RS Vfgh 2021/12/7 E3149/2021

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Veröffentlicht am 07.12.2021
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Index

41/03 Personenstandsrecht

Norm

EMRK Art8 Abs2
NamensänderungsG §2, §3
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Untersagung der Änderung eines Familiennamens; Gebräuchlichkeit des Familiennamens nach dem NamensänderungsG vor dem Hintergrund von Migrationsbewegungen, des historischen Familienbezugs sowie der Kontinuität von Familiennamen und -geschichte zu prüfen; Verkennung des historischen Namens des Beschwerdeführers als Bestandteil seiner Identität

Rechtssatz

Gemäß §2 Abs1 Z11 NÄG ist eine Änderung des Familiennamens nicht nur aus besonderen, sondern auch aus "sonstigen Gründen" möglich, wenn jemand "einen anderen Familiennamen wünscht". Auch in diesem Fall dürfen der Namensänderung aber bestimmte, in §3 Abs1 NÄG als Versagungsgründe angeführte öffentliche Interessen nicht entgegenstehen. Diese Versagungsgründe und ihre Auslegung müssen den aus Art8 Abs2 EMRK folgenden Anforderungen genügen. Dem Gesetzgeber ist zunächst nicht entgegenzutreten, wenn er mit dem dritten Tatbestand des §3 Abs1 Z2 NÄG - der beantragte Familienname ist für die Kennzeichnung von Personen im Inland nicht gebräuchlich - darauf abstellt, dass Familiennamen einen realen Bezugspunkt in der gesellschaftlichen Entwicklung der Namen in Österreich haben müssen und nicht frei erfunden werden dürfen. Indem der Gesetzgeber aber darauf abstellt, ob sich ein bestimmter Begriff als Familienname in der Gesellschaft herausgebildet hat, stellt er notwendig auf Entwicklungen in einer Gesellschaft ab (so führen insbesondere Migrationsbewegungen dazu, dass sich die in Österreich "gebräuchlichen" Familiennamen verändern). Insoweit haben Familiennamen, weil sie sich in aller Regel von Vorfahren ableiten, immer auch eine historische Dimension.

Nicht selten haben österreichische Staatsbürger Migrationshintergrund. Dies ist kein besonderes Phänomen der heutigen Verhältnisse, sondern ein durchaus kennzeichnendes Merkmal der österreichischen Geschichte und der Zusammensetzung seiner Bevölkerung. Der historische Familienbezug stellt gerade in diesem Kontext für viele Menschen einen wichtigen Bestandteil ihrer durch Art8 EMRK geschützten persönlichen Identität dar. Die Kontinuität des Familiennamens spiegelt damit auch den historischen Kontext der persönlichen Identität des Einzelnen wider.

Dies kann in besonderem Maße dann zutreffen, wenn Namen auf staatliche Veranlassung oder auch nur auf staatlichen Druck geändert werden und dieser staatliche Druck als Diskriminierung empfunden wird bzw tatsächlich aus diskriminierenden Gründen erfolgt. Insbesondere in solchen Fällen vermittelt Art8 EMRK grundsätzlich einen Anspruch darauf, die ursprüngliche Kontinuität in der Familiengeschichte auch nach außen sichtbar durch Annahme des ursprünglichen, durch einen anderen unterbrochenen Familiennamen wieder aufzunehmen.

Vor diesem Hintergrund kann es in Fällen wie dem vorliegenden, in denen österreichische Staatsbürger an ihre historische Familientradition durch Annahme des entsprechenden Familiennamens anknüpfen wollen, nicht darauf ankommen, ob der Familienname in dem Sinn in Österreich gebräuchlich ist, als eine Familie mit diesem Namen bereits in Österreich gelebt haben muss. Denn dann wäre österreichischen Staatsbürgern in solchen Fällen die nach außen sichtbare Herstellung ihrer Familienkontinuität durch Annahme des früheren Familiennamens niemals möglich. Dies selbst dann nicht, wenn die Familie ihren Namen, wie im Ausgangsfall des Beschwerdeführers, auf Druck ihres ursprünglichen Herkunftsstaates und, wie der Beschwerdeführer vorbringt, unter diskriminierenden Rahmenbedingungen ändern musste. Hätte die Bestimmung des §3 Abs1 Z2 dritter Tatbestand NÄG einen solchen Inhalt, würde sie das Recht auf Namensidentität der Betroffenen verletzen.

Jedenfalls in dieser spezifischen Konstellation muss daher zur Wahrung der Rechte aus Art8 EMRK §3 Abs1 Z2 dritter Tatbestand NÄG dahingehend verstanden werden, dass es für die Gebräuchlichkeit darauf ankommt, ob es sich bei seinem früheren Familiennamen, den ein österreichischer Staatsbürger wieder annehmen will, um einen in seiner Familientradition gebräuchlichen Familiennamen handelt, der deswegen in Bezug zu Österreich steht, als es eine belegte historische Genealogie der Familie des eine Namensänderung begehrenden österreichischen Staatsbürgers gibt.

Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (LVwG) stellt zwar fest, dass es sich bei dem vom Beschwerdeführer gewünschten Familiennamen um einen früher von seinen alevitischen Vorfahren in der Türkei geführten Namen handle, verneint aber die Gebräuchlichkeit des gewünschten Familiennamens, weil diesem ein realer Bezugspunkt in Österreich fehle. Damit hat das LVwG aber den für den Namen als Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall wesentlichen Zusammenhang mit dem historischen Namen der Familie des Beschwerdeführers und den über die Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers vermittelten Bezug dieses Namens zu Österreich verkannt und daher §3 Abs1 Z2 NÄG einen mit Art8 Abs2 EMRK nicht zu vereinbarenden Inhalt unterstellt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Namensrecht, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3149.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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