TE Bvwg Beschluss 2021/9/23 W161 2245069-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.09.2021
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Entscheidungsdatum

23.09.2021

Norm

AsylG 2005 §4a
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W161 2245069-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatenlos, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.07.2021, Zl. 1278849500/210816221, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3, 2.Satz BFA-VG i.d.g.F. stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der staatenlose Beschwerdeführer, stellte am 18.06.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Die EURODAC-Abfrage ergab zwei Treffer mit Griechenland, jeweils einen der Kategorie 2 vom 27.12.2019 wegen erkennungsdienstlicher Behandlung und der Kategorie 1 vom 03.07.2020 wegen Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz.

Zum Zeitpunkt seiner Antragstellung in Österreich war der Beschwerdeführer anerkannter Flüchtling in Griechenland.

1.2. Bei seiner Erstbefragung am Flughafen Wien Schwechat am 18.06.2021 gab der Beschwerdeführer an, er leide an keinen Beschwerden oder Krankheiten, die ihn an der Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen würden. Er sei staatenlos und verheiratet. Er habe Syrien im Jahr 2013 verlassen und sei in den Libanon gereist, wo er sich bis 2019 aufgehalten habe. Vom Libanon sei er über den Irak (Aufenthalt drei Tage) und die Türkei (Aufenthalt 24 Tage) im Dezember 2019 nach Griechenland gelangt und zuletzt am 05.06.2021 in Österreich eingereist. In Griechenland habe er eine positive Entscheidung erhalten. Die Zustände seien furchtbar gewesen und schlimmer als in Syrien. In Österreich würden sein volljähriger Sohn, drei Brüder und seine Schwester leben. Als Fluchtgrund nannte der Beschwerdeführer den Krieg in Syrien. In Griechenland wäre er nach Zuerkennung des Asylstatus auf die Straße gesetzt worden und habe keine Unterstützung mehr erhalten.

1.3. Bei einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 12.07.2021 gab der Beschwerdeführer an, er fühle sich physisch und psychisch in der Lage, die Einvernahme durchzuführen. Er höre nicht gut und habe deshalb einen Druck im Kopf. Er sei nicht in ärztlicher Behandlung, gesund und nehme keine Medikamente. Er habe bis dato im Verfahren der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht, wolle jedoch ergänzen, dass sein Sohn als Minderjähriger nach Österreich gekommen sei und eine Beschwerde gegen die Entscheidung der ÖB XXXX nach Antrag auf Familienzusammenführung noch anhängig sei. Er telefoniere täglich mit seinem Sohn und seinem Bruder. Er würde von seinem Sohn und seinem Bruder finanziell unterstützt. Nachgefragt, habe er in Österreich einmalig EUR 100,-- von seinem Sohn erhalten. Seine Ehefrau und seine anderen Kinder würden im Libanon in einem Flüchtlingslager leben. Nach Vorhalt, dass geplant sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen und die Außerlandesbringung nach Griechenland zu veranlassen, gab der Beschwerdeführer an, dass er von Anfang an nach Österreich habe kommen wollen, er aber in Griechenland registriert worden wäre. Er sei in Griechenland krank geworden und nicht versichert gewesen. In Griechenland habe er 1,5 Jahre von Sozialleistungen gelebt. Er habe monatlich EUR 70,-- , ein Quartier zu wohnen und Verpflegung bekommen. Nachdem er den positiven Bescheid bekommen habe, habe er das Camp Ende Mai/ Anfang Juni verlassen müssen und keine Unterstützung mehr bekommen. In Griechenland habe er alle zwei Monate EUR 100,-- von seinem in Österreich lebenden Sohn erhalten. Er habe Gelegenheit erhalten, alles vorzubringen, was ihm wichtig erscheine, den Dolmetsch einwandfrei verstanden und der Einvernahme folgen könne. Er habe keine Einwendungen gegen die Rückübersetzung des Protokolls.

1.4. Mit Bescheid des Bundesamts vom 15.07.2021 wurde unter Spruchpunkt I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich der Beschwerdeführer nach Griechenland zurückzugeben habe. In Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt sowie gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG die Außerlandesbringung nach § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung nach Griechenland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig ist.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Identität des Beschwerdeführers stehe fest. Krankheiten, die einer Überstellung nach Griechenland im Wege stehen würde, könnten beim Beschwerdeführer nicht festgestellt werden. Der Antragsteller habe in Griechenland den Status des Asylberechtigten erhalten. Es liege Verfolgungssicherheit in Griechenland vor.

Er verfüge in Österreich über familiäre bzw. verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte: Sein volljähriger Sohn, der den Status des Asylberechtigten habe, und weitere Brüder des Beschwerdeführers würden in Österreich leben. Eine Abhängigkeit zu seinem Sohn bzw. seinen Brüdern bestehe nicht.

1.5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerecht erhobene Beschwerde, in welcher im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer in Griechenland weder genug Nahrung noch eine Unterkunft gehabt hätte, sodass er gezwungen gewesen wäre, auf der Straße zu leben. In Griechenland drohe ihm aufgrund der Obdachlosigkeit ohne Chance auf Zugang zu irgendeiner Form von staatlicher Unterstützung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit unmenschliche Behandlung iSd Art. 3 EMRK. Zudem riskiere der Beschwerdeführer eine Ansteckung mit Covid-19, zumal er dort ohne geeignete Unterbringungsmöglichkeiten auch die lebensnotwendigen Sicherheits- und Hygienemaßnahme nicht ergreifen bzw. einhalten könne. Die Behörde habe keine Feststellungen zur Versorgung des Beschwerdeführers bei dessen Rückkehr nach Griechenland getroffen. Die belangte Behörde hätte zu dem Schluss kommen müssen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Griechenland jedenfalls eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte drohe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang, insbesondere der Umstand, dass dem BF in Griechenland der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Der Beschwerdeführer gab anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA an, er habe 1,5 Jahre in Griechenland gelebt und bis zum Erhalt seines positiven Bescheids Sozialleistungen erhalten. Nach Erhalt des positiven Bescheides habe er das Camp verlassen müssen und keine Unterstützung mehr erhalten.

Ergänzende Ermittlungen zu den Lebensumständen des BF nach Zuerkennung des Asylstatus in Griechenland liegen nicht vor. Im angefochtenen Bescheid unterzieht das BFA die geltend gemachte Obdachlosigkeit und Mittellosigkeit nach Schutzgewährung in Griechenland keiner Würdigung, sondern führt im Allgemeinen wie folgt aus:

„Wie bereits angeführt, ist der Behörde bekannt, dass Sie in Griechenland einen Schutzstatus erhielten. Sie sind somit in Griechenland aufenthaltsberechtigt und weiters berechtigt, an den gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen und an den Integrationsprogrammen, ua. zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, teilzunehmen.

Die ho. Behörde verkennt dabei nicht, dass es schwierig ist, sich im dortigen Arbeitsmarkt zu integrieren. Jedoch geht aus den Länderinformationsblättern hervor, dass asylberechtigte Personen den griechischen Staatsangehörigen gleichgestellt sind.

Ebenso ist festgehalten, dass anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte Zugang zum Arbeitsmarkt und zu medizinischer Behandlung haben.

Auch der Umstand, dass Sie sich ca. 1,5 Jahre lang in Griechenland aufgehalten haben, beweist, dass die Versorgung doch funktioniert haben muss, da Sie im gegenteiligen Fall wohl nicht so lange dortgeblieben wären. Diesbezüglich gaben Sie im Rahmen der Einvernahme an, dass Sie Sozialleistungen erhalten haben. Sie haben monatlich EUR 70,- erhalten und erhielten zudem Kost und Logis.“

Dabei übersieht die Behörde, dass der Beschwerdeführer seinen eigenen Angaben zufolge in Griechenland bis zum Erhalt des Asylstatus versorgt worden wäre, er jedoch danach von Obdachlosigkeit und Mittellosigkeit bedroht gewesen wäre und keinerlei Unterstützung mehr erhalten hätte.

Die belangte Behörde hat auch keine Erhebungen darüber angestellt, wann dem Beschwerdeführer tatsächlich der Asylstatus in Griechenland zuerkannt wurde, wie lange er sich nach Zuerkennung des Asylstatus bis zum Verlassen Griechenlands dort noch aufgehalten hat und unter welchen Lebensumständen er nach Verlassen des Flüchtlingslagers gelebt hat und dazu auch keine Feststellungen getroffen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Verfahrensgang sowie zur Asylantragstellung des BF und dessen Asylstatus in Griechenland ergeben sich aus dem Akt des BFA und dem eigenen Vorbringen des BF.

Die Feststellungen zum Vorbringen des BF wurden dem Einvernahmeprotokoll vom 12.07.2021, die festgestellten Ausführungen des BFA aus dem angefochtenen Bescheid entnommen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde

Gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Bei § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG handelt es sich um eine von § 28 Abs. 3 erster und zweiter Satz VwGVG abweichende Regelung, die auf die Besonderheiten des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens Bedacht nimmt, indem die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung zur Fällung einer zurückverweisenden Entscheidung im Fall einer Beschwerde gegen einen im asylrechtlichen Zulassungsverfahren erlassenen Bescheid allein an die in § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG genannten Voraussetzungen geknüpft ist. Mit einer solchen Entscheidung geht die Rechtsfolge der Zulassung des Asylverfahrens einher und diese Sonderbestimmung gelangt für sämtliche Beschwerden im Zulassungsverfahren zur Anwendung (vgl. VwGH 08.07.2021, Ra 2021/20/0074).

Dem BF wurde im EU-Mitgliedstaat (und damit auch EWR-Staat) Griechenland der Status eines Asylberechtigten zuerkannt, sodass sein gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz gem. § 4a AsylG grundsätzlich zurückzuweisen ist, wenn er in Griechenland Schutz vor Verfolgung gefunden hat und ihm – aus verfassungsrechtlichen Erwägungen – keine Verletzung seiner Rechte gem. Art. 3 oder 8 EMRK droht.

Im Urteil vom 19.03.2019, Rs C-297/17 ua, Ibrahim, leitete der Europäische Gerichtshof aus dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten ab, im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems müsse die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht (vgl. Rz 85), und führte zu Artikel 4 GRC im Hinblick auf Lebensbedingungen von Schutzberechtigten in dem Schutz gewährenden Mitgliedstaat wie folgt aus:

„88 Daher ist das Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein neuer Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wurde, in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die der Antragsteller vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem bereits subsidiären Schutz gewährenden Mitgliedstaat nachzuweisen, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. entsprechend Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).

89 Insoweit ist festzustellen, dass die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Schwachstellen nur dann unter Art. 4 der Charta, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, fallen, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).

90 Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).

91 Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 93).

92 Im Hinblick auf die insoweit vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen ist festzustellen, dass unter Berücksichtigung der Bedeutung, die der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens für das Gemeinsame Europäische Asylsystem hat, Verstöße gegen Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungsrichtlinie, die nicht zu einer Verletzung von Art. 4 der Charta führen, die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, ihre durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie eingeräumte Befugnis auszuüben.

93 Der vom vorlegenden Gericht ebenfalls genannte Umstand, dass subsidiär Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der dem Antragsteller diesen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Antragsteller dort tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende Behandlung zu erfahren, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die den in den Rn. 89 bis 91 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien entspricht.

94 Jedenfalls kann der bloße Umstand, dass in dem Mitgliedstaat, in dem der neue Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als in dem bereits subsidiären Schutz gewährenden Mitgliedstaat, nicht die Schlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung in den zuletzt genannten Mitgliedstaat tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende Behandlung zu erfahren (vgl. entsprechend Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 97).“

Mit rezentem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25.06.2021, E 599/2021, wurde eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffend eine in Griechenland schutzberechtigte, junge, gesunde Frau ohne Betreuungspflichten, die über eine zwölfjährige Schulbildung, eine vierjährige universitäre Ausbildung und eine Berufsausbildung zur Dolmetscherin verfügte und zirka neun Monate in Griechenland aufhältig war, behoben und wie folgt ausgeführt:

„Vor dem Hintergrund dieser Berichtslage (wobei aktuellere Berichte eine wohl noch stärkere Gefährdungslage beschreiben, siehe nur die der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht beigelegte Stellungnahme der Stiftung Pro Asyl/RSA, Information zur Situation international Schutzberechtigter in Griechen-land, vom 9. Dezember 2020) ergibt sich ohne nähere Auseinandersetzung mit der konkreten Situation der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die Feststellungen in den Länderberichten nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr keine reale Gefahr einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung drohen werde. Zwar trifft zu, dass anerkannten Schutzberechtigten nach Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L 337, 9, grundsätzlich "nur" ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zusteht. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich jedoch etwa nicht damit auseinander, ob die von Art. 34 der Richtlinie 2011/95/EU geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen angeboten werden (vgl. dazu das deutsche BVerfG 31.7.2018, 2 BvR 714/18, Rz 23). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe angewiesen sein wird, hätte es weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und wieweit für die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland zumindest in der ersten Zeit Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird.“

Auch wenn sich dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes auf Länderinformationen der Staatendokumentation mit Stand vom 04.10.2019 und letzter Kurzinformation vom 19.03.2020 bezieht, ergeben sich aus der nunmehr aktualisierten und dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderinformation der Staatendokumentation betreffend Griechenland aus dem COI-CMS (Version 2) ähnliche Schwierigkeiten für Schutzberechtigte beim Zugang zu Unterkunft, Arbeit, Sozialleistungen, medizinischer Versorgung und Integrationsprogrammen. So wird etwa erwähnt:

?        „Eine Residence Permit Card (RPC) ist Voraussetzung für den Erhalt finanzieller Unterstützung, einer Wohnung, einer legalen Beschäftigung, eines Führerscheins und einer Steuer- bzw. Sozialversicherungsnummer, für die Teilnahme an Integrationskursen, für den Kauf von Fahrzeugen, für Auslandsreisen, für die Anmeldung einer gewerblichen oder geschäftlichen Tätigkeit und – abhängig vom jeweiligen Bankangestellten - oftmals auch für die Eröffnung eines Bankkontos (VB 19.3.2021). Der Erhalt einer RPC dauert jedoch in der Praxis Monate und die Behördengänge sind für Personen ohne Sprachkenntnisse und Unterstützung äußerst schwierig zu bewerkstelligen.“

?        „Bei HELIOS handelt sich um ein Projekt von IOM zur Integration von Schutzberechtigten, die in einer offiziellen Unterbringungseinrichtung leben (AIDA 6.2020; vgl. IOM o.D.). Helios ist das einzige aktuell in Griechenland existierende offizielle Integrationsprogramm für internationale Schutzberechtigte. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln des europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF); Umgesetzt wird das Programm von IOM in Zusammenarbeit mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Das Programm wurde im Juli 2019 gestartet und hat eine Laufzeit bis Juni 2021. […] Keinen Zugang zu Fördermaßnahmen aus dem HELIOS-Programm haben demzufolge international Schutzberechtigte, die entweder vor dem 1. Januar 2018 internationalen Schutz erhalten haben oder die zwar nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden, jedoch zum Zeitpunkt ihrer Anerkennung nicht in einer offiziellen Unterkunft in Griechenland gelebt haben, oder die sich nicht innerhalb eines Jahres nach Anerkennung für HELIOS registriert haben. Somit besteht in aller Regel für Schutzberechtigte, die aus anderen Ländern nach Griechenland zurückkehren, keine Möglichkeit, von Helios zu profitieren (ProAsyl 4.2021).“

?        „Phase zwischen positivem Bescheid und dem tatsächlichen Erhalt der RPC-Card

Tatsächlich gibt es bis zum Erlangen der RPC oder bis zur Teilnahme am Helios Programm keinerlei finanzielle oder anderweitige Unterstützung. Ohne gültige Aufenthaltserlaubnis können international Schutzberechtigte keine Sozialversicherungsnummer (AMKA) erhalten und diese wiederum ist Voraussetzung für den Zugang zu Sozialleistungen, zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsversorgung. Ärztliche Untersuchungen und Behandlungen sowie ggf. benötigte Medikamente müssen ohne Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer privat bezahlt werden (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).“

?        „In Griechenland existiert keine staatliche Unterstützung für international Schutzberechtigte beim Zugang zu Wohnraum, es wird auch kein Wohnraum von staatlicher Seite bereitgestellt (ProAsyl 4.2021). Auch gibt es keine Sozialwohnungen (VB 12.4.2021) und auch keine Unterbringung dezidiert für Schutzberechtigte. Laut einer Webseite der Stadt Athen gibt es vier Unterbringungseinrichtungen mit insgesamt 600 Plätzen, die jedoch bei weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Viele Betroffene sind daher obdachlos, leben in besetzten Gebäuden oder überfüllten Wohnungen (AIDA 6.2020; vgl. VB 12.4.2021). Legale Unterkunft ohne RPC zu finden, ist fast nicht möglich. Da z.B. bei Arbeitssuche, Bankkontoeröffnung, Beantragung der AMKA usw. oftmals ein Wohnungsnachweis erforderlich ist, werden oft Mietverträge für Flüchtlinge gegen Bezahlung (300-600 Euro) temporär verliehen: d.h., der Mieter wird angemeldet, ein Mietvertrag ausgestellt und nach kurzer Zeit wieder aufgelöst. Wohnbeihilfe bekommt man erst, wenn man per Steuererklärung seinen Wohnsitz über mehr als 5 Jahre in Griechenland nachweisen kann (VB 1.3.2021). NGOs wie etwa Caritas Hellas bieten gemischte Wohnprojekte an. Die Zahl der Unterkünfte in Athen – auch der Obdachlosenunterkünfte - ist jedoch insgesamt nicht ausreichend (VB 1.3.2021). Dass trotz dieses Umstandes Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen darstellt, ist auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Nationalitäten zurückzuführen, über die auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann. Wo staatliche Unterstützung fehlt, ist die gezielte Unterstützung der NGOs von überragender Bedeutung für Flüchtlinge und Migranten, wenngleich auch diese Organisationen nicht in der Lage sind, die erforderlichen Unterstützungen flächen- und bedarfsdeckend abzudecken (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).

?        „Auch die tägliche Lebenshaltung stellt viele Schutzberechtigte vor große Probleme. Da sie griechischen Staatsbürgern gleichgestellt sind, gibt es von offizieller Seite kaum Unterstützung für diesen Personenkreis. Einige NGOs in Athen (wie etwa KHORA, Network for Refugees, Hope Cafe,…) stellen kostenlos – aber bei weitem nicht in ausreichendem Maße, um alle Bedürftigen zu versorgen - Essen zur Verfügung. Die Bereitstellung von zB Hygiene- und Toilettenartikel gestaltet sich sehr schwierig; hierfür gibt es nur sehr wenige Anlaufstellen. Einige Gemeinden in Griechenland bieten anerkannten Schutzberechtigten auf freiwilliger Basis bzw. mittels Abkommen mit der griechischen Regierung monatliche Unterstützung für Essenszuteilungen an (nur Essen, kein Geld). Voraussetzungen hierfür sind das Vorliegen von RPC, AMKA-Nummer, Steuernummer, Bankkonto, Mietvertrag und Telefonvertrag für eine gültige SIM-Karte. Jede einzelne dieser Voraussetzungen ist schwierig zu erfüllen und mit mit großem Zeitaufwand verbunden. Somit kommen nur sehr wenige Berechtigte in den Genuss derartiger Unterstützungsleistungen (VB 12.4.2021).“

?        „Schutzberechtigte haben grundsätzlich Zugang zu medizinischer Versorgung wie griechische Staatsangehörige, in der Praxis schmälert aber der Ressourcenmangel im griechischen Gesundheitssystem diesen Zugang, was aber in gleichem Maße auch für griechische Staatsbürger gilt. Bei Flüchtlingen kommen jedoch auch Verständigungsschwierigkeiten und Probleme beim Erlangen der Sozialversicherungsnummer (AMKA) hinzu (AIDA 6.2020). Die AMKA kann bei der Gesundheitsbehörde (EKKA) elektronisch beantragt werden, man braucht dazu aber eine RPC und ein Jobangebot einer Firma. Ohne Jobangebot können Flüchtlinge eine PAAYPA (vorläufige AMKA für Fremde) beantragen. Mit AMKA ist voller Zugang zu öffentlichen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, usw. möglich, mit PAAYPA hingegen nur beschränkt. Manche Einrichtungen akzeptieren eine PAAYPA nicht. Jene Personen wären dann auf Privatärzte oder NGOs angewiesen (VB 1.3.2021). Zudem gibt es in Athen einige „Sozial-Apotheken“ wo billige oder sogar kostenlose Medikamente und medizinische Artikel erhältlich sind – diese unterstützen auch einkommenslose Griechen (VB 12.4.2021). […] Durch die massiven Einsparungen am Gesundheitspersonal in den Jahren der Wirtschaftskrise kann der Zugang zum Gesundheitssystem mit langen Wartezeiten verbunden sein (AI 3.3.2021).“

?        „Anerkannte Schutzberechtigte und deren Familienangehörige mit gültiger Aufenthaltserlaubnis haben unter den gleichen Bedingungen wie griechische Staatsangehörige Zugang zu einer Beschäftigung im Angestelltenverhältnis, zur Erbringung von Dienstleistungen oder Arbeit sowie das Recht, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben. Wichtig für eine legale Beschäftigung ist der Nachweis einer gültigen Aufenthaltserlaubnis. Allenfalls ist darauf zu achten, dass diese rechtzeitig verlängert wird (UNHCR o.D.). Voraussetzungen ist u.a. der Nachweis der Unterkunft: […] Eine weitere Voraussetzung ist das Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer (AMKA). […] Tatsächlich aber behindern die hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Sprachkenntnisse und bürokratische Hindernisse diesen Zugang, außer im informellen Sektor. Die meisten Schutzberechtigten sind daher auf Unterstützung angewiesen. Zugang zu Sozialhilfe ist gegeben, bürokratische Hürden stellen aber ein Problem dar (AIDA 6.2020).“

Wie sich aus diesen Länderinformationen ableiten lässt, sind Schutzberechtigte in Griechenland zwar rechtlich griechischen Staatsbürgern grundsätzlich gleichgestellt, sie können jedoch faktisch auf besondere Schwierigkeiten stoßen, die auf ihre herausfordernde Situation als Fremde ohne oder mit geringen Kenntnissen der Landessprache und der administrativen Vorgänge in einem Staat, dessen wirtschaftliche Lage allgemein bekannt angespannt ist, zurückzuführen sein können.

Wie bereits erwähnt, werden laut den vorliegenden Länderinformationen im angefochtenen Bescheid Schutzberechtigten in Griechenland im Rahmen des Programms HELIOS Unterstützungsmaßnahmen gewährt. Es sei das einzige in Griechenland existierende Integrationsprogramm für international Schutzberechtigte und biete neben Integrationskursen sowie einzelnen Maßnahmen zur Arbeitsintegration auch Unterstützung bei der Anmietung von Wohnraum. Mangels näherer Ermittlungen des BFA bleibt jedoch im vorliegenden Fall unklar, ob der BF an diesem Integrationsprogramm bereits teilgenommen hat bzw. im Falle einer Rückkehr tatsächlich Zugang dazu hätte. Insbesondere geht aus den Länderinformationen im angefochtenen Bescheid hervor, dass das Programm eine „Laufzeit bis Juni 2021“ habe. Auf einer öffentlich zugänglichen Website von UNHCR Griechenland wird demgegenüber eine Laufzeit bis Ende August 2021 erwähnt (siehe https://greece.iom.int/en/hellenic-integration-support-beneficiaries-international-protection-helios). In dieser Hinsicht erweisen sich die Länderinformationen als nicht hinreichend aktuell und insofern mangelhaft, als offen bleibt, ob dieses Integrationsprogramm fortgesetzt wird oder durch andere Programme, die Integrationsmaßnahmen für Schutzberechtigte bieten, ersetzt wurde.

Vor dem Hintergrund der vom BFA herangezogenen Länderinformationen und der schon im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides getroffenen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 25.06.2021, E 599/2021, wäre das BFA im vorliegenden Fall - angesichts der vom Beschwerdeführer behaupteten Obdachlosigkeit - auch gehalten gewesen, die Rückkehrsituation im vorliegenden Fall näher prüfen und hätte sich nicht auf die Feststellung beschränken dürfen, es würden keine Anhaltspunkte vorliegen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Überstellung nach Griechenland in eine existentielle Notlage geraten müsste.

Abgesehen von der behaupteten Obdachlosigkeit und fehlender finanzieller Unterstützung lässt sich aus dem vom BFA ermittelten Sachverhalt nicht entnehmen, wie der BF trotz der behaupteten Mängel dennoch nach Gewährung des Asylstatuts bis zum Verlassen des Landes in Griechenland verbleiben konnte. Die Lebensumstände des BF während dieser Zeit wurden seitens des BFA keiner näheren Prüfung unterzogen. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Länderinformationen und der obzitierten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes kommt dieser Frage aber Relevanz im Hinblick darauf zu, ob der BF – sollten ihm in erster Zeit nicht von Seiten des griechischen Staates Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen ermöglicht werden – nach einer Rückkehr selbst oder mit Unterstützung durch nichtstaatliche Organisationen oder mithilfe von bereits während seines vormaligen Aufenthaltes in Griechenland aufgebauten sozialen Netzwerken in der Lage wäre, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Für die Beurteilung seiner Rückkehrsituation können neben den bisherigen Lebensumständen in Griechenland unter Berücksichtigung der Dauer des vormaligen Aufenthalts in Griechenland als Schutzberechtigter auch eine etwaige auf dem griechischen Arbeitsmarkt verwertbare Ausbildung oder Arbeitserfahrung sowie Sprachkenntnisse des BF von Bedeutung sein, auch vorhandene eigene finanzielle Mittel oder familiäre bzw. soziale Unterstützung könnten in diese Bewertung miteinbezogen werden.

Aufgrund der mangelhaft ermittelten Sachverhaltsgrundlage unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des VfGH kann im gegenständlichen Fall sohin nicht abschließend beurteilt werden, ob im Falle einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Griechenland die reale Gefahr einer Verletzung seiner gemäß Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte bestünde.

Im fortgesetzten Verfahren bedarf es daher einer Abklärung zum aktuell bestehenden Angebot an Programmen, die Integrationsmaßnahmen für Schutzberechtigte anbieten, und zu deren Umfang (siehe dazu auch VfGH 25.06.2021, E 599/2021, Rz 21). Darüber hinaus sind weitere Erhebungen im gegenständlichen Fall zu den Fragen notwendig, ob dem BF im Fall einer Rückkehr nach Griechenland zumindest in erster Zeit von Seiten des Staates Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen zur Verfügung stünde und – sollte dies zu verneinen sein – ob der BF allenfalls mit Hilfe von nichtstaatlichen Einrichtungen oder durch Unterstützung von Angehörigen oder Bekannten seine elementaren Bedürfnisse befriedigen könnte, ohne einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt zu sein, aufgrund der Lebensumstände eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK oder Art. 4 GRC zu erfahren. Der Umstand, dass Personen, denen subsidiärer Schutz zuerkannt wird, in dem Mitgliedstaat keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch insofern anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Antragsteller dort tatsächlich einer solchen Gefahr ausgesetzt wäre, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (vgl. EuGH 19.03.2019, Rs C-297/17 ua, Ibrahim).

In casu gab der Beschwerdeführer im Zuge seiner Einvernahme zudem an, dass sein in Österreich befindlicher – und zum damaligen Zeitpunkt minderjähriger – Sohn einen Antrag auf Familiennachzug gestellt habe, der sich im Beschwerdeverfahren befinde. Der Akt des Bundesamtes beinhaltet einen Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister, aus dem hervorgeht, dass 2018 ein Antrag nach NAG gestellt wurde. Dem Verwaltungsakt des BFA ist auch zu entnehmen, dass der Akt der zuständigen NAG-Behörde dringend angefordert worden sei. Weder aus dem Bescheid noch aus dem Akt des Bundesamtes ergibt sich jedoch, dass eine Auseinandersetzung mit dem Antrag auf Familienzusammenführung aus dem Jahr 2018 nachgegangen wurde.

Zudem erklärte der Beschwerdeführer, von seinem Sohn in Griechenland alle zwei Monate Unterstützung in Höhe von EUR 100,-- und einmalig in Österreich erhalten zu haben. Zwar ist dem Bundesamt soweit zuzustimmen, als die Überweisung von Geldbeträgen – wie auch in der Vergangenheit – von Österreich aus nach Griechenland möglich ist. Das Bundesamt übersieht jedoch, dass der Beschwerdeführer laut den Länderfeststellungen und aktuellen Berichten nach dessen Rückkehr nach Griechenland keine staatlichen Unterstützungsleistungen mehr erhalten werde, sodass er für seinen gesamten Lebensunterhalt aufkommen werden müsse.

Das Bundesamt hat somit auch verabsäumt, sich mit dem Stand des Verfahrens zum Familiennachzug zu befassen und keine Erhebungen zu den im Falle einer Rückkehr nach Griechenland gebotenen finanziellen Unterstützungen durch den Sohn des Beschwerdeführers getätigt.

Die von der belangten Behörde angeführte und auf Annahmen gründenden Argumentationen stellen jedenfalls – wie bereits oben näher ausgeführt – keine maßgeblichen Schritte zur Ermittlung des relevanten Sachverhalts dar.

Im fortgesetzten Verfahren bedarf es daher auch weiterer Erhebungen zum Verfahrensstand des offenen Antrags auf Familienzusammenführung sowie zu finanziellen Unterstützung des Beschwerdeführers durch dessen Sohn durchzuführen – dies insbesondere im Hinblick auf den Umstand, dass die bisher erhaltenen staatlichen Unterstützungsleistungen in Griechenland nun nicht mehr zur Bestreitung des Lebensunterhaltes beitragen.

Im vorliegenden Fall kann zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts, aufgrund der mangelnden Sachverhaltserhebungen durch die erstinstanzliche Behörde, nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob bei dem Beschwerdeführer aufgrund der ihm gegenüber ausgesprochenen Außerlandesbringung eine Gefährdung der durch Art. 3 und Art. 8 EMRK geschützten Rechtsposition des Beschwerdeführers ausgeschlossen werden kann.

Wie dargelegt wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehender Möglichkeiten nicht ausreichend ermittelt, weshalb zwingend gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG vorzugehend war.

Eine mündliche Verhandlung konnte gem. § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG idgF unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die tragenden Elemente der Entscheidung liegen allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedsstaat, welche sich bereits aus den umfassenden und aktuellen Feststellungen des angefochtenen Bescheides ergab, in der Bewertung der Intensität ihrer privaten und familiären Interessen und demgemäß in Tatbestandsfragen.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EGMR bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Versorgungslage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W161.2245069.1.01

Im RIS seit

09.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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