TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/10 95/20/0244

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Veröffentlicht am 10.10.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftsführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde der G in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. März 1995, Zl. 4.346.032/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Türkei, reiste am 29. Dezember 1994 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 16. Februar 1995 Asyl.

Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 20. Februar 1995 beschrieb sie ihre Fluchtgründe wie folgt:

"Ich gehöre der kurdischen Volksgruppe an und habe bis zu meiner Ausreise in einem Dorf in der Nähe von Erzincan gewohnt. In diesem Gebiet kommt es häufig zu Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem Militär, wovon auch die Bevölkerung meines Heimatdorfes betroffen war. So wird nach jeder Kleinigkeit, z.B. wenn Soldaten von der PKK überfallen wurden, die Bevölkerung vom Militär unter Druck gesetzt.

So wurden nach jedem Vorfall die Männer von Soldaten geschlagen und die Häuser wurden durchsucht.

Im Mai 1994 wurden ganz in der Nähe unseres Dorfes, Sansa, PKK-Terroristen von Soldaten gestellt und im Zuge des Schußwechsels wurden 28 PKK-Angehörige und vier Soldaten getötet. Da sich der Vorfall ganz in der Nähe unseres Dorfes ereignete, wurden wir darauf noch mehr unter Druck gesetzt. Die Soldaten vermuteten, daß die Bewohner unseres Dorfes die PKK-Leute unterstützt haben. Einige Tage nach dem Vorfall wurde mein Vater zusammen mit 4 anderen männlichen Dorfbewohnern festgenommen und auf die Polizeistation Üzümlü gebracht. Er wurde dort über 3 Monate lang angehalten und wie er später erzählte, geschlagen und gefoltert. Als Beweis für seine Anhaltung kann ich eine Bestätigung, ausgestellt vom Staatssicherheitsgericht in Erzincan, vorlegen. Darin ist angeführt, daß mein Vater vom 10.6.1994 bis zum 20.9.1994 wegen Unterstützung der PKK festgenommen war und das Verfahren noch anhängig ist. Die Bestätigung war auf Antrag des Anwaltes G am 21.12.1994 ausgestellt worden. Die Bestätigung habe ich vom Anwalt erhalten, ich habe vor meiner Ausreise bei diesem vorgesprochen.

Während der Inhaftierung meines Vaters waren im Dorf nur Frauen anwesend und wurden wir ständig von Soldaten belästigt. So fragten sie, ob mein Vater tatsächlich die PKK unterstützt hat und klopften sie in der Nacht gegen unsere Fenster. Wir konnten nicht einmal für unseren eigenen Bedarf Lebensmittel kaufen, da die Soldaten vermuteten, daß wir damit die PKK unterstüzen würden. Nach der Freilassung meines Vaters war uns klar, daß wir im Dorf keine Ruhe mehr haben würden und sind wir im Oktober 1994 nach Erzincan Barbaros, zu meinem älteren Bruder verzogen.

Mein Vater war der Ansicht, daß das Leben für mich auch in Erzincan zu gefährlich wäre und ich daher zu meinen Brüdern nach Österreich fahren soll.

Nach Erhalt des Reisepasses hat mich mein Bruder Hassan nach Österreich eingeladen und habe ich am 16.12.1994 in Ankara ein Visum für Österreich erhalten. Danach bin ich nach Erzincan zurückgefahren und habe mich dort bis zum 25.12.1994 aufgehalten. Wenn ich in meine Heimat zurückkehren müßte, weiß ich nicht, was mit mir passieren würde. Ich kann auf keinen Fall in mein Heimatdorf zurückkehren.

Aufgrund der Anklage meines Vaters müßte auch ich mit Repressalien rechnen. In letzter Zeit wurden die Lebensbedingungen in der Türkei schlechter und werden die Aleviten überall diskriminiert.

Ich habe nicht unmittelbar nach meiner Einreise nach Österreich um Asyl angesucht, da mein Bruder mir geraten hat, das Visum zu verlängern. Es wurde ihm jedoch mitgeteilt, daß eine Verlängerung in Österreich nicht möglich wäre und erst dann habe ich um Asyl angesucht."

Mit Bescheid vom 2. März 1995 wies das Bundesasylamt den Antrag ab. Begründend gab es die Aussage der Beschwerdeführerin ausführlich wieder und schloß daran mit der Formulierung an, auf Grund des amtswegigen Ermittlungsverfahrens im Zusammenhalt mit den Angaben der Beschwerdeführerin und ihrem Reisepaß würden "folgende Feststellungen" getroffen:

"Sie haben am 09.12.1994 einen Reisepaß erhalten und sind mit einem Touristenvisum am 29.12.1994 nach Österreich eingereist. Ihr Vater befand sich vom 10.6.1994 bis 20.09.1994 in Haft und ist ein Verfahren wegen Unterstützung der PKK noch anhängig. In Ihrem Heimatdorf wären Sie mehrmals von Soldaten belästigt worden. Im Oktober 1994 sind Sie zu Ihrem älteren Bruder nach Erzincan Barbaros verzogen.

Eine gegen Sie persönlich gerichtete Verfolgungshandlung aus der im § 1 AsylG 1991 angeführten Gründe konnten Sie nicht geltend machen.

Soweit die Ergebnisse des amtswegigen Ermittlungsverfahrens mit Ihrem Vorbringen und dem Inhalt der vorgelegten Urkunde(n) in Widerspruch stehen, konnte Ihnen nicht gefolgt werden."

Daran schlossen sich allgemein gehalten Ausführungen über die Voraussetzungen einer Asylgewährung nach dem AsylG 1991. Diese Ausführungen mündeten in den Satz, Asyl könne nur gewährt werden, wenn den Argumenten des Asylwerbers entnommen werden müsse, er müsse "konkrete Verfolgung" oder "Furcht vor Verfolgung" aus den im AsylG 1991 genannten Gründen "befürchten". Dies könne "im vorliegenden Fall nicht entnommen werden". "Ereignisse gegen Familienangehörige" oder andere Personen könnten "den gewünschten Verfahrensausgang nicht bewirken". Der Vater der Beschwerdeführerin sei darüber hinaus nicht aus einem im § 1 (Z. 1) AsylG 1991 angeführten Grund, sondern wegen Unterstützung der PKK, die "unbestreitbar eine Terrororganisation" sei, festgenommen worden. Die allgemeine Situation der kurdischen Bevölkerung in der Türkei, das ihr entgegengebrachte Mißtrauen und polizeiliche Belästigungen seien keine geeigneten Gründe für die Asylgewährung, weil sie sich nicht speziell gegen die Beschwerdeführerin richteten und auch "keine ernsthaften Nachteile im Sinne des Asylgesetzes" seien. Nach "sorgfältiger Prüfung" des Vorbringens der Beschwerdeführerin sei die Behörde daher zu der Ansicht gelangt, das Ermittlungsverfahren habe keine "hinreichend sicheren" Anhaltspunkte dafür erbracht, daß die Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland aus einem der im § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten Gründe Verfolgung ausgesetzt gewesen sei oder solche zu befürchten gehabt habe oder im Falle ihrer Rückkehr zu gewärtigen hätte. Die Beschwerdeführerin habe "daher" in ihrem Heimatstaat "keine Verfolgung zu befürchten", weshalb ihr kein Asyl zu gewähren sei.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid führte die Beschwerdeführerin aus, sie habe bei ihrer Befragung alle Fragen ehrlich und präzise beantwortet. Es gebe folgende Gründe, warum sie in Österreich um Asyl ansuche:

"Ich gehöre der kurdischen Volksgruppe in der Türkei an, und bekenne mich dem alevitischen Glauben des Islams. In der Nähe von Erzincan, in Sansa bin ich geboren und habe bis Oktober 1994 in dem kleinen Dorf gelebt.

In letzter Zeit gibt es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem Militär, natürlich waren wir die Dorfbewohner betroffen. Überall, wo die PKK-Anhänger sich aufhalten, ist der Verdacht auf Unterstützung der PKK-Leute seitens der Zivilbevölkerung von der Regierung, dem Militär und der Sicherheitskräfte leider nicht auszuschließen.

Selbstverständlich wird die Zivilbevölkerung zu Opfer von Unterdrückungen gemacht. Sie werden inhaftiert, geschlagen und gefoltert.

Mein Vater wurde im Juni 1994 nach dem Vorfall in unserem Dorf festgenommen. Als mein Vater entlassen wurde, sind wir zu meinem älteren Bruder nach Erzincan übersiedelt. In Erzincan ist es uns nicht besser gegangen. Wir wurden ständig von den Sicherheitskräften bewacht, unsere Ferngespräche wurden immer abgehorcht.

Andererseits ist auch unsere Bekennung zum alevitischen Glauben ein wesentlicher Grund, warum wir Aleviten immer unter Druck gesetzt werden. Aleviten sind nur eine Minderheit der türkischen Bevölkerung, wir sind für die Sunniten ein ungläubiges Volk. Als Glaubensgemeinschaft haben wir - so wird es von den Sunniten behauptet - nirgends auf dieser Erde eine Anerkennung. Sie werden überall in der Türkei diskriminiert. In der Türkei gibt es nicht nur politische Unruhen, sondern auch Auseinandersetzungen zwischen den sunnitischen und den alevitischen Glaubensgemeinschaften. Ich bin auch oft von Sunniten beschimpft worden, weil ich an das Alevismus glaube. In mein Heimatland möchte ich nicht mehr zurückkehren, weil es dort für mich mit Sicherheit schlechte Folgen geben wird, da das Verfahren wegen der Inhaftierung meines Vaters noch anhängig ist. Für mich gebe es ein unsicheres Leben mit Furcht und Angst vor Unterdrückung und Folterung.

Ich möchte in einem Land leben, meinen Glauben frei ausüben können, wo es keine Unruhen und Auseinandersetzungen gibt, sondern nur Frieden. Deshalb ist mein inniglichster Wunsch, in einem friedlichen Land wie Österreich Fuß zu fassen."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Die Begründung erschöpfte sich in der Übernahme der "Sachverhaltsdarstellung" und der "rechtlich zutreffenden Begründung" des erstinstanzlichen Bescheides mit der Beifügung, daß keiner der Fälle des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 vorliege und auf das über ihr erstinstanzliches Vorbringen hinausgehende Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Berufung daher gemäß § 20 Abs. 1 dieses Gesetzes nicht Bedacht zu nehmen sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen das von der belangten Behörde übernommene Begründungselement, der Vater der Beschwerdeführerin sei nicht aus einem asylrechtlich relevanten Grund, sondern wegen des Verdachtes der Unterstützung der PKK und somit einer Terrororganisation festgenommen worden, mit dem Argument, die belangte Behörde gehe auf Grund eines noch anhängigen Verfahrens von Tatsachen aus, die noch nicht festgestellt seien, und nehme diese nicht festgestellten Tatsachen als erwiesen an. Gerügt wird das Unterbleiben von Nachforschungen darüber, ob das Verfahren gegen den Vater der Beschwerdeführerin "bereits beendet oder eingestellt" sei.

Dem steht entgegen, daß die Beschwerdeführerin selbst angegeben und auch eine Urkunde darüber vorgelegt hatte, daß der Festnahme ihres Vaters der Verdacht der Unterstützung der PKK zugrunde gelegen habe. Daß dieser Verdacht berechtigt gewesen sei, hat die belangte Behörde - entgegen den Ausführungen in der Beschwerde - ihrer Entscheidung nicht zugrunde gelegt. Für die Beschwerdeführerin ist auch nichts daraus zu gewinnen, daß die von der belangten Behörde übernommene Ansicht, eine Festnahme wegen des Verdachtes der Unterstützung der PKK könne nicht asylrelevant sein, aus anderen als den in der Beschwerde genannten Gründen nicht zutrifft. Eine asylrechtlich relevante Verfolgung des Vaters der Beschwerdeführerin wäre für die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin selbst nämlich nur von Bedeutung, wenn sich daraus Schlüsse auf eine ihr drohende Verfolgung ziehen ließen. Daß der Beschwerdeführerin in Erzincan, wohin sie nach der Freilassung ihres Vaters ihrer Darstellung zufolge zusammen mit diesem verzogen war, eine gegen sie gerichtete Verfolgung drohte, war ihren Behauptungen, das Leben dort sei für sie nach Ansicht ihres Vaters "auch zu gefährlich" gewesen, sie habe auf Grund der Anklage gegen ihren Vater "auch mit Repressalien rechnen" müssen, in letzter Zeit seien die "Lebensbedingungen in der Türkei schlechter" geworden und Aleviten würden "überall diskriminiert", aber nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmbar. Die Beschwerde unternimmt auch nicht den Versuch, Feststellungs- oder sonstige Verfahrensmängel in bezug auf dieses Thema aufzuzeigen und dabei darzulegen, welche konkrete Bedrohung der Beschwerdeführerin sich bei Vermeidung dieser Mängel ergeben hätte. Geltend gemacht und ohne Rücksicht auf das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot neu behauptet werden nur Tatsachen, die die allgemeine Lage der kurdischen Minderheit und der alevitischen Glaubensgemeinschaft in der Türkei betreffen, worüber sich die Behörden des Verwaltungsverfahrens nach Meinung der Beschwerdeführerin nicht ausreichend informiert hätten. Dabei wird zwar darauf hingewiesen, daß nach Aussage der Beschwerdeführerin "die gesamte Dorfbevölkerung nach dem Schußwechsel durch die Militärbehörden terrorisiert worden" sei, was insbesondere auch die Angehörigen der Inhaftierten betroffen habe, und behauptet, die Beschwerdeführerin habe im Zusammenhang mit der Inhaftierung und Folterung ihres Vaters und den "Repressalien gegenüber den Familiengehörigen Eingriffe von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen" erlitten, auf die Situation der Beschwerdeführerin vor ihrer Flucht aus Erzincan und die zu befürchtenden Maßnahmen gegen sie, derentwegen sie dort nicht bleiben konnte, aber nicht eingegangen. Auch die am Schluß hinzugefügte Behauptung, der Sachverhalt, der der Entscheidung der ersten Instanz zugrunde gelegt worden sei, habe sich bis zur Entscheidung der belangten Behörde "drastisch geändert" gehabt, verstößt gegen das Neuerungsverbot und ist durch den übrigen Inhalt der Beschwerde nicht weiter als dahingehend konkretisiert, daß ab "Anfang des Jahres 1995" die "Situation in der Türkei" eskaliert sei, daß das Militär und die Polizei sich nicht mehr gescheut hätten, in offenen Übergriffen auf die kurdische Minderheit, insbesondere gegen Personen, die der alevitischen Glaubensrichtung angehören, Gewalt anzuwenden und auf eine härtere Gangart umzuschalten, daß "ab Anfang des Jahres 1995" diese grausamen Verfolgungen, Folterungen und Erschießungen auch durch die Massenmedien verlautbart und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich geworden seien, daß alevitische Kurden diesen Meldungen zufolge nun auch von sunnitischen Kurden verfolgt worden seien und daß diese Mißhandlungen und Unterdrückungen eine unvorstellbare Form der Grausamkeit angenommen hätten. Gründe dafür, warum dies im Berufungsverfahren nicht in Verbindung mit konkreten Behauptungen über die persönliche Situation der Beschwerdeführerin bereits geltend gemacht werden konnte, und konkrete Behauptungen der zuletzt genannten Art enthält die Beschwerde nicht. Damit verabsäumt es die Beschwerde, die Zulässigkeit des neuen Vorbringens und die Wesentlichkeit allfälliger Verfahrensmängel aufzuzeigen.

Auf der Grundlage des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes kann der Rechtsansicht, die Beschwerdeführerin sei nicht Flüchtling, aber nicht mit Erfolg entgegengetreten werden.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200244.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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