TE Vwgh Erkenntnis 1996/10/10 95/20/0150

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Veröffentlicht am 10.10.1996
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs3;
AsylG 1991 §2 Abs4;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des S in G, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Februar 1995, Zl. 4.345.735/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, ist am 8. Jänner 1995 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 12. Jänner 1995 einen Asylantrag gestellt.

Bei seiner niederschriftlichen Befragung vor dem Bundesasylamt gab er zu seinen Fluchtgründen zusammengefaßt an:

Er sei Mitglied der "Patriotischen Union Kurdistans" (PUK). Im Jahr 1991 sei es zum Kurdenaufstand im Norden des Irak gekommen und dabei sei Kirkuk, wo er gewohnt habe, kurzzeitig von den Kurden eingenommen worden. Während dieser Zeit sei die Stadt unter dem Einfluß der kurdischen Peshmergas gestanden, jedoch nach ca. einer Woche hätten die Truppen Saddam Husseins Kirkuk zurückerobern können. Er sei dann mit seiner Familie - wie die meisten kurdischen Einwohner - in den Iran geflüchtet. Nach ca. eineinhalb Monaten sei er wieder in den Irak zurückgekehrt und habe in Kirkuk bis zum Jahr 1993 ohne Probleme seine Lehrertägigkeit an einer Volksschule ausüben können. Er habe dann bemerken können, daß die "verschiedensten Personen" verhaftet und vor Gericht gestellt worden seien. Diese Inhaftierungen seien geheim erfolgt. Anfang August 1994 sei bei ihm ein Freund, ein Lehrer von Arbil und ebenfalls Mitglied der PUK, auf Besuch gewesen. Am späten Abend hätten dann Sicherheitskräfte sein Haus umstellt und er habe gefühlt, daß er nunmehr verhaftet werden solle. Er sei über die Dächer geflohen und damit der Verhaftung entgangen. Die Sicherheitskräfte hätten jedoch seinen Gast verhaftet, verhört und gefoltert, weshalb dieser nach ca. vier Tagen verstorben sei. Auf die Frage, weshalb er vermutet habe, er selbst habe verhaftet werden sollen, gab der Beschwerdeführer an, daß bereits zwei Tage zuvor in der Umgebung Bekannte von ihm verhaftet worden seien. Er sei vor der versuchten Festnahme von den Behörden öfters bezüglich seiner Teilnahme am Kurdenaufstand befragt worden, wobei er seine Teilnahme bestritten habe. Er sei in die Kurdenzone nach Arbil geflüchtet, wo ihm jedoch von den Angehörigen seines zu Tode gekommenen Freundes vorgehalten worden sei, daß er aufgrund seines Fehlverhaltens (Flucht über die Dächer) für die Folterung und den Tod seines Freundes verantwortlich sei. Aufgrund dieser sehr angespannten Situation habe er sich dann entschlossen, den Irak endgültig zu verlassen.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die gegen den seinen Asylantrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. Jänner 1995 erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und ihm damit die Gewährung von Asyl versagt.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung damit, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft machen können, daß er im Irak aus den im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 angeführten Gründen verfolgt werde. Im einzelnen führte sie nach Darstellung des Berufungsvorbringens unter Verweis auf § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 aus, daß den Vorfällen anläßlich des Kurdenaufstandes im Jahr 1991 die asylrechtliche Relevanz fehle, weil diese Umstände nicht mehr in einem zeitlichen Zusammenhang zu der im Jahr 1994 erfolgten Flucht des Beschwerdeführers stünden. Der Beschwerdeführer habe selbst angegeben, daß er nach seiner Rückkehr in den Irak bis 1993 als Volksschullehrer unterrichtet und dabei keine Probleme gehabt habe. Die Rückkehr des Beschwerdeführers in den Irak belege zudem, daß er dort weder objektiv noch subjektiv Verfolgungshandlungen zu befürchten gehabt habe. Was die Vorfälle im Jahr 1994 gegen einen Gast seines Hauses betreffe, sei festzuhalten, daß nur solche Umstände Berücksichtigung finden könnten, die eine Person unmittelbar beträfen und daher Ereignisse gegen andere Personen nicht den gewünschten Verfahrensausgang bewirken könnten. Soweit dem Beschwerdeführer von den Verwandten seines zu Tode gekommenen Freundes Schuldvorwürfe gemacht würden, handle es sich dabei nicht um vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen. Überdies habe der Beschwerdeführer anläßlich seiner Einvernahme keine konkreten, ihn selbst betreffende Umstände auch nur behauptet, aus denen "die in der Genfer Konvention geforderte Furcht" rechtlich ableitbar wäre. Außerdem sei davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer im Nordirak vor allfälliger Verfolgung sicher gewesen sei. Im März 1991 sei von den Alliierten des Golfkrieges nördlich des 36. Breitengrades eine Sicherheitszone eingerichtet worden. Das dortige Gebiet der Kurden sei autonom und die Gefahr einer individuellen Verfolgung durch irakische Behörden ausgeschlossen. Es sei bis zuletzt lediglich zu einigen wenigen Verletzungen in der Sicherheitszone im Grenzbereich des 36. Breitengrades gekommen. Der Beschwerdeführer habe daher während seines Aufenthaltes im Nordirak keine asylrelevante Verfolgung zu befürchten gehabt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, daß die belangte Behörde die Aussagen des Beschwerdeführers nicht als unglaubwürdig eingestuft, sondern den Standpunkt vertreten hat, der Beschwerdeführer habe anläßlich seiner Einvernahme keine konkreten, ihn selbst betreffende Umstände behauptet, die geeignet wären, eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus den im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 angeführten Gründen glaubhaft zu machen. Damit geht die belangte Behörde allerdings am Kern der Aussage des Beschwerdeführers in erster Instanz vorbei, weil dieser ausdrücklich erklärt hatte, daß sein Haus Anfang August 1994 von Geheimdienstleuten umstellt worden sei, um ihn selbst (und nicht den damals bei ihm auf Besuch verweilenden Freund) zu verhaften. Der Beschwerdeführer hatte seine Aussage über ausdrückliche Befragung damit begründet, er habe festgestellt, daß nach dem Kurdenaufstand im Jahr 1991 immer wieder Personen vom Geheimdienst inhaftiert und vor Gericht gestellt worden seien. Einige Tage vor der Umstellung seines Hauses seien auch Bekannte in der näheren Umgebung verhaftet worden, wobei er selbst zuvor mehrmals verhört worden war. Bei diesen Verhören hätten die Behörden erheben wollen, ob er an dem Kurdenaufstand im Jahr 1991 aktiv teilgenommen habe. Wenn die belangte Behörde dazu ausführt, die Geschehnisse anläßlich des Kurdenaufstandes im Jahr 1991 seien nicht in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Flucht des Beschwerdeführers im Jahr 1994 zu sehen, zumal der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr in den Irak bis zum Jahr 1993 wieder als Lehrer habe arbeiten können, so steht diese Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers insoweit mit der hg. Judikatur in Einklang, derzufolge Umstände, die sich schon längere Zeit vor der Ausreise ereignet haben, nicht mehr beachtlich sind; die wohlbegründete Furcht muß vielmehr bis zur Ausreise andauern (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 16. September 1992, Zl. 92/01/0716). Jedoch können diese Vorgänge unter Berücksichtigung der allgemeinen politischen Verhältnisse im Irak und der Angaben des Beschwerdeführers, im Gefolge des Kurdenaufstandes seien immer wieder Leute wegen der vermuteten Teilnahme daran verhaftet und er selbst deshalb verhört worden, im vorliegenden Fall nicht außer Betracht bleiben. Insoweit die belangte Behörde die geschilderte Umstellung des Hauses des Beschwerdeführers einer isolierten und von der politischen Gesinnung des Beschwerdeführers völlig losgelösten Betrachtung unterzogen hat, hat sie es zum Nachteil des Beschwerdeführers verabsäumt, die von diesem geltend gemachten Beeinträchtigungen seiner Person einer Gesamtschau zu unterwerfen. Die Rückkehr des Beschwerdeführers ca. eineinhalb Monate nach dem Kurdenaufstand im März 1991 in den Irak, wo er dann in Kirkuk bis August 1994 gelebt hat, spricht zwar dafür, daß sich der Beschwerdeführer zunächst sicher fühlen konnte, jedoch hat sich die belangte Behörde im Sinne der vorangeführten Erwägungen nicht mit seinen Ausführungen auseinandergesetzt, wonach er bereits vor der Aktion des Geheimdienstes im August 1994 mehrmals wegen seiner allfälligen Teilnahme am Kurdenaufstand verhört und Bekannte von ihm deshalb verhaftet worden seien. Insbesondere hat die belangte Behörde nicht begründet, warum sich die Aktion des Geheimdienstes nicht gegen ihn, sondern ausschließlich gegen den nur zu Besuch im Hause des Beschwerdeführers aufhältigen Freund gerichtet haben soll, obwohl der Beschwerdeführer sich zur Flucht über die Dächer veranlaßt sah und ihm von Angehörigen seines Freundes vorgeworfen worden sei, daß sein Freund wegen seiner Flucht zu Tode gefoltert worden sei. Letztlich hat die belangte Behörde die Schilderungen der Flucht des Beschwerdeführers und den Tod seines Freundes, der ebenfalls Mitglied der PUK gewesen sei, nicht in Abrede gestellt, andererseits aber nicht schlüssig begründet, warum diese Umstände (unter der Annahme, daß er selbst verhaftet hätte werden sollen) nicht geeignet seien, eine wohlbegründete Furcht vor asylrechtlich relevanter Verfolgung durch die irakischen Behörden anzunehmen.

Allerdings hat die belangte Behörde zutreffend darauf verwiesen, daß die Verfolgungsgefahr (bzw. die wohlbegründete Furcht davor) im gesamten Gebiet des Heimatstaates des Asylwerbers bestanden haben muß (vgl. die Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. März 1993, Zl. 93/01/0079, und vom 27. Jänner 1994, Zl. 94/19/0934, uva.). Sie vertrat dazu die Auffassung, daß der Beschwerdeführer in der von den Alliierten des Golfkrieges 1991 eingerichteten Sicherheitszone nördlich des 36. Breitengrades eine inländische Fluchtalternative gefunden habe. In diesem Sinn hat bereits die Behörde I. Instanz darauf verwiesen, daß sich der Beschwerdeführer nach seinen Angaben mehrere Wochen in Arbil (das ist nördlich des 36. Breitengrades) bzw. zwei Tage in "Sacho" in der autonomen Kurdenzone aufgehalten habe, welche u. a. auch maßgeblich von der PUK verwaltet werde. Da der Beschwerdeführer in 1. Instanz als Grund für seine Flucht aus der Kurdenzone lediglich Vorwürfe der Verwandten seines getöteten Freundes angab, in der vorliegenden Beschwerde nur darauf verwies, daß "derzeit" eine türkische Militäroperation im Norden des Irak im Gange sei, worauf aber aufgrund des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbotes nicht einzugehen ist, kann die Auffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe in der autonomen Kurdenzone im Nordirak eine inländische Fluchtalternative gefunden, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Auf das Vorbringen im Berufungsverfahren, wonach viele "politische Morde" in der Kurdenzone auf die Tätigkeit des irakischen Geheimdienstes zurückzuführen und der Beschwerdeführer aus Furcht vor den irakischen Behörden aus der Kurdenzone geflüchtet sei, ist gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 nicht einzugehen. Der Berücksichtigung des Hinweises des Beschwerdeführers auf einen Zeitungsartikel vom 22. März 1995 steht einerseits das Neuerungsverbot, andererseits der Umstand entgegen, daß der erwähnte Zeitungsausschnitt die Situation im Nordirak betreffend der Beschwerde nicht angeschlossen war. Die zuletzt bekannt gewordenen Ereignisse im Nordirak (Kampfhandlungen unter Beteiligung irakischer Truppen in den dortigen Kurdengebieten) sind bei der nachprüfenden Kontrolle des im Februar 1995 erlassenen Bescheides der belangten Behörde durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zu berücksichtigen. Ergibt sich aus ihnen die Unzumutbarkeit der von der belangten Behörde angenommenen inländischen Fluchtalternative, so handelt es sich dabei um neue die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers betreffende Tatsachen, die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch ohne dazwischenliegende Rückkehr in den Heimatstaat geltend gemacht werden können (vgl. dazu das Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 94/19/0052).

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200150.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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