TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/22 W119 2217129-1

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Veröffentlicht am 22.07.2021
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Entscheidungsdatum

22.07.2021

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W119 2217129-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch ihre Mutter XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert BITSCHE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22. 2. 2019, Zl 1101867905-160066389/BMI-BFA_NOE_RD, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005, der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die durch ihre Mutter vertretene minderjährige Beschwerdeführerin stellte gemeinsam mit ihren Eltern (Zlen W119 2216934 und W119 2217124) und ihren minderjährigen Geschwistern (Zlen W119 2217131, W119 2217127 und W 2217125) am 13. 1. 2016 jeweils Anträge auf internationalen Schutz.

Anlässlich der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung nach dem AsylG führte die Mutter der Beschwerdeführerin zunächst aus, aus der Provinz Daikundi zu stammen und der Volksgruppe der Hazara anzugehören. Zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass sie wegen ihres Ehemannes Afghanistan verlassen habe, weil sein Leben in Gefahr gewesen sei. Sie habe Angst gehabt, dass er getötet werde.

Am 3. 8. 2018 wurde die Mutter der Beschwerdeführerin beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) einvernommen und legte zunächst Deutschkursbestätigungen, eine Urkunde über einen absolvierten Fahrradkurs, diverse Empfehlungsschreiben, eine Bestätigung über die Verrichtung einer gemeinnützigen Arbeit sowie Fotos über ihr Leben in Österreich vor.

Weiters führte sie aus, dass ihr Vater, ihr Bruder und ihre beiden Schwestern weiterhin in Afghanistan leben würden. Sie habe keinen Kontakt zu ihnen, weil es in ihrem Heimatdorf kein Internet gebe. Sie habe in Afghanistan keine Schule besuchen dürfen, ihr Alltag habe darin bestanden, Hausarbeiten und landwirtschaftliche Tätigkeiten zu verrichten. Zu den Fluchtgründen ihres Ehemannes befragt, gab sie an, dass zwei seiner Brüder getötet worden seien. Die Leute im Dorf hätten gesagt, dass ein Kommandant für deren Tod verantwortlich sei. Deshalb habe sie mit ihrer Familie die Flucht aus Afghanistan angetreten. Zudem habe sie erst in Österreich begriffen, dass sie ein Mensch, eine Frau sei. In Afghanistan habe sie keinen Respekt oder Wertschätzung erhalten, sie sei dort ein nichts gewesen. Sie habe ständig eine Burka tragen und darauf achten müssen, dass sie von Männern nicht gesehen werde. Sie habe zwei Töchter und wolle ihnen dieses Leben ersparen. Diese sollten nicht in der Weise aufwachsen, wie sie es erlebt habe.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 22. 2. 2019, Zl 1101867905-160066389/BMI-BFA_NOE_RD, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.)

Mit Verfahrensanordnung vom 28. 2. 2019 wurde der Beschwerdeführerin die ARGE-Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin zur Seite gestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsberater mit Schriftsatz vom 2. 4. 2019 Beschwerde.

Am 7. 7. 2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, an der sich die Eltern der Beschwerdeführerin beteiligten. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung nicht teil.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die minderjährige Beschwerdeführerin ist afghanische Staatsangehörige und am XXXX geboren. Sie stellte am 13. 1. 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um die minderjährige Tochter der XXXX , der mit Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl W119 2217124, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde und der damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Die Beschwerdeführerin gehört als ihre minderjährige Tochter der Familie an und liegt im gegenständlichen Fall ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den Angaben der Mutter der Beschwerdeführerin im Verfahren sowie aus den damit übereinstimmenden Akteninhalten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 1 VwGVG regelt dieses Bundesgesetz das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, des AgrVG und des DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt (§ 58 Abs. 2 VwGVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013).

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBL I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

A)

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Stellt ein Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 22 leg. cit. von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

§ 34 Abs. 2 AsylG 2005 normiert, dass die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen hat, wenn

1.       dieser nicht straffällig geworden ist und

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art 3 Z13, BGBl. I Nr. 84/2017)

3.       gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus anhängig ist (§ 7).

Gemäß Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten unter den Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

Im vorliegenden Fall wurde der Mutter der Beschwerdeführerin gemäß § 3 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass dieser damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Der minderjährigen Beschwerdeführerin ist daher nach § 34 Abs. 4 AsylG 2005 der gleiche Schutzumfang, d.h. der Status der Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005, zuzuerkennen, ohne dass allfällige eigene Fluchtgründe zu beurteilen waren (vgl. dazu auch Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 [2006], 499). Aufgrund dessen sind die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag auf internationalen Schutz am 13. 1. 2016 und somit nach dem 15. 11. 2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall Anwendung finden.

B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Eine Revision gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch mangelt es an einer derartigen Rechtsprechung; sie ist auch nicht uneinheitlich. Ferner liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor: Zur Frage der Asylrelevanz der Lebensbedingungen von Frauen in Afghanistan hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 16.1.2008, Zl. 2006/19/0182, auf eine diesbezügliche Stellungnahme des UNHCR vom Juli 2003 Bezug genommen, wonach unter anderem afghanische Frauen, von denen angenommen wird, dass sie soziale Normen verletzen (oder dies tatsächlich tun), bei einer Rückkehr nach Afghanistan als gefährdet angesehen werden sollten. In diesem Sinne hatte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6.7.2011, Zl. 2008/19/0994, betont, dass für Frauen, die einen den in Afghanistan vorherrschenden sozialen Normen widersprechenden Lebensstil angenommen haben, eine Anpassung an die Lebensverhältnisse von Frauen in Afghanistan nicht zumutbar sei (siehe auch VwGH 1.6.2010, 2006/19/1197; 10.12.2009, 2006/19/1197; 16.1.2008, 2006/19/0182).

Schlagworte

Asyl auf Zeit Asylgewährung von Familienangehörigen Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung ersatzlose Teilbehebung Familienangehöriger Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft Kassation mündliche Verhandlung Rückkehrentscheidung behoben Spruchpunktbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W119.2217129.1.00

Im RIS seit

29.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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