TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/30 W247 2135275-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.07.2021
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Entscheidungsdatum

30.07.2021

Norm

AsylG 2005 §4 Abs1
AsylG 2005 §56 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylG-DV 2005 §8
BFA-VG §18 Abs2 Z1
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs3
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch


1.) W247 2009362-4/4E

2.) W247 2135281-4/4E

3.) W247 2135279-4/3E

4.) W247 2135277-4/3E

5.) W247 2135275-4/3E

6.) W247 2195577-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , 5.) XXXX , geb. XXXX , 6.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, alle vertreten durch die XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.05.2021, Zlen. 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , 4.) XXXX , 5.) XXXX , 6.) XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl I Nr. 33/2013, idgF., iVm §§ 55 Abs. 1, 58 Abs. 11 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., sowie §§ 4, 8 AsylG-DV 2005, BGBl. II Nr. 448/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer (BF3-BF6). Die Beschwerdeführer (BF1-BF6) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, stammen aus der Teilrepublik Dagestan und sind Angehörige der awarischen Volksgruppe.

I. Verfahrensgang:

1. Erste Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet von BF1 bis BF5:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1), XXXX , ist spätestens am 12.10.2013 illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt.

1.2. Mit Bescheid vom 13.06.2014 wies die belangte Behörde diesen Antrag, sowohl gemäß § 3 Abs. 1 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, als auch gemäß § 8 Abs.1 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, gegen den BF1 eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Gem. § 55 Abs.1 bis 3 FPG wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 2 Wochen festgesetzt. Gegen diesen Bescheid erhob der BF1 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

1.3. Die Ehefrau des BF1, die Zweitbeschwerdeführerin (BF2), XXXX reiste mit ihren minderjährigen Kindern XXXX (BF3), XXXX (BF4), und XXXX (BF5) unrechtmäßig in das Bundesgebiet und stellte für sich und ihre Kinder am 26.02.2015 Anträge auf internationalen Schutz.

1.4. Mit Bescheiden vom 05.09.2016 wies die belangte Behörde auch die Anträge der BF2 bis BF5 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten, als auch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten ab und erteilte keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG. Weiters wurden Rückkehrentscheidungen gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, die Abschiebung in die Russische Föderation für zulässig erklärt und gemäß § 55 Abs.1 bis 3 FPG eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 2 Wochen festgesetzt. Dagegen wurde fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben.

1.5. Nach Durchführung mündlicher Verhandlungen (am 11.06.2015 und 26.09.2017) wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnissen vom 13.10.2017 die Beschwerden der Erst- bis Fünftbeschwerdeführer in allen Punkten als unbegründet ab. Die Erkenntnisse erwuchsen mit Zustellung an den damaligen Vertreter der Beschwerdeführer am 16.10.2017 in Rechtskraft.

1.6. Am XXXX wurde im österreichischen Bundesgebiet der nunmehrige Sechstbeschwerdeführer, XXXX , geboren.

2. Zweite Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet von BF1-BF5, erster Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet des BF6:

2.1. Am 26.01.2018 stellten die Beschwerdeführer die zweiten Anträge (für den minderjährigen Sechstbeschwerdeführer geht es um den ersten Antrag) auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

2.2. Mit Bescheiden vom 20.04.2018 wies die belangte Behörde die zweiten Anträge (bzw. hinsichtlich des minderjährigen Sechstbeschwerdeführers den ersten Antrag) auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. ab (Spruchpunkt II.) und erteilte den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg. cit. (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI). Einer Beschwerde gegen diese Bescheide wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

2.3. Mit Erkenntnissen vom 22.05.2018 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden in allen Punkten als unbegründet ab. Die Erkenntnisse erwuchsen mit Zustellung an ihren Vertreter am 28.05.2018 in Rechtskraft.

3. Dritte Anträge auf internationalen Schutz im Bundesgebiet der BF1 bis BF5, zweiter Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet des BF6:

3.1. Am 27.07.2018 stellten die Beschwerdeführer (BF1-BF5) ihren dritten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet, der BF6 seinen Zweiten.

3.2. Mit den Bescheiden vom 30.11.2018 wurde die Folgeasylanträge der Beschwerdeführer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten, als auch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (jeweils Spruchpunkte I. und II.), Aufenthaltsberechtigungen aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt (jeweils Spruchpunkt III.) und Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (jeweils Spruchpunkt IV.), sowie festgestellt, dass gemäß § 46 FPG ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist (jeweils Spruchpunkt V.). Eine Frist für eine freiwillige Ausreise wurde den BFs nicht gewährt (jeweils Spruchpunkt VI.) und gegen die Beschwerdeführer (nur BF1 und BF2) gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 FPG ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt (jeweils Spruchpunkt VII.). Auch gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer (BF1 bis BF6) fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

3.3. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.02.2019 wurden die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide gemäß § 68 AVG als unbegründet abgewiesen und im Übrigen die Beschwerde gemäß § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005, sowie § 52 Abs. 9 iVm § 46 und § 55 Abs. 1a FPG 2005 und § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG 2005 (nur BF1 und BF2), als unbegründet abgewiesen. Gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.02.2019, Zlen. W234 XXXX und W234 2135281-3/5E, wurde von BF1 und BF2 eine außerordentliche Revision erhoben.

3.4. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 01.04.2019 der erhobenen Revision wurde dem Antrag gem. § 30 Abs. 2 VwGG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, stattgegeben. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichthofs vom 09.12.2020 wurden die Revisionen zurückgewiesen und das Verfahren ist mit 04.01.2021 in Rechtskraft erwachsen.

4. Erstanträge der Beschwerdeführer (BF1-BF6) im Bundesgebiet auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG:

4.1. Am 23.03.2021 brachten die Beschwerdeführer (BF1 bis BF6) beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die gegenständlichen Erstanträge auf Erteilung von Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK (§ 55 Abs.1 AsylG) ein.

Beschwerdeseitig vorgelegt wurden:

?        Zeugnisse zur Integrationsprüfung, Sprachniveau A2, den BF1 und die BF2 betreffend;

?        Eine undatierte Einstellungszusage, den BF1 betreffend;

?        Diverse Unterstützungsschreiben;

4.2. Mittels Verbesserungsauftrag vom 29.03.2021 wurden die Beschwerdeführer nachweislich aufgefordert, die für das Verfahren notwendigen Unterlagen gemäß § 8 AsylG-DV 2005 vorzulegen.

4.3. Am 14.04.2021 erschienen die Beschwerdeführer persönlich bei der belangten Behörde und legten je ein Lichtbild, sowie die Heiratsurkunde von BF1 und BF2 samt Übersetzung, als auch die Geburtsurkunden von BF2 bis BF5 samt Übersetzung, die Geburtsurkunde des BF6 in deutscher Sprache, sowie handschriftliche Begründungen zu den gegenständlichen Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 55 AsylG vor. Begründend wurde im Wesentlichen auf die erfolgte Integration der Beschwerdeführer in die österreichische Gesellschaft verwiesen, sowie auf die A2-Deutschkenntnisse von BF1 und BF2, auf die Trainertätigkeit des BF1, sowie auf den Schulbesuch, die Integration und die Deutschkenntnisse der Kinder. Abschließend wurde auf die schlechte Situation im Heimatland und das gute Einleben der Kinder in Österreich hingewiesen. Unter einem stellten die Beschwerdeführer Anträge auf Mängelheilung hinsichtlich der nicht erfolgten Vorlage ihrer Reisepässe im Verfahren. Begründet wurden die beschwerdeseitigen Anträge auf Mängelheilung dahingehend, dass die Beschwerdeführer vor ca. 7 Jahren als Asylwerber aufgrund politischer Verfolgung nach Österreich gekommen seien und große Angst hätten zur russischen Botschaft fahren zu müssen, um Reisepässe für die Familie zu beantragen. Die Beschwerdeseite verwies dabei auf § 19 Abs. 8 Z 3 NAG.

4.4. Mit den angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde (BFA) vom 05.05.2021 wurden die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer (BF1- BF6) gemäß § 55 Abs. 1 AsylG vom 23.03.2021 gemäß § 13 Abs. 3 AVG zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Anträge auf Mängelheilung vom 14.04.2021 gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 Asyl-DV 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.).

In der Bescheidbegründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die gegenständlichen Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 55 AsylG unvollständig gewesen seien und die Beschwerdeseite im Rahmen eines Verbesserungsauftrages darüber informiert worden sei. Hierzu wurde den Beschwerdesführern eine Frist von zwei Wochen ab Zustellung der Verfahrensanordnung eingeräumt und sie seien darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei ihre Anträge zurückzuweisen. Die Beschwerdeführer seien der Mängelbehebung jedoch nicht ausreichend nachgekommen und hätten nicht alle geforderten Urkunden und Nachweise vorgelegt. Es habe nicht festgestellt werden können, welche Gründe die Beschwerdeführer an der Beibringung gültiger Reisedokumente gehindert hätten. Der beschwerdeseitigen Begründung für ihren Mängelheilungsantrag, wonach die Beschwerdeführer große Angst gehabt hätten zur Botschaft nach Wien zu fahren, da sie aufgrund politischer Verfolgung nach Österreich gekommen wären, hielt die belangte Behörde entgegen, dass bereits in drei rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren festgestellt worden sei, dass die Beschwerdeführer keiner Verfolgung im Sinne der GFK ausgesetzt gewesen seien und es daher für die Beschwerdeführer jederzeit möglich und zumutbar gewesen wäre, sich mit der Botschaft des Heimatlandes in Verbindung zu setzen, um ein Reisedokument zu erlangen. Dies sei bis dato nicht geschehen.

4.5. Mit Verfahrensanordnung vom 05.05.2021 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig für ein etwaiges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

4.6. Mit für alle Beschwerdeführer (BF1-BF3) gleichlautendem Schriftsatz vom 11.06.2021 erhoben die BF1-BF6 durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht Beschwerde gegen die Bescheide vom 05.05.2021 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde zu Unrecht von einer versäumten Mitwirkungpflicht der Beschwerdeführer ausgegangen sei, da die Behörde den Schluss ziehe, das Verfahren zum gestellten Antrag nicht fortsetzen zu können, da die Identität der Beschwerdeführer nicht feststünde. Zur ausgesprochenen Abweisung des Heilungsantrages der BF sei zwar in den Asylverfahren festgestellt worden, dass eine Verfolgung der BFs iSd GFK nicht vorläge, dies würde aber per se nicht ausschließen, dass subjektive und begründete Ängste vor einer Aufsuchung der Botschaft des Herkunftsstaates bei den BF vorlägen. Die belangte Behörde haben dbzgl. keine Ermittlungsschritte gesetzt. Des Weiteren habe die belangte Behörde ihre Manuduktionspflicht vernachlässigt, seien die Beschwerdeführer aufgrund der langjährigen Aufenthalts sozial und sprachlich integriert und habe man auch die künftige Selbsterhaltungsfähigkeit per vorgelegter Einstellungszusage belegt. Die Beschwerdeführer seien stets kooperativ gewesen und hätten stets mitgewirkt. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den Antrag nach § 55 AsylG einer inhaltlichen Prüfung zuführen, sowie feststellen, dass den BF aufgrund deren Integrationsverfestigung ein humanitäres Bleiberecht zu erteilen ist. Dem Beschwerdeschreiben beigelegt waren

?        die Sprachzeugnisse von BF1 und BF2;

?        diverse Unterstützungsschreiben;

?        eine undatierte Einstellungszusage betreffend den BF1;

4.7. Mit undatiertem, handschriftlichen Schreiben des BF1, eingelangt am 17.06.2021, informierte der BF1, dass die Familie noch immer über keine russischen Reisepässe verfügen würde. Die Beschwerdeführer hätten sich jedoch beim russischen Konsulat in Wien für eine Warteschlange angemeldet, um russische Reisepässe zu bekommen. Ein dreiseitiger Screenshot des Bildschirms der Registrierung auf Einreichung der Dokumente sei dem Schreiben angeschlossen worden, wie auch sei eine notariell beglaubigte Übersetzung des Screenshots beigelegt worden.

4.8. Die Beschwerdevorlage vom 22.06.2021 und die Verwaltungsakte langten beim Bundesverwaltungsgericht am 28.06.2021 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Anträge der Beschwerdeführer (BF1-BF6) gemäß § 55 Abs. 1 AsylG vom 23.03.2021, der handschriftlichen Antragbegründungen für die Beschwerdeführer (BF1-BF6) vom 14.04.2021, der beschwerdeseitigen Anträge auf Mangelheilung samt handschriftlicher Begründungen für die Beschwerdeführer (BF1-BF6) vom 14.04.2021, der am 11.06.2021 eingebrachten Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide vom 05.05.2021 (BF1-BF6), der Einsichtnahme in die Verwaltungsakte und in die Vorakte der bereits abgeschlossenen Asylverfahren der Beschwerdeführer (BF1-BF6), der von den Beschwerdeführern vorgelegten Unterlagen und Dokumente, der Auszüge des Zentralen Melderegisters, des Fremden- und Grundversorgungsinformationssystems, des Strafregisters der Republik Österreich, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

1.1.    Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer (BF3-BF6). Die Beschwerdeführer (BF1-BF6) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, stammen aus der Teilrepublik Dagestan und sind Angehörige der awarischen Volksgruppe.

Der Erstbeschwerdeführer reiste spätestens am 12.10.2013 illegal in das Bundesgebiet ein, die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer reisten spätestens am 26.02.2015 illegal in das Bundesgebiet. Der Sechstbeschwerdeführer wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren.

Hinsichtlich BF1 bis BF5 liegen bereits 3 negativ rechtkräftig abgeschlossene Asylverfahren im Bundesgebiet vor, hinsichtlich des Sechstbeschwerdeführers bereits 2 negativ rechtskräftig abgeschlossene Asylverfahren. Spätestens seit 04.01.2021 liegen die jüngsten rechtskräftigen Rückkehrentscheidungen gegen die Erst- bis Sechstbeschwerdeführer vor, sowie auf die Dauer von 2 Jahre befristete, rechtskräftige Einreiseverbote gegen BF1 und BF2. Trotzdem haben sich die Beschwerdeführer (BF1-BF6) beharrlich geweigert das Bundesgebiet zu verlassen, trachteten danach ihren unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu verlängern und haben am 23.03.2021 die gegenständlichen Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 55 Abs. 1 AsylG gestellt. Die Beschwerdeführer (BF1-BF6) haben zur Begründung ihrer Anträge nach § 55 AsylG keinen maßgeblich geänderten Sachverhalt zum Vorverfahren vorgebracht.

Die Beschwerdeführer (BF1-BF6) haben – trotz Verbesserungsauftrag vom 29.03.2021 - im bisherigen Verfahren weder gültige Reisepässe, noch Nachweise über die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Erlangung von Reisedokumenten vorgelegt und kamen somit ihrer Mitwirkungspflicht in casu nicht nach.

BF1 und BF2 haben im Verfahren Zeugnisse zur Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau A2 vorgelegt. Der BF1 hat eine undatierte Einstellungszusage in Vorlage gebracht.

Der Beschwerdeführer verfügen in Österreich über private und soziale Bindungen.

Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten.

2.       Beweiswürdigung:

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

2.2. Die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer (BF1 bis BF6) und ihr familiäres Verhältnis zueinander ergibt sich aus den Angaben der Beschwerdeführer im bisherigen Verfahren, wie aus den beschwerdeseitigen Angaben in den vorangegangenen Asylverfahren der Beschwerdeführer im Bundesgebiet, wie auch in Zusammenschau mit den vorgelegten Geburtsurkunden von BF2 bis BF6 und der Heiratsurkunde von BF1 und BF2. Dass die Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten sind, wurde aktuellen Strafregisterauszügen betreffend die volljährigen Beschwerdeführer entnommen und ergibt sich für die minderjährigen Beschwerdeführer aus deren Deliktsunfähigkeit.

2.3. Dass die Beschwerdeführer bis dato weder gültige Reisedokumente, noch Nachweise über die Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit ihrer Erlangung vorlegten, ergibt sich aus der Aktenlage. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer ihre Mitwirkungspflichten in casu verletzt haben, beruht zum einen auf den beschwerdeseitigen Angaben im bisherigen Verfahren über ihre Bemühungen zur Beischaffung neuer Reisepässe, sowie andererseits auf der Tatsache, dass sie bis dato - trotz wiederholter Hinweise auf ihre Mitwirkungspflichten - keine gültigen Reisepässe de facto vorgelegt haben. Die Beschwerdeführer haben ihre Antragstellung auf Heilung des Mangels der Vorlage ihrer Reisepässe im gegenständlichen Verfahren am 14.04.2021 im Wesentlichen damit begründet, dass sie vor ca. 7 Jahren aufgrund ihrer politischen Verfolgung im Herkunftsstaat nach Österreich gekommen sind und daher große Angst hätten zur russischen Botschaft nach Wien fahren zu müssen, um die Reisepässe für die Familie zu beantragen. Eine sinngleiche Begründung findet sich auch im Rahmen der Beschwerdeschrift vom 11.06.2021 auf Seite 4. Hiermit haben die Beschwerdeführer somit zweifelsfrei angegeben, jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Anstrengungen zur Erlangung ihrer Reisepässe bei den Vertretungsbehörden ihres Herkunftsstaates im Bundesgebiet unternommen zu haben.

Wenn die Beschwerdeseite im Rahmen ihrer oa. Begründung vom 14.04.2021 nun anführt, dass es ihnen nicht zumutbar gewesen sei, bei der russischen Botschaft in Wien ihre Reisepässe zu beantragen, da sie sich im Herkunftsstaat einer politischen Verfolgung ausgesetzt wäre, so ist auf die entsprechenden Ausführungen der belangten Behörde in den angefochtenen Bescheiden auf Seite 5 hinzuweisen. Zutreffenderweise wird von der belangten Behörde ausgeführt, dass in bereits 3 (hinsichtlich des BF6 in 2) rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren festgestellt worden ist, dass die Beschwerdeführer im Herkunftsstaat keiner Verfolgung im Sinne der GFK ausgesetzt gewesen sind. Diese Tatsache wurde auch im Rahmen der Beschwerdeschrift auf Seite 4 als solche akzeptiert. Wenn im Rahmen der Beschwerdeschrift jedoch in weiterer Folge gemutmaßt wird, dass trotz Nichtvorliegens einer asylrelevanten Verfolgung der Beschwerdeführer per se nicht ausgeschlossen sei, dass dennoch „subjektive und begründete Ängste vor einer Aufsuchung der Botschaft des Herkunftsstaates“ bei den Beschwerdeführern vorliegen könnten, so vermag die Beschwerdeseite hiermit nicht zu überzeugen, zumal es Sache der Beschwerdeführer ist im Rahmen ihrer Antragstellung zur Mängelheilung substantiiert und nachweislich darzulegen, warum ihnen die Besorgung ihrer Reisepässe nicht möglich bzw. nicht zumutbar ist. Diesen konkreten Nachweis einer Unmöglichkeit oder Umzumutbarkeit der Beschaffung der Reisepässe haben die Beschwerdeführer in casu jedoch deutlich nicht substantiieren können, sondern sich lediglich auf diffuse Behauptungen zurückgezogen.

2.4. Wenn mit Schreiben vom 17.06.2021 beschwerdeseitig ein behaupteter Screenshot einer elektronischen Registrierungsmaske für die Beantragung einer Reisepassausstellung für die Beschwerdeführer (BF1-BF6) samt Übersetzung in Vorlage gebracht wird und somit eine Kontaktaufnahme der Beschwerdeführer mit dem russischen Konsulat in Österreich behauptet wird, spricht dies klar gegen die zuvor beschwerdeseitig behauptete Angst der Beschwerdeführer vor Kontaktaufnahme mit russischen Vertretungsbehörden im Bundesgebiet und verstärkt somit die bereits von der belangten Behörde vertretene Auffassung, dass es den Beschwerdeführern sehr wohl jederzeit möglich und auch zumutbar gewesen wäre, eine Reisepassausstellung bei den Vertretungsbehörden des Herkunftsstaates im Bundesgebiet bereits früher in die Wege zu leiten. Dass die Beschwerdeführer davon keinen Gebrauch gemacht haben, steht ihrer Mitwirkungspflicht in casu klar entgegen. Zur konkreten Aussagekraft des beschwerdeseitig in Vorlage gebrachten Screenshots (samt Übersetzung) einer elektronischen Registrierungsmaske für die Beantragung einer Reisepassausstellung sei noch angemerkt, dass dieser Screenshot keinerlei substantiierbaren Aufschluss darüber liefert, ob dieser tatsächlich von einer beschwerdeseitig behaupteten Anmeldung der Beschwerdeführer beim russischen Konsulat stammt, da aus dem übersetzten Inhalt nichts darauf hindeutet.

2.5. Die Feststellung zur Unrechtmäßigkeit des derzeitigen Aufenthaltes der Beschwerdeführer (BF1-BF6) beruht darauf, dass die BF1-BF6 seit der mit Erkenntnissen des BVwG vom 11.02.2019 erfolgten Abweisung ihrer dritten (hinsichtlich des BF6 der zweite Antrag ) Äntrage auf internationalen Schutz, welche mit Entscheidung des VwGH schließlich am 04.01.2021 in Rechtskraft erwachsen sind über keine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet verfügen. Gemäß § 58 Abs. 13 AsylG 2005 und § 16 Abs. 5 BFA-VG begründen auch weder die gegenständlichen Antragstellungen noch die Erhebung der gegenständlichen Beschwerden ein Aufenthalts- oder Bleiberecht der Beschwerdeführer in Österreich.

2.6. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer (BF1 bis BF6) in casu zur Begründung ihrer gegenständlichen Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 55 Abs. 1 AsylG keinen maßgeblich geänderten Sachverhalt zum Vorverfahren vorgebracht haben, ergibt sich aus dem Umstand, dass sie in der Begründung vom 14.04.2021 im Wesentlichen auf ihre Verfolgungssituation und die nicht vorhandenen Zukunftsaussichten im Herkunftsland, ihre gelungene Integration und die Trainertätigkeit des BF1 verwiesen haben. Weiter haben sie die Schulbesuche der BF3 und des BF4 erwähnt, deren Deutschkenntnisse und die Deutschkenntnisse von BF1 und BF3. Die Kinder hätten sich sehr gut einlebt. Des Weiteren wurden A2-Sprachzeugnisse von BF1 und BF2, eine undatierte Einstellungszusage für den BF1 und diverse Unterstützungserklärungen in Vorlage gebracht. Es wurde somit keine maßgeblich geänderte Sachlage zum Vorverfahren hinreichend subtstantiiert vorgebracht, welche dazu geeignet wäre, eine Neubeurteilung auf der Grundlage des Art. 8 EMRK nach sich ziehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen, und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

3.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.3. Gemäß § 3 BFA-G, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 70/2015, obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes – Bund 2005, BGBl. I Nr. 100 (Z 4).

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

3.4. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zum Spruchteil A;

3.5. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Nach § 55 Abs. 2 AsylG ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

§ 58 AsylG lautet auszugsweise:

"§ 58. [...]

(5) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 sowie auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind persönlich beim Bundesamt zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.

(6) Im Antrag ist der angestrebte Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 bis 57 genau zu bezeichnen. Ergibt sich auf Grund des Antrages oder im Ermittlungsverfahren, dass der Drittstaatsangehörige für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, so ist er über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

(7) Wird einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 stattgegeben, so ist dem Fremden der Aufenthaltstitel auszufolgen. Abs. 11 gilt.

(8) Wird ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 zurück- oder abgewiesen, so hat das Bundesamt darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

[...]

(11) Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist

1. das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen oder

2. der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.

Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

[...]

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.

(14) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche Urkunden und Nachweise allgemein und für den jeweiligen Aufenthaltstitel dem Antrag jedenfalls anzuschließen sind. Diese Verordnung kann auch Form und Art einer Antragstellung, einschließlich bestimmter, ausschließlich zu verwendender Antragsformulare, enthalten."

§ 8 AsylG-DV lautet auszugsweise:

"§ 8. (1) Folgende Urkunden und Nachweise sind – unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 – im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:

1. gültiges Reisedokument (§ 2 Abs 1 Z 2 und 3 NAG);

2. Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;

3. Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;

4. erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die Ehescheidung, Partnerschaftsurkunde, Urkunde über die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, Urkunde über die Annahme an Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde."

3.5.1. Im Zuge des nunmehr gegenständlichen Verfahrens über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMR "Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens" gemäß § 55 Abs. 1 AsylG (BF1 bis BF6) wurden die Beschwerdeführer (BF1-BF6) auf ihre Mitwirkungspflichten hingewiesen und die Beschwerdeführer mit Verbesserungsauftrag aufgefordert, u.a. ihre Reisepässe und Geburtsurkunden beizubringen (s. Beweiswürdigung). Dennoch kamen die Beschwerdeführer (BF1-BF6) der ihnen erteilten Aufforderung zur Vorlage ihrer Reisepässe bis dato nicht nach. Dass die Beschwerdeführer durch die Nichtvorlage ihrer Reisepässe Mitwirkungspflichten verletzt haben, steht im Einklang mit höchstgerichtlicher Judikatur (vgl insb die Entscheidung vom 15.9.2016, Ra 2016/21/0206, in der der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass die Nichtvorlage eines gültigen Reisedokuments bei Unterbleiben einer Antragstellung nach § 4 Abs. 1 Z 3 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV 2005 grundsätzlich eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte zurückweisende Entscheidung rechtfertigt).

3.5.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis vom 30.06.2015, Ra 2015/21/0039, ausführlich mit der Auslegung des § 58 Abs. 11 AsylG 2005 auseinandergesetzt und ist dabei zum Ergebnis gekommen, mit den (mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 2014) vom NAG in das AsylG 2005 transferierten Regelungen für „Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ sei es insoweit der Sache nach lediglich zu einer Zusammenfassung der Abs. 4, 6 und 10 des § 19 NAG gekommen. Von Bedeutung sei allerdings, dass die unterbliebene Vorlage von Identitätsurkunden, wie etwa des Reisepasses, nunmehr einheitlich von § 58 Abs. 11 AsylG 2005 geregelt werde, sodass diesbezüglich im Antragsverfahren nicht auf § 13 Abs. 3 AVG zurückgegriffen werden müsse. Im Übrigen beziehe sich aber auch § 58 Abs. 11 AsylG 2005 (sonst nur) auf Mitwirkungsverpflichtungen im Zusammenhang mit erkennungsdienstlichen Daten und mit der Zustelladresse des Fremden, nicht aber auf solche, die mit der Erhebung von inhaltlichen Erteilungsvoraussetzungen im Zusammenhang stehen (vgl. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168).

3.5.3. Richtigerweise, ist die belangte Behörde daher zum Schluss gekommen, den Antrag aufgrund Verletzung von Mitwirkungspflichten zurückzuweisen.

3.5.4. Auch für das Bundesverwaltungsgericht haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, denen zu entnehmen wäre, aus welchen Gründen es den Beschwerdeführern nachweislich nicht möglich oder zumutbar gewesen sein sollte, die Ausstellung gültiger Reisepässe bei der Vertretungsbehörde ihres Herkunftsstaates in Österreich zu beantragen. Die Mitwirkungspflicht umfasst alle Tat- und Rechtshandlungen, die zur Beschaffung eines fehlenden Identitätspapieres erforderlich sind und nur persönlich vorgenommen werden können und sie endet nach allgemeiner Auffassung auch nicht mit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens, liegt es doch im Interesse der Beschwerdeführer, dass über ihren Antrag positiv entschieden wird. Dazu gehört auch die Vorsprache bei diplomatischen oder konsularischen Vertretungen des Heimatstaates in Österreich (vgl die hg Entscheidungen vom 14.4.2015, W103 1420161-3 und vom 8.9.2016, I406 1308162-3; siehe auch die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 6.10.1998, A 9 S 856/98).

3.5.5. Da die Beschwerdeführer (BF1-BF6) somit kein gültiges Reisedokument, noch eine Bestätigung einer Vertretungsbehörde des Herkunftsstaates, wonach diese Dokumente nicht ausgestellt werden können, vorlegt haben und ihnen die Vorlage dieser Dokumente auch zumutbar war, wozu sie kein nur ansatzweise plausibles Vorbringen erstatteten, waren gegenständliche Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen den Art. 8 EMRK im Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides durch die belangte Behörde gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG somit zurückzuweisen (vgl in diesem Sinne auch die hg Entscheidungen vom 19.7.2016, W189 2016339-1 und vom 5.7.2016, W112 2002031-2).

3.5.6. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und die gegenständliche Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

3.6. Zur Abweisung des Anträge vom 14.04.2021 (BF1-BF6) auf Heilung eines Mangels (Spruchpunkte II.):

3.6.1. Der mit „Urkunden und Nachweise für Aufenthaltstitel“ übertitelte § 8 AsylG-DV, BGBl. I Nr. II Nr. 448/2005, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 230/2017 lautet:

„1) Folgende Urkunden und Nachweise sind – unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 – im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);

2.

Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;

3.

Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;

4.

erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die Ehescheidung, Partnerschaftsurkunde, Urkunde über die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, Urkunde über die Annahme an Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde.

(2) Zusätzlich zu den in Abs. 1 genannten Urkunden und Nachweisen sind dem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 weitere Urkunden und Nachweise anzuschließen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

Nachweis des Rechtsanspruchs auf eine ortsübliche Unterkunft, insbesondere Miet- oder Untermietverträge, bestandsrechtliche Vorverträge oder Eigentumsnachweise;

2.

Nachweis über einen in Österreich leistungspflichtigen und alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz, insbesondere durch eine entsprechende Versicherungspolizze, sofern kein Fall der gesetzlichen Pflichtversicherung bestehen wird oder besteht;

3.

Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts, insbesondere Lohnzettel, Lohnbestätigungen, Dienstverträge, arbeitsrechtliche Vorverträge, Bestätigungen über Pensions-, Renten- oder sonstige Versicherungsleistungen, Nachweise über das Investitionskapital, Nachweis eigenen Vermögens in ausreichender Höhe oder in den bundesgesetzlich vorgesehenen Fällen eine Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung.

(3) Ein Nachweis über die Duldung ist zusätzlich zu den in Abs. 1 genannten Urkunden und Nachweisen dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 anzuschließen.

(4) Beruft sich der Antragsteller betreffend Abs. 2 Z 1, 2 oder 3 auf Leistungen oder die Leistungsfähigkeit eines verpflichteten Dritten, so ist darüber jeweils ein Nachweis anzuschließen.

(5) Das Erfordernis der Vorlage des gültigen Reisedokumentes (Abs. 1 Z 1) entfällt bei einem Kind binnen sechs Monaten nach der Geburt, sofern das Kind noch nicht über ein gültiges Reisedokument verfügt (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG).“

3.6.2. Der mit „Verfahren“ übertitelte § 4 AsylG-DV, BGBl. II Nr. 448/2005, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 492/2013, lautet:

„(1) Die Behörde kann auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG 2005 zulassen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.

im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,

2.

zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder

3.

im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(2) Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 1 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.“

3.6.3. Die belangte Behörde hat unter Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide die gegenständlichen Anträge der BF1-BF6 vom 14.04.2021 auf Mängelheilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV iVm § 8 AsylG-DV abgewiesen.

Im Wesentlichen begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung mit der mangelnden Mitwirkung der Beschwerdeführer im Verfahren, indem die Beschwerdeführer (BF1-BF6) keine gültigen Reisepässe, welche ihre Identität bestätigen, vorgelegt haben. Weiters sei für den BF1 keine Geburtsurkunde samt Übersetzung vorgelegt worden.

Der Verwaltungsgerichthof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses grundsätzlich, wenn es zu keiner Heilung nach § 4 AsylG-DV 2005 zu kommen hat, eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte Zurückweisung rechtfertigt (vgl. VwGH vom 19.09.2019, Ra 2019/21/0103, VwGH vom 17.05.2017, Ra 2017/22/0059, VwGH vom 21.09.2017, Ra 2017/22/0128).

3.6.4. Die Beschwerdeführer (BF1-BF6) verfügten bei Antragstellung gemäß § 55 Abs. 1 AsylG am 23.03.2021 (BF1-BF6) über keine gültigen russischen Reisepässe. Beschwerdeseitig wurde nach erfolgtem Verbesserungsauftrag vom 29.03.2021 mit schriftlicher Begründung für den Mängelheilungsantrag vom 14.04.2021 für die BF1-BF6 behauptet, dass es ihnen aufgrund großer Angst nicht zumutbar gewesen wäre, zur russischen Botschaft in Wien zu fahren um ihre Reisepässe zu beantragen, da sie wegen politischer Verfolgung im Herkunftsstaat vor ca. 7 Jahren nach Österreich gekommen sind (siehe Beweiswürdigung). Es ist somit für das erkennende Gericht erwiesen, dass die Beschwerdeführer bislang keinerlei nachweisbare Bemühungen unternommen haben ihrer Mitwirkungspflicht zur Beischaffung der antragsrelevanten Dokument nachzukommen. Auch wurde beschwerdeseitig kein Nachweis der tatsächlichen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Beschaffung dieser Dokumente vorgelegt.

Da es sich bei den Beschwerdeführern nicht um unbegleiteten Minderjährige handelt, konnte auch eine Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 1 leg. Cit. nicht eintreten. Dass eine Heilung des Mangels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK indiziert gewesen wäre, hat sich im Verfahren ebenfalls nicht ergeben. Gegen alle Beschwerdeführer (BF1 bis BF6) liegen spätestens seit 04.01.2021 rechtskräftige Rückkehrentscheidungen und gegen BF1 und BF2 liegen ebenso rechtskräftige Einreiseverbote vor. Die Beschwerdeseite hat im Rahmen ihrer Antragstellungen nach § 55 Abs. 1 AsylG keinen maßgeblich geänderten Sachverhalt hinreichend substantiiert oder dargelegt (siehe Beweiswürdigung). Auch ist in casu auf den § 60 Abs. Abs. 1 Z 1 AsylG hinzuweisen, wonach eine mögliche Erteilung eines Aufenthaltstitels an BF1 und BF2 aufgrund der gegen diese Beschwerdeführer aufrechten Rückkehrentscheidungen samt Einreiseverbot kontraindiziert ist.

3.6.5. Die Anträge auf Heilung des Mangels der Nichtvorlage von Reisepässen der BF (BF1 bis BF6) wurden daher zu Recht von der belangten Behörde abgewiesen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Einreiseverbot Familienverfahren Interessenabwägung Mangelhaftigkeit Mitwirkungspflicht öffentliche Interessen Pandemie Reisedokument Resozialisierung Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W247.2135275.4.00

Im RIS seit

10.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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