TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/28 L516 2242999-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.07.2021
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Entscheidungsdatum

28.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
AVG §18 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
ZustG §17
ZustG §9

Spruch


L516 2242999-2/4E

L516 2242999-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb XXXX , StA Pakistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU GmbH), gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.03.2021, Zahl XXXX (protokolliert zu L516 2242999-3), und vom 01.06.2021, Zahl XXXX (protokolliert zu L516 2242999-2), zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde vom 28.06.2021 gegen den Bescheid vom 01.06.2021, Zahl XXXX , wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 9 und § 17 ZustG iVm § 18 Abs 4 AVG aufgrund der erstmals rechtswirksam am 30.04.2021 erfolgten Zustellung des Bescheides vom 03.03.2021, Zahl XXXX , als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde vom 14.05.2021 gegen den Bescheid vom 03.03.2021, Zahl XXXX , wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1, § 8 Abs 1, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs 2 Z 2 und Abs 9 sowie § 46, § 55 und und § 18 Abs 1 Z 3 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und stellte am 11.07.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit Bescheid vom 03.03.2021 den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ (IV.) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, sprach (V.) aus, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Pakistan zulässig sei, erkannte (VI.) einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs 1 Z 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab und sprach (VII.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.

Mit Schriftsatz vom 14.05.2021 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Zustellung jenes Bescheides vom 03.03.2021, in eventu einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und er erhob gleichzeitig Beschwerde gegen den Bescheid vom 03.03.2021. Das BFA wies mit Bescheid vom 01.06.2021 (I.) den Antrag auf ordnungsgemäße Zustellung des Bescheides vom 03.03.2021 „gemäß § 6 ZustG iVm § 17 ZustG“ zurück, wies (II.) den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand „gemäß § 33 VwGVG“ ab und erkannte (III.) dem Antrag auf Widereinsetzung nicht die aufschiebende Wirkung zu.

Gegen diese beiden Bescheide vom 03.03.2021 und 01.06.2021 richten sich die vorliegenden Beschwerden vom 14.05.2021 bzw 28.06.2021. Die Bescheide werden zur Gänze angefochten.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]

1.1 Zum Bescheid vom 01.06.2021

1.1.1 Das BFA verfügte am 04.03.2021 die Zustellung des Bescheides vom 03.03.2021 über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz an jene Adresse in Wien, an welcher der Beschwerdeführer noch bis zum 15.03.2021 im Zentralen Melderegister mit Hauptwohnsitz gemeldet war. (AS 193; ZMR) Eine Verständigung über die Hinterlegung beim dafür zuständigen Zustellpostamt wurde in Abwesenheit des Beschwerdeführers am 11.03.2021 in der dortigen Abgabeeinrichtung eingelegt, der Beginn der Abholfrist wurde mit 12.03.2021 bestimmt. (AS 194)

1.1.2 Der Beschwerdeführer war jedoch bereits am 09.03.2021 aus der Unterkunft an jener Adresse in Wien ausgezogen und von Wien nach Vorarlberg in seine neue Unterkunft übersiedelt, in der er seit 15.03.2021 im ZMR mit Hauptwohnsitz gemeldet ist. (Schriftsatz 14.05.2021 (AS 227 ff); ZMR)

1.1.3 Der Beschwerdeführer bevollmächtigte am 29.04.2021 die ausgewiesene Rechtsvertreterin mit seiner Vertretung und am 30.04.2021 übermittelte das BFA der Vertreterin vereinbarungsgemäß per E-Mail eine Ausfertigung des Bescheides des BFA vom 03.03.2021 in Form eines elektronischen (pdf-)Dokumentes, welches mit einer Amtssignatur versehen ist. (AS 217; OZ 3). Eine vom Genehmigungsberechtigten unterschriebene Erledigung des Bescheides vom 03.03.2021 befindet sich im Verwaltungsverfahrensakt des BFA. (AS 127 bis 184)

1.2 Zum Bescheid vom 03.03.2021

1.2.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan, gehört der Volksgruppe der Punjabi sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht nicht fest. (NS EV 11.01.2021 S 3)

Er stammt aus dem Ort XXXX im Polizeiverwaltungsbezirk XXXX im Distrikt Gujranwala in der Provinz Punjab. Er besuchte sieben bis acht Jahre die Grundschule, lebte zwei Jahre in XXXX und machte dort bei einem Onkel eine Ausbildung zum Dachdecker, danach lebte er wieder in XXXX . In seinem Herkunftsort leben nach wie vor die Eltern, seine vier Brüder sowie eine Schwester. Sein Vater hat Asthma und Atemprobleme. In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Verwandten oder soziale Bindungen. (NS EB 12.07.2021 S 3; NS EV 11.01.2021 S 3 ff)

Der Beschwerdeführer reiste ungefähr 2015 oder 2016 aus Pakistan aus, lebte anschließend mehrere Jahre in Griechenland ehe er über weitere Länder im Juli 2020 in Österreich einreiste. (NS EB 12.07.2021 S 5; NS EV 11.01.2021 S 5)

1.2.2 Zu den Lebensverhältnissen in Österreich

Der Beschwerdeführer reiste im Juli 2020 in Österreich ein und stellte hier den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Ab seiner Antragstellung bis 07.10.2021 bezog der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde. Er hat keine Angehörigen in Österreich oder Europa. Er hat in Österreich pakistanische Freunde kennengelernt und wohnt bei diesen in einer Wohnung. (ZMR; IZR; GVS; NS EV 11.01.2021 S 3, 4)

Er ist strafrechtlich unbescholten. (ZMR; IZR; GVS Auszug; Strafregister der Republik Österreich)

1.2.3 Zum Gesundheitszustand

Der Beschwerdeführer ist gesund. (NS EV 11.01.2021 S 2)

1.2.4 Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz – zusammengefasst – vor:

Im Rahmen der Erstbefragung gem § 19 AsylG am 12.07.2020 brachte der Beschwerdeführer vor, er sei am 07.09.2004 geboren und habe im Alter von 13 Jahren den Entschluss zur Ausreise gefasst und sei nach einem Monat des Überlegens im Februar 2017 ausgereist und habe seit 2017 in Griechenland gelebt. Es sei in Griechenland nett gewesen, es habe ihm dort gut gefallen, doch es habe keine Arbeit gegeben, er wolle nicht nach Griechenland zurück, er wolle in Österreich arbeiten. Er habe seine Heimat verlassen, da sein Vater Asthma habe und schwer atmen könne, die Situation zu Hause sehr schlecht gewesen sei. Er sei nach der Schule arbeiten gewesen und er habe da auch Geld bekommen. Mit jenem Geld habe er für Zuhause die nötigen Lebensmittel gekaut. Das größte Problem sei die finanzielle Situation gewesen. Sie hätten ein einziges Haus gehabt, welches mittlerweile verkauft worden sei, um seine Schleppung zu zahlen. Zuletzt habe ihm sein Vater 300 Euro nach Bosnien geschickt. Er wolle hier in Österreich nur arbeiten, Geld verdienen und dieses seinen Eltern schicken. Bei einer Rückkehr nach Pakistan wisse er nicht, was er tun solle, es gebe dort keine Arbeit; er brauche zum Überleben Arbeit und dafür sei er hier. Er habe nie einen Reisepass oder sonstigen Identitätsnachweis gehabt. (NS EB 12.07.2020 S 1, 4, 6)

Am 30.07.2020 gab der Beschwerdeführer dem BFA bekannt, am 07.09.1997 geboren zu sein. (AS 60-62).

In der Einvernahme vor dem BFA am 11.01.2021 führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, er habe bei der Erstbefragung nicht wahre Angaben gemacht, damals habe ihm jemand gesagt, dass er dies angeben solle. Er habe damals eigentlich in ein anderes Land weiterreisen wollen, er sei zuvor in Griechenland gewesen und als er in Österreich gewesen sei, habe er bemerkt, dass hier das System anders sei. Österreich gefalle ihm und er habe sich entschieden, hier zu bleiben. Er habe nicht gewusst, dass man hier so eine Einvernahme habe. Er meine damit, er sei sich nicht bewusst gewesen, dass er eine Einvernahme mache. Er sei in Depression gewesen, als er hergekommen sei, habe sogar später noch sein Geburtsdatum korrigiert. Wegen den Depressionen sei er nicht beim Arzt gewesen. Er habe eine pakistanische Identitätskarte, die in Griechenland sei. Er suche um internationalen Schutz an, da die Familie seiner Freundin gegen ihre Beziehung sei. Ihre Familie sei sehr wohlhabend. In Griechenland sei es zu Handgreiflichkeiten mit Verwandten seiner Freundin gekommen, deshalb habe er Griechenland verlassen müssen. Er sei belästigt und mit dem Tod bedroht worden. Sein Freund in Griechenland habe ihm geraten, Griechenland zu verlassen und weiter zu fliehen. Nur jener Freund und die Familie des Beschwerdeführers würden wissen, dass der Beschwerdeführer in Österreich sei. In Pakistan sei er nicht bedroht worden. Er habe in Griechenland gearbeitet und Geld nach Pakistan geschickt. Die Familie seiner Freundin habe mitbekommen, dass er weiter im Kontakt mit seiner Freundin sei. Jene hätten dies über die sozialen Kontakte wie Facebook gemerkt. Deshalb sei er hierher geflüchtet, da er denke, dass er hier in Sicherheit sei. Ihm sei gesagt worden, dass er ermordet werde, wenn er nach Pakistan zurückkehre. Er habe nicht weiter diskutieren wollen, deshalb sei er nach Österreich geflüchtet. Er sei seit drei Jahren, seit Ende 2017 mit seiner Freundin zusammen. Er wisse nicht wirklich viel über deren Familie. Seine Freundin habe zwei oder drei Brüder und zwei Schwestern und die Familie sei sehr wohlhabend und wolle deshalb nicht, dass deren Tochter einen armen Mann heirate. Der Vater der Freundin habe einen LKW-Handel in Saudi-Arabien. Die Familie der Freundin wohne in der Ortschaft XXXX . Er habe seine Freundin über Facebook kennengelernt, er schreibe gerne Gedichte und es gebe eine Facebook-Gruppe. Über jene Gruppe habe die Freundin seine Gedichte gelesen und kommentiert, so seien sie ins Gespräch gekommen. Er habe seine Freundin noch nie getroffen, sie hätten nur telefonischen Kontakt. Er habe wahrscheinlich ein Foto in seinem Mobiltelefon, aber er müsste das Bild suchen, Er habe ja ein neues Mobiltelefon und es seien nicht alle Daten synchronisiert worden. Die Freundin habe einen Facebook-Account gemeinsam mit einer Freundin benutzt. Er habe aber öfters mit seiner Freudin telefoniert, aber er habe seit längerer Zeit keinen Kontakt mit ihr. Seine Freundin heiße XXXX , habe schwarze Haare, sei so groß wie er und nur vier bis fünf Jahre in die Schule gegangen, danach habe sie kein Interesse mehr an der Schule gehabt. Sie sei gläubig, das heiße, sie lese den Koran. Sie habe Katzenaugen. In Griechenland habe die Verfolgung Ende 2017 begonnen. Ende 2017 habe er mit seiner Freundin Kontakt aufgenommen. Als ihre Beziehung aufgedeckt worden sei, sei es zu Problemen gekommen. Am 05.01.2020 sei in Griechenland ein Anschlag auf ihn verübt worden. Es sei ein Anschlag mit Schlagstöcken gewesen, er sei an der Hand verletzt worden, es sei jedoch wieder verheilt. Als er seine Freundin kennengelernt habe, sei er bereits in Griechenland gewesen. Pakistan habe er verlassen, da es seinem Vater schlecht gegangen sei und er sich um seine Familie habe kümmern müssen. Er habe zwar nach Pakistan zurückkehren wollen, aber aufgrund der Vorkommnisse und der Bedrohung in Griechenland sei dies nicht möglich gewesen. (NS EV 11.01.2021 S 2, 3, 6, 7)

In der Beschwerde vom 14.05.2021 wurde das bereits vor dem BFA erstattete Vorbringen wiederholt und dazu zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer wegen einer Internetbeziehung, die in seiner Heimat ein Verstoß gegen islamische Traditionen sei und einer außerehelichen Beziehung gleichkomme, verfolgt werde und ihm die Ermordung durch die wohlhabende „und offenbar einflussreiche“ Familie seiner Freundin drohe, die ihn überall finden würde. Das BFA habe den Sachverhalt nicht ausreichend geklärt und kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und auch mangelhafte Ermittlungen hinsichtlich einer innerstaatlichen Fluchtalternative und der Rückkehr durchgeführt. Auch seien die Länderfeststellungen mangelhaft (Beschwerde 14.05.2021 S 9, 10, 14 (AS 243, 245, 253))

In der Beschwerdeergänzung vom 01.06.2021 wurde vorgebracht, dass die Familie der Freundin Verwandte des Mädchens beauftragt habe, den Beschwerdeführer in Griechenland aufzusuchen und ihn anzugreifen, nachdem die Freundin den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers habe bekannt geben müssen. Dies zeuge davon, dass auch dem Beschwerdeführer Verfolgung auch in Pakistan drohe. Dem Beschwerdeführer drohe auch aktuell eine Gefahr, da der Kontakt mit seiner Freundin noch aufrecht sei. Er wolle die Freundin heiraten, auch diese wolle ihn heiraten, weshalb er in Pakistan in Lebensgefahr sei. Von seiner Freundin habe deren Familie die Daten des Beschwerdeführers (Beschwerdeergänzung 01.06.2021 S 2 (AS 292))

1.2.5 Zur Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens und Gefährdung bei einer Rückkehr nach Pakistan

Das Vorbringen zu der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgung und Bedrohung ist nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorbringen damit nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr in seine Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Pakistan einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung von erheblicher Intensität ausgesetzt wäre.

1.2.6 Zur Lage in Pakistan

Politische Lage

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa. Die FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden. Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete von GilgitBaltistan und Azad Jammu & Kashmir, dem auf der pakistanischen Seite der Demarkationslinie (“Line of Control”) zwischen Indien und Pakistan liegenden Teil Kaschmirs. Beide Gebiete werden offiziell nicht zum pakistanischen Staatsgebiet gerechnet und sind in Teilen autonom. Das Hauptstadtterritorium Islamabad (“Islamabad Capital Territory”) bildet eine eigene Verwaltungseinheit (AA 1.2.2019a).

Sicherheitslage allgemein

Die Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus bleibt zentrales Problem für die innere Sicherheit des Landes (AA 1.2.2019a; vgl. USDOS 19.9.2018). Landesweit ist die Zahl der terroristischen Angriffe seit 2009, zurückgegangen (PIPS 7.1.2019; vgl. AA 21.8.2018, USDOS 19.9.2018). Konflikte mit dem Nachbarland Indien werden gelegentlich gewaltsam ausgetragen (EASO 10.2018 S 16).

Die Taliban und andere militante Gruppen verüben Anschläge insbesondere in Belutschistan und in Khyber-Pakhtunkhwa (AA 21.8.2018), aber auch in Großstädten wie Karatschi (AA 1.2.2019a). Über 90 % der terroristischen Anschläge sowie Todesopfer entfielen 2018 auf die zwei Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (PIPS 7.1.2019). Die Anschläge zielen vor allem auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, Medienvertreter, religiöse Minderheiten, Schiiten, sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Islam-Auslegung der Taliban folgen, wie die Sufis (AA 1.2.2019a).

Die Operationen der Rangers [siehe dazu Abschnitt 5] in Karatschi (ab 2013), Militäroperationen in Nord-Wasiristan und der Khyber Agency [Stammesbezirke der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, Anm.], sowie landesweite Anti-Terror-Operationen als Teil des National Action Plan (NAP) trugen dazu bei, den rückläufigen Trend bei der Zahl der Vorfälle und der Opfer auch 2018 aufrecht zu halten (PIPS 7.1.2019 S 20; vgl. EASO 10.2018 S 18). In den ehemaligen Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas – FATA) konnte das staatliche Gewaltmonopol überwiegend wiederhergestellt werden (AA 21.8.2018), die Militäraktionen gelten als abgeschlossen (Dawn 29.5.2018). Viele militante Gruppen, insbesondere die pakistanischen Taliban, zogen sich auf die afghanische Seite der Grenze zurück und agitieren von dort gegen den pakistanischen Staat (AA 21.8.2018).

Punjab und Islamabad

Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d). Islamabad, die Hauptstadt Pakistans, ist verwaltungstechnisch nicht Teil der Provinz Punjab, sondern ein Territorium unter Bundesverwaltung (ICTA o.D.). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).

Die Sicherheitslage in Islamabad ist besser als in anderen Regionen (EASO 10.2018 S 93). Die Sicherheitslage im Punjab gilt als gut (SAV 29.6.2018). Mehrere militante Gruppierungen, die in der Lage sind, Anschläge auszuüben, sind im Punjab aktiv (EASO 10.2018 S 63-64; vgl. SAV 29.6.2018). In großen Städten wie Lahore und Islamabad- XXXX gibt es gelegentlich Anschläge mit einer hohen Zahl von Opfern, durchgeführt von Gruppen wie den Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP), Al Qaeda oder deren Verbündeten (ACLED 7.2.2017); beispielsweise wurden bei einem Bombenanschlag durch die TTP-Splittergruppe Hizbul-Ahrar auf Polizeieinheiten vor einem Sufi-Schrein in Lahore am 8.5.2019 zehn Personen getötet. (Guardian 8.5.2019; vgl. Reuters 8.5.2019). Der Südpunjab gilt als die Region, in der die militanten Netzwerke und Extremisten am stärksten präsent sind (EASO 10.2018 S 63-64).

Für das erste Quartal 2019 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS für das Hauptstadtterritorium Islamabad keinen und für den Punjab zwei terroristische Angriffe mit zwei Toten (Aggregat aus: PIPS 6.2.2019. PIPS 7.3.2019, PIPS 10.4.2019). Im Jahr 2018 wurde von PIPS im Hauptstadtterritorium kein terroristischer Angriff gemeldet. Im Punjab gab es vier terroristische Anschläge mit 20 Todesopfern. Zwei davon waren Selbstmordsprengangriffe durch die pakistanischen Taliban (PIPS 7.1.2019 S 49). Im Jahr 2017 kamen im Punjab bei 14 Anschlägen 61 Personen ums Leben, davon fanden sechs Vorfälle mit 54 Toten in Lahore statt. Das Hauptstadtterritorium verzeichnete drei Anschläge mit zwei Todesopfern (PIPS 7.1.2018).


Polizei

Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte variiert von Bezirk zu Bezirk und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 13.3.2019). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen. Zum geringen Ansehen der Polizei tragen die extrem hohe Korruptionsanfälligkeit ebenso bei wie häufige unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam genommenen Personen. Illegaler Polizeigewahrsam und Misshandlungen gehen oft Hand in Hand, um den Druck auf die festgehaltene Person bzw. deren Angehörige zu erhöhen, durch Zahlung von Bestechungsgeldern eine zügige Freilassung zu erreichen, oder um ein Geständnis zu erpressen. Die Polizeikräfte sind oft in lokale Machtstrukturen eingebunden und dann nicht in der Lage, unparteiische Untersuchungen durchzuführen. So werden Strafanzeigen häufig gar nicht erst aufgenommen und Ermittlungen verschleppt (AA 21.8.2018).

Grundversorgung und Wirtschaft Blutfehden, Ehrverbrechen, erzwungene und unakzeptierte Heirat und andere schädliche traditionelle Praktiken

Blutrache ist vor allem im ländlichen Bereich Pakistans noch immer ein verbreitetes Phänomen. Auslöser für Blutfehden zwischen Familien sind Ehrverletzungen, die aus einem Mord eines Angehörigen, der Respektlosigkeit gegenüber einem weiblichen Familienmitglied, einer Beleidigung, Verletzung von Eigentumsrechten (Bewässerungskanäle, Land) etc. bestehen können. Das Konzept der Ehre (ghairat), das vor allem in der paschtunischen Bevölkerung Khyber-Pakhtunkhwas besonders stark ausgeprägt ist, verlangt es, eine Ehrverletzung zu rächen. Blutfehden führen oft dazu, dass Familien über Generationen miteinander verfeindet sind und in ständiger Angst davor leben, dass eines ihrer Familienmitglieder aus Rache getötet wird (ÖB 10.2018).

Das Gesetz zur Bekämpfung von frauenfeindlichen Praktiken („Prevention of Anti-Women Practices (Criminal Law Amendment) Act“) aus 2011 verbietet frauenfeindliche Taten, die im Namen traditioneller Praktiken begangen werden. In einigen Fällen werden Frauen Opfer unterschiedlicher Arten gesellschaftlich bedingter Gewalt, darunter sogenannte Ehrenmorde, Zwangsehen, Zwangskonvertierung, oder erzwungene Isolation. Frauen werden als Pfand benutzt, um Stammeskonflikte beizulegen (USDOS 13.3.2019). Opfer von

Ehrverbrechen sind hauptsächlich Frauen, allerdings sind auch Männer betroffen. Verbrechen in Namen der Ehre – nachdem Frauen beschuldigt wurden, Schande über die Familie gebracht zu haben – sind z.B. Mord, Säureangriffe oder Verstümmelungen (UKHO 2.2016).

Das 2011 erlassene Gesetz „Prevention of Antiwomen Practices (Criminal Law Amendment) Act“ stellt weitere schädliche Praktiken gegen Frauen unter Strafe: Die Gabe einer Frau zur Streitbeilegung, Vorenthalten eines Anspruchs auf Erbe oder Eigentum, erzwungene Eheschließung, sowie der Zwang oder die Erleichterung der „Verheiratung mit dem Koran“, i.e. ein Schwur auf den Koran, dass die Frau unverheiratet bleibt und ihr Erbe nicht beansprucht. Obwohl verboten, sind diese Praktiken in manchen Gegenden weiterhin verbreitet (USDOS 13.3.2019).

In den ehemaligen Stammesgebieten FATA hat sich ein auf dem Stammesrecht (z.B. Paschtunwali) basierendes paralleles Rechtssystem mit den im übrigen Staatsgebiet verbotenen „Jirga“-Gerichten der Stammesältesten erhalten. Es greift zur Lösung von Streitfällen auf eine zum Teil archaische, zum Teil an der Scharia orientierte Rechtspraxis zurück. Während sich männliche Angeklagte mit Geldleistungen der Verhängung schwerer Strafen entziehen können, werden Frauen bei Verstößen gegen den Sittenkodex hart bestraft. Auch sind Fälle bekannt, in denen stellvertretend für die Delinquenten weibliche Familienangehörige getötet oder in anderer Weise bestraft wurden. (AA 21.8.2018).

Wiewohl Männer und Frauen theoretisch von Ehrenmorden betroffen sein können, dürfte der Großteil der Fälle auf Frauen entfallen (ÖB 10.2018). Es wird geschätzt, dass jährlich bis zu 1.000 Frauen in Pakistan Ehrenmorden zum Opfer fallen (HRW 17.1.2019; vgl. USDOS 13.3.2019) und viele Fälle werden nicht gemeldet und geahndet. Den des „Ehrverbrechens“ beschuldigten Männern wird in vielen Fällen die Flucht erlaubt (USDOS 13.3.2019). Die hauptsächlichen Gründe für die Ehrenmorde waren 2015 familiäre Streitigkeiten, Vorwürfe einer unrechtmäßigen Beziehung und die eigene Wahl eines Ehepartners (HRCP 3.2016). Ehrenmorde kommen hauptsächlich in ländlichen Gebieten, allerdings auch in Städten, vor (UKHO 2.2016). Der Mord wird als Weg zur Wiederherstellung der Reputation und Ehre der Familie gesehen (AF 1.2015). Etwa drei Viertel der Morde werden dabei von der Familie der Frau verübt (ÖB 10.2018).


Der 2004 verabschiedete Honour Killing Act stellt „Ehrentötungen“ („Karo Kari“) als Mord unter Strafe. Mit dem erklärten Ziel der Reduzierung von Ehrenmorden verabschiedete das pakistanische Parlament am 6.10.2016 ein Änderungsgesetz zum Strafgesetzbuch und zur Strafprozessordnung (AA 21.8.2018). Eine wesentliche Neuerung ist die Abschaffung des Konzepts der Vergebung (diyat). Bis zur Einführung des Gesetzes konnte die Familie der Ermordeten dem Täter vergeben, was zur automatischen Straffreiheit des Täters führte und damit einer strafrechtlichen Verfolgung entgegenstand (ÖB 10.2018). Damit alleine ist jedoch keine grundlegende Verbesserung der Situation eingetreten. In etwa zwei Drittel der Fälle von Ehrenmorden, in denen es zu einer Strafverfolgung kommt, werden die Angeklagten frei gesprochen (AA 21.8.2018). Es obliegt dem Gericht, zu entscheiden, ob es sich um ein Ehrverbrechen handelt. In einigen Fällen im Jahr 2017 konnten Angeklagte vor Gericht andere Motive glaubwürdig machen und wurden aufgrund der Qisas- und Diyat-Regelungen begnadigt (AI 21.2.2018). Der Implementierung der Anti-Honour Killings Bill steht die große Bedeutung des informellen Justizwesens [vgl. Abschnitt 0] in vielen ländlichen und von Stammesstrukturen geprägten Teilen Pakistans entgegen (ÖB 10.2018).

Auch Opfer von Vergewaltigungen können, weil sie die Ehre der Familie verletzt haben, Opfer solcher Ehrverbrechen werden. Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen Frauen, die angeblich Kontakt zu

fremden Männern hatten, von ihren Ehemännern oder Brüdern getötet oder schwer verletzt wurden (AA 21.8.2018). Es gibt landesweit zahlreiche Säureangriffe auf Frauen und nur wenige Täter werden vor Gericht gestellt (USDOS 13.3.2019). Im Dezember 2011 verabschiedete das Parlament einstimmig den „Acid Crime Prevention Act“. Säureangriffe werden danach mit Haftstrafen von zehn Jahren bis lebenslänglich unter Strafe gestellt (AA 21.8.2018).

Zwangsheiraten sind nach pakistanischem Recht verboten, allerdings dennoch weit verbreitet – auch unter Minderheiten. Rechtliche Maßnahmen gegen Zwangsehen geschehen jedoch relativ selten, v.a. da diese als Verstoß gegen die Kultur wahrgenommen werden (ÖB 10.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Das Phänomen der Zwangsverheiratung trifft Frauen weit stärker als Männer, da sie nur wenige Möglichkeiten haben, sich gegen solche Entscheidungen zu wehren (AA 21.8.2018).

Besonders in Punjab und Khyber Pakhtunkhwa ist es verbreitet, zur Beendigung von Blutfehden eine junge Frau (oft Mädchen unter 18 Jahren) als Blutzoll an eine verfeindete Familie zu übergeben. Die Zwangsverheiratung des Mädchens kann dabei nicht nur als Sühne für einen erfolgten Mord, sondern auch für andere Ehrverletzungen, die von dessen Vater, Bruder oder Onkel begangen wurden, erfolgen. Der Criminal Law (Third Amendment) Act 2011 stellt die Praxis des badla-e-sulh, wanni oder swara (Gabe eines Mädchens/einer Frau zur Beilegung von Streitigkeiten) unter Strafe (von bis zu sieben Jahren); auch Zwangsverheiratung ist darin mit bis zu sieben Jahren Freiheitsstrafe bedroht. Trotz des Verbots ist die Praxis noch immer weit verbreitet: Es fehlen offizielle Statistiken, laut der NGO CAMP dürften aber 20% aller Fälle von Gewalt gegen Frauen auf swara/wanni zurückzuführen sein (ÖB 10.2018).

Sogenannte „verbotene“ Eheschließungen (d.h. gegen den Willen der Eltern - „socially unacceptable/love marriages“) sind gemäß pakistanischer Rechtsordnung gültig, auch Frauen können grundsätzlich ohne Einwilligung der Eltern heiraten. Eltern aus der gebildeten städtischen Mittel- und Oberschicht erscheinen eher gewillt, die eigene Wahl der Kinder zu akzeptieren. Arrangierte Ehen, die allerdings nicht mit Zwangsehen gleichzusetzen sind, sind besonders in ländlichen Gebieten sowie innerhalb der unteren Mittelschicht sowie der Arbeiter- und Bauernklasse nach wie vor üblich. Als Problem könnte sich bei „socially unacceptable/love marriages“ allerdings die Anwendung der Hudood Ordinances wegen Unzucht erweisen, wobei die Polizei hier häufig nicht auf den Schutz der Betroffenen, sondern vielmehr auf deren Verfolgung bedacht ist (ÖB 10.2018).

Die im Extremfall auf eine „verbotene“ Eheschließung folgenden Ermordungen der Eheleute, zumindest der Frauen, durch Familienmitglieder aufgrund der durch die Heirat erlittenen Ehrverletzung ziehen zwar ein besonderes Medienecho auf sich, sind jedoch landesweit nicht die Norm (ÖB 10.2018). Es existieren in Pakistan keine Institutionen, die vom Staat dezidiert zum Schutz von Eheleuten einer „socially unacceptable/love marriage“ eingerichtet wurden. Es gibt allerdings eine Reihe von NGOs, die sich vor allem um das Wohl der betroffenen Frauen kümmern (siehe Liste unten), sowie staatliche Einrichtungen wie Crisis Center for Women in Distress und Shaheed Benazir Bhutto Centers for Women, die jeweils einer kurzfristigen Erstbetreuung dienen, wie auch rund 200 Frauenhäuser (Dar-ul-Aman)

Pakistans Wirtschaft hat wegen einer günstigen geographischen Lage, Ressourcenreichtum, niedrigen Lohnkosten, einer jungen Bevölkerung und einer wachsenden Mittelschicht Wachstumspotenzial. Dieses Potenzial ist jedoch aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, periodisch wiederkehrender makroökonomischer sowie politischer Instabilität und schwacher institutioneller Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Als größte Wachstumshemmnisse gelten Korruption, ineffiziente Bürokratie, ein unsicheres regulatorisches Umfeld, eine trotz Verbesserungen in den letzten Jahren relativ teure bzw. unzureichende Energieversorgung und eine – trotz erheblicher Verbesserung seit 2014 – teils fragile Sicherheitslage (AA 5.3.2019).

Der wichtigste Wirtschaftssektor in Pakistan ist der Dienstleistungssektor (Beitrag zum BIP 59 %; der Sektor umfasst u. a. auch den überproportional großen öffentlichen Verwaltungsapparat). Auch der Industriesektor ist von Bedeutung (Beitrag zum BIP 21 %). Der bei weitem wichtigste Exportsektor ist die Textilbranche. Einen dem Industriesektor vergleichbaren Beitrag zum BIP (20 %) leistet die Landwirtschaft, in der jedoch 42 % der arbeitenden Bevölkerung tätig ist. Etwa 60 % der ländlichen Bevölkerung hängen direkt oder indirekt vom landwirtschaftlichen Sektor ab. Die Provinz Punjab gehört unter anderem bei Getreideanbau und Viehzucht zu den weltweit größten Produzenten (AA 5.3.2019; vgl. GIZ 2.2019a).

Die pakistanische Wirtschaft wächst bereits seit Jahren mit mehr als vier Prozent. Für 2018 gibt der Internationale Währungsfonds (IWF) sogar ein Plus von 5,6 Prozent an. Das Staatsbudget hat sich stabilisiert und die Börse in Karatschi hat in den vergangenen Jahren einen Aufschwung erlebt. Erreicht wurde dies durch einschneidende Reformen, teilweise unterstützt durch den IWF. In der Vergangenheit konnte Pakistan über die Jahrzehnte hinweg jedoch weder ein solides Wachstum halten noch die Wirtschaft entsprechend diversifizieren. Dies kombiniert mit anderen sozioökonomischen und politischen Faktoren führte dazu, dass immer noch etwa ein Drittel der pakistanischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt (GIZ 2.2019a).

Das Programm Tameer-e-Pakistan soll Personen bei der Arbeitssuche unterstützen (IOM 2018). Das Kamyab Jawan Programme, eine Kooperation des Jugendprogrammes des Premierministers und der Small and Medium Enterprises Development Authority (SMEDA), soll durch Bildungsprogramme für junge Menschen im Alter zwischen 15 und 29 die Anstellungsmöglichkeiten verbessern (Dawn 11.2.2019).

Sozialbeihilfen

Der staatliche Wohlfahrtsverband überprüft an Hand spezifischer Kriterien, ob eine Person für den Eintritt in das Sozialversicherungssystem geeignet ist. Die Sozialversicherung ist mit einer Beschäftigung im privaten oder öffentlichen Sektor verknüpft (IOM 2018). Das Benazir Income Support Program und das Pakistan Bait-ul-Mal vergeben ebenfalls Unterstützungsleistungen (USSSA 3.2017).

Pakistan Bait-ul-Mal ist eine autonome Behörde, die Finanzierungsunterstützung an Notleidende, Witwen, Waisen, Invalide, Kranke und andere Bedürftige vergibt. Eine Fokussierung liegt auf Rehabilitation, Bildungsunterstützung, Unterkunft und Verpflegung für Bedürftige, medizinische Versorgung für mittellose kranke Menschen, der Aufbau kostenloser medizinischer Einrichtungen, Berufsweiterbildung sowie die finanzielle Unterstützung für den Aufbau von selbständigen Unternehmen (PBM o.D).

Das Benazir Income Support Programme zielt auf verarmte Haushalte insbesondere in abgelegenen Regionen ab. Durch Vergabe von zinsfreien Krediten an Frauen zur Unternehmensgründung, freie Berufsausbildung, Versicherungen zur Kompensation des Verdienstausfalles bei Tod oder Krankheit des Haupternährers und Kinderunterstützungsgeld sollen insbesondere Frauen sozial und ökonomisch ermächtigt werden (ILO 2017).

Die Edhi Foundation ist die größte Wohlfahrtstiftung Pakistans. Sie gewährt u.a. Unterkunft für Waisen und Behinderte, eine kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, sowie Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe, Dienstleistungen für Behinderte sowie Hilfsmaßnahmen für die Opfer von Naturkatastrophen (Edih o.D.).

Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Distrikten der vier Provinzen – inklusive Azad Jammu und Kaschmir – aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden (NRSP o.D).

Medizinische Versorgung

In Islamabad und Karatschi ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem hohen Niveau und damit auch teuer (AA 13.3.2019). In modernen Krankenhäusern in den Großstädten konnte – unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit – eine Behandlungsmöglichkeit für die am weitesten verbreiteten Krankheiten festgestellt werden. Auch die meisten Medikamente, wie z. B. Insulin, können in den Apotheken in ausreichender Menge und Qualität erworben werden und sind für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich (AA 21.8.2018).

In staatlichen Krankenhäusern, die i.d.R. europäische Standards nicht erreichen, kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z.B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen (AA 21.8.2018).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährleistet die Bewegungsfreiheit im Land sowie uneingeschränkte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung (USDOS 13.3.2019). Die Regierung schränkt den Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistan aufgrund von Sicherheitsbedenken ein (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 1.2019, HRCP 3.2019). Es gibt einzelne rechtliche Einschränkungen, Wohnort, Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu wechseln (FH 1.2019).

Dokumente

Pakistan verfügt über eines der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). NADRA ist für die Ausstellung unterschiedlicher Ausweisdokumente zuständig (NADRA o.D.). Über 96 % der Bürgerinnen und Bürger Pakistans verfügen über biometrische Personalausweise (PI 1.2019). Die National Identity Card (NIC) wird für Staatsbürger über 18 Jahre ausgestellt und ist mit einer einzigartigen 13-stelligen Personennummer versehen (NADRA o.D.). Die 2012 eingeführte Smart National Identity Cart (SNIC) hat auf einem Chip zahlreiche biometrische Merkmale gespeichert und soll bis 2020 die älteren Versionen der NIC vollständig ersetzen (PI 1.2019). Eine SNIC wird benötigt, um beispielsweise Führerschein oder Reisepass zu beantragen, ein Bankkonto zu eröffnen und eine SIM-Karte oder Breitbandinternet zu erhalten (PI 1.2019; vgl. NADRA o.D.).

Weitere durch NADRA ausgestellte Dokumente sind die Pakistan Origin Card (POC) für ausländische Staatsbürger, die früher pakistanische Staatsangehörige waren bzw. deren Eltern oder Großeltern pakistanische Staatsbürger sind oder waren; National Identity Card for Overseas Pakistanis (NICOP) für Pakistani im Ausland, Emigranten oder Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft; Child Registration Certificates (CRC) für alle Personen unter 18 Jahren (NADRA o.D.).

Dokumentenfälschungen sind in Pakistan ein weit verbreitetes Phänomen, v.a. von manuell angefertigten Dokumenten (ÖB 10.2018). Angesichts weit verbreiteter Korruption und des unzureichenden Zustands des Zivilstandswesens ist es einfach, fiktive oder verfälschte Standesfälle (Geburt, Tod, Eheschließung) in ein echtes Personenstandsregister eintragen zu lassen und auf der Basis dieser Eintragung formal echte Urkunden ausgestellt zu bekommen. Merkmale auf modernen Personenstandsurkunden und Reisepässen zur Erhöhung der Fälschungssicherheit können bereits bei der Dateneingabe durch korruptionsanfällige Verwaltungsbeamte mühelos unterlaufen werden (AA 21.8.2018; vgl. ÖB 10.2018).

Weit verbreitet sind außerdem gefälschte akademische Diplome, Bankunterlagen, Übereinkünfte, Referenzen und Eigentumsnachweise (IRB 14.1.2015; vgl. ÖB 10.2018). Es ist problemlos möglich, ein (Schein-) Strafverfahren gegen sich selbst in Gang zu bringen, in dem die vorgelegten Unterlagen (z.B. „First Information Report“ oder Haftverschonungsbeschluss) formal echt sind. Auch ist es möglich, religiöse Fatwen gegen sich selbst fälschen oder erstellen zu lassen bzw. Zeitungsartikel, in denen eine Verfolgungssituation geschildert wird, gegen Bezahlung oder dank Beziehungen veröffentlichen zu lassen. Die Ausführungen und Erklärungen zu einer geltend gemachten Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen halten einer Nachforschung vor Ort häufig nicht stand (AA 21.8.2018).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Zur aktuell vorherrschenden Pandemie aufgrund des Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2)

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 Menschen im Alter von über 60 Jahren sowie Menschen mit Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

(Beweisquelle: www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/; www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html; www.oesterreich.gv.at/)

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf die Verwaltungsverfahrensakten des BFA und den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.

2.1 Zum Bescheid vom 01.06.2021

2.1.1 Die Feststellungen zu der (versuchte) Zustellung des Bescheides des BFA vom 03.03.2021 durch die getroffene Verfügung vom 04.03.2021 sowie der anschließenden Hinterlegung an der Adresse der vormaligen Unterkunft des Beschwerdeführers mit Beginn der Abholfrist am 12.03.2021 ergeben sich aus den diesbezüglich im Verwaltungsverfahrensakt befindlichen Aktenstücken (Zustellverfügung, Zustellschein) und dem ZMR.

2.1.2 Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bereits am 09.03.2021 von Wien nach Vorarlberg in eine neue Unterkunft gezogen ist, war entgegen der Ansicht des BFA nach den folgenden Erwägungen zu treffen:

Das BFA hielt es für „nicht nachvollziehbar“, weshalb der Beschwerdeführer bereits seit 09.03.2021 in XXXX in Vorarlberg gewohnt, sich aber erst am 15.03.2021 dort angemeldet hätte. Das BFA legt jedoch nicht dar, weshalb es das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers für nicht nachvollziehbar hält, sodass sich die Begründung des BFA zur Unglaubhaftigkeit des Beschwerdeführers als nicht ausreichend tragfähig erweist, zumal der Beschwerdeführer dazu vom BFA auch nicht befragt oder zur Vorlage von Beweismitteln aufgefordert worden war.

Der Beschwerdeführer hat in seinem Antrag auf Zustellung vom 14.05.2021 den Hergang der Ereignisse zu seiner Übersiedelung von Wien nach Vorarlberg näher geschildert und dabei auch dargelegt, wie er noch am 13. oder 14.03.2021 von seinem früheren Vermieter über eine Hinterlegungsanzeige informiert wurde. Er hat dazu mit der Beschwerde vom 28.06.2021 ein mittels Screenshot erstelltes Foto der Verständigung über die Hinterlegung vom 11.03.2021 übermittelt; jener Screenshot wurde am 13.03.2021 erstellt und stützt das Vorbringen des Beschwerdeführers dazu, wie er von der Verständigung informiert wurde.


Der Beschwerdeführer änderte seinen Hauptwohnsitz im ZMR am 15.03.2021. Beim 15.03.2021 handelt es sich um einen Montag und der Umzug erfolgte von Wien nach Vorarlberg, sodass bei Berücksichtigung dieser Entfernung typischerweise Umzüge zwischen zwei Bundesländern mehrere Tage in Anspruch nehmen können. Der Beschwerdeführer hat in seiner Beschwerde vom 14.05.2021 auch dargelegt, dass eine Anmeldung zudem erst am 15.03.2021 möglich gewesen sei, da er für die Möglichkeit zur Anmeldung erst auf die Unterschrift des Vermieters habe warten müssen und bei einem Umzug viel zu organisieren (gewesen) sei (Beschwerde 28.06.2021 S 5, 7), was sich beides als realitätsnah und somit als glaubhaft erweist. Selbst der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass es – insbesondere in Zusammenhang mit Asylwerbern – typischerweise einige Tage dauern kann, bis der Inhalt der zu erstattenden Mitteilung, nämlich die Bekanntgabe einer neuen Abgabestelle oder des vorläufig ersatzlosen Verlustes der bisherigen, feststeht. (vgl VwGH 25.05.2020, Ra 2018/19/0708).

Aufgrund der soeben dargestellten Erwägungen waren die Feststellungen zu treffen, dass der Beschwerdeführer bereits am 09.03.2021 aus der Unterkunft an jener Adresse in Wien ausgezogen und von Wien nach Vorarlberg in seine neue Unterkunft übersiedelt ist.

2.1.3 Die Bevollmächtigung zur Vertretung des Beschwerdeführers mit 29.04.2021 ergibt sich aus der im Verwaltungsverfahrensakt einliegenden Kopie der Urkunde (AS 283). Die Feststellung zur Übermittlung einer Ausfertigung des Bescheides des BFA vom 03.03.2021 in Form eines elektronischen (pdf-)Dokumentes, welches mit einer Amtssignatur versehen ist, an die Vertreterin durch das BFA per E-Mail am 30.04.2021, war zu treffen, nachdem die Vertreterin dem Bundesverwaltungsgericht jene E-Mail des BFA am 23.07.2021 weiterleitete, welches auch den Bescheid vom 03.03.2021 als elektronisches und amtssigniertes Dokument enthielt. (AS 217; OZ 3) Die vom Genehmigungsberechtigten unterschriebene Erledigung des Bescheides vom 03.03.2021 befindet sich im Verwaltungsverfahrensakt des BFA. (AS 127 bis 184)

2.2 Zum Bescheid vom 03.03.2021

2.2.1 Zur Person des Beschwerdeführers und den Lebensverhältnissen in Pakistan (oben 1.2.1)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, die er im Zuge des Verfahrens vor dem öffentlichen Sicherheitsdienst und dem BFA gemacht hat, waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Mangels Vorlage von Identitätsdokumenten im Original konnte seine Identität jedoch nicht abschließend festgestellt werden.

Seine Ausführungen zu seiner Schulbildung, seiner Berufstätigkeit, sowie zu seinen Familienangehörigen in Pakistan und zu seiner Ausreise und Reisebewegung vor dem BFA waren kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte.

Die Feststellungen zu seiner Ausreise aus Pakistan, seiner Reiseroute und seiner Einreise nach Österreich beruhen auf seinen Angaben im Verfahren, welche insofern stringent waren und keine Anhaltspunkte für die Annahme boten, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich falsche Angaben gemacht hätte.

2.2.2 Zu seinen Lebensverhältnissen in Österreich (oben 1.2.2)

Die Feststellungen zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Österreich und zu seiner aktuellen Lebenssituation beruhen auf den Auszügen aus von österreichischen Behörden geführten Datenregistern. (Zentrales Melderegister (ZMR), Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (GVS) und Strafregister der Republik Österreich (SA); OZ 2), sowie auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren.

2.2.3 Zum Gesundheitszustand (oben 1.2.3)

Der Beschwerdeführer gab in der Einvernahme vor dem BFA am 11.01.2021 selbst an, gesund zu sein, nur Kopfschmerzen zu haben, aber keine Medikamente zu nehmen.

2.2.4 Zum Vorbringen und zur mangelnden Gefährdung im Falle der Rückkehr (oben 1.2.4 - 1.2.5)

Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen beruhen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Befragungen durch den öffentlichen Sicherheitsdienst, den Einvernahmen vor dem BFA und auf der Beschwerde sowie der Beschwerdeergänzung.

Die Feststellungen dazu, dass der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen nicht glaubhaft gemacht hat und es sich auch sonst nicht ergibt, dass er im Falle einer Rückkehr in seine Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Pakistan einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung von erheblicher Intensität ausgesetzt wäre, waren aus den folgenden Gründen zu treffen:

Der Beschwerdeführer begründete seinen Antrag ab der Einvernahme vor dem BFA am 11.01.2021 – zusammengefasst – damit, dass er nach seiner Ausreise aus Pakistan im Jahr 2015 oder 2016 während seines Aufenthaltes in Griechenland im Jahr 2017 über Facebook seine pakistanische Freundin kennengelernt habe und wegen dieser unerlaubten Beziehung von deren Familie bedroht und verfolgt werde. (im Detail siehe oben 1.2.4)

Das BFA erachtete dieses Vorbringen im angefochtenen Bescheid im Rahmen der Beweiswürdigung als unglaubhaft.

2.2.4.1 So verwies das BFA zunächst darauf, dass der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung ein jüngeres Alter vorgetäuscht habe. Tatsächlich machte sich der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung um sieben Jahre jünger, womit er zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährig gewesen wäre. Dem wurde in der Beschwerde nicht widersprochen.

2.2.4.2 Das BFA führte auch aus, dass der vom Beschwerdeführer bei der Erstbefragung genannte Fluchtgrund – zu arbeiten und Geld zu verdienen – sich in keiner Weise mit den in der niederschriftlichen Einvernahme vorgebrachten Fluchtvorbringen decke, der Beschwerdeführer. (Bescheid 03.03.2021 S 37). Soweit die Beschwerde dazu zutreffend auf die Rechtsprechung zum Verbot der näheren Befragung zu den Fluchtgründen bei der Erstbefragung verweist (Beschwerde 14.05.2021 S 19), ist es nach der zur Erstbefragung ergangenen Rechtsprechung aber auch nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen. (zB VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429). Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer bei der Einvernahme vor dem BFA vorgebracht, bei der Erstbefragung – wo er gegen eine Rückkehr nach Pakistan ausschließlich eine fehlende Arbeit anführte (NS EB 12.07.2021 S 6) – nicht die Wahrheit gesagt zu haben. (NS EV 11.01.2021 S 3) Seine Erklärung für ein solches Verhalten bei der Erstbefragung, bei der nachfolgenden Einvernahme vor dem BFA – „jemand“ habe ihm gesagt, er solle dies angeben und er habe damals eigentlich in ein anderes Land ziehen wollen – ist jedoch nicht schlüssig, da er auch bei Offenlegung seiner wahren Antragsgründe nicht in Österreich bleiben hätte müssen, sodass der diesbezüglichen Bewertung des BFA des Aussageverhaltens des Beschwerdeführers nicht entgegengetreten werden kann.


2.2.4.3 Das BFA verwies des Weiteren darauf, dass der Beschwerdeführer keine Details betreffend die Familie der von ihm vorgebrachten Freundin habe nennen können (Bescheid 03.03.2021 S 38). Die Beschwerde trat dem nicht entgegen und es wurde auch nicht die Gelegenheit genutzt, in der Beschwerde detailliertere Angaben dazu zu machen, was jedoch zu erwarten gewesen wäre, zumal der Beschwerdeführer vorbrachte, mit jenem Mädchen seit Ende 2017 und damit seit über drei Jahren eine Beziehung zu führen.

2.2.4.4 Das BFA warf dem Beschwerdeführer im Rahmen der Beweiswürdigung zudem vor, dass dieser in keiner Weise in der Lage gewesen sei, die vermeintlichen Bedrohungen und Misshandlungen, die zu seiner vermeintlichen Flucht geführt haben sollen, im Detail und lebensnahe zu schildern. Der Beschwerdeführer habe jedwede Emotion anlässlich seines Berichts vermissen lassen. Der Beschwerdeführer habe weder „konkrete Interaktionen, Gesprächsinhalte, Beschreibungen der Geschehnisse, der Tatvorgänge noch auch nur annähernd eine Schilderung seiner inneren Gedankenwelt“ angegeben. Das BFA führte aus, dass von einer Normperson erwartet werden könne, dass diese eine Schilderung von derart dramatischen Ereignissen, wesentlich detailreicher, „unter Angaben von Interaktionen, Gesprächen, Handlungen, etc. und auch anscheinenden Nebensächlichkeiten“ geben könne. (Bescheid 03.03.2021 S 38/39)

Die Beschwerde bringt vor, der Beschwerdeführer habe auf alle Fragen nachvollziehbar geantwortet und könne als rechtsunkundige und sprachunkundige nicht wissen, was für einen Antrag auf internationalen Schutz relevant sei und was nicht. Das BFA hätte allenfalls weitere Fragen stellen müssen (Beschwerde 14.05.2021 S 11). Insofern die Beschwerde auf diese Weise ausführt, das BFA sei seiner Ermittlungstätigkeit nicht ausreichend nachgekommen und es seien ihm Verfahrensfehler unterlaufen, so ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Behauptung nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreichend ist, ohne auch die Relevanz der genannten Verfahrensmängel in konkreter Weise darzulegen (VwGH 23.02.2016, Ra 2016/01/0012). Der Beschwerdeführer hatte in der Einvernahme vor dem BFA am 11.01.2021 zu der von ihm vorgebrachten Verfolgung und Bedrohung zunächst lediglich angegeben, dass es in Griechenland „zu Handgreiflichkeiten“ gekommen sei, er „belästigt und mit dem Tod bedroht“ worden sei. Das BFA forderte den Beschwerdeführer in der Einvernahme anschließend auf, über die Bedrohung „in Pakistan“ zu erzählen, woraufhin der Beschwerdeführer zunächst zwar darauf verwies, dass er in Pakistan nicht bedroht worden sei; er unterließ es jedoch in weiterer Folge aus eigenem Antrieb über die konkrete Bedrohung in Griechenland zu erzählen, was wohl zu erwarten gewesen wäre, hätte es eine derartige Bedrohung tatsächlich gegeben. (s NS EV 11.01.2021 S 5) Dazu vom BFA im weiteren Verlauf der Einvernahme dazu befragt, ob er in Pakistan oder in Griechenland persönlich verfolgt worden sei, gab der Beschwerdeführer an, dass es in Griechenland zu „Problemen“ gekommen sei, am „05.01.2020 ein Anschlag in Griechenland“ auf ihn verübt worden sei. (NS EV 11.01.2021 S 6) Auch hier äußerte sich der Beschwerdeführer nicht näher dazu, was ihm konkret passiert wäre. Das BFA forderte den Beschwerdeführer schließlich noch einmal konkret auf, mehr über den von ihm vorgebrachten Anschlag in Griechenland zu erzählen, worauf der Beschwerdeführer antwortete: „Ich war ja dort illegal. Wenn ich zur Polizei gegangen wäre, hätte ich wegen meines illegalen Aufenthaltes eine sechsmonatige Haftstrafe erhalten.“ Noch einmal vom BFA befragt, was das für ein Anschlag gewesen sei, ob eine Bombe oder mit Schusswaffen, gab der Beschwerdeführer an, dass es sein Anschlag mit Schlagstöcken gewesen sei; er sei an der Hand verletzt worden, es sei jedoch wieder verheilt. (NS EV 11.01.2021 S 6).

Die auf Asylverfahren spezialisierte und mit der gesetzlich vorgesehenen Rechtsberatung und Rechtsvertretung vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht betraute Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers unterlässt es in der Beschwerde trotz der hier zuvor dargestellten beweiswürdigenden Ausführungen des BFA über die detailarmen Schilderungen des Beschwerdeführers zu den vorgebrachten Bedrohungen und Misshandlungen, darzulegen, was denn der Beschwerdeführer noch detaillierter zu den angegebenen Bedrohungen und Misshandlungen vorbringen hätte können, zumal er entgegen dem in der Beschwerde pauschal erhobenen Vorwurf der mangelnden Befragung bereits in der Einvernahme am 11.01.2021 vom BFA dazu konkret befragt wurde, er aber weder darauf noch aus eigenem Antrieb ausführlicher antwortete oder die Tathandlungen und Ereignisse näher beschrieb. Die Beschwerde unterließ es vielmehr, zum bisherigen Vorbringen des Beschwerdeführers individuelle, nähere und präzisere Angaben zu machen oder die soeben dargestellten beweiswürdigenden Ausführungen des BFA substantiiert zu bekämpfen. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich tatsächlich kein verfahrensrelevantes Vorbringen mehr zu erstatten hat, andernfalls dies wohl spätestens in der Beschwerde erstattet worden wäre, sowie dass sowohl das Ermittlungsverfahren vom BFA im vorliegenden Fall insofern ausreichend korrekt durchgeführt als auch der entscheidungsrelevante Sachverhalt vollständig erhoben wurde.

Zu den Sachverhaltsangaben in der Beschwerde verweist diese im Wesentlichen auf das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers und wiederholt dieses in der Beschwerde in wenigen Sätzen. Die bloße Wiederholung eines bestimmten Tatsachenvorbringens in der Beschwerde stellt jedoch weder ein substantiiertes Bestreiten der behördlichen Beweiswürdigung noch eine relevante Neuerung dar. (VwGH 20.10.2015, Ra 2015/18/0056)

Das Vorbringen des Asylwerbers muss nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. (VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009) Diese Voraussetzung ist im vorliegend Fall aus den dargelegten Gründen nicht gegeben.

Mit den Beschwerdeausführungen ist es nicht gelungen, die Begründung des BFA in entscheidungswesentlichen Punkten zu entkräften. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich daher den beweiswürdigenden Argumenten des BFA – im hier dargestellten Umfang – an, welche von diesem in schlüssiger, vertretbarer sowie vom Beschwerdeführer unentkräftet gebliebener Weise dargelegt wurden. Angesichts dieser Erwägungen gelangte das Bundesverwaltungsgericht ebenso wie bereits das BFA zur Überzeugung, dass der Beschwerdeführer keine Verfolgungsgefahr glaubhaft vorgebracht hat.

Zur allgemeinen Lage in Pakistan ist auszuführen, dass fallbezogen der Beschwerdeführer aus keiner der regionalen Problemzonen, sondern aus der östlichen Provinz Punjab stammt. Auf Grundlage der vom BFA im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen (siehe oben 1.2.6) kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht von einer solchen extremen Gefährdungslage in Pakistan und insbesondere in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers gesprochen werden, dass gleichsam jede Person, die sich dort aufhält oder dorthin zurückkehrt, einer unmittelbaren Gefährdung ausgesetzt ist. Ebenso kann auf Grundlage dieser Feststellungen die Deckung der existentiellen Grundbedürfnisse als zumutbar angenommen werden. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt an, dass das Leben in Pakistan teilweise von Korruption geprägt ist und eine wirtschaftlich und sozial durchaus schwierige Situation besteht, in der sich die Beschaffung der Mittel zum Lebensunterhalt auch als schwieriger darstellen könnte als in Österreich, zumal auch die Arbeitsplatzchancen als nicht befriedigend bezeichnet werden können. Es geht jedoch aus den Länderfeststellungen keinesfalls hervor, dass die Lage für alle Personen ohne Hinzutreten von besonderen Umständen dergestalt wäre, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre. Es ist somit auch aus diesem Umstand keine unmittelbare persönliche Existenzbedrohung des Beschwerdeführers in Pakistan ersichtlich, zumal er auch noch relativ jung und arbeitsfähig ist.


Vor dem Hintergrund der hier insgesamt getroffenen Ausführungen hat der Beschwerdeführer somit nicht glaubhaft dargelegt, dass er vor seiner Ausreise aus seiner Heimat in dieser einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin einer solchen ausgesetzt wäre.

2.2.5 Zur Lage in Pakistan (oben 1.2.6)

Die Feststellungen zur Lage in Pakistan ergeben sich aus den Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides und beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Pakistan Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes und des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von ACCORD, Amnesty international, Human Rights Watch, oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Schlüssigkeit der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Die Feststellungen betreffend die Lage zur Pandemie aufgrund des Coronavirus basieren auf den Informationen der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, des Sozialministeriums und der Weltgesundheitsorganisation.

In der Beschwerde wurde den von der Behörde herangezogenen Länderfeststellungen nicht substantiiert entgegengetreten. Soweit die Beschwerde vorbringt, dass die Länderfeststellungen nicht ausreichend aktuell seien, legt die Beschwerde nicht substantiiert dar, dass sich die allgemeine Lage – soweit sie für den Beschwerdeführer maßgeblich ist – inzwischen in Pakistan entscheidungswesentlich geändert hat; mit der Beschwerde wurden auch keine Länderinformationen jüngeren Datums vorgelegt, die den vom BFA herangezogenen Länderinformationen in entscheidungsrelevanter Weise entgegenstehen und Letztere als unaktuell erscheinen ließen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Spruchpunkt I

3.1 Abweisung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 01.06.2021, Zahl XXXX , aufgrund der erstmals rechtswirksam am 30.04.2021 erfolgten Zustellung des Bescheides vom 03.03.2021, Zahl XXXX (§ 9 und § 17 ZustG iVm § 18 Abs 4 AVG)

3.1.1 Die (versuchte) Zustellung des Bescheides des BFA vom 03.03.2021 erfolgte an jene Adresse, an welcher der Beschwerdeführer noch gemeldet war, aus der er jedoch bereits vor dem Zustellversuch und der Hinterlegung des Bescheides aus der Unterkunft an dieser Adresse ausgezogen war. Daher kam diese Unterkunft nicht mehr als Abgabestelle im Sinn des § 2 Z 4 ZustG in Betracht, weshalb mit jener Hinterlegung keine rechtswirksame Zustellung erfolgen konnte und damit auch nicht der Lauf der Beschwerdefrist im Falle des Bescheides vom 03.03.2021 ausgelöst wurde. (vgl VwGH 25.05.2020, Ra 2018/19/0708).

3.1.2 Mit der Übermittlung einer Ausfertigung des Bescheides des BFA vom 03.03.2021 durch das BFA per E-Mail an die Vertreterin des Beschwerdeführers in Form eines elektronischen (pdf-)Dokumentes, welches mit einer Amtssignatur versehen ist (§ 18 Abs 4 AVG, § 9 ZustG), wurde dem Antrag des Beschwerdeführers am 30.04.2021 entsprochen und damit – erstmals – die rechtswirksame Zustellung jenes Bescheides bewirkt, womit auch gleichzeitig der Fristenlauf zur Erhebu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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