TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/9 Ra 2021/14/0340

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Veröffentlicht am 09.12.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §5 Abs1
AsylG 2005 §5 Abs3
BFA-VG 2014 §21 Abs6a
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2021/14/0341

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in den Revisionssachen 1. der L H und 2. der Z C, beide vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Freyung 6/7/2 (Einvernehmensrechtsanwalt gemäß § 14 EIRAG: Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11) gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts jeweils vom 8. September 2021, 1. W235 2238708-1/9E und 2. W235 2238705-1/10E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der minderjährigen Zweitrevisionswerberin. Beide sind Staatsangehörige des Libanon und stellten am 7. Oktober 2020 Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), nachdem sie (gemeinsam mit dem Ehemann bzw. Vater und einer weiteren Tochter bzw. Schwester) aus Frankreich kommend ins Bundesgebiet eingereist waren. Zuvor war den Revisionswerberinnen jeweils ein französisches Visum C ausgestellt worden.

2        Mit den Bescheiden jeweils vom 16. Dezember 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerberinnen auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 iVm Art. 22 Abs. 7 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) Frankreich für die Prüfung der Anträge zuständig sei. Es ordnete weiters gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung der Revisionswerberinnen an und stellte fest, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG deren Abschiebung nach Frankreich zulässig sei.

3        Nach Feststellung der Abmeldung der Revisionswerberinnen von der bisherigen Meldeadresse teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den französischen Behörden mit Schreiben vom 14. Jänner 2021 mit, dass sich die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 der Dublin III-VO verlängere.

4        Am 20. Mai 2021 wurden die Revisionswerberinnen auf dem Landweg nach Frankreich überstellt.

5        Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Beschwerden der Revisionswerberinnen gemäß § 5 AsylG 2005 als unbegründet ab und stellte fest, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide rechtmäßig gewesen sei. Weiters sprach es aus, dass die Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht - unter Bezugnahme auf Berichte zur Lage in Frankreich - aus, dass in Frankreich die Versorgung der Asylwerber (auch in medizinischer Hinsicht) gewährleistet sei. Die Revisionswerberinnen würden auch unter Zugrundelegung ihres Beschwerdevorbringens an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten leiden. Es könne nicht erkannt werden, dass die Überstellung der Revisionswerberinnen nach Frankreich eine Verletzung ihrer Rechte nach Art. 3 EMKR darstellen würde. Zudem lägen keine konkreten, in der Person der Revisionswerberinnen gelegenen Gründe, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Frankreich sprechen würden, vor. Die Überstellungsfrist habe sich auf 18 Monate verlängert, weil die Revisionswerberinnen untergetaucht gewesen seien.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die vorliegenden außerordentlichen Revisionen machen zusammengefasst geltend, das Bundesverwaltungsgericht hätte eine mündliche Verhandlung durchführen müssen, um sich einen persönlichen Eindruck von der Erstrevisionswerberin und auch von deren Möglichkeiten der Bewältigung ihres Alltags und der Versorgungsfähigkeit ihrer Töchter zu verschaffen. Weiters habe es die amtswegige Ermittlungspflicht in Bezug auf die medizinischen und sonstigen Versorgungsbedürfnisse der Revisionswerberinnen in Anbetracht der vorgelegten medizinischen Befunde verletzt. Es habe keine ausreichende Auseinandersetzung mit den Länderberichten stattgefunden und es seien entsprechende Feststellungen nicht getroffen worden. Ebenso fehlten Ermittlungen und Feststellungen dazu, dass die Revisionswerberinnen Betroffene von psychischer Gewalt durch den Ehemann bzw. Vater seien. Letztlich sei ihnen kein Parteiengehör zur Frage der Verlängerung der Überstellungsfrist eingeräumt worden.

11       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch die Bestimmungen der EMRK und der GRC, insbesondere Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC, zu berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung derselben das im „Dublin-System“ vorgesehene Selbsteintrittsrecht auszuüben. Weiters wurde in der Judikatur festgehalten, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 widerlegbar ist. Dabei ist die Frage, ob ein Staat als „sicher“ angesehen werden kann, vorrangig eine Tatsachenfrage, die nicht vom Verwaltungsgerichtshof zu lösen ist. Die Beurteilung, ob die festgestellten Mängel im Zielstaat die Sicherheitsvermutung widerlegen und einer Überstellung des Asylwerbers unter Bedachtnahme auf die EMRK und die GRC entgegenstehen, ist hingegen eine - unter den Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG - revisible Rechtsfrage (vgl. VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0219, mwN).

12       Nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber in einem Staat, der auf Grund der Dublin III-Verordnung zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist, Schutz vor Verfolgung findet, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen (vgl. VwGH 10.2.2021, Ra 2021/19/0031).

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner (mittlerweile ständigen) Rechtsprechung wiederholt darauf verwiesen, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nur durch eine schwerwiegende, etwa die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC übersteigende allgemeine Änderung der Rechts- und Sachlage im zuständigen Mitgliedstaat widerlegt werden kann (vgl. erneut VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0219; aber auch VwGH 15.4.2019, Ra 2019/01/0109; 4.9.2018, Ra 2017/01/0252, jeweils mwN).

14       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat weiters im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist (vgl. VwGH 11.8.2021, Ra 2020/18/0309, mwN). Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 4.11.2021, Ra 2021/14/0333, mwN).

15       Dem unter dem Aspekt von Ermittlungs- und Begründungsmängel erhobenen Vorbringen der Revisionswerberinnen, mit dem sie sich gegen die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts wenden, wonach sich für sie weder eine systematische noch eine individuell drohende Gefahr in Frankreich ergäbe, kommt keine Berechtigung zu.

16       Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht auf der Grundlage von Länderberichten und den von den Revisionswerberinnen vorgelegten medizinischen Unterlagen mit näherer Begründung ausgeführt, die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage in Frankreich seien unbedenklich und entsprächen den Grundsätzen des Unionsrechts.

17       Die Revisionen treten diesen Erwägungen nicht substantiiert entgegen, sondern zeigen lediglich auf, welche Aspekte ihrer Meinung nach nicht ausreichend erhoben worden wären und dass Feststellungen fehlten, ohne bereits in der gesonderten Zulassungsbegründung darzulegen, aus welchen Beweismitteln welche konkreten Feststellungen zu treffen und welche entscheidungsrelevanten Schlussfolgerungen daraus abzuleiten gewesen wären. Somit mangelt es schon an der Darstellung der Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel (vgl. zu den Anforderungen einer Relevanzdarstellung aus vielen VwGH 4.10.2021, Ra 2021/14/0216, mwN).

18       Gleiches gilt auch für die gerügte Unterlassung der Einvernahme von Familienmitgliedern und der Nichteinholung eines medizinischen Gutachtens, weil die Revisionen auch hier jegliche Relevanzdarstellung vermissen lassen.

19       Die Revisionen vermögen daher nicht aufzuzeigen, dass durch eine Abschiebung der Revisionswerberinnen nach Frankreich die Gefahr einer Verletzung ihrer Rechte nach Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC bestünde, durch welche die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 entkräftet würde.

20       Sofern sich die Revisionen gegen die Verletzung von unionsrechtlich garantierten Verfahrensgarantien wenden und vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht hätte den Revisionswerberinnen Parteiengehör zur Frage des Ablaufs der Überstellungsfrist und Verlängerung derselben einräumen müssen, machen sie wiederum einen Verfahrensmangel geltend. Dabei legen sie (erneut) die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel - also welche Feststellungen zu treffen gewesen wären und weshalb diese zu anderen Entscheidungen hätten führen können - nicht dar (vgl. wiederum VwGH 4.10.2021, Ra 2021/14/0216, mwN)

21       Insoweit die Revisionen das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung beanstanden, vermögen sie nicht aufzuzeigen, dass eine Verletzung der in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht im Fall von Beschwerden gegen im Zulassungsverfahren getroffene zurückweisende Entscheidungen nach der Sonderbestimmung des § 21 Abs. 6a BFA-VG, wonach das Bundesverwaltungsgericht unter anderem über Beschwerden gegen zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann (vgl. dazu VwGH 28.12.2020, Ra 2020/14/0545; grundlegend VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072), vorgelegen wäre.

22       In den Revisionen werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 9. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140340.L00

Im RIS seit

07.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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