die Vernehmung von drei Zustellern, auf welche sich die unter Spruchpunkt II. Unterpunkte 21., 24. und 28. des behördlichen Straferkenntnisses angeführten Verwaltungsübertretungen bezogen. Zwei dieser Zusteller sind trotz zweimaliger Ladung unentschuldigt nicht erschienen, hinsichtlich des dritten lag keine aktuelle Anschrift vor (vgl. bereits Punkt 2.3.).

Dass die zwei Zusteller der Verhandlung unentschuldigt fernblieben, berechtigte das Verwaltungsgericht allerdings nicht, von der beantragten Vernehmung abzusehen. Vielmehr hätte es darauf hinwirken müssen, dass die Zeugen ihrer Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten, nachkommen, und es hätte zu dem Zweck allenfalls auch Zwangsmittel anwenden müssen. Soweit das Verwaltungsgericht argumentierte, die Vernehmung der zwei Zusteller sei im Hinblick auf die vorliegenden Urkunden nicht geboten gewesen, ist hervorzuheben, dass es die Beweisaufnahme zunächst selbst für erforderlich erachtete, hätte es doch sonst die Zeugen nicht zweimal geladen. Ferner laufen die diesbezüglichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts auf eine antizipierende Beweiswürdigung hinaus, die nach der schon aufgezeigten Rechtsprechung unzulässig ist. Im Übrigen lassen auch die betreffenden Urkunden nicht bedenkenlos auf eine Beschäftigung im Tatzeitpunkt schließen.

Was den dritten Zusteller betrifft, so wurde das Verwaltungsgericht durch das Fehlen einer aktuellen Anschrift nicht von vornherein von der Aufnahme des beantragten Zeugenbeweises entbunden. Vielmehr ist beim Fehlen einer aktuellen ladungsfähigen Anschrift dem Antragsteller eine angemessene Frist zu deren Bekanntgabe zu setzen, erst nach deren Ablauf darf angenommen werden, dass der Beweis nicht erbracht werden könne (vgl. VwGH 26.9.2016, Ra 2015/08/0211). Dass vorliegend eine solche Aufforderung zur Bekanntgabe einer ladungsfähigen Anschrift erfolgt sei, ist den Akten nicht zu entnehmen. Soweit sich das Verwaltungsgericht auf die Aussage eines weiteren Zustellers berief, läuft die Argumentation ebenso auf eine unzulässige antizipierende Beweiswürdigung hinaus. Im Übrigen lässt auch jene andere Aussage in Zusammenschau mit den Urkunden nicht bedenkenlos auf eine Beschäftigung im Tatzeitpunkt schließen.

6.4. Das Verwaltungsgericht hat daher, soweit es die beantragte zeugenschaftliche Vernehmung der drei Zusteller unterließ, auf welche sich die unter Spruchpunkt II. Unterpunkte 21., 24. und 28. des behördlichen Straferkenntnisses angeführten Verwaltungsübertretungen bezogen, das angefochtene Erkenntnis mit Mangelhaftigkeit des Verfahrens belastet.

7        7.1. Der Erstrevisionswerber macht geltend, er sei durch die lange Verfahrensdauer von rund dreieinhalb Jahren, obwohl eine besondere Komplexität der Sach- und Rechtslage oder besondere Schwierigkeiten des Verfahrens nicht vorgelegen seien, in seinem Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK verletzt worden. Die unangemessen lange Dauer hätte zu einer stärkeren Herabsetzung der Strafe führen müssen bzw. wäre jedenfalls als ganz wesentlicher Milderungsgrund zu werten gewesen.

7.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass das Gesetz bei der Strafbemessung in einer dem Art. 6 EMRK widersprechenden Weise angewendet wurde, wenn eine überlange Verfahrensdauer nicht festgestellt und als strafmildernd gewertet wurde. Die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist dabei anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Schwierigkeit des Falls, des Verhaltens der Partei und der staatlichen Behörden im betreffenden Verfahren und der Bedeutung der Sache für die Partei zu beurteilen. Die maßgebliche Frist beginnt, sobald die Partei durch offizielle Mitteilung oder auch in sonstiger Weise in Kenntnis gesetzt wird, dass gegen sie wegen des Verdachts, eine strafbare Handlung begangen zu haben, Ermittlungen mit dem Ziel strafrechtlicher Verfolgung durchgeführt werden (vgl. VwGH 30.3.2016, Ra 2016/09/0027; mwN).

7.3. Vorliegend ist daher - entgegen den Revisionsausführungen - die knapp einjährige Dauer von der Aufdeckung der Verwaltungsübertretungen im Zuge der Nachschau am 11. Juni 2013 bis zur Zustellung der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 2. Juni 2014 in die hier im Blick stehende Verfahrensdauer nicht einzubeziehen. Allerdings erstreckte sich auch das weitere Verfahren bis zur Erlassung des nunmehr angefochtenen Erkenntnisses über mehr als zweieinhalb Jahre. Davon entfielen knapp eineinhalb Jahre auf das behördliche Strafverfahren (bis zur Erlassung des Straferkenntnisses vom 19. November 2015), obwohl in jenem Verfahren keine zeitaufwändigen Ermittlungen stattfanden (es wurden gerade einmal vier Zusteller vernommen; vgl. bereits Punkt 1.3.), ungefähr ein weiteres Jahr entfiel auf das durchaus zügig geführte gerichtliche Strafverfahren.

Berücksichtigt man nun, dass nach den konkreten Umständen des Falls eine ungewöhnliche Komplexität und Schwierigkeit nicht gegeben war (die der Tätigkeit der Zusteller zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse waren weitgehend ähnlich beschaffen, besondere Probleme rechtlicher oder tatsächlicher Natur lagen nicht vor, auch die Zahl der Zusteller war nicht außerordentlich groß) und eine wesentliche Verzögerung auch den Revisionswerbern nicht zugerechnet werden kann, so ist eine mehr als zweieinhalbjährige Verfahrensdauer - wobei insbesondere die in keiner Weise nachvollziehbare Dauer des behördlichen Strafverfahrens ins Gewicht fällt - als nicht mehr angemessen im Sinn des Art. 6 EMRK zu erachten (vgl. zu ähnlichen Verfahrensdauern etwa VwGH 14.2.2013, 2012/08/0167; 14.3.2013, 2011/08/0187). Dieser Umstand wäre in Anwendung des § 19 VStG in Verbindung mit § 34 Abs. 2 StGB - allenfalls durch Unterschreitung des Strafrahmens - zu bewerten (gewesen). Die vom Verwaltungsgericht der Strafbemessung zugrunde gelegte Beurteilung, es lägen keine mildernden Umstände vor, erweist sich daher jedenfalls als nicht zutreffend.

7.4. Folglich hat das Verwaltungsgericht, indem es die lange Verfahrensdauer als Milderungsgrund unberücksichtigt ließ, das angefochtene Erkenntnis im Umfang des Strafausspruchs (wegen der unter Spruchpunkt II. Unterpunkte 2., 5., 6., 8., 10., 23., 25., 27., 29., 31. bis 33., 35. bis 38., 40. bis 43., 48., 50. bis 53. und 55. des behördlichen Straferkenntnisses angeführten Verwaltungsübertretungen) sowie des Ausspruchs über den Kostenbeitrag mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

8        8. Im Übrigen erweist sich die Revision hingegen aus den nachfolgenden Erwägungen als nicht zulässig.

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision (nur dann) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        9.1. Der Erstrevisionswerber bemängelt, das Verwaltungsgericht habe seine Parteienvernehmung unterlassen und die mündliche Verhandlung in seiner Abwesenheit durchgeführt, obwohl er daran aus diversen Gründen ohne sein Verschulden nicht habe teilnehmen können und sein Fernbleiben jeweils entschuldigt worden sei. Die beantragte Parteienvernehmung wäre zur Entscheidungsfindung unumgänglich notwendig und wesentlich gewesen.

9.2. Gemäß § 45 Abs. 2 VwGVG hindert das Nichterscheinen einer Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses. Voraussetzung für die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Partei ist eine ordnungsgemäße Ladung, von der dann nicht gesprochen werden kann, wenn einer der in § 19 Abs. 3 AVG genannten - das Nichterscheinen rechtfertigenden - Gründe vorliegt (vgl. VwGH 17.2.2016, Ra 2015/08/0006). Eine rechtswirksam geladene Partei hat die zwingenden Gründe für ihr Nichterscheinen darzutun. Sie muss etwa im Fall einer Erkrankung nicht nur deren Vorliegen behaupten und dartun, sondern auch die konkrete Hinderung am Erscheinen aus diesem Grund (etwa wegen notwendiger Bettruhe). Die Triftigkeit des Nichterscheinens muss überprüfbar sein (vgl. VwGH 26.2.2014, 2012/02/0079). Auch eine Entschuldigung etwa mit beruflicher Verhinderung bedarf näherer Ausführungen, stellt sie doch für sich genommen keinen tauglichen Rechtfertigungsgrund für das Nichterscheinen zur Verhandlung dar (vgl. VwGH 3.1.2018, Ra 2017/11/0207).

9.3. Vorliegend erschien der Erstrevisionswerber zu sechs Tagsatzungen trotz Ladung nicht (vgl. bereits Punkt 2.3.). Soweit er sein Fernbleiben dreimal mit einer Erkrankung begründete und dazu ärztliche Bestätigungen vorlegte, wonach er zum jeweiligen Termin arbeitsunfähig gewesen sei, tat er die Hinderung am Erscheinen aus diesem Grund (etwa wegen Bettlägrigkeit) nicht hinreichend dar. Soweit er einmal einen Trommelfellriss behauptete, legte er keine ärztliche Bestätigung vor, sodass er die Hinderung in keiner Weise bescheinigte. Soweit er einmal eine Verhinderung wegen eines beruflichen Termins geltend machte, führte er nicht aus, inwiefern er deshalb am Erscheinen gehindert gewesen sei. Für sein Fernbleiben von der letzten Tagsatzung unterließ er überhaupt jegliche Begründung.

Schon im Hinblick darauf durfte das Verwaltungsgericht jedenfalls in vertretbarer Weise davon ausgehen, dass das Fernbleiben des Erstrevisionswerbers von der mündlichen Verhandlung - mangels hinreichend nachgewiesener triftiger Gründe - weder die Durchführung der Verhandlung unter Abstandnahme von seiner Parteienvernehmung noch die Fällung des Erkenntnisses hindere.

9.4. Darüber hinaus setzt bei einem behaupteten Verfahrensmangel die Zulässigkeit der Revision (unter anderem) voraus, dass die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang - im Sinn seiner Eignung, bei einem mängelfreien Verfahren zu einer anderen für den Revisionswerber günstigeren Sachverhaltsgrundlage zu führen - konkret dargetan wird (vgl. VwGH 15.5.2019, Ra 2016/08/0056). Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung hat der Rechtsmittelwerber konkret darzutun, was die betreffende Person ausgesagt hätte bzw. welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 11.5.2017, Ro 2014/08/0021).

Eine in diesem Sinn ausreichende Relevanzdarstellung ist der Revision freilich nicht zu entnehmen. Der Erstrevisionswerber legt nicht konkret dar, welche relevanten tatsächlichen Angaben er hätte machen können und inwieweit sich daraus eine für seinen Standpunkt günstigere Sachverhaltsgrundlage hätte ergeben können. Der pauschale Hinweis, die Vernehmung wäre zur Entscheidungsfindung unumgänglich notwendig und wesentlich gewesen, genügt in keiner Weise.

10       10.1. Der Erstrevisionswerber moniert, er sei zur Tagsatzung am 13. Juni 2016 nicht geladen worden. Sein Rechtsvertreter habe ebenso wegen einer plötzlichen Erkrankung mit Bettlägrigkeit nicht teilnehmen und auch einen Substituten nicht mehr organisieren können. Die Durchführung der Tagsatzung, bei der Fragen an die Zeugen und entlastende Beweisanträge hätten gestellt werden können, sei daher nicht zulässig gewesen.

10.2. Insofern genügt es, auf die obigen Ausführungen zur erforderlichen Relevanzdarstellung (vgl. Punkt 9.4.) zu verweisen. Der Erstrevisionswerber legt nicht konkret dar, welches Prozesshandlungen er bzw. sein Rechtsvertreter in der Tagsatzung gesetzt hätten und inwiefern sich daraus eine günstigere Sachverhaltsgrundlage hätte ergeben können. Der bloße Hinweis, es hätten Fragen an die Zeugen und entlastende Beweisanträge gestellt werden können, genügt in keiner Weise.

11       11.1. Der Erstrevisionswerber rügt, er sei auch zur Tagsatzung am 29. November 2016 nicht ordnungsgemäß geladen worden, nachdem das Vollmachtsverhältnis zu seinem Rechtsvertreter aufgelöst und sein Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshelfers abgewiesen worden war. Im Hinblick darauf hätte das Verwaltungsgericht die Beweisaufnahme nicht schließen und das Straferkenntnis nicht fällen dürfen.

11.2. Der Erstrevisionswerber verkennt, dass er nach dem Akteninhalt zur betreffenden Tagsatzung ordnungsgemäß geladen wurde. Die Ladung enthielt auch den ausdrücklichen Hinweis: „Sie werden zu dieser öffentlichen mündlichen Verhandlung als Beschwerdeführer geladen“. Der Erstrevisionswerber konnte daher über das Vorliegen einer verbindlichen Ladung als Partei nicht im Zweifel sein. Ebenso musste ihm klar sein, dass er - aufgrund der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses seines Rechtsvertreters und seines erfolglosen Antrags auf Beigebung eines Verfahrenshelfers - selbst an der Tagsatzung teilnehmen müsse, um seine Rechte zu wahren. Das Vorgehen des Verwaltungsgerichts, die Beweisaufnahme in der Tagsatzung zu schließen und in der Folge das Straferkenntnis zu fällen, begegnet daher auch insoweit keinen Bedenken. Im Übrigen lässt der Erstrevisionswerber auch insofern die erforderliche Relevanzdarstellung vermissen.

12       12.1. Der Erstrevisionswerber releviert, hinsichtlich eines der Zusteller (auf den sich Spruchpunkt II. Unterpunkt 29. des behördlichen Straferkenntnisses bezog) sei völlig unklar, um welche Person es sich handle, zumal kein Familienname, sondern lediglich Vornamen genannt würden.

12.2. Wie aus den Beilagen zur Anzeige (insbesondere Auskunft aus dem Melderegister, Auszüge aus dem Fremdenregister, dem Gewerberegister, den Versicherungsdaten und dem Kfz-Register) hervorgeht, wird der betreffende Zusteller mit dem Familiennamen K und den Vornamen G S geführt. Mit dem Familiennamen K und dem (ersten) Vornamen G wurde er auch in der Anzeige, in der Aufforderung zur Rechtfertigung, im behördlichen Straferkenntnis und im nunmehr angefochtenen Erkenntnis geführt. Es ist daher nicht ersichtlich, inwiefern unklar sei, um welche Person es sich handle.

13       13.1. Der Erstrevisionswerber moniert, das Verwaltungsgericht sei zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses nicht zuständig gewesen. Wären die Zusteller tatsächlich als Dienstnehmer beschäftigt worden, so fiele der Tatbestand in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte, wie auch die Summe der verhängten Strafen (Ersatzfreiheitsstrafen von 87 Tagen) deutlich mache.

13.2. Gemäß § 111 Abs. 2 ASVG ist eine Ordnungswidrigkeit gemäß Abs. 1 von der Bezirksverwaltungsbehörde als Verwaltungsübertretung zu bestrafen, sofern die Tat weder den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, noch nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist. Nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; sie haben dabei nach Art. 130 Abs. 4 B-VG in Verwaltungsstrafsachen in der Sache selbst zu entscheiden.

13.3. Ausgehend davon nahm das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit zur Entscheidung der gegenständlichen Verwaltungsstrafsache ohne einen aufzugreifenden Rechtsirrtum in Anspruch. Soweit der Erstrevisionswerber - anscheinend aufgrund der Mehrzahl von Verwaltungsübertretungen und der damit verbundenen höheren Strafsumme - eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte ableiten will, sind seine Erwägungen nicht nachvollziehbar.

14       14.1. Der Erstrevisionswerber macht geltend, es sei Verfolgungsverjährung eingetreten. Die erste ihm gegenüber wirksame Verfolgungshandlung sei mit der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 2. Juni 2014 gesetzt worden. Allerdings sei davon auszugehen, dass die Zustellung dieser Aufforderung (das genaue Datum sei nicht mehr erinnerlich) erst nach dem 11. Juni 2014 und daher nach Verstreichen der Frist für die Verfolgungsverjährung erfolgt sei.

14.2. Gemäß § 31 Abs. 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2 VStG) vorgenommen wurde. Die Verjährungsfrist beträgt bei Ordnungswidrigkeiten nach § 111 Abs. 1 ASVG ein Jahr (§ 111 Abs. 3 ASVG). Gemäß § 32 Abs. 2 VStG ist eine Verfolgungshandlung jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl und dergleichen), und zwar auch dann, wenn die Behörde zur Amtshandlung nicht zuständig war, diese ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat (vgl. VwGH 31.8.2016, 2013/17/0811).

Aus § 32 Abs. 2 VStG ergibt sich somit, dass die Wirksamkeit der Verfolgungshandlung insbesondere nicht davon abhängt, ob diese auch ihr Ziel erreicht oder dem Beschuldigten zur Kenntnis gelangt (vgl. VwGH 24.5.1995, 95/09/0007, VwSlg. 14241 A). Für die Gültigkeit einer Verfolgungshandlung - etwa durch Aufforderung zur Rechtfertigung - reicht es vielmehr aus, dass das betreffende Schreiben die Sphäre der Behörde (etwa durch Übergabe an die Post) verlassen hat (vgl. VwGH 30.1.2019, Ro 2018/03/0055).

14.3. Vorliegend gab nach dem Inhalt der Verwaltungsakten die Behörde dem Erstrevisionswerber mit Aufforderung zur Rechtfertigung vom 2. Juni 2014 Gelegenheit, sich bezüglich der Strafanzeige samt Strafantrag zu rechtfertigen. Die Abfertigung des Schreibens ist in den Akten mit 2. Juni 2014 dokumentiert, auf den Zugang der Sendung kommt es nach dem oben Gesagten nicht an. Folglich hat eine wirksame Verfolgungshandlung - selbst ohne Bedachtnahme auf eine Fristhemmung (siehe sogleich Punkt 15.) - jedenfalls innerhalb eines Jahres nach der Tatbegehung (am 11. Juni 2013) stattgefunden.

15       15.1. Der Erstrevisionswerber rügt, es sei Strafbarkeitsverjährung eingetreten. Die Verjährungsfrist habe mit der Nachschau am 11. Juni 2013 begonnen, das angefochtene Erkenntnis sei freilich erst am 10. Jänner 2017 und damit nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist zugestellt worden. Das bei der Staatsanwaltschaft geführte Strafverfahren habe keine Fristhemmung bewirkt, zumal der Unrechtsgehalt der dort vorgeworfenen Delikte nicht dem Unrechtsgehalt der hier verfolgten Delikte entsprochen habe.

15.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist die Frist für die Strafbarkeitsverjährung gemäß § 31 Abs. 2 VStG nur dann gewahrt, wenn das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts innerhalb der dort genannten (dreijährigen) Frist gegenüber dem Beschuldigten rechtswirksam erlassen wurde (vgl. VwGH 12.6.2017, Ra 2017/02/0089). Allerdings werden gemäß § 31 Abs. 2 VStG bestimmte Zeiträume in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet, wie unter anderem die Zeit, während der wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft, beim Gericht oder bei einer anderen Verwaltungsbehörde geführt wird (Z 2 leg. cit.).

15.3. Vorliegend wurde aufgrund der gegenständlichen Taten zunächst bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ein Ermittlungsverfahren gegen den Erstrevisionswerber wegen §§ 153d, 153e StGB geführt, das am 6. November 2013 dort angefallen ist und mit Verfügung vom 14. Juli 2014 (dem Finanzamt Baden Mödling zugestellt am 17. Juli 2014) gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt wurde. Im Hinblick darauf war jedoch die Verjährungsfrist zwischen dem Anfall des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft und der Zustellung der Benachrichtigung über die Einstellung für knapp achteinhalb Monate gehemmt, sodass ein Eintritt der Strafbarkeitsverjährung nicht zu sehen ist.

15.4. Jedenfalls nicht gefolgt werden kann der Argumentation des Erstrevisionswerbers, das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft sei nicht wegen der Tat geführt worden, um die es hier geht, auch wenn bei den gerichtlichen Straftatbeständen noch weitere Elemente - wie etwa die Gewerbsmäßigkeit nach § 153e StGB - hinzutreten. Der Heranziehung des Hemmungsgrunds gemäß § 31 Abs. 2 Z 2 VStG steht auch nicht entgegen, dass dieser erst durch die Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 mit 1. Juli 2013 - und damit nach dem Tatzeitpunkt (am 11. Juni 2013) - eingeführt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass § 1 Abs. 2 VStG der Anwendung einer geänderten Verjährungsbestimmung auf vor dem Inkrafttreten der jeweiligen Novelle begangene Straftaten nicht entgegensteht, sofern zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der geänderten Bestimmung Verjährung noch nicht eingetreten war, sowie dass sich ein allgemeines die Verjährungsbestimmungen erfassendes Günstigkeitsprinzip auch aus Art. 7 Abs. 1 EMRK nicht ableiten lässt (vgl. VwGH 24.4.2015, Ra 2015/08/0016; 13.9.2016, Ra 2016/03/0083).

16       16.1. Der Erstrevisionswerber releviert, das Verwaltungsgericht habe in Bezug auf die zu Spruchpunkt II. Unterpunkt 53. des behördlichen Straferkenntnisses angeführte Verwaltungsübertretung erstmals eine Meldepflichtverletzung gemäß § 33 Abs. 2 ASVG angelastet, wohingegen im behördlichen Verfahren und Straferkenntnis eine Meldepflichtverletzung gemäß § 33 Abs. 1 ASVG angelastet worden sei. Dies stelle eine Änderung des Tatvorwurfs dar, die wegen Verfolgungsverjährung unzulässig sei.

16.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, ist es bei Beschäftigten im Sinn des § 4 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 2 sowie im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG mit Blick auf die Zwecke des Rechtsschutzes, nämlich Vermeidung von Doppelbestrafungen und eindeutige Klärung der vorgeworfenen Tat (vgl. VwGH 3.10.1985, 85/02/0053, VwSlg. 11894 A), zwar mit Blick auf § 44a VStG erforderlich, schon in der Aufforderung zur Rechtfertigung und auch im Straferkenntnis die Namen der nicht gemeldeten Dienstnehmer sowie den Tatort und den Tatzeitpunkt präzise zu nennen. Im Übrigen reicht es aber aus, den Tatverdacht auf § 111 ASVG in Verbindung mit § 33 Abs. 1 ASVG zu stützen, zumal diese Bestimmung kraft ausdrücklicher Anordnung des § 33 Abs. 2 ASVG auch für geringfügig Beschäftigte gilt und sich das Tatbild insoweit nicht unterscheidet. In solchen Fällen kann daher § 33 Abs. 2 ASVG jederzeit zusätzlich zu § 33 Abs. 1 ASVG als Grundlage einer Bestrafung herangezogen werden, wenn zwar eine meldepflichtige Beschäftigung im Sinn des § 4 Abs. 2 Z. 1 in Verbindung mit Abs. 2 ASVG oder des § 4 Abs. 4 ASVG feststeht, eine Bestrafung wegen Übertretung allein des § 33 Abs. 1 ASVG aber - wie im vorliegenden Fall in Bezug auf den genannten Zusteller - mangels Erweislichkeit einer Vollversicherung nicht in Betracht kommt (vgl. VwGH 16.2.2011, 2010/08/0153; 6.6.2012, 2011/08/0368).

17       17.1. Der Erstrevisionswerber macht geltend, die Festsetzung des Tatzeitpunkts mit dem Tag der Nachschau sei willkürlich und stelle keinen ordnungsgemäß individualisierten und konkretisierten Tatvorwurf im Sinn des § 44a VStG innerhalb der Verjährungsfrist dar.

17.2. Gemäß § 44a Z 1 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Es bedarf daher einer Identifizierung der Tat (unter anderem) nach Ort und Zeit, wobei eine Ungenauigkeit bei der Konkretisierung dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung hat, wenn dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und keine Gefahr der Doppelbestrafung bewirkt wird (vgl. VwGH 13.8.2019, Ra 2019/03/0068).

17.3. Vorliegend ist die aufgezeigte Umschreibung der Tatzeit jedenfalls ausreichend, ist diese doch im Sinn der erörterten Rechtsprechung so präzise, dass der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte wahren kann und auch eine Doppelbestrafung wegen desselben Delikts ausgeschlossen ist.

Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof zum Bestimmtheitsgebot des § 44a VStG ausgehend von dessen Zielrichtung bereits wiederholt ausgesprochen, dass die an die Tatumschreibung zu stellenden Erfordernisse nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweiligen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall unterschiedlich zu beurteilen sind, und daher eine derartige - notwendigerweise einzelfallbezogene - Beurteilung im Regelfall, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde, nicht revisibel ist (vgl. VwGH 13.7.2020, Ra 2018/11/0167).

18       18.1. Der Erstrevisionswerber wendet sich ferner gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, die er als unvollständig, widersprüchlich und unschlüssig erachtet. Das Verwaltungsgericht habe sich mit den Beweisergebnissen nicht im Detail auseinandergesetzt, es habe die Beweisergebnisse zum Nachteil der Revisionswerber vorgreifend gewürdigt und entlastende Umstände nicht einbezogen. Im Hinblick darauf seien auch die getroffenen Tatsachenfeststellungen unvollständig und unrichtig. Bei schlüssiger Beweiswürdigung hätte sich ergeben, dass die angelasteten Verwaltungsübertretungen nicht begangen worden seien.

18.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist freilich die Beweiswürdigung einer Überprüfung durch den Gerichtshof als Rechtsinstanz nur insofern zugänglich, als es um die ordnungsgemäße Ermittlung der Beweisergebnisse und die Kontrolle der Schlüssigkeit der angestellten Erwägungen geht (vgl. VwGH 16.8.2016, Ra 2015/08/0074). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wäre nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht die diesbezügliche Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 23.10.2017, Ra 2015/08/0135):

18.3. Vorliegend hält die Beweiswürdigung den aufgezeigten Kriterien einer Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof stand. Das Verwaltungsgericht hat seine Feststellungen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung (mit mehreren Tagsatzungen) auf Basis der vorliegenden Urkunden und der abgelegten Beweisaussagen getroffen und dabei eine sehr ausführliche und auch schlüssige Beweiswürdigung vorgenommen. Es kann jedenfalls keine Rede davon sein, dass diese Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre.

19       19.1. Der Erstrevisionswerber rügt, das angefochtene Erkenntnis widerspreche den „Sozialversicherungs-Richtlinien des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger“, wonach Pizza-Zustelldienste als neue Selbständige anzuerkennen seien. Auch stehe es im Widerspruch zur Rechtsprechung (Hinweis auf VwGH 18.10.2000, 99/09/0011; OGH 26.2.1998, 8 ObA 46/98t, und 30.10.2003, 8 ObA 45/03f) betreffend die Qualifikation der Vertragsverhältnisse von Werbemittelverteilern und Zeitungs- bzw. Werbemittelzustellern als Werk- und nicht als Dienstverträge.

19.2. Das Vorbringen des Erstrevisionswerbers in Bezug auf die „Sozialversicherungs-Richtlinien des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger“ ist jedenfalls verfehlt, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in einem ähnlichen Zusammenhang ausgesprochen hat (vgl. VwGH 3.10.2013, 2013/09/0113).

Was die vom Erstrevisionswerber zitierten (oben genannten) Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs betrifft, so betrafen jene Entscheidungen jeweils anders gelagerte, mit dem hier vorliegenden Sachverhalt in wesentlichen Punkten nicht vergleichbare Fälle, sodass daraus für den Standpunkt des Erstrevisionswerbers ebenso nichts zu gewinnen ist.

Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt - in ähnlichen Fällen wie hier - ausgesprochen, dass bei der Tätigkeit eines „Pizzazustellers“, bei der es sich um eine einfache manuelle Tätigkeit ohne einen ins Gewicht fallenden Gestaltungsspielraum in Bezug auf Arbeitsausführung und Verwertbarkeit handelt, vom Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit und damit von einem (echten) Dienstverhältnis im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG auszugehen ist (vgl. VwGH 4.4.2016, Ra 2015/08/0195, mwN; siehe insbesondere auch die - ganz ähnliche Sachverhalte wie hier betreffenden - Erkenntnisse VwGH 10.9.2014, Ro 2014/08/0069, und 3.11.2015, 2013/08/0153, auf deren Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

20       20.1. Der Erstrevisionswerber macht schließlich geltend, das angefochtene Erkenntnis weiche von (näher bezeichneter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, wonach ein sanktionsloses Ablehnungsrecht oder ein generelles Vertretungsrecht, das hier vereinbart und auch tatsächlich gehandhabt worden sei, die persönliche Abhängigkeit ausschließe und damit der Annahme eines Dienstverhältnisses entgegenstehe.

20.2. Nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen hätten sich die Zusteller nicht nach Gutdünken vertreten lassen können, eine Vertretung sei - wenn überhaupt - nur durch Zusteller derselben Filiale möglich gewesen, sie hätten auch einen konkreten Auftrag nicht grundlos ablehnen können. Im Hinblick darauf geht der Erstrevisionswerber, indem er ein generelles Vertretungsrecht und ein sanktionsloses Ablehnungsrecht behauptet, nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Die Revision ist insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt.

21       21. Insgesamt war daher das - soweit angefochtene - Erkenntnis aus den oben dargelegten Gründen in dem im Spruch angeführten Umfang wegen vorrangig wahrzunehmender Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Im Übrigen war die Revision zurückzuweisen.

22       22. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. Dezember 2021

Schlagworte

Beweismittel Zeugenbeweis Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatort "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit Mängel bei Beschreibung ungenaue Angabe Dienstnehmer Begriff Persönliche Abhängigkeit Dienstnehmer Begriff Wirtschaftliche Abhängigkeit Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6 Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Zeugenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Erheblichkeit des Beweisantrages Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Vorweggenommene antizipative Beweiswürdigung Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Unmittelbarkeitsprinzip Gegenüberstellungsanspruch Fragerecht der Parteien VwRallg10/1/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018080013.L00

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt akt

Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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