TE Bvwg Beschluss 2021/12/2 W203 2248045-1

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Veröffentlicht am 02.12.2021
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Entscheidungsdatum

02.12.2021

Norm

ABGB §167
AVG §13 Abs3
B-VG Art133 Abs4
SchPflG 1985 §11 Abs3
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W203 2248045-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER über die Beschwerde von XXXX als erziehungsberechtigte Mutter des mj. XXXX , vertreten durch PRUTSCH & Partner, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Joanneumring 6/III, gegen den Bescheid der Bildungsdirektion für Burgenland vom 18.10.2021, GZ.: BD/PS-2-352/40-2021, betreffend die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht durch Teilnahme an häuslichem Unterricht:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 11 Abs. 3 SchPflG aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides an die Bildungsdirektion für Burgenland zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der am XXXX geborene Sohn der Beschwerdeführerin erfüllte im Schuljahr 2020/21 seine Schulpflicht durch Besuch der 1. Klasse der VS XXXX .

2. Am 03.09.2021 zeigte die Beschwerdeführerin die Teilnahme ihres Sohnes an häuslichem Unterricht im Schuljahr 2021/22 auf der zweiten Schulstufe bei der Bildungsdirektion für Burgenland (im Folgenden: belangte Behörde) an. Die Anzeige wurde von der Beschwerdeführerin, nicht aber vom ebenfalls erziehungsberechtigten Kindesvater unterzeichnet.

3. Mit Schriftsatz vom 21.09.2021 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit, dass die Anzeige vom 03.09.2021 aufgrund des Fehlens einer Einverständniserklärung beider erziehungsberechtigter Elternteile mangelhaft sei und trug dieser auf, den Mangel binnen einer Woche zu beheben, widrigenfalls das Anbringen zurückgewiesen werde.

4. Am 23.09.2021 beantragte die Beschwerdeführerin über ihre rechtsfreundliche Vertretung die Erstreckung der Frist zur Mängelbehebung bis 15.10.2021.

5. Am 27.09.2021 erstreckte die belangte Behörde die Frist zur Einholung der beiderseitigen Einverständniserklärung bis zum 15.10.2021.

6. Am 05.10.2021 beantragte die Beschwerdeführerin über ihre rechtsfreundliche Vertretung eine neuerliche Erstreckung der Frist zur Mängelbehebung bis 12.11.2021.

7. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 18.10.2021, GZ.: BD/PS-2-352/40-2021 (im Folgenden: angefochtener Bescheid) wurde die Anzeige auf Abmeldung zum häuslichen Unterricht vom 03.09.2021 zurückgewiesen und angeordnet, dass der Sohn der Beschwerdeführerin ab sofort seine Schulpflicht durch Besuch einer in § 5 SchPflG genannten Schule zu erfüllen habe (Spruchpunkt 1.) und gleichzeitig der Antrag auf neuerliche Fristerstreckung abgewiesen (Spruchpunkt 2.).

Begründend wurde ausgeführt, dass offenkundig ein Formmangel vorliege, da die Anzeige der Teilnahme an häuslichem Unterricht nicht von beiden Elternteilen unterfertigt worden sei. Für derart wichtige Entscheidungen rund um den Schulbesuch sei bei einem gemeinsamen Sorgerecht das Einvernehmen beider Elternteile herzustellen, welches jedoch nicht vorhanden sei. Da der Mangel des Anbringens nicht fristgerecht behoben worden sei, sei die Anzeige zurückzuweisen und anzuordnen gewesen, dass der Schüler seine Schulpflicht an einer in § 5 SchPflG genannten Schule zu erfüllen habe.

8. Am 22.10.2021 erhob die Beschwerdeführerin über ihre rechtsfreundliche Vertretung Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 18.10.2021 und begründete diese auf das Wesentliche Zusammengefasst wie folgt: Entgegen der Auffassung der belangten Behörde sei – wie sich aus § 11 Abs.3 SchPflG ergebe - bei der Anzeige der Teilnahme an häuslichem Unterricht die Unterschrift des zweiten erziehungsberechtigten Elternteils nicht notwendig. Vielmehr sei gemäß § 167 Abs. 1 ABGB jeder Elternteil für sich alleine berechtigt und verpflichtet, das Kind zu vertreten. Schulische Belange seien auch nicht von jenen in Abs. 2 leg. cit. aufgezählten Handlungen umfasst, die zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung beider Elternteile bedürften.

9. Einlangend am 08.11.2021 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt zugehörigem Verfahrensakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen.

10. Mit an die belangte Behörde gerichtetem Schreiben vom 11.11.2021 beantragte der Kindesvater die Feststellung der Parteistellung und gab gleichzeitig eine Stellungnahme zur Beschwerde der Beschwerdeführerin ab, in der er auf das Wesentliche zusammengefasst wie folgt ausführte:

Als Obsorgeberechtigter genieße er Parteistellung in allen Belangen, welche den gemeinsamen Sohn von ihm und der Beschwerdeführerin betreffen.

Bereits aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 SchPflG [gemeint wohl: § 11 Abs. 3 SchPflG] ergebe sich, dass der Gesetzgeber die Zustimmung beider Elternteile vorgesehen habe, da er ansonsten wie in § 167 ABGB die Formulierung „von einem Elternteil“ verwendet hätte. Die speziellere Norm des § 11 Abs. 2 SchPflG genieße Vorrang gegenüber der allgemeinen Norm des § 167 ABGB. Die Einwilligung nur eines Elternteils könne nur dann ausreichend sein, wenn es sich nicht um eine „schwierige und weitreichende“ Entscheidung handle, die Abmeldung zum häuslichen Unterricht stelle aber jedenfalls eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung dar.

Es werde auch darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin über keine pädagogischen Qualifikationen verfüge und dass diese offenbar den häuslichen Unterricht mit dem Distance-Learning verwechsle.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Der am XXXX geborene Sohn der Beschwerdeführerin unterliegt im Schuljahr 2021/22 in Österreich der allgemeinen Schulpflicht.

Am 03.09.2021 zeigte die Beschwerdeführer rechtzeitig die Teilnahme ihres Sohnes an häuslichem Unterricht im Schuljahr 2021/22 an. Die Anzeige wurde im Namen der Beschwerdeführerin verfasst und enthielt keine Unterschrift des Kindesvaters.

Einem Mängelbehebungsauftrag der belangten Behörde dahingehend, dass der Anzeige die Unterschrift des zweiten erziehungsberechtigten Elternteiles beizufügen sei, kam die Beschwerdeführerin binnen der dafür eingeräumten Frist nicht nach.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 18.10.2021 wies die belangte Behörde die Anzeige auf Abmeldung zum häuslichen Unterricht zurück und ordnete an, dass der Sohn der Beschwerdeführerin seine Schulpflicht ab sofort durch den Besuch einer in § 5 SchPflG genannten Schule zu erfüllen habe (Spruchpunkt 1.) und wies den Antrag auf Fristerstreckung vom 08.10.2021 ab (Spruchpunkt 2.).

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und der Beschwerde. Der Sachverhalt ist aktenkundig, unstrittig und deshalb erwiesen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. Art. 131 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, erkennt das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bezirksschulrates wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels Anordnung einer Senatszuständigkeit liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).

3.2. Zu Spruchpunkt A

3.2.1. Zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides

3.2.1.1. Die im gegenständlichen Fall maßgeblichen Bestimmungen lauten wie folgt:

Gemäß § 1 Abs. 1 Schulpflichtgesetz 1985 besteht für alle Kinder, die sich in Österreich dauernd aufhalten, allgemeine Schulpflicht nach Maßgabe dieses Abschnittes.

Gemäß § 2 Schulpflichtgesetz 1985 beginnt die allgemeine Schulpflicht mit dem auf die Vollendung des sechsten Lebensjahres folgenden 1. September.

Gemäß § 3 Schulpflichtgesetz 1985 dauert die allgemeine Schulpflicht neun Jahre.

Gemäß § 5 Abs. 1 Schulpflichtgesetz 1985 ist die allgemeine Schulpflicht durch den Besuch von allgemein bildenden Pflichtschulen sowie von mittleren oder höheren Schulen zu erfüllen.

Gemäß § 11 Abs. 1 Schulpflichtgesetz 1985 kann die allgemeine Schulpflicht – unbeschadet des § 12 – auch durch die Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule mindestens gleichwertig ist.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. kann die allgemeine Schulpflicht ferner durch die Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule mindestens gleichwertig ist.

Gemäß Abs. 3 leg. cit. haben die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten die Teilnahme ihres Kindes an einem im Abs. 1 oder 2 genannten Unterricht der Bildungsdirektion jeweils vor Beginn des Schuljahres anzuzeigen. Die Bildungsdirektion kann die Teilnahme an einem solchen Unterricht untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß die im Abs. 1 oder 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist oder wenn gemäß Abs. 2a eine öffentliche Schule oder eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen ist.

Gemäß § 167 Abs. 1 ABGB ist – sind beide Elternteile mit der Obsorge betraut – jeder Elternteil für sich alleine berechtigt und verpflichtet, das Kind zu vertreten; seine Vertretungshandlung ist selbst dann rechtswirksam, wenn der andere Elternteil mit ihr nicht einverstanden ist.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. bedürfen Vertretungshandlungen und Einwilligungen eines Elternteils, die die Änderung des Vornamens oder des Familiennamens, den Eintritt in eine Kirche oder Religionsgesellschaft und den Austritt aus einer solchen, die Übergabe in fremde Pflege, den Erwerb einer Staatsangehörigkeit oder den Verzicht auf eine solche, die vorzeitige Lösung eines Lehr-, Ausbildungs- oder Dienstvertrags und die Anerkennung der Vaterschaft zu einem unehelichen Kind betreffen, zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des anderen obsorgebetrauten Elternteils. Dies gilt nicht für die Entgegennahme von Willenserklärungen und Zustellstücken.

Gemäß § 13 Abs. 3 AVG ermächtigen Mängel schriftlicher Anbringen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.

3.2.1.2. Verfahrensgegenstand ist ausschließlich die Frage, ob die belanget Behörde zu Recht die Anzeige gemäß § 13 Abs. 3 AVG zurückgewiesen hat, weil die Beschwerdeführerin einem Mängelbeseitigungsauftrag nicht rechtzeitig nachgekommen ist. Nach Ansicht der belangten Behörde bestand der Mangel, dessen Beseitigung der Beschwerdeführerin aufgetragen wurde, darin, dass die Anzeige des häuslichen Unterrichts – entgegen der Bestimmung des § 11 Abs. 3 SchPflG - nur von einem Elternteil, nicht aber von beiden erziehungsberechtigten Elternteilen unterfertigt worden war.

Dieser Rechtsansicht schließt sich das erkennende Gericht nicht an, und zwar aus folgenden Erwägungen:

Aus § 167 Abs. 1 ABGB lässt sich ein grundsätzliches Einzelvertretungsrecht jeden Elternteils ableiten, woran auch das Einvernehmlichkeitsgebot im Innenverhältnis (§ 137 ABGB) nichts ändert (vgl. Fischer-Czermak in Kletecka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 167, Stand 01.10.2018, rdb.at).

Die Beschwerdeführerin war als erziehungsberechtigte Mutter ihres Sohnes somit berechtigt, gemäß § 11 Abs. 3 SchPflG die Teilnahme ihres Sohnes an häuslichem Unterricht anzuzeigen. Eine derartige Anzeige kann rechtswirksam auch von nur einem erziehungsberechtigten Elternteil getätigt werden, ohne dass dafür die Zustimmung des anderen Elternteils vorliegen müsste.

Sofern die belangte Behörde im Begründungsteil des angefochtenen Bescheids ausführt, dass für „derart wichtige Entscheidungen rund um den Schulbesuch“ bei gemeinsamem Sorgerecht das Einvernehmen beider Elternteile herzustellen sei, ist darauf zu verweisen, dass in § 167 Abs. 2 ABGB jene Vertretungshandlungen abschließend genannt sind, die zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des anderen obsorgebetrauten Elternteils bedürfen, und schulische Angelegenheiten gerade nicht darunterfallen.

Das Anbringen, mit dem die Beschwerdeführerin die Teilnahme ihres Sohnes an häuslichem Unterricht anzeigte, ohne dafür die Zustimmung bzw. die Unterschrift des anderen, ebenfalls obsorgeberechtigten Elternteils einzuholen, erweist sich somit als frei von Formmängeln, weswegen der Beschwerdeführerin auch zu Unrecht aufgetragen wurde, den (vermeintlichen) Mangel zu beseitigen.

Folglich erweist sich auch die auf § 13 Abs. 3 AVG gestützte Zurückweisung der Anzeige wegen nicht rechtzeitiger Mängelbehebung als rechtswidrig, weswegen der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

3.2.2. Zur Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides.

3.2.2.1. In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen im Sinne des § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2013, S. 127 und S. 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, S. 65 und S. 73f).

3.2.2.2. Verfahrensgegenständlich hat die belangte Behörde ihre Entscheidung lediglich darauf gestützt, dass die Anzeige als mangelhaft zurückzuweisen sei. Diese Zurückweisung erweist sich aber – wie oben unter Pkt. 3.2.1.2. näher ausgeführt – als rechtswidrig. Vielmehr wäre die belangte Behörde angehalten gewesen, entweder die mangelfreie Anzeige zur Kenntnis zu nehmen oder nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens meritorisch zu entscheiden und gegebenenfalls die Teilnahme an häuslichem Unterricht gemäß § 11 Abs. 3 zweiter Satz zu untersagen.

Die belangte Behörde hat aber unter der nichtzutreffenden Rechtsansicht, dass die Anzeige als mangelhaft zurückzuweisen sei, jegliche Sachverhaltsermittlung dahingehend, ob mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die in § 11 Abs. 1 und 2 SchPflG geforderte Gleichwertigkeit des häuslichen Unterrichts nicht gegeben ist, unterlassen.

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde bloß „ansatzweise“ iSd des oben zitierten Erkenntnisses VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ermittelt hat, da sie verpflichtet gewesen wäre, konkret Feststellungen über die Art und die Organisation des für das Schuljahr 2021/22 angezeigten häuslichen Unterrichts sowie die praktischen Fähigkeiten der den Unterricht erteilenden Personen zur Ausbildung des zu unterrichtenden Kindes zu treffen (vgl. VwGH 25.04.1974, 0016/74 und 0017/74).

Der Verwaltungsgerichtshof leitet zwar aus § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG einen „prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte“ ab (VwGH 20.12.2017, Ra 2017/10/0116 mit Verweis auf VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063), bringt darin aber auch zum Ausdruck, dass eine Zurückverweisung dann – und nur dann - in Betracht kommt, wenn es sich um „Ermittlungslücken“ in einem größeren Ausmaß handelt. Verfahrensgegenständlich liegen derartige Ermittlungslücken vor, da die entscheidende „Gleichwertigkeitsprüfung“ beinahe gänzlich unterlassen wurde. Es kann – aufgrund der unmittelbaren „Sachnähe“ und Vertrautheit der belangten Behörde zur Materie der zu erledigenden Angelegenheit - auch nicht gesagt werden, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. In einer Gesamtschau ist der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde allenfalls zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis daher der Vorzug zu geben. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde – gegebenenfalls unter Berücksichtigung der vom Kindesvater gegen den häuslichen Unterricht vorgebrachten Bedenken - Ermittlungen dahingehend durchzuführen haben, ob die Gleichwertigkeit des angezeigten häuslichen Unterrichts gegeben ist.

3.2.3. Zur Unterlassung einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann – soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist – das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Im gegenständlichen Fall konnte das Unterlassen einer mündlichen Verhandlung darauf gestützt werden, dass der Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erschien. Weder war der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig festgestellt. Auch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unbestritten und die Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität ist (VfSlg. 17.597/2005; VfSlg. 17.855/2006; zuletzt etwa VfGH 18.06.2012, B 155/12).

3.2.4. Es war daher ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Spruchpunkt A) zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchpunkt B) (Unzulässigkeit der Revision):

3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.3.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (vgl. dazu die jeweils angeführten Erkenntnisse des VwGH). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

3.3.3. Es war daher gemäß Spruchpunkt B) zu entscheiden.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Erziehungsberechtigter häuslicher Unterricht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Unterschrift Verbesserungsauftrag Vertretung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W203.2248045.1.00

Im RIS seit

22.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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