TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/22 W186 2199741-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.11.2021
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Entscheidungsdatum

22.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §56
BFA-VG §18
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch


W186 2199741-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2021, Zl. 1082489304 – 210782718, zu Recht (Spruchteil A) bzw. beschließt (Spruchteil B):

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II., III., IV. und V. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides wird teilweise stattgegeben und die Dauer des verhängten Einreiseverbotes um 1,5 Jahre (18 Monate) auf eine Dauer von 2,5 Jahren (30 Monate) reduziert.

B) Der „Antrag“ in der Beschwerde auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

C) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Vorverfahren

Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) stellte am 13.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) vom 30.05.2018 abgewiesen wurde. Zudem wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.05.2019 als unbegründet abgewiesen, der BF kam jedoch seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach.

Am 01.01.2019 meldete der BF das freie Gewerbe „Zusammenbau von Möbelbausätzen“ an.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 20.05.2020 wurde dem BF aufgetragen, an Handlungen zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes mitzuwirken. Zudem wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid ausgeschlossen.

Am 06.11.2020 wurde gegen den BF ein Festnahmeauftrag erlassen, weil er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen war. Der Vollzug dieses Festnahmeauftrags scheiterte jedoch sowohl am 16.11.2020 als auch am 19.11.2020, weil in der Wohnung des BF niemand angetroffen werden konnte. Dennoch konnte der BF am 16.11.2020 im Zuge einer Verkehrskontrolle festgenommen werden, anschließend wurde er in das PAZ HG eingeliefert.

Am 17.11.2020 wurde der BF vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen, wobei er angab, als Tischler zu arbeiten. Am Ende dieser Einvernahme wurden die Formblätter zu Erlangung eines Heimreisezertifikates ausgefüllt.

Am 20.11.2020 wurde der BF seitens der Landespolizeidirektion Wien wegen eines Verstoßes gegen das Meldegesetz angezeigt, weil er es unterlassen hatte, sich von seinem Hauptwohnsitz abzumelden.

Am 21.01.2021 stellte der BF einen Antrag auf Ausstellung einer Duldungskarte gem. § 46a Abs. 4 FPG.

Am 09.02.2021 wurde der BF seitens des Bundesamtes vom Ergebnis der Beweisaufnahme hinsichtlich der Ablehnung seines Antrags auf Ausstellung einer Duldungskarte gem. § 46a FPG informiert. Er könne binnen 14 Tagen ab Zustellung dieser Verständigung eine Stellungnahme abgeben.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 31.03.2021 wurde der Antrag des BF auf Ausstellung einer Karte für Geduldete vom 21.01.2021 abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF seine Identität verschleiere und an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitgewirkt bzw. diese vereitelt habe. So habe er keinerlei Bemühungen gezeigt, selbstständig an ein Dokument zu gelangen. Zudem sei seitens des Bundesamtes bei der indischen Botschaft um ein Ersatzreisedokument angesucht worden, jedoch sei aufgrund der Pandemie mit einer Verzögerung der Bearbeitung zu erwarten. Es sei daher jedenfalls mit einer Identifizierung des BF zu rechnen, zumal auch die Kopie eines indischen Führerscheins vorliegen würde.

Am 19.05.2021 stellte der rechtsfreundlich vertretene BF beim Bundesamt einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung“ gem. § 43 Abs. 3 NAG, welcher an die zuständige Behörde weitergeleitet wurde.

Am 11.06.2021 übermittelte die Rechtsvertretung des BF ein ausgefülltes Formular für einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ gem. § 56 Abs. 1 AsylG 2005 und ersuchte um einen Termin zur persönlichen Antragsstellung. Zudem merkte die Rechtsvertretung des BF an, beim Antrag vom 19.05.2021 versehentlich ein falsches Formular ausgefüllt zu haben.

2. Gegenständliches Verfahren

Am 30.07.2021 stellte der rechtsfreundlich vertretene BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ gem. § 56 Abs. 1 AsylG 2005.

Am 24.08.2021 wurde der BF seitens des Bundesamtes vom Ergebnis der Beweisaufnahme hinsichtlich der Abweisung seines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 56 AsylG 2005 sowie der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot verständigt. Er könne binnen 14 Tagen ab Zustellung dieser Verständigung eine schriftliche Stellungnahme abgeben, welche am 08.09.2021 beim Bundesamt einlangte.

Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes vom 29.09.2021 wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen vom 30.07.2021 gem. § 56 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gegen ihn gem. § 10 Abs. 3 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) sowie gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 4 FPG wurde keine Frist für eine freiwillige Ausreise des BF gewährt (Spruchpunkt IV.), einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gem. § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.) sowie gegen ihn gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von 4 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde ausgeführt, dass es zwar nicht zu bestreiten sei, dass sich der BF nachweislich seit über 5 Jahren durchgängig im Bundesgebiet und davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre, rechtmäßig aufhalte, es sei jedoch kein besonders berücksichtigungswürdiger Grund zu erkennen, der bestätigen würde, dass der BF nicht in seine Heimat zurückkehren könne, zumal er einen prägenden Teil seines Lebens in Indien verbracht habe und dort sozialisiert worden sei.

Gegen den BF bestehe zudem seit dem 07.05.2019 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung, er sei jedoch seiner Ausreiseverpflichtung bis zum heutigen Tage nicht nachgekommen und halte sich seit dem 22.05.2019 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Sein Fehlverhalten stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar, zumal er ohne Aufenthaltstitel einer unrechtmäßigen Erwerbstätigkeit nachgehe und deshalb die Gefahr bestehe, dass er einer Gebietskörperschaft zur Last falle.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF am 20.10.2021 fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde inklusive eines Antrags auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Begründend wurde ausgeführt, dass die Durchführung dieses Bescheides sein Leben zerstören würde. Er arbeite seit dem Jahr 2018 als Zeitungszusteller und habe seit Dezember 2020 eine Gewerbeberechtigung. Er sei Tischler, was einen Mangelberuf darstelle, weshalb das Bundesamt nicht in der Lage sei festzustellen, dass junge, gesunde, arbeitsfähige und arbeitswillige Menschen die Republik Österreich schädigen würden. Sein Weiterverbleib in Österreich sei somit auch im Interesse der Republik Österreich.

Am 28.10.2021 wurde die Beschwerde inklusive der mit ihr in Bezug stehenden Verwaltungsakte dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Der BF führt den Namen XXXX , wurde am XXXX geboren und ist Staatangehöriger von Indien. Er gehört der Glaubensgemeinschaft der Hindu an und stammt aus der Provinz Bihar, wo nach wie vor seine Frau und die drei minderjährigen Kinder leben. Vor seiner Ausreise arbeitete der BF als Landwirt und Tischler. In Österreich verfügt der BF weder über Familienmitglieder noch über sonstige nahe Angehörige.

Der BF stellte am 13.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesamtes vom 30.05.2018 abgewiesen wurde. Zudem wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.05.2019 als unbegründet abgewiesen. Der BF kam jedoch seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach.

Der BF geht einer nicht erlaubten Erwerbstätigkeit als Zeitungszusteller nach, zudem verfügt er über eine Gewerbeberechtigung für das freie Gewerbe „Zusammenbau von Möbelbausätzen“. Er erzielte im Jahr 2019 einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 7.042,41€ bzw. ein Einkommen von 6.982,41 €. Der BF ist seit dem 01.01.2019 durchgehend bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen versichert. Sein Hauptwohnsitz befindet sich aktuell in 1230 Wien, er verfügt jedoch lediglich über eine Wohnrechtsvereinbarung in einem Objekt in 1120 Wien. Zudem legte er einen Mietvertrag für ein weiteres Objekt in 1230 Wien vor, in welchem der BF jedoch nicht als Mieter angeführt wird.

Der BF leidet an keine die Schwelle der Art. 2 und 3 EMRK erreichenden Krankheiten, die eine Rückkehr nach Indien unzulässig machen würden.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers nach Indien

Dem BF droht im Falle einer Rückkehr nach Indien weder asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) noch eine Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Indien

1.3.1. Auszug aus dem COI-CMS Indien vom 31.05.2021, Version 4

COVID-19

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugang zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrechterhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).

Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).

Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).

Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinduistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen Regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeinschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staatlichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).

Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).

Sicherheitslage

Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).

Allgemeine Menschenrechtslage

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 23.9.2020). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 9.2020). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 23.9.2020). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 23.9.2020).

Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 1.2021). Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 23.9.2020). Während die Bürger-und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Es gibt Befürchtungen, dass die neue, drakonische Anti-Terror-Gesetzgebung die Menschenrechtslage verschlimmern wird und dass diese Gesetze gegen politische Gegner missbraucht werden. Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert. Den Sicherheitskräften wird Parteilichkeit vorgeworfen, besonders hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten. Die Stimmung wird durch hindu-nationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 1.2021 vgl. USDOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, ÖB 9.2020).

Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kaste gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet (USDOS 30.3.2021). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 23.9.2020).

In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 10.6.2020), Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 30.3.2021).

Grundversorgung und Wirtschaft

Die Anzahl jener Personen, die in Indien unter der absoluten Armutsgrenze (1,90 USD/Tag Kaufkraft) leben, konnte zwischen 2012 und 2019 von 256 Mio. auf 76 Mio. reduziert werden. Gemäß Schätzungen könnten durch die COVID-Krise allerdings bis zu 200 Millionen Menschen wieder in die absolute Armut zurückgedrängt werden (ÖB 9.2020).

Im Geschäftsjahr 2020/21 (1.April 2020 – 31.März 2021) brach Indiens BIP Wachstum mit einem Minus von sieben bis neun Prozent deutlich ein. Der massivste Wachstumsrückgang seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1947, verdeutlicht die Auswirkungen der strengen Lockdown Maßnahmen in der ersten sechs Monaten des Vorjahres (WKO 4.2021; vgl. TIE 26.1.2021). 80 Prozent der Arbeiterschaft im informellen Sektor während des Lockdown ihre Arbeit verloren (AAAI 8.2020). Hundertausende Wanderarbeiter flohen in den Wochen danach aus den Städten. Weil auch der Zug- und Bahnverkehr von der Regierung ausgesetzt wurde, müssten viele Arbeiter zum Teil auf den Autobahnen und Gleisen Hunderte Kilometer zu Fuß in ihre Dörfer zurücklegen. Hunderte starben dabei (HO 28.4.2021). Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen sind für die Armen besonders gravierend (SZ 25.1.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Ab Oktober 2020 konnte wieder ein starker Wachstumsanstieg verzeichnet werden. Die Investitionsförderungsprogramm der Regierung und die Erleichterung der Vergabebedingungen für Investitionskredite haben sehr wesentlich zum Wiederanspringen der Konjunktur beigetragen (WKO 4.2021). Für 2021 wird ein Wirtschaftswachstum von mehr als sieben Prozent erwartet (TIE 26.1.2021).

Der indische Arbeitsmarkt wird durch den informellen Sektor dominiert. Er umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung des Staates. Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbindlichen Bestimmungen oder formal geregelte Arbeitsverhältnisse. Annähernd 90 Prozent der Beschäftigten werden dem informellen Sektor zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wienmann 2019; vgl. AAAI 8.2020).

Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 2020; vgl. PIB 23.7.2018). Einige Bundesstaaten geben Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 2020).

Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zumeist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, die sich ebenfalls an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat). Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmern ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 2020).

Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz (AA 23.9.2020). Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten (also etwa 2/3 der Bevölkerung) wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Krise und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).

Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar. Im Juli 2019 verabschiedete das Parlament Änderungen zum Aadhaar-Gesetz. Damit wird der Weg für den Einsatz der Daten durch private Nutzer frei. Die geplanten Änderungen gaben Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der Privatsphäre und des Datenschutzes und wurden angesichts eines Entscheids des Obersten Gerichtshofs vom September 2018 vorgenommen, welcher eine Nutzung von Aadhaar für andere Zwecke als den Zugang zu staatlichen Leistungen und die Erhebung von Steuern beschränkt (HRW 14.1.2020). Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 rund 1,2 Milliarden indischer Bürger eine Aadhaar-ID ausgestellt (ORF 27.9.2018; vgl. DFAT 10.12.2020). Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Um eine Aadhaar-Karte zu erhalten, sind keine umfangreichen Unterlagen erforderlich, und es stehen mehrere Optionen zur Verfügung, wodurch sie auch für ärmere Bürger ohne Papiere zugänglich ist. Die Verwendung biometrischer Daten, einschließlich Gesichtsauthentifizierung, Iris und Fingerabdruck, soll die doppelte Vergabe von UIDs an ein und dieselbe Person reduzieren oder verhindern. Während es möglich sein kann, eine Aadhaar-Karte unter falschem Namen zu erhalten, ist es weniger wahrscheinlich, dass eine Person mit denselben biometrischen Daten eine zweite Aadhaar-Karte unter einem anderen Namen erhalten kann (DFAT 10.12.2020). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018; vgl. DFAT 10.12.2020). Die Aadhaar-Karte selbst ist kein sicheres Dokument, da sie auf Papier gedruckt wird, und obwohl sie nicht wie ein Personalausweis behandelt werden sollte, ist sie es in der Praxis doch (DFAT 10.12.2020).

Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW 13.1.2018).

Medizinische Versorgung

Indiens Gesundheitssystem steht bedingt durch einen akuten Mangel an Infrastruktur, einem Mangel an qualifiziertem Personal im Gesundheitssektor vor einer Reihe von Herausforderungen. Artikel 47 der Verfassung überträgt den Bundesstaaten die Verantwortung für die Anhebung des Ernährungs- und Lebensstandards sowie für die Verbesserung der öffentlichen Gesundheit. Infolgedessen besteht eine große Diskrepanz zwischen den Leistungen des Gesundheitssektors der einzelnen Bundesstaaten, wie auch zwischen städtischen und ländlichen Gebieten (DFAT 10.12.2020).

Eine gesundheitliche Minimalversorgung wird vom Staat im Prinzip kostenfrei gewährt (ÖB 9.2020; vgl. BAMF 2020). Sie ist aber durchwegs unzureichend (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Einige wenige private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten europäische Standards. Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut (AA 23.9.2020). Darüber hinaus gibt es viele weitere Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (BAMF 2020). Ebenfalls gibt es Gemeindegesundheitszentren und spezialisierte Kliniken. Diese sind für alle möglichen generellen Gesundheitsfragen ausgestattet und bilden die Basis des Gesundheitswesens in städtischen Gegenden. Sie werden von der Regierung betrieben und nehmen auf Empfehlung der Ersteinrichtungen Patienten auf. Jede dieser Einrichtungen ist für 120.000 Menschen aus städtischen bzw. 80.000 Patienten aus abgeschiedenen Orten zuständig. Für weitere Behandlungen können Patienten von den Gemeindegesundheitszentren zu Allgemeinkrankenhäusern transferiert werden. Die Zentren besitzen daher auch die Funktion einer Erstüberweisungseinrichtung. Sie sind dazu verpflichtet, durchgängig Neugeborenen- bzw. Kinderfürsorge zu leisten sowie Blutkonservenvorräte zu besitzen. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben (BAMF 2020).

Seit 2017 sind landesweit 5.624 Gemeindegesundheitszentren verfügbar. Die Zentralregierung in New Delhi betreibt auch 189 Aam Aadmi Mohalla-Kliniken für die medizinische Grundversorgung. Staatliche Gesundheitszentren bilden die Basis des öffentlichen Gesundheitswesens. Dies sind meist Ein-Personen-Kliniken, die auch kleine Operationen anbieten. Diese Zentren sind grundsätzlich in der Nähe aller Dörfer zu finden. Insgesamt gibt es mehr als 25.650 solcher Kliniken in Indien. 60 Prozent dieser Kliniken werden lediglich von nur einem Arzt betrieben. Einige Zentren besitzen spezielle Schwerpunkte, darunter Programme zu Kinder-Schutzimpfungen, Seuchenbekämpfung, Verhütung, Schwangerschaft und bestimmte Notfälle (BAMF 2020).

Von den Patienten wird viel Geduld abverlangt, da der Andrang auf Leistungen des staatlichen Gesundheitssektors sehr groß ist. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen fortschrittlicher Infrastruktur und qualifizierterem Personal einen besseren Ruf, ein Großteil der Bevölkerung kann sich diesen aber nicht leisten. In allen größeren Städten gibt es Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich. Fast alle gängigen Medikamente sind in Indien (meist als Generika westlicher Produkte) auf dem Markt erhältlich. Für den (relativ geringen) Teil der Bevölkerung, welcher sich in einem formellen Arbeitsverhältnis befindet, besteht das Konzept der sozialen Absicherung aus Beitragszahlungen in staatliche Kassen sowie einer Anzahl von – vom Arbeitgeber zu entrichtenden – diversen Pauschalbeträgen. Abgedeckt werden dadurch Zahlungen für Renten, Krankenversicherung, Mutterkarenz sowie Abfindungen für Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit (ÖB 9.2020). Für 10.000 Inder stehen 0,8 praktizierende Ärzte (StBA 16.12.2020) und 0,5 Klinikbetten je tausend Einwohnern zur Verfügung (StBA 16.12.2020; vgl. GTAI 23.4.2020). Zwölf indische Bundesstaaten (Bihar, Jharkhand, Gujarat, Uttar Pradesh, Andhra Pradesh, Chhattisgarh, Madhya Pradesh, Haryana, Maharashtra, Odisha, Assam und Manipur), in denen etwa 70 Prozent der gesamten Bevölkerung Indiens leben, verfügen über weniger als den nationalen Durchschnitt von 55 öffentlichen Krankenhausbetten pro 100.000 Einwohner (DFAT 10.12.2020).

Im September 2019 wurde mit der Einführung des indienweiten Pradhan Mantri Jan Arogya Abhiyaan begonnen (auch "Modicare" genannt), einer Krankenversicherung, die insgesamt 500 Millionen Staatsbürger umfassen soll, welche sich ansonsten keine Krankenversicherung leisten können. Diese Krankenversicherung deckt die wichtigsten Risiken und Kosten ab. Dazu kommen noch verschiedene öffentliche Krankenversicherungen in einzelnen Unionsstaaten mit unterschiedlichem Empfänger- und Leistungsumfang (ÖB 9.2020). Eine private Gesundheitsversorgung ist vergleichbar teuer und die Patienten müssen einen Großteil der Kosten selber zahlen. Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personalausweis nötig (Adhaar card, Voter ID, PAN) (BAMF 2020).

Seit Mitte Februar 2021 steigen die Coronavirus-Infektionen in Indien wieder an. Bis dahin hatte sich seit dem vorläufigen Pandemie Höhepunkt im September 2020 die Lage fast wieder normalisiert. In einigen Städten wie z.B. Mumbai und Bangalore und zuletzt auch in New Delhi wurden Eindämmungsmaßnahmen ergriffen, um den Druck auf das das Gesundheitssystem zu reduzieren. Diese Maßnahmen blieben aber, zumindest bisher, sowohl lokal als auch zeitlich beschränkt (WKO 4.2021). Ein Problem in Indien bleiben die Einhaltung der individuellen Vorsichtsmaßnahmen (Abstand halten, Masken tragen und Hände waschen). Sowohl bei politischen Kundgebungen als auch an öffentlichen Feiertagen, wie zuletzt beim Frühlingsfest Holi Ende März, wurde die Maskenpflicht bei weitem nicht flächendeckend eingehalten (WKO 4.2021). Die Regierung will möglichst rasch das landesweite Impfprogramm umsetzen. Im ersten Schritt sollen bis August 2021 insgesamt 300 Millionen Menschen geimpft werden und bis Ende 2022 eine Immunisierung der Bevölkerung erreicht werden. Mit Stand Ende März 2021 sind 63 Millionen Inder geimpft. Personen, die älter als 45 Jahre sind seit 1. April zur Impfung zugelassen (WKO 4.2021).

Die staatliche Krankenversicherung erfasst nur indische StaatsbürgerInnen unterhalb der Armutsgrenze. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben. Bekannte Versicherer sind General Insurance, Bharti AAA, HDFC ERGO, Bajaj, Religare, Apollo Munich, New India Assurance, Max Bupa etc. (BAMF 2020).

In Indien sind fast alle gängigen Medikamente auf dem Markt erhältlich (AA 23.9.2020). Apotheken sind in Indien zahlreich und auch in entlegenen Städten vorhanden (BAMF 2020). Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich. Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika und Medikamente kosten einen Bruchteil der Preise in Europa (AA 23.9.2020). Die Kosten für die notwendigsten Medikamente sind staatlich kontrolliert, sodass diese weitreichend erhältlich sind (BAMF 2020).

Rückkehr

Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung (AA 23.9.2020; vgl. DFAT 10.12.2020). Abgeschobene erfahren bei der Rückkehr nach Indien von den indischen Behörden grundsätzlich keine nachteiligen Konsequenzen, abgesehen von einer Prüfung der Papiere und gelegentlichen Befragung durch die Sicherheitsbehörden. Gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020).

Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Es ist strafbar, zu Terrorgruppen Kontakte zu unterhalten oder an Handlungen beteiligt zu sein, die die Souveränität, Integrität oder Sicherheit Indiens gefährden. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der indischen Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese ihre Strafe bereits verbüßt haben (ÖB 9.2020). Auslandsaktivitäten bestimmter Gruppen (Sikhs, Kaschmiris) werden von indischer Seite beobachtet und registriert (ÖB 9.2020).

Indien verfügt über kein zentrales Meldesystem, das es der Behörde ermöglicht, den Aufenthaltsort von Einwohnern im eigenen Bundesstaat zu überprüfen, geschweige denn in einem der anderen Bundesstaaten oder Unionsterritorien (DFAT 10.12.2020). Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe gibt es nicht, die Rückkehrer sind auf die Unterstützung der eigenen Familie oder von Bekannten angewiesen (ÖB 9.2020).

1.4. Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 15.11.2021 131.585 bestätigte Fälle von aktuell mit dem Corona-Virus infizierten Personen, 969.407 laborbestätigte Fälle, 826.414 genesene Fälle und 11.408 bestätigte Todesfälle; in Indien wurden zu diesem Zeitpunkt 34.447.536 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 463.655 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen hinsichtlich des Namens des BF, seines Geburtsdatums, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Religionszugehörigkeit, seiner Herkunftsprovinz, seiner familiären Anknüpfungspunkte sowohl in Österreich als auch in Indien sowie seiner beruflichen Tätigkeiten gründen sich auf die diesbezüglichen Feststellungen im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.05.2019, W191 2199741-1.

Die Feststellungen hinsichtlich des Verfahrens des BF auf internationalen Schutz werden ebenfalls anhand der Feststellungen im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.05.2019 getroffen, die Feststellung hinsichtlich der Missachtung seiner Ausreiseverpflichtung ergibt sich aus dem gegenständlichen Verfahren.

Die Feststellungen hinsichtlich der nicht erlaubten Erwerbstätigkeit des BF als Zeitungszusteller, der Gewerbeberechtigung, seiner Einkünfte bzw. seines Einkommens sowie seiner Sozialversicherung erfolgen anhand der im Verwaltungsakt einliegenden Dokumente, Bestätigungen und Auszüge. Bezüglich der Unrechtmäßigkeit seiner Erwerbstätigkeit ist explizit festzuhalten, dass der BF über keinen Aufenthaltstitel verfügt und somit im Bundesgebiet keiner selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgehen darf. Im Falle einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit wäre zudem eine Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) erforderlich.1

Die Feststellung hinsichtlich seines aktuellen Hauptwohnsitzes stützt sich auf einen aktuellen ZMR-Auszug, die Feststellung bezüglich der Wohnrechtsvereinbarung auf die im Verwaltungsakt einliegende Bestätigung (AS 189). Die Feststellung hinsichtlich des vorgelegten Mietvertrags, in welchem der BF jedoch nicht als Mieter angeführt wird, wird anhand des unzweifelhaften Akteninhalts getroffen (AS 216). Das Bundesverwaltungsgericht sieht diese Umstände als Indiz dafür, dass der BF einen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft vorzuspiegeln versucht.

Die Feststellung, dass der BF an keinen die Schwelle der Art. 2 und 3 EMRK erreichenden Krankheiten, die eine Rückkehr nach Indien unzulässig machen würden, leidet, ergibt sich anhand der Tatsache, dass er im gesamten Verfahren weder derartige Umstände vorgebracht hat noch derartige Umstände amtswegig hervorgetreten sind.

Die Feststellung hinsichtlich der strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF wird anhand des eingeholten Strafregisterauszugs vom 15.11.2021 getroffen.

2.2. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers nach Indien

Die Feststellung, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Indien keine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK droht, gründet sich auf die Ausführungen im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.05.2019, wonach der BF eine solche nicht glaubhaft machen konnte. Es sind weiters keine Umstände bekannt, dass in Indien eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass jedem Rückkehrer automatisch eine Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK droht bzw. eine derartige humanitäre Katastrophe vorherrsche, dass das Überleben sämtlicher dort lebender Personen mangels Nahrung und Wohnraum tatsächlich in Frage gestellt wäre.

Der BF hat nach eigenen Angaben vor seiner Ausreise aus Indien als Landwirt und Tischler gearbeitet, zudem ist seine Ehefrau mit den gemeinsamen Kindern nach wie vor in Indien aufhältig, weshalb jedenfalls davon auszugehen ist, dass er dort bei einer Rückkehr nach Indien leben kann. Daher ist es im Falle des BF nicht relevant, dass es nach den Länderinformationen über Indien weder staatliche Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer noch Sozialhilfe gibt und die Rückkehrer auf die Unterstützung der eigenen Familie oder von Bekannten angewiesen sind. Der BF ist zudem ein gesunder und arbeitsfähiger junger Mann, dem durchaus zugemutet werden kann, seinen Lebensunterhalt durch Gelegenheitsarbeiten zu bestreiten.

Eine gesundheitliche (Minimal-)Grundversorgung wird vom Staat im Prinzip kostenfrei gewährt, in allen größeren Städten gibt es Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können. Einige wenige private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten einen Standard, der mit jenem westlicher Industriestaaten vergleichbar ist. Zudem sind fast alle gängigen Medikamente in Indien auf dem Markt erhältlich, Apotheken zahlreich und auch in entlegenen Städten vorhanden.

Diese Ausführungen zeigen deutlich, dass es keine Anzeichen dafür gibt, dass im Herkunftsstaat des BF die Grundversorgung der Bevölkerung generell nicht gegeben wäre oder dass sich der BF sich in einer schlechteren persönlichen Situation befinden würde als die übrige Bevölkerung.

Abschließend ist im Hinblick auf die derzeit bestehende Pandemie aufgrund des Corona-Virus festzuhalten, dass der BF aktuell 39 Jahre alt ist und an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leidet, womit er nicht unter die Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen fällt (s. Pkt. II.1.4.).

Es wird zwar nicht verkannt, dass die medizinische Versorgung in Indien nicht mit dem Niveau der Gesundheitsversorgung in Österreich zu vergleichen ist und Indien sehr stark von der COVID-19-Pandemie betroffen ist, jedoch ist den unter Punkt II.1.4. Unterpunkt „Medizinische Versorgung“ eingebrachten Länderinformationen nicht zu entnehmen, dass Personen in Indien der Zugang zu notwendiger medizinischer Behandlung generell verwehrt wäre oder dass lebensbedrohlich Erkrankte in Indien einem realen Risiko ausgesetzt wären, unter qualvollen Umständen zu sterben oder schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würden, wegen des Fehlens angemessener Behandlung in Indien oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Indien

Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Indien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

2.4. Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus

Die unter Pkt. II.1.4. getroffenen unstrittigen Feststellungen zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus ergeben sich aus den unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen, vgl. etwa:

https://covid19-dashboard.ages.at/dashboard.html

https://covid19.who.int/region/searo/country/in

https://orf.at/corona/daten/oesterreich

https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/

(Zugriff jeweils am 15.11.2021)

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchteil A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005 kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, auch wenn er sich in einem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vor dem Bundesamt befindet, eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt werden, wenn der Drittstaatsangehörige jedenfalls

1. zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist,

2. davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre, seines festgestellten durchgängigen Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig gewesen ist und

3. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird.

Liegen nur die Voraussetzungen des Abs. 1 Z 1 und 2 vor, ist nach § 56 Abs. 2 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Gemäß § 56 Abs. 3 AsylG 2005 hat die Behörde den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 kann auch durch Vorlage einer einzigen Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 26) erbracht werden. Treten mehrere Personen als Verpflichtete in einer Erklärung auf, dann haftet jeder von ihnen für den vollen Haftungsbetrag zur ungeteilten Hand.

Gemäß § 60 Abs. 1 AsylG 2005 dürfen Aufenthaltstitel einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht, oder

2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht.

Nach § 60 Abs. 2 AsylG 2005 dürfen Aufenthaltstitel gemäß § 56 einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn

1. der Drittstaatsangehörige einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird,

2. der Drittstaatsangehörige über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist,

3. der Aufenthalt des Drittstaatsangehörige zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs. 5 NAG) führen könnte, und

4. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden.

Gemäß § 60 Abs. 3 AsylG 2005 dürfen Aufenthaltstitel einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen widerstreitet dem öffentlichen Interesse, wenn

1. dieser ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass dieser durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt oder

2. im Falle der §§ 56 und 57 dessen Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Der Aufenthalt eines Fremden führt nach § 11 Abs. 5 NAG zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

Rechtlich folgt daraus:

Der BF hält sich zumindest seit dem Zeitpunkt der Stellung seines Antrags auf internationalen Schutz am 13.08.2015, somit mehr als 6 Jahre, im Bundesgebiet auf. Dieser Aufenthalt war bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.05.2019, somit beinahe 4 Jahre, rechtmäßig. Der BF erfüllt somit die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG 2005. Er erfüllt jedoch nicht die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, weil er im gegenständlichen Verfahren keinen Nachweis über die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG vorgelegt hat. Zudem geht er, wie in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, zum Entscheidungszeitpunkt keiner erlaubten Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nach.

Dem BF wäre daher grundsätzlich nach § 56 Abs. 2 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Die Erteilung eines Aufenthaltstitels scheitert im Falle des BF jedoch an den Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 und 3 AsylG 2005:

Der BF hat zwar im gegenständlichen Verfahren eine Wohnrechtsvereinbarung für ein Objekt in 1120 Wien vorgelegt, jedoch befindet sich der Hauptwohnsitz des BF aktuell in 1230 Wien. Für diese Adresse liegt dem Bundesverwaltungsgericht weder ein Mietvertrag noch eine Wohnrechtsvereinbarung vor, weshalb er keinen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird, nachgewiesen hat. Für das Bundesverwaltungsgericht ist zudem nicht ersichtlich, inwiefern der im Zuge des Verfahrens vorgelegte Mietvertrag für ein Objekt in 1230 Wien, der jedoch nicht die Person des BF betrifft, geeignet ist, einen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft zu bescheinigen. Diese Einschätzung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 22.12.2020, Ra 2020/21/0273; VwGH 09.09.2014, Ro 2014/22/0032), dass es dem Fremden obliegt, initiativ und untermauert durch entsprechende Bescheinigungsmittel einen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft nachzuweisen (vgl E 13. September 2012, 2011/23/0145).

Schließlich könnte der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet nach Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen. In diesem Zusammenhang ist auf seinen Einkommensteuerbescheid des Jahres 2019 zu verweisen, wonach er im Jahr 2019 einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 7.042,41€ bzw. ein Einkommen von 6.982,41 € erzielt hat. Damit wird der Richtsatz des § 293 ASVG bei Weitem verfehlt (für das Jahr 2019: 933,06 € monatlich; für das Jahr 2021: 1 000,48 € monatlich).

Da für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 56 AsylG 2005 sämtliche Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AsylG 2005 kumulativ erfüllt sein müssen, ist es im Fall des BF nicht weiter von Bedeutung, dass er durch seine E-Card über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügt.

Dem BF ist daher kein Aufenthaltstitel gem. § 56 AsylG 2005 zu erteilen, weshalb die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides im Ergebnis als unbegründet abzuweisen war.

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 und § 52 Abs. 3 FPG ist, sofern der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen wird, diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung gem. § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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