TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/9 W117 2017300-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.11.2021
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Entscheidungsdatum

09.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs2
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W117 2017300-2/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. DRUCKENTHANER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU – Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.02.2020, Zl. 811516510-180855159, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.09.2021, zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 9 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG 2005 idgF stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.

II. In Stattgebung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird die Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 idgF um weitere zwei Jahre (bis zum 09.11.2023) verlängert.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 16.12.2011 illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und beantragte internationalen Schutz.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (in der Folge: BVwG) vom 25.11.2015 (W197 2017300-1/11E) wurde dem BF rechtskräftig subsidiärer Schutz zuerkannt und ihm eine Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte bis zum 25.11.2016 erteilt. Mit demselben Erkenntnis wurde das Beschwerdeverfahren hinsichtlich Spruchpunkt I. (Abweisung des Antrages des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten) des damals angefochtenen Bescheides wegen der ausdrücklichen Zurückziehung der Beschwerde gegen diesen Spruchpunkt gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

Auf Antrag des BF vom 17.11.2016 wurde dem BF die befristete Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) vom 28.11.2016 bis zum 25.11.2018 verlängert.

Am 20.09.2018 beantragte der BF abermals die Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

Mit Schreiben vom 11.09.2018 teilte das Landesgericht für Strafsachen XXXX dem BFA mit, dass über den BF die Untersuchungshaft verhängt wurde.

Am 19.10.2018 wurde gegen den BF ein Verfahren zur Aberkennung des subsidiären Schutzes eingeleitet. Am selben Tag wurde dem BF diesbezüglich ein Parteiengehör gewährt und der BF auch zu seinem Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung befragt.

In dieser niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA gab der BF an, seit vier Monaten in Afghanistan verlobt zu sein. Er habe weder Kinder noch eine Freundin/Lebensgefährtin oder Familienangehörige in Österreich. Seine gesamte Familie (Eltern, vier Brüder und sieben Schwestern) würden in Pakistan leben. Sein Vater sei nach Afghanistan (Surkhrod/Jalalabad) gereist, um eine Verlobte für den BF zu finden. Seine Familie stamme ursprünglich aus Kandahar. Vor seiner Ausreise habe er in Afghanistan drei Jahre lang die Schule besucht und dann als LKW-Fahrer für einen Tanker gearbeitet, weswegen er dort auch verfolgt worden sei und seine Familie letztlich das Land verlassen habe.

In Afghanistan (Surkhrod) würden nur noch seine Onkel väterlicherseits leben. Seine Verlobte und deren Familie würden ebenfalls in Surkhrod leben, mit diesen sei er regelmäßig in Kontakt. Er habe vor, seine Verlobte nach Pakistan zu bringen, um sie dort besuchen zu können. Der BF habe keine österreichischen Freunde, seine Freunde in Österreich seien Afghanen, Araber, Serben oder Afrikaner. Er sei weder bei einem Verein noch für eine gemeinnützige Organisation tätig. Er spreche ein wenig Deutsch, als er mit dem A1-Kurs begonnen habe, sei er aber festgenommen worden. Er habe in Österreich weder eine Ausbildung gemacht noch gearbeitet. Zwei- oder dreimal habe er organisiert, dass ein Sänger oder Dichter komme und die Afghanen die Sitzungen oder Konzerte besuchen, das sei alles. Im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, wegen seiner ehemaligen Tätigkeit als Tankerchauffeur verfolgt zu werden. Seine Onkel väterlicherseits würden ständig gefragt, wo er sich befinde. Vor seiner Ausreise habe er auch Drohbriefe bekommen, sein Leben wäre in Gefahr.

Vor seiner Inhaftierung habe er Cannabis geraucht, jetzt leide er unter Einschlafstörungen und habe ständig Kopf- und Magenschmerzen, dagegen bekomme er Medikamente in der Justizanstalt.

Am 17.01.2020 wurde der BF neuerlich zur Prüfung seiner persönlichen Situation in Verbindung mit einer allfälligen Lageänderung in Afghanistan durch das BFA niederschriftlich einvernommen, wobei der BF seine bisherigen Angaben im Wesentlichen bestätigte, bzw. wiederholte. Im Gegensatz zur Einvernahme vom 19.10.2018 gab der BF jedoch nunmehr an, dass insgesamt acht seiner Onkel mit deren Familien, ebenso wie mehrere Tanten mütterlicherseits, in Kandahar/Afghanistan leben würden. Sein ältester Bruder sei zwar in Pakistan aufhältig, arbeite jedoch in Afghanistan, vermutlich in Kabul. Weiters habe er eine Tante in Pakistan. Seine persönliche Situation in Österreich habe sich insofern verändert, als dass er sich seit ca. elf Monaten in Haft befinde und er im Gefängnis vier Monate lang einen Deutschkurs besucht habe. Er würde auch gerne in der Justizanstalt arbeiten, dies sei aber – so der Sozialdienst – derzeit nicht möglich, da sein Gerichtsverfahren noch nicht beendet sei.

Dem BF wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Stand 13.11.2019, übergeben und ihm eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme gewährt.

Der BF brachte in der Folge keine Stellungnahme ein.

Mit Bescheid des BFA vom 25.02.2020 wurde dem BF der ihm mit Erkenntnis vom 25.11.2015, Zahl W197 2017300-1/11E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten § 9 Absatz 1 Ziffer 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), ihm die mit Erkenntnis vom 25.11.2015, Zahl W197 2017300-1/11E, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Absatz 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.), ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.), ihm gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 5 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, gegen ihn ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte die Behörde dazu aus, dass die zum Zeitpunkt der Schutzgewährung vorgelegen Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt hätten, bezüglich der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des BF wie auch seiner damaligen individuellen Situation zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht mehr vorlägen. Insbesondere stünde dem BF – durch seine zahlreichen Onkel und Tanten in Kandahar einerseits sowie seinen in Kabul aufhältigen ältesten Bruder andererseits – nunmehr ein familiäres Unterstützungsnetzwerk in Afghanistan zur Verfügung.

Es könne somit nicht festgestellt werden, dass der BF zum Entscheidungszeitpunkt im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Nicht festgestellt werden könne darüber hinaus, dass dem BF im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre oder er in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden.

Es könnten auch keine maßgeblichen Integrationsbemühungen des BF in Österreich festgestellt werden. Der BF habe keine Familienangehörigen im Bundesgebiet, sei bislang keiner beruflichen Beschäftigungen nachgegangen, habe nur den Deutschkurs „A0“ besucht und lebe ausschließlich von Sozialleistungen. Er sei weder Mitglied in einem Verein noch aktiv in einer gemeinnützigen Organisation tätig. Vielmehr sei der BF schwerwiegend straffällig geworden und verbüße derzeit eine Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren, weshalb auch ein unbefristetes Einreiseverbot gegen ihn zu erlassen gewesen sei.

Aufgrund der dort vorherrschenden volatilen Sicherheitslage sei dem BF zwar eine Rückkehr in seine Herkunftsregion Nangahar derzeit nicht zumutbar, sehr wohl jedoch eine Ansiedlung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 06.05.2020 fristgerecht vollumfänglich Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den BF günstigerer Bescheid erzielt worden wäre.

Zusammengefasst wurde darin ausgeführt, dass die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten akten- und rechtswidrig sei. Die belangte Behörde könne nicht darlegen, inwiefern sich die Lage in Afghanistan oder die persönliche Situation des BF im Vergleich zum Zeitpunkt der Gewährung des subsidiären Schutzes maßgeblich geändert hätte und dadurch der Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG erfüllt wäre.

Die Gründe für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz hätten sich nicht geändert, die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich seit Zuerkennung des Status des Subsidiär Schutzberechtigten vielmehr maßgeblich verschlechtert.

Vor allem die derzeitige Pandemiesituation in Afghanistan lasse eine Rückkehr des BF nicht zu. Dass die Familie des BF in Afghanistan leben könne, bedeute im Umkehrschluss nicht, dass dies auch für den BF möglich sei. Dieser fürchte bis zum heutigen Tag persönliche Verfolgung und stelle sich auch die allgemeine Lage in Afghanistan weiterhin als äußerst prekär dar.

Aus den aktuellen Länderberichten der Staatendokumentation zur Lage in Afghanistan, insbesondere auch in den Großstädten Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif, ergebe sich, dass sich die Sicherheitslage zuletzt verschlechtert habe und äußerst volatil sei. Der BF wäre im Fall der Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere aufgrund seiner durch seine langjährige Abwesenheit aus Afghanistan bedingten Unkenntnis der aktuellen Gegebenheiten und Umstände, die ihm wirksame Schutzmaßnahmen unmöglich machen würde, unter anderem einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt. Auch wäre der BF derzeit nicht in der Lage, seine lebensnotwendigen Bedürfnisse wie Unterkunft, Arbeit, medizinische Versorgung oder Zugang zu Lebensmittel oder Trinkwasser zu decken.

Das BFA habe es verabsäumt, ausreichende und aktuelle Länderberichte zu Herat, Mazar-e-Sharif und zur dortigen Sicherheits- und Versorgungslage in die Entscheidung miteinfließen zu lassen.

Bei gesetzmäßiger Führung des Ermittlungsverfahrens, einer Auseinandersetzung mit der Begründung für die Gewährung des subsidiären Schutzes sowie einer mangelfreien Beweiswürdigung hätte die belangte Behörde dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG nicht aberkennen dürfen.

Die belangte Behörde habe weiters das Prinzip des Refoulementverbotes verletzt, indem sie ausgesprochen habe, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Selbst aus den bereits von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen ergebe sich, dass eine Abschiebung nach Afghanistan, egal in welchen Landesteil, eine Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK bedeuten würde.

Bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes habe es die Behörde unterlassen, eine individuelle Gefährlichkeitsprognose zu treffen, keine Beurteilung des Persönlichkeitsbildes des BF vorgenommen und damit die vermeintlich vom BF ausgehende Gefährdung nicht im erforderlichen Ausmaß geprüft. Es fehle im Bescheid jegliche Begründung, warum nach Ansicht der Behörde nur mit einem unbefristeten Einreiseverbot vorgegangen werden könne. Bei einer Abwägung der Interessen hätte bedacht werden müssen, dass es sich bei der verurteilten Straftat um die erste Tat des BF handle und er nunmehr schon nahezu fünf (gemeint wohl: zehn) Jahre in Österreich lebe. Ein unbefristetes Einreiseverbot sei somit überschießend.

Beantragt wurde die gänzliche Behebung des angefochtenen Bescheides sowie der Ausspruch, dass die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu Unrecht erfolgt sei, die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung zugunsten des BF für weitere zwei Jahre gemäß § 8 Abs. 4 AsylG sowie die Behebung des Einreiseverbots; in eventu die Behebung der Spruchpunkte III. – V. und Abänderung des Bescheides dahingehend, dass die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt und dem BF ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG erteilt werde sowie die Verkürzung des Einreiseverbotes; in eventu die Behebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA sowie die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Das BFA legte dem BVwG die Beschwerde sowie den Verwaltungsakt, einlangend am 08.05.2020, vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Mit Schreiben vom 23.08.2021 bzw. 24.08.2021 (Verlegung) wurde der BF zu einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG geladen.

Am 15.09.2021 führte das BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der BF, vertreten durch die BBU GmbH und unter Heranziehung eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu, zu seinen persönlichen Lebensumständen, insbesondere zu seiner Straffälligkeit und seiner Lebenssituation und Integration in Österreich befragt wurde.

Die Verhandlung nahm entscheidungswesentlich folgenden Verlauf:

„[…]

R: Seit wann halten Sie sich durchgehend in Österreich auf?

BF: Ich habe ehrlich gesagt das Datum nicht im Kopf, aber ich weiß, dass ich im Jahr 2010 nach Österreich gegangen bin.

R: Sind Sie durchgehend in Österreich aufhältig?

BF: Nur in Österreich.

R: Auf welchem Niveau sprechen Sie bereits Deutsch? Sie sind nun seit elf Jahren hier.

BF: Ich kann zwar Deutsch, aber ehrlich gesagt traue ich mich nicht sehr viel.

R: Haben Sie ein Zertifikat?

BF: Ja, ich habe B1 gemacht.

RV gibt bekannt, dass der BF während der Haft Deutschkurse auf dem Niveau B1 besuchte.

RV legt Kursbesuchsbestätigungen vor.

R: Haben Sie die Deutschkurse erfolgreich abgeschlossen? Es handelt sich hierbei nur um Besuchsbestätigungen.

BF: Ja, ich habe Prüfungen gehabt. Nach dem Deutschkurs habe ich direkt gearbeitet, ich habe im Gefängnis gearbeitet.

RV gibt an, dass es keine Prüfungszertifikate gibt.

R: Gibt es außerhalb der Haft A1 oder A2 Zertifikate?

BF: Draußen habe ich nur A1 gemacht. All meine Dokumente und Bestätigungen waren bei mir zu Hause als ich ins Gefängnis kam und nach meiner Haftentlassung waren alle Dokumente weg.

R: Was haben Sie im Gefängnis gearbeitet?

BF: Ich war dort im Bereich der Reinigung beschäftigt, ich habe sowohl die Gänge, als auch die Büros usw. gereinigt.

R: Haben Sie außerhalb der Anhaltung in Haft jemals gearbeitet?

BF: Ja, als ich vom Gefängnis hinauskam habe ich gearbeitet. Zurzeit arbeite ich auch.

R: Was arbeiten Sie aktuell?

BF: Früher habe ich in einer Metallfirma gearbeitet, jetzt arbeite ich in einer anderen Firma. Meine Vertreterin hat auch eine Bestätigung.

RV legt eine Meldung über die Arbeitsaufnahme – Beginn des Dienstverhältnisses 12.07.2021 – vom 09.07.2021 vor.

R: Was arbeiten Sie aktuell?

BF: Ich belade und entlade LKWs.

R: Dies ist eine aktuelle Arbeitsbestätigung. Wann wurden Sie aus der Haft entlassen?

BF: Ich muss ehrlich sagen, die ersten acht Jahre habe ich nicht arbeiten dürfen. Ich habe es immer versucht, aber ich durfte nicht arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt habe ich letztendlich auch Pech gehabt muss ich ehrlich sagen. Als man mein Visum oder meine Aufenthaltsberechtigung zugeschickt hat, hatte ich diese Wohnung bereits verlassen. Ich hatte eine andere Adresse. Erst nach sieben Monaten hat die Post versucht mich zu finden und dann erst habe ich meine Papiere erhalten. Das war mein Pech.

R: Sie müssten jede Änderung der Wohnadresse melden. Da kann man doch nicht von „Pech“ sprechen.

BF: Ja, das akzeptiere ich auch. Es war mein Fehler, aber ich kannte ehrlich gesagt die Gesetze nicht genau zu diesem Zeitpunkt. Ich konnte auch nicht so gut Deutsch. Nach diesen besagten sieben Monaten habe ich A1 gemacht und die anderen Kurse habe ich im Gefängnis gemacht.

R: Wann war das?

BF: Mein erster Sprachkurs war im Jahr 2016. Diesen Kurs habe ich damals vom AMS bekommen, weil ich zu diesem Zeitpunkt endlich arbeiten durfte, hat mir das AMS vorgeschlagen, ich sollte besser Deutsch sprechen und deswegen habe ich den Kurs bekommen.

R: Das war A1?

BF: Ich weiß nicht genau, darauf stand A01. Ich war insgesamt 18 Monate lang im Gefängnis und davon habe ich sicher drei Monate lang Deutschkurse gemacht.

R: Wann genau wurden Sie inhaftiert?

BF: Im neunten Monat 2018.

R: Und bis zu diesem Zeitpunkt haben Sie nie gearbeitet?

BF: Nein, weil ich erst vom AMS die Erlaubnis bekommen habe zu arbeiten.

R: Ihnen wurde am 25.05.2015 subsidiärer Schutz eingeräumt und ab diesem Zeitraum konnten Sie sich um Arbeit bemühen.

BF: Ganz ehrlich, ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht gut Deutsch.

R: Obwohl Sie zu diesem Zeitpunkt bereits vier Jahre lang in Österreich waren?

BF: Es gab keine Möglichkeit, weil ich damals als fast jugendlicher in ein Heim gegangen bin, wo nur erwachsene Menschen gelebt haben. Deswegen hatte ich am Anfang keine Chance einen Kurs zu bekommen.

R: Sie hätten in dieser Zeit Deutsch lernen können.

BF: Ja, ich kann mich nicht dafür verantwortlich machen.

R: Haben Sie sich ehrenamtlich, in Vereinen oder sonst wie betätigt?

BF: Ja, ich war sehr sportlich. Ich habe Cricket gespielt, auch in Österreich. Obwohl ich damals nur pro Monat € 150,- bekommen habe, habe ich mir das damit geleistet, weil ich Cricket geliebt habe.

R: Haben Sie Familienangehörige hier in Österreich?

BF: Ich habe in Österreich niemanden.

R: Sie müssen doch irgendeine soziale Verankerung in Österreich haben.

BF: Ich habe viele österreichische Bekannte und Freunde hier.

R: Dann müssten Sie doch besser Deutsch können.

BF: Ich habe immer versucht mit ihnen zu sprechen und ich tue das auch. Manchmal bemerke ich, dass ich falsch spreche, aber der Kontakt ist da.

RV bringt vor, dass die Deutschkenntnisse des BF aufgrund der Situation und der Aufregung gerade nicht zur Geltung kommen. Meiner Meinung nach spricht er tatsächlich sehr gut Deutsch. Es konnten große Teile der Vorbereitung auf Deutsch durchgeführt werden.

R: Wo leben Ihre Familienangehörigen aktuell?

BF: Unsere Familien leben zurzeit in zwei Teilen, ein Teil in Pakistan und ein Teil davon in Afghanistan.

R: Wo in Pakistan?

BF: In Peshawar, genauer in XXXX .

R: Wie viele Kilometer liegt es von Peshawar entfernt?

BF: Circa eine halbe Autostunde. Eigentlich gehört XXXX auch zu Peshawar, aber eher als ein Außenbezirk.

R: Wer von Ihren Verwandten lebt dort?

BF: Meine Mutter, mein Vater, vier Brüder und sieben Schwestern.

R: Wer von Ihren Familienangehörigen lebt aktuell in Afghanistan?

BF: Meine näheren Verwandten leben in Afghanistan.

R: Können Sie dies konkretisieren?

BF: Damit meine ich meine Frau und ihre Familie.

R: Sie sind verheiratet?

BF: Ich bin nur verlobt, wir haben die Hochzeit noch nicht hinter uns.

R: Wie lange sind Sie schon verlobt?

BF: Sechs Monate bevor ich ins Gefängnis kam, haben wir uns verlobt.

R: Haben Sie sich verlobt oder wurden Sie verlobt?

BF: Ich bin verlobt worden, weil ich dort ja nicht anwesend war.

R: Kennen Sie diese Frau überhaupt?

BF: Ja, es ist die Tochter meines Onkels ms.

R: Und Ihre Verlobte wartet derzeit auf Sie?

BF: Ja, das kann ich so sagen, obwohl es für sie dort jetzt stress gibt.

R: Wo in Afghanistan hält sich Ihre Verlobte derzeit auf?

BF: In der Stadt Jalalabad.

R: Wovon lebt Ihre Verlobte und dessen Familie?

BF: Mein zukünftiger Schwiegervater hat früher gearbeitet, aber ich weiß, dass es ihnen derzeit sehr schlecht geht.

R: Was hat er früher gearbeitet?

BF: Er hat früher eine sehr große Ziegelei gehabt.

R: Und jetzt nicht mehr?

BF: Wegen dem Krieg und der Ansiedelung der Taliban geht dies zurzeit nicht.

R: Die Taliban müssten doch ein Interesse daran haben, dass eine solche für die Wirtschaft elementaren Produktionen weitergeht.

BF: Die Taliban kennen keine Menschlichkeit. Ein Beispiel kann ich geben, neuerlich hat man Amrullah SALEH, den Führer der Widerstandsbewegung in Panshir, getötet hat.

R: Was haben die Menschenrechtsverletzungen der Taliban mit dem Ziegelwerk zu tun? Solch eine Produktionsstätte müssten die Taliban sogar begrüßen, weil es um den Aufbau des Landes geht.

BF: Es war so, der Onkel ms hat damals einen Vertrag mit dem Staat unterschrieben und alle Produktionen gingen direkt an den Staat.

R: Sie meinen, dass Ziegelwerk lieferte direkt an den Staat?

BF: Ja, der Kunde war der afghanische Staat.

R: Umso logischer, dass nun die neue Staatsführung so einen wichtigen Betrieb weiterführt.

BF: Wenn die Taliban für unsere Bevölkerung gearbeitet hätte und für sie gewesen wäre, wäre ich heute nicht vor Ihnen. Zum Beispiel waren sie vor 20 Jahren auch in Afghanistan anwesend. Ich bin selbst ein sehr einfacher Mensch. Ich bin nur ein Chauffeur, früher habe ich auch als Chauffeur gearbeitet. Ich habe sogar Bedrohungen als einfacher Chauffeur von ihnen bekommen.

R: Was haben Sie in Afghanistan bis zu Ihrer Ausreise beruflich genau gemacht?

BF: Ich habe dort sowohl die LKWs beladen und entladen, ich bin auch LKWs gefahren.

R: Haben Sie dazu den entsprechenden Führerschein?

BF: Ja.

R: Haben Sie diesen in Österreich bereits umschreiben lassen?

BF: Nein.

R Wieso nicht?

BF: Es war so, dass ich all meine Dokumente bei meiner ersten Einvernahme im Jahre 2010 abgegeben habe. Ich habe es nach sieben oder acht Jahren wiederbekommen.

R: Sie hätten es zuvor verlangen können. Als LKW-Fahrer bräuchten Sie auch nicht solch gute Deutschkenntnisse. Sie haben sich eine Berufschance genommen.

BF: Ich lüge niemals. Ich bin sogar zwei Mal deswegen hingegangen. Wie gesagt, die Zeit war vorbei und man hat es nicht umgeschrieben. Es war zu spät.

R: Asylrelevante Bedrohungsszenarien aus der Zeit vor der Gewährung des subsidiären Schutzes vom 25.11.2015 haben keine Relevanz, weil der BF in der Verhandlung vom 10.11.2015 ausdrücklich seinen Asylantrag zurückgezogen hat. Der subsidiäre Schutz wird ihm nur aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage vergeben.

RV: Mir ist klar, dass das keine Relevanz hat.

R: Von was lebt Ihre verlobte und die Familie Ihrer Verlobten aktuell in Afghanistan?

BF: Ich weiß es nicht genau. Manchmal, wenn ich mit meiner Verlobten oder ihrer Familie spreche beklagen sie sich nur über die jetzige Situation.

R: Sprechen Sie auch darüber, was diese den ganzen Tag langmachen?

BF: Es ist so eine schlechte Situation. In der Zeit als es ihnen einigermaßen gut ging, war ich im Gefängnis und nun geht es ihnen nicht gut.

R: Wie stellen Sie sich die Zukunft mit Ihrer Verlobten vor? Ihre Verlobte kann aktuell nicht herkommen. Wir die Verlobung dann wieder gelöst?

BF: Ich könnte sicherlich zurückkehren, aber sobald es möglich ist, werde ich versuchen sie herbringen zu lassen.

R: Nach Österreich?

BF: Nach Möglichkeit ja, wenn es nach mir ginge.

R: Warum können Sie nicht zurück?

BF: Ich habe dort ein Problem, weil ich ein Chauffeur des afghanischen Staates gewesen bin.

R: Aber Sie haben ja in der Verhandlung vor dem BVwG Ihren Asylantrag ausdrücklich zurückgezogen, was eigentlich nur Sinn macht, wenn man keine Verfolgung zu befürchten hat.

BF: Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht verlobt. Ich war alleine.

R: Und aus diesem Grund haben Sie den Asylantrag zurückgezogen??

BF: Ich habe die Frage nicht verstanden.

R wiederholt die Frage.

BF: Ehrlich gesagt kannte ich die Unterschiede zwischen den verschiedenen Stufen von Asyl nicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich einen privaten Anwalt und nach ca. 20 Minuten war alles vorbei. Ich war einfach froh, dass ich irgendwas bekommen habe und zwei Jahre lang Asyl habe.

Folgende Erkenntnisquellen werden der beschwerdeführende Partei genannt und deren Inhalt erörtert:

Quellen:

- UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018

- UNHCR Position on Returns to Afghanistan (August 2021)

- UNHCR Afghanistan Situation Supplementary Appeal (July-December 2021)

- Länderinformation der Staatendokumentation Afghanistan aus dem COI-CMS vom 28.06.2021

- Sonderkurzinformation der Staatendokumentation (Aktuelle Lage in Afghanistan) vom 17.08.2021

- Kurzinformation der Staatendokumentation, Aktuelle Entwicklungen und Informationen in Afghanistan (Stand: 20.08.2021)

-- EASO Country Guidance: Afghanistan Update September 2021

Der R erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte.

Im Anschluss daran legt der R die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

Die R gibt den Parteien die Möglichkeit, in diese herkunftsstaatsbezogenen Berichte Einsicht zu nehmen sowie zu den vom R dargelegten Feststellungen eine Stellungnahme abzugeben.

RV: Ich beantrage eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme von zwei Wochen.

Diese Frist wird der RV vom R gewährt.

RV gibt an, dass die angeführten Länderdokumentationsmaterialien ihr vorliegen (in ihrer Eigenschaft als Mitarbeiterin der BBU GmbH).

R: Sie wurden vom Straflandesgericht XXXX verurteilt. Als Bestimmungstäter indem Sie einer namentlich bekannten Person vor dem ersten September 2018 telefonisch den Auftrag zur Einfuhr von 2.453,90 Gramm Cannabiskraut gaben. Weiters wurden Sie verurteilt im Zeitraum von Anfang 2018 bis September 2018 eine namentlich bekannte Person angewiesen zu haben mindestens 9.000 Gramm Cannabiskraut im Kellerabteil seiner Wohnung in XXXX zu verwahren. In wiederholten Angriffen mindestens 8.500 Gramm Cannabiskraut und 250 Stück Ecstasy-Tabletten an namentlich bekannte Personen und nicht bekannte Personen gewinnbringend verkauft zu haben. Sie haben also insofern das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a SMG begangen. Sie sind offensichtlich eine führende Person in der Organisation gewesen, weil Sie als Bestimmungstäter aufscheinen. Was sagen Sie dazu?

BF: Ich muss ehrlich sagen, als ich nach Österreich gekommen bin, kannte ich diese Tabletten und Cannabis überhaupt nicht. Leider bin ich falschen Leuten begegnet und so habe ich damit Bekanntschaft gemacht. Zu diesen Vorwürfen kann ich mich nur entschuldigen. Ja, ich habe es verkauft und gehabt. Ich habe auch selbst geraucht, aber ich kann mich dafür nur schämen. Ich sage trotz allem, dass es der Vergangenheit angehört und ich jetzt ein anderer Mensch bin.

Verlesen werden die beiden Urteile in Bezug auf die angenommenen Erschwerungs- und Minderungsgründe.

R: Selbst, wenn Sie mit falschen Leuten in Verbindung kommen erklärt dies für mich nicht Ihre tragende Rolle dabei, weil Ihre Erklärung würde eher bedeuten, dass Sie ein kleines Rädchen bei den schlechten Freunden sind. Sie werden hier aber als maßgebliche Figur dargestellt. Man könnte also eher meinen, die anderen hatten Pech gehabt mit Ihnen bekannt zu werden.

BF: Ich kann dazu nur so viel sagen, dass das ganze so begonnen hat, dass ich zwei Leute kennengelernt habe, die auch nicht meine Heimatsleute sind. Sprich sie stammen aus einem anderen Land. Sie haben das ganze geführt. Nochmals, ich habe einen großen Fehler gemacht. Ich habe im Gefängnis auch gelernt, dass man solche Sachen niemals machen sollte.

RV wird die Möglichkeit gegeben sich dazu zu äußern.

RV: Wie der BF bereits angegeben hat, tut ihm das geschehene sehr leid. Seit der Tat bzw. der Verurteilung ist bei dem BF ein positiver Lebenswandel zu verzeichnen. Bereits während des Aufenthaltes in der Justizanstalt war er bemüht die deutsche Sprache zu lernen und arbeitete als Reinigungskraft. Nach seiner Entlassung im Mai 2021 ging der BF eigenständig auf Jobsuche und arbeitete seither. Im gegenständlichen Fall führt der positive Lebenswandel zu einer positiven Gefährdungsprognose.

Der RV wird die Möglichkeit gegeben Fragen an den BF zu stellen.

RV: Keine Fragen.

BF: Ich möchte mich von Herzen entschuldigen, was damals passiert ist.

Der RV werden die vorgelegten Originaldokumente zurückgegeben, sie übermittelt mit der schriftlichen Stellungnahme Kopien dieser.

[…]“

Mit Schriftsatz vom 24.09.2021 brachte der BF eine Stellungnahme ein und führte darin zusammengefasst aus, dass – bezugnehmend auf Judikatur des EuGH sowie des VwGH –bei der Würdigung der „Schwere der Straftat“ iSd § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG, bzw. Art. 17 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU, nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen sei.

Gegenständlich ergebe die gebotene umfassende Einzelfallprüfung, dass beim BF eine positive Zukunftsprognose zu treffen sei.

Konkret sei zu berücksichtigen, dass bei einer Strafandrohung von 15 Jahren gegen den BF lediglich eine Freiheitsstrafe von fünf (gemeint wohl: vier) Jahren verhängt wurde, woraus abzuleiten sei, dass die Verurteilung jedenfalls nicht subjektiv besonders schwerwiegend gewesen sei. Selbiges ergebe sich auch aus den vom Strafgericht berücksichtigten Milderungsgründen und der frühzeitigen Entlassung des BF.

Auch sei beim BF jedenfalls ein positiver Lebenswandel zu verzeichnen. So habe dieser seinen Haftaufenthalt dazu genutzt, einen Deutschkurs auf dem Niveau B1 zu besuchen und sei während seines Haftaufenthaltes auch als Reinigungskraft tätig gewesen. Unmittelbar nach der Entlassung aus der Haft habe sich der BF um eine Arbeit bemüht und bereits Anfang Juli als Hilfsarbeiter bei der Firma XXXX begonnen. Demnächst werde der BF einen Arbeitsvertrag abschließen und als Vollzeit-Arbeitskraft tätig sein.

Eine Aberkennung des subsidiären Schutzes sei daher gegenständlich nicht zulässig.

Die Situation in Afghanistan habe sich durch die gewaltsame Übernahme durch die Taliban noch weiter verschlimmert. Eine Rückkehr nach Afghanistan würde den BF daher in eine existenzbedrohende Lage bringen, die Inanspruchnahme einer IFA sei dem BF keinesfalls zumutbar.

Eine Abschiebung des BF nach Afghanistan würde eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen und sei damit jedenfalls unzulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

I. Sachverhalt:

Zur Person des BF:

Der BF führt die im Spruch genannte Identität. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischen Glaubensbekenntnisses. Er stammt aus der Provinz Nangahar, Distrikt Surkh Rod. Der BF hat keine Kinder und ist ledig, jedoch seit ca. drei Jahren mit einer in Jalalabad/Afghanistan aufhältigen afghanischen Staatsangehörigen verlobt. Seine Muttersprache ist Paschtu, er spricht aber auch ein wenig Dari und verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1.

In Afghanistan hat er drei Jahre lang die Schule besucht und anschließend den Beruf des LKW-Fahrers ausgeübt. Im Herkunftsstaat leben noch acht Onkel väterlicherseits und deren Familien sowie mehrere Tanten mütterlicherseits, sie alle leben in Kandahar. Die Verlobte des BF und deren Familie leben in der Provinz Nangahar. Mit ihnen hat der BF regelmäßig Kontakt. Seine Eltern und Geschwister leben in Pakistan, sein ältester Bruder arbeitet jedoch in Kabul.

Zum Leben des BF in Österreich:

Im Jahr 2011 reiste der BF illegal ins Bundesgebiet ein und hält sich seither durchgehend in Österreich auf. Mit hg. Erkenntnis vom 25.11.2015 wurde ihm rechtskräftig subsidiärer Schutz zuerkannt. Zuletzt wurde ihm mit Bescheid des BFA eine bis zum 25.11.2018 befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte erteilt.

Mit Urteil des OLG XXXX vom 30.10.2019 wurde der BF zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren verurteilt und befand sich von 08.09.2018 bis 08.05.2021 in Haft.

Während seiner Anhaltung im Strafvollzug war der BF für ca. fünf Monate als Reinigungskraft in der Hausreinigung tätig und besuchte zwei Deutschkurse auf dem Niveau B1.

Ab 12.07.2021 war der BF bei der Firma XXXX GmbH als Hilfsarbeiter beschäftigt, seit 30.09.2021 ist er für die XXXX GmbH tätig und bestreitet seinen Lebensunterhalt durch die Verrichtung von Lagerarbeiten im Ausmaß von 35 Std./Woche bei der Firma XXXX m.b.H. Er ist daher als selbsterhaltungsfähig anzusehen.

Der BF ist weder Mitglied in einem Verein, noch aktiv ehrenamtlich tätig und hat keine Familienangehörigen in Österreich, er verfügt jedoch über Bekannt- und Freundschaften zu österreichischen Staatsbürgern.

Der BF hat seit dem Jahr 2016 mehrere Deutschkurse, zuletzt auf dem Niveau B1, besucht und verfügt über entsprechende Deutschkenntnisse.

Der BF ist arbeitsfähig und gesund.

Zur strafgerichtlichen Verurteilung des BF:

Der BF wurde am 30.10.2019 vom OLG XXXX wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach §§ 12 zweiter Fall StGB, 28a Abs. 1 zweiter Fall SMG, § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 4 Z 3 SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall und Abs. 2 SMG nach § 28a Abs. 4 SMG rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF

I. als Bestimmungstäter vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge des §28b SMG übersteigenden Menge von Italien aus- und nach Österreich eingeführt hat, in dem er einem anderen zu unbekannten Zeitpunkten vor dem 1. September 2018 telefonisch den Auftrag zur Einfuhr von 2.453,90 Gramm Cannabiskraut (188,28 Gramm Delta-9-THC [rund 9 Grenzmengen]) erteilte;

II. anderen vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge überlassen hat, in dem er im Zeitraum von Anfang 2018 bis zum 8. September 2018

1. einen anderen anwies, insgesamt mindestens 9.000 Gramm Cannabiskraut (523,80 Delta-9-THC [rund 26 Grenzmengen]) im Kellerabteil seiner Wohnung zu verwahren;

2. in wiederholten Angriffen mindestens 8.500 Gramm Cannabiskraut (513,20 Gramm Delta-9-THC [rund 25 Grenzmengen]) und 250 Stück Ecstasy-Tabletten (MDMA) gewinnbringend an andere veräußerte,

wobei sein Vorsatz auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und auch die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Deliktszeitraum sowie den daran geknüpften Additionseffekt und die Überschreitung des 25-fachen der Grenzmenge mitumfasste;

III. im Zeitraum von Anfang 2018 bis Sommer 2018 unbekannte Mengen an Delta-9-THC-hältigem Cannabiskraut, MDMA-hältige Ecstasy-Tabletten und Kokain ausschließlich zum persönlichen Gebrauch besessen hat.

Als mildernd wurde der bis dahin ordentliche Lebenswandel des BF, sein umfassendes und reumütiges Geständnis, die teilweise Sicherstellung des Suchtgifts und – (ausschließlich) hinsichtlich des Vorwurfs des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften – die Gewöhnung an Suchtmittel gewertet. Erschwerend wirkte sich das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit mehreren Vergehen auf die Strafzumessung aus.

Der BF verbüßte zwei Drittel seiner Freiheitsstrafe im Zeitraum von 08.09.2018 bis 08.05.2021, der Rest der Strafe wurde ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Der BF war im Tatzeitraum selbst an Suchtmittel (Cannabis) gewöhnt, hat dem unerlaubten Suchtgiftkonsum jedoch nunmehr abgeschworen.

Zu einer möglichen Rückkehr des BF nach Afghanistan:

Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des BF sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, einschließlich der Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif, konnte nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit hg. Erkenntnis vom 25.11.2015 (W197 2017300-1/11E) wesentlich und nachhaltig verändert haben.

Insbesondere ist aus den getroffenen Länderfeststellungen im Vergleich zu den bei Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten herangezogenen Länderberichten keine Verbesserung der Sicherheits- oder Versorgungslage in Afghanistan, sondern – unter Berücksichtigung der Folgen der COVID-19-Pandemie – zuletzt vielmehr eine Verschlechterung der Versorgungslage ersichtlich.

Seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen im Frühjahr 2021 hat sich auch die Sicherheitslage in Afghanistan drastisch verschlechtert. Es kam zu verstärkten Kampfhandlungen zwischen den Taliban und Regierungstruppen in ganz Afghanistan. Aktuell kontrollieren die Taliban das gesamte Land und es kommt zu schwerwiegenden Übergriffen und groben Menschenrechtsverletzungen seitens der Taliban-Kämpfer.

Dem BF würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dort herrschenden allgemeinen instabilen Sicherheitslage und der damit einhergehenden willkürlichen Gewalt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit durch seine bloße Anwesenheit ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Auch wäre es ihm aufgrund der schlechten Versorgungslage in Afghanistan derzeit nicht möglich, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft befriedigen zu können und würde er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage geraten.

Eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat würde daher eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK bedeuten und für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen.

Dem BF ist daher eine Rückkehr nach Afghanistan derzeit nicht möglich.

Zum Herkunftsstaat:

Im Verfahren wurden folgende Quellen zum Herkunftsstaat des BF herangezogen und diesem Erkenntnis zugrundegelegt:

?        Länderinformation der Staatendokumentation Afghanistan aus dem COI-CMS vom  16.09.2021

?        UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer  Asylsuchender vom 30.08.2018

?        UNHCR Position on Returns to Afghanistan (August 2021)

?        UNHCR Afghanistan Situation Supplementary Appeal (July-December 2021)

-?       EASO Country Guidance: Afghanistan Update September 2021

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan (Stand 16.09.2021, Schreibfehler teilweise korrigiert):

„[…]

COVID-19

Letzte Änderung: 16.09.2021

[…]

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020).

Die Zahl der täglich neu bestätigten COVID-19-Fälle in Afghanistan ist in den Wochen nach dem Eid al-Fitr-Fest Mitte Mai 2021 stark angestiegen und übertrifft die Spitzenwerte, die zu Beginn des Ausbruchs in dem Land verzeichnet wurden. Die gestiegene Zahl der Fälle belastet das Gesundheitssystem weiter. Gesundheitseinrichtungen berichten von Engpässen bei medizinischem Material, Sauerstoff und Betten für Patienten mit COVID-19 und anderen Krankheiten (USAID 11.6.2021).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Wochen nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Die Lücken in der COVID-19-Testung und Überwachung bleiben bestehen, da es an Laborreagenzien für die Tests mangelt und die Dienste aufgrund der jüngsten Unsicherheit möglicherweise nur wenig in Anspruch genommen werden. Der Mangel an Testmaterial in den öffentlichen Labors kann erst behoben werden, wenn die Lieferung von 50.000 Testkits von der WHO im Land eintrifft (WHO 28.8.2021). Mit Stand 4.9.2021 wurden 153.534 COVID19 Fälle offiziell bestätigt (WHO 6.9.2021). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 13.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, RFE/RL 23.2.2021a).

Maßnahmen der ehemaligen Regierung und der Taliban

Das vormalige afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hatte verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchten Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" waren in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IDW 17.6.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlaubten den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. TG 2.5.2020) und gaben im Januar 2021 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 3.6.2020).

Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, Sauerstoff, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 11.6.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, USAID 11.6.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

Die ohnehin schlechte wirtschaftliche Lage wurde durch die Auswirkungen der Pandemie noch verstärkt (AA 15.7.2021). COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 11.6.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020).

Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

[…]

Politische Lage

Letzte Änderung: 16.09.2021

Afghanistan war [vor der Machtübernahme der Taliban] ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 1.3.2021). Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen (NSIA 1.6.2020) bis 39 Millionen Menschen (WoM o.D.).

Nachdem der bisherige Präsident Ashraf Ghani am 15.8.2021 aus Afghanistan geflohen war, nahmen die Taliban die Hauptstadt Kabul als die letzte aller großen afghanischen Städte ein (TAG 15.8.2021; vgl. JS 7.9.2021). Ghani gab auf seiner Facebook-Seite eine Erklärung ab, in der er den Sieg der Taliban vor Ort anerkannte (JS 7.9.2021; vgl. UNGASC 2.9.2021). Diese Erklärung wurde weithin als Rücktritt interpretiert, obwohl nicht klar ist, ob die Erklärung die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rücktritt des Präsidenten erfüllt. Amrullah Saleh, der erste Vizepräsident Afghanistans unter Ghani, beanspruchte in der Folgezeit das Amt des Übergangspräsidenten für sich (JS 7.9.2021; vgl. UNGASC 2.9.2021). Er ist Teil des Widerstands gegen die Taliban im Panjshir-Tal (REU 8.9.2021). Ein so genannter Koordinationsrat unter Beteiligung des früheren Präsidenten Hamid Karzai, Abdullah Abdullah (dem früheren Außenminister und Leiter der Delegation der vorigen Regierung bei den letztendlich erfolglosen Friedensverhandlungen) und Gulbuddin Hekmatyar führte mit den Taliban informelle Gespräche über eine Regierungsbeteiligung (FP 23.8.2021), die schließlich nicht zustande kam (TD 10.9.2021). Denn unabhängig davon, wer nach der afghanischen Verfassung das Präsidentenamt innehat, kontrollieren die Taliban den größten Teil des afghanischen Staatsgebiets (JS 7.9.2021; vgl. UNGASC 2.9.2021). Sie haben das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen und am 7.9.2021 eine neue Regierung angekündigt, die sich größtenteils aus bekannten Taliban-Figuren zusammensetzt (JS 7.9.2021).

Die Taliban lehnen die Demokratie und ihren wichtigsten Bestandteil, die Wahlen, generell ab (AJ 24.8.2021; vgl. AJ 23.8.2021). Sie tun dies oftmals mit Verweis auf die Mängel des demokratischen Systems und der Wahlen in Afghanistan in den letzten 20 Jahren, wie auch unter dem Aspekt, dass Wahlen und Demokratie in der vormodernen Periode des islamischen Denkens, der Periode, die sie als am authentischsten "islamisch" ansehen, keine Vorläufer haben. Sie halten einige Methoden zur Auswahl von Herrschern in der vormodernen muslimischen Welt für authentisch islamisch - zum Beispiel die Shura Ahl al-Hall wa'l-Aqd, den Rat derjenigen, die qualifiziert sind, einen Kalifen im Namen der muslimischen Gemeinschaft zu wählen oder abzusetzen (AJ 24.8.2021). Ende August 2021 kündigten die Taliban an, eine Verfassung auszuarbeiten (FA 23.8.2021), jedoch haben sie sich zu den Einzelheiten des Staates, den ihre Führung in Afghanistan errichten möchte, bislang bedeckt gehalten (AJ 24.8.2021; vgl. ICG 24.8.2021, AJ 23.8.2021).

Im September 2021 kündigten sie die Bildung einer "Übergangsregierung" an. Entgegen früherer Aussagen handelt es sich dabei nicht um eine "inklusive" Regierung unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure, sondern um eine reine Talibanregierung. Darin vertreten sind Mitglieder der alten Talibanelite, die schon in den 1990er Jahren zentrale Rollen besetzte, ergänzt mit Taliban-Führern, die im ersten Emirat noch zu jung waren, um zu regieren. Die allermeisten sind Paschtunen. Angeführt wird die neue Regierung von Mohammad Hassan Akhund. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Taliban-Führungszirkels, der sogenannten Rahbari-Shura, besser bekannt als Quetta-Shura (NZZ 7.9.2021; vgl. BBC 8.9.2021a). Einer seiner Stellvertreter ist Abdul Ghani Baradar, der bisher das politische Büro der Taliban in Doha geleitet hat und so etwas wie das öffentliche Gesicht der Taliban war (NZZ 7.9.2021), ein weiterer Stellvertreter ist Abdul Salam Hanafi, der ebenfalls im politischen Büro in Doha tätig war (ORF 7.9.2021).

Mohammad Yakub, Sohn des Taliban-Gründers Mullah Omar und einer der Stellvertreter des Taliban-Führers Haibatullah Akhundzada (RFE/RL 6.8.2021), ist neuer Verteidigungsminister. Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerks, wurde zum Innenminister ernannt. Das Haqqani-Netzwerk wird von den USA als Terrororganisation eingestuft. Der neue Innenminister steht auf der Fahndungsliste des FBI und auch der Vorsitzende der Minister, Akhund, befindet sich auf einer Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates (NZZ 7.9.2021).

Ein Frauenministerium findet sich nicht unter den bislang angekündigten Ministerien, auch wurden keine Frauen zu Ministerinnen ernannt [Anm.: Stand 7.9.2021]. Dafür wurde ein Ministerium für "Einladung, Führung, Laster und Tugend" eingeführt, das die Afghanen vom Namen her an das Ministerium "für die Förderung der Tugend und die Verhütung des Lasters" erinnern dürfte. Diese Behörde hatte während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 Menschen zum Gebet gezwungen oder Männer dafür bestraft, wenn sie keinen Bart trugen (ORF 7.9.2021; vgl. BBC 8.9.2021a). Die höchste Instanz der Taliban in religiösen, politischen und militärischen Angele

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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